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CODEX DES KANONISCHEN RECHTES

 

BUCH VII

PROZESSE

 

TEIL I

GERICHTSWESEN IM ALLGEMEINEN (Cann. 1400 – 1403)

 

TITEL III

GERICHTSORDNUNG (Cann. 1446 – 1475)

 

 

KAPITEL I

AUFGABEN DER RICHTER UND DES GERICHTSPERSONALS

Can. 1446 — § 1. Alle Gläubigen, vor allem aber die Bischöfe, sollen eifrig bemüht sein, daß Rechtsstreitigkeiten im Gottesvolk ohne Beeinträchtigung der Gerechtigkeit nach Möglichkeit vermieden und baldmöglichst friedlich beigelegt werden.

§ 2. Wann immer der Richter irgendeine Aussicht auf Erfolg erkennt, soll er es zu Beginn eines Rechtsstreites und auch zu jedem anderen Zeitpunkt nicht unterlassen, die Streitteile zu ermuntern und ihnen behilflich zu sein, daß sie in gemeinsamer Überlegung für eine der Billigkeit entsprechende Beilegung des Streites sorgen; er soll ihnen dazu geeignete Wege aufzeigen und sich auch angesehener Personen zur Vermittlung bedienen.

§ 3. Wenn der Rechtsstreit um das private Wohl der Parteien geht, soll der Richter erwägen, ob der Streit nützlicherweise durch Vergleich oder Schiedsspruch gemäß cann. 1713—1716 beendet werden kann.

Can. 1447 — Wer an einem Verfahren als Richter, Kirchenanwalt, Bandverteidiger, Prozeßbevollmächtigter, Anwalt, Zeuge oder Sachverständiger beteiligt war, kann später in derselben Sache in einer weiteren Instanz nicht gültig als Richter Entscheidungen treffen oder das Amt eines Beisitzers wahrnehmen.

Can. 1448 — § 1. Der Richter darf in keinem Rechtsstreit tätig werden, an dem er aufgrund von Blutsverwandtschaft oder Schwägerschaft in der geraden Linie und bis zum vierten Grad der Seitenlinie, ferner aufgrund von Vormundschaft oder Pflegschaft, freundschaftlichem Verkehr, feindlicher Einstellung, Erwartung eines Gewinns oder Vermeidung eines Verlustes irgendwie persönlich interessiert ist.

§ 2. Unter denselben Umständen müssen sich Kirchenanwalt, Bandverteidiger, Beisitzer und Vernehmungsrichter ihrer Ämter enthalten.

Can. 1449 — § 1. Enthält sich der Richter in den Fällen des can. 1448 nicht von sich aus seines Amtes, so kann ihn eine Partei ablehnen.

§ 2. Über die Ablehnung entscheidet der Gerichtsvikar; wird er selbst abgelehnt, so entscheidet darüber der Bischof, der Gerichtsherr ist.

§ 3. Ist der Bischof Richter und richtet sich die Ablehnung gegen ihn, so hat er sich der richterlichen Tätigkeit zu enthalten.

§ 4. Richtet sich die Ablehnung gegen den Kirchenanwalt, Bandverteidiger oder sonstige Gerichtspersonen, so entscheidet über diese Einrede der Vorsitzende des Kollegialgerichtes bzw. der Einzelrichter.

Can. 1450 — Wird der Ablehnung stattgegeben, so müssen die Personen ausgewechselt werden; eine Änderung im Rechtszug tritt jedoch nicht ein.

Can. 1451 — § 1. Die Frage der Ablehnung ist auf schnellstem Weg zu entscheiden, nachdem die Parteien sowie der Kirchenanwalt oder der Bandverteidiger dazu angehört worden sind, sofern sie am Verfahren beteiligt sind und die Ablehnung nicht gegen sie gerichtet ist.

§ 2. Prozeßhandlungen, die der Richter vor der Ablehnung vorgenommen hat, sind gültig; Prozeßhandlungen jedoch, die nach Erhebung der Ablehnung von ihm vorgenommen worden sind, müssen aufgehoben werden, wenn eine Partei dies innerhalb von zehn Tagen nach Stattgabe der Ablehnung verlangt.

Can. 1452 — § 1. In einer Streitsache, die ausschließlich das private Wohl angeht, darf der Richter nur auf Antrag einer Partei tätig werden. Nachdem aber ein Prozeß rechtmäßig eingeleitet worden ist, kann und muß der Richter in Strafsachen und jenen Sachen, die das kirchliche Allgemeinwohl oder das Seelenheil betreffen, auch von Amts wegen tätig werden.

§ 2. Darüber hinaus aber kann der Richter, unbeschadet der Bestimmungen von can. 1600, bei Nachlässigkeit der Parteien beim Beschaffen von Beweisen oder beim Vorbringen von Einreden ergänzend tätig werden, wann immer er dies zur Vermeidung eines schwer ungerechten Urteils für notwendig erachtet.

Can. 1453 — Richter und Gerichte haben dafür Sorge zu tragen, daß ohne Beeinträchtigung der Gerechtigkeit alle Verfahren möglichst bald zu Ende geführt werden, so daß sie bei einem Gericht der ersten Instanz nicht über ein Jahr, bei einem Gericht der zweiten Instanz aber nicht über sechs Monate dauern.

Can. 1454 — Alle Personen, die das Gericht bilden oder darin mitwirken, müssen einen Eid ablegen, ihre Aufgabe ordnungsgemäß und getreu zu erfüllen.

Can. 1455 — § 1. Richter und Gerichtspersonen sind zur Wahrung des Amtsgeheimnisses verpflichtet, in einer Strafsache stets, in einer Streitsache aber dann, wenn den Parteien aus dem Bekanntwerden einer Prozeßhandlung Schaden erwachsen könnte.

§ 2. Sie sind immer auch zur Geheimhaltung verpflichtet bezüglich der Erörterung, die zwischen den Richtern eines Kollegialgerichtes vor der Urteilsfällung stattfindet, und auch bezüglich der verschiedenen Stimmabgaben und der dabei vertretenen Auffassungen unter Wahrung der Vorschrift des can. 1609, §4.

§ 3. Sooft die Natur einer Sache oder der Beweise so beschaffen ist, daß aus der Bekanntgabe der Prozeßakten oder Beweise der Ruf anderer gefährdet wird oder daß Anlaß zu Streit oder Ärgernis oder ein sonstiger Nachteil dieser Art entstehen würde, kann der Richter Zeugen, Sachverständige, Parteien und deren Anwälte oder Prozeßbevollmächtigte eidlich zur Geheimhaltung verpflichten.

Can. 1456 — Dem Richter und allen Gerichtspersonen ist verboten, gelegentlich ihrer gerichtlichen Tätigkeit irgendwelche Geschenke anzunehmen.

Can. 1457 — § 1. Mit entsprechenden Strafen, einschließlich der Absetzung vom Amt, können von der zuständigen Autorität Richter bestraft werden, die, obwohl sie sicher und offenkundig zuständig sind, den richterlichen Dienst verweigern oder sich ohne gesetzliche Grundlage für zuständig erklären und Sachen behandeln und entscheiden oder das Amtsgeheimnis verletzen oder vorsätzlich oder grob nachlässig den Streitparteien sonstigen Schaden zufügen.

§ 2. Denselben Strafandrohungen unterliegen Gerichtspersonen und Gehilfen des Richters, wenn sie ihre Amtspflicht in der genannten Weise verletzen; sie alle kann auch der Richter bestrafen.