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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

 

Die Bedeutung des Abschiednehmens

Dienstag, 19. Mai 2015

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 22, 29. Mai 2015

 

Papst Franziskus hat an das Leiden der Rohingya aus Myanmar erinnert, die im Meer treiben und abgewiesen werden, und an jenes der christlichen und jesidischen Flüchtlinge im Irak, die »aus ihren Häusern vertrieben« wurden: Tragödien, die sich heute unter aller Augen ereignen.

In der heiligen Messe am 19. Mai, die der Papst in der Kapelle des Hauses Santa Marta feierte, forderte er zum Nachdenken über den tieferen Sinn eines jeden Abschieds auf, sei dieser nun groß oder klein, der in dem Wort »Adieu« enthalten ist und der immer ausdrückt, dass man sich dem Vater anvertraut. Und er vergaß nicht, den Schmerz und die Angst aller Mütter zu erwähnen, die sehen, wie ihre Söhne an die Kriegsfront aufbrechen. Im Übrigen sei, wie der Papst sogleich anmerkte, »die Atmosphäre dieser letzten Tage der Osterzeit von einer Stimmung des Abschieds geprägt «. »Die Kirche greift in der Liturgie die Rede Jesu beim Letzten Abendmahl auf, bei dem er vor der Passion Abschied nahm, und liest sie erneut:  Jesus nimmt Abschied, um zum Vater zu gehen und uns den Heiligen Geist zu senden« (Joh 17,1-11).

Heute, so bekräftigte Franziskus weiter, »verdichtet sich diese Abschiedsstimmung auch in der ersten Lesung, einer schönen Stelle der Apostelgeschichte: die Abschiedsrede des Paulus« (20,17-27). Er »war in Milet« und »schickte nach Ephesus und ließ die Ältesten der Gemeinde zu sich rufen«, zu »einer Versammlung der kleinen Kirchen, die so groß waren wie Pfarrgemeinden«.

Und so »beginnt diese Rede, deren Abschluss in der morgigen Liturgie gelesen werden wird und in der Paulus an sein Wirken erinnert, an das, was er geleistet hat: ›Ich habe mich der Pflicht nicht  entzogen, euch den ganzen Willen Gottes zu verkünden.‹« Dann »erinnert er sie daran, wie er gewirkt hat, aber ohne sich dessen zu rühmen«. Er erinnere sich: »So sah mein Leben unter euch aus.« Dann füge er hinzu: »Nun ziehe ich, gebunden durch den Geist, nach Jerusalem.«

Paulus »geht«, so erläuterte der Papst, mit »einem Abschied, der auch ein wenig dramatisch ist«. Tatsächlich sage er, dass er nicht wisse, »was dort mit mir geschehen wird. Nur das bezeugt mir der Heilige Geist von Stadt zu Stadt, dass Fesseln und Drangsale auf mich warten. Aber ich

will mit keinem Wort mein Leben wichtig nehmen, wenn ich nur meinen Lauf vollende und den Dienst erfülle, der mir von Jesus, dem Herrn, übertragen wurde«, und »zwar: das Evangelium von der Gnade Gottes zu bezeugen«. Anschließend halte Paulus »eine etwas lange, brüderliche Rede, und als er endet, bricht er in Tränen aus«. Er sagt: »Nun aber weiß ich, dass ihr mich nicht mehr von Angesicht sehen werdet, ich weiß aber auch, dass ich das eure nicht mehr sehen werde.« Danach »brechen alle am Strand in Tränen aus, knien nieder, beten unter Tränen und nehmen Abschied von Paulus«, den sie »bis ans Schiff« begleiten.

Kurz, so fasste der Papst die beiden Schriftlesungen zusammen, »Jesus nimmt Abschied, Paulus nimmt Abschied, und das hilft uns, über unsere eigenen Abschiede nachzudenken«. In der Tat »gibt es in unserem Leben zahlreiche Abschiede: es gibt kleine Abschiede – man weiß, dass man wiederkehrt, heute oder morgen –, und dann gibt es die großen Abschiede, und man weiß nicht, wie diese Reise enden wird.« Franziskus betonte, es sei »gut tut, hieran zu denken«, denn »das Leben ist voller Abschiede«, und in gewissen Situationen »gibt es auch sehr viel Leiden, viele Tränen«. Und er forderte auf, an »diese bedauernswerten Rohingya aus Myanmar « zu denken. »In jenem Augenblick, als sie ihre Heimat verließen, um vor den Verfolgungen zu fliehen, wussten sie nicht, was auf sie zukommen würde. Sie sind seit Monaten auf See, dort … Sie kommen in einer Stadt an, wo man ihnen Wasser und Lebensmittel gibt und dann sagt: ›Geht weg!‹: Das ist ein Abschied.«

Anschließend erinnerte er an »den Abschied der Christen und der Jesiden, die davon ausgehen, nie wieder in ihre Heimat zurückzukehren, weil sie aus ihren Häusern verjagt werden. Heute!«

Der Papst machte darauf aufmerksam, dass »es auch kleine, zugleich aber große Abschiede im Leben gibt: Ich denke an den Abschied der Mutter, die den Sohn, der in den Krieg zieht, grüßt, ihn ein letztes Mal umarmt, und die jeden Tag mit der Angst aufsteht, dass ein Offizier kommen könnte, um ihr mitzuteilen: ›Wir bedanken uns für die Großherzigkeit Ihres Sohnes, der sein Leben fürs Vaterland gegeben hat‹«. Denn »man kann nicht wissen, wie solche großen Abschiede enden«. Und dann »gibt es auch den letzten Abschied, den wir alle nehmen müssen, wenn uns der Herr ruft: ich denke an diesen Abschied«.

»Diese großen Abschiede des Lebens, auch der letzte, sind nicht Abschiede«, die man damit erledigt, dass man sagt: »Bis bald, auf Wiedersehen!« Kurz, das seien Abschiede, »bei denen einer weiß, dass er gleich oder in einer Woche wiederkommt«. Bei den großen Abschieden hingegen »weiß man nicht, wann oder wie« die Rückkehr erfolgen werde. Und gerade »jenen letzten Abschied stellt auch die Kunst dar, zum Beispiel in Liedern«. In diesem Zusammenhang erinnerte Franziskus an den traditionellen Gesang der [italienischen] Gebirgsschützen: »Das Testament des Hauptmanns«, der erzählt, »wie sich der Hauptmann von seinen Soldaten verabschiedet«. Der Papst fragte: »Denke ich an den großen Abschied, an meinen großen Abschied«, also »wenn ich nicht sagen darf: ›bis später‹, ›bis nachher‹, ›auf Wiedersehen‹, sondern ›Adieu‹?«

Die beiden Schriftlesungen des Tages »enthalten in gewisser Weise das Wort ›Adieu‹: Paulus vertraut die Seinen Gott an, und Jesus vertraut seine in der Welt zurückbleibenden Jünger dem Vater an«. Aber gerade »das dem Vater anvertrauen, Gott jemanden anvertrauen, ist der Ursprung des Wortes ›Adieu‹.« Tatsächlich »sagen wir bei den großen Abschieden, seien es jene im Leben, sei es der letzte Abschied, ›Adieu‹«.

Angesichts des Bildes »von Paulus, der am Strand kniend weint« und des Bildes von »Jesus, der traurig war, weil er mit seinen Jüngern der Passion entgegenging, der in seinem Herzenweinte«, forderte der Papst auf, »über uns selbst nachzudenken: das wird uns gut tun«. Weiter regte er an, sich zu fragen, »wer der Mensch sein wird, der mir die Augen schließen wird? Was hinterlasse ich?« In der Tat machte der Papst darauf aufmerksam, dass »Paulus und Jesus, alle beide, in diesen Texten eine Art von Gewissensprüfung vornehmen: ›Habe ich dies, das, und jenes getan?‹ « Und so sei es gut, sich selbst zu fragen, in einer Art von Gewissensprüfung: »Was habe ich getan?« Im Bewusstsein, dass »es gut für mich sein wird, mir mich selbst in jenem Augenblick vorzustellen. Man weiß nicht, wann das sein wird, in dem das ›bis nachher‹, ›bis bald‹, ›bis morgen‹, ›auf Wiedersehen‹ zu einem ›Adieu‹ wird.«

Er fragte deshalb weiter, indem er zum Nachdenken aufforderte: ›Bin ich bereit, all die Meinen Gott anzuvertrauen? Mich selbst Gott anzuvertrauen? Jenes Wort zu sprechen, das das Wort ist, mit dem sich der Sohn dem Vater anvertraut?«  Franziskus erteilte auch den Rat, Kap. 16 des Johannesevangeliums oder Kap. 19 der Apostelgeschichte, »den Abschied Jesu und den Abschied des Paulus«, zu lesen: »Wenn ihr heute ein wenig Zeit habt, und wenn ihr keine habt, dann nehmt sie euch!« Gerade vor dem Hintergrund dieser Texte sei es wichtig, »daran zu denken, dass eines Tages auch ich dieses Wort sagen muss: ›Adieu‹«. Ja, so fügte er hinzu, »ich vertraue meine Seele Gott an, Gott vertraue ich meine Geschichte an; Gott vertraue ich die Meinen an; Gott vertraue ich alles an.«

»Nun«, so schloss der Papst, »gedenken wir des Abschieds Jesu, des Todes Jesu.« Und er sprach die Hoffnung aus, »dass der gestorbene und auferstandene Jesus uns den Heiligen Geist senden möge, damit wir dieses Wort lernen, damit wir lernen, es in existentiellem Sinne zu sagen, mit aller Kraft: das allerletzte Wort, ›Adieu‹«.



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