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BOTSCHAFT VON PAPST FRANZISKUS
AN DIE TEILNEHMER AM ONLINE KONGRESS ZUR ERÖFFNUNG DES

»JAHRES DER FAMILIE AMORIS LAETITIA«


Liebe Brüder und Schwestern!

Ich grüße Euch alle, die Ihr am Studienkongress über das Thema »Unsere tägliche Liebe« teilnehmt. Ein besonderer Gedanke geht an Kardinal Kevin Joseph Farrell, Präfekt des Dikasteriums für Laien, Familie und Leben, und Kardinal Angelo De Donatis, Vikar für die Diözese Rom, sowie Erzbischof Vincenzo Paglia, Großkanzler des Päpstlichen Theologischen Instituts Johannes Paul II. für Ehe- und Familienwissenschaften.

Vor fünf Jahren wurde das nachsynodale Apostolische Schreiben Amoris laetitia über die Schönheit und Freude der ehelichen und familiären Liebe veröffentlicht. Aus diesem Anlass habe ich nun zu einem Jahr eingeladen, in dem das Dokument erneut gelesen und Gegenstand der Reflexion über das Thema sein soll, bis zur Feier des 10. Welttags der Familien, der, so Gott will, am 26. Juni 2022 in Rom stattfinden wird. Ich danke Euch für die Initiativen, die Ihr zu diesem Zweck ins Leben gerufen habt, und für den Beitrag, den ein jeder von Euch in seinem Arbeitsbereich anbietet.

In den vergangenen fünf Jahren hat Amoris laetitia den Beginn eines Weges aufgezeigt mit dem Bemühen, in Bezug auf die Realität der Familie zu einem neuen pastoralen Ansatz zu ermutigen. Die Hauptabsicht des Dokuments ist es, in einer stark veränderten Zeit und Kultur die Botschaft zu übermitteln, dass heute von Seiten der Kirche ein neuer Blick auf die Familie notwendig ist: Es reicht nicht aus, die Gültigkeit und Bedeutung der Lehre zu wiederholen, wenn wir nicht Hüter der Schönheit der Familie werden und wenn wir uns nicht voller Mitleid ihrer Schwächen und ihrer Wunden annehmen.

Diese beiden Aspekte sind das Herz jeder Familienpastoral: der Freimut in der Verkündigung des Evangeliums und die Zärtlichkeit in der Begleitung. Denn einerseits verkünden wir den Paaren, den Eheleuten und den Familien ein Wort, das ihnen helfen soll, den authentischen Sinn ihrer Vereinigung und ihrer Liebe zu erkennen, die Zeichen und Bild der trinitarischen Liebe und des Bundes zwischen Christus und der Kirche ist. Es ist das stets neue Wort des Evangeliums, aus dem jede Lehre, auch die Lehre von der Familie, Gestalt annehmen kann. Und es ist ein anspruchsvolles Wort, das die menschlichen Beziehungen befreien will von der Versklavung, die häufig deren Antlitz entstellen und sie instabil werden lassen: die Diktatur der Gefühle, die Verherrlichung des Provisorischen, die von lebenslangen Verpflichtungen abhält, das Vorherrschen des Individualismus, Zukunftsängste.

Angesichts dieser Schwierigkeiten unterstreicht die Kirche gegen über den christlichen Eheleuten die Bedeutung der Ehe als Plan Gottes, als Frucht seiner Gnade und als Berufung, die in ganzer Fülle, treu und unentgeltlich gelebt werden soll. Das ist der Weg, damit die Beziehungen sich – in einem auch von Scheitern, Niederlagen und Veränderungen gezeichneten Prozess – der Fülle der Freude und menschlicher Verwirklichung öffnen sowie zum Sauerteig der Geschwisterlichkeit und der Liebe in der Gesellschaft werden.

Andererseits kann und darf diese Verkündigung niemals von oben herab und von außen geschehen. Die Kirche nimmt in der historischen Wirklichkeit Gestalt an, so wie es bei der Menschwerdung ihres Meisters geschah, und auch wenn sie das Evangelium von der Familie verkündet, dann tut sie dies, indem sie in das reale Leben eintaucht, die täglichen Mühen der Eheleute und Eltern aus der Nähe kennt, ihre Probleme, ihre Leiden, all jene kleinen und großen Situationen, die ihren Weg beschweren und zuweilen behindern. Das ist der konkrete Kontext, in dem die tägliche Liebe gelebt wird. Ihr habt Eurem Kongress den Titel »Unsere tägliche Liebe« gegeben. Das ist eine bedeutsame Wahl. Es geht um die Liebe, die der Einfachheit und der stillen Arbeit des Lebens als Ehepaar entspringt, jenem täglichen und zuweilen mühsamen Einsatz der Eheleute, Mütter, Väter, Kinder. Ein Evangelium, das sich als Lehre von oben herab darstellen und nicht in das »Fleisch« dieser Alltäglichkeit eindringen würde, würde Gefahr laufen, eine schöne Theorie zu bleiben und mitunter als moralische Verpflichtung gelebt zu werden. Wir sind aufgerufen, zu begleiten, zuzuhören, den Weg der Familien zu segnen; nicht nur die Richtung vorzugeben, sondern den Weg mit ihnen gemeinsam zu gehen; diskret und liebevoll ihr Zuhause zu betreten, um den Ehepaaren zu sagen: Die Kirche ist an eurer Seite, der Herr ist euch nahe, wir wollen euch helfen, die Gabe, die ihr empfangen habt, zu bewahren.

Das Evangelium verkünden, indem man die Menschen begleitet und sich in den Dienst ihres Glücks stellt: Auf diese Weise können wir den Familien helfen, ihren Weg so zu gehen, dass er ihrer Berufung und Sendung entspricht, im Bewusstsein der Schönheit der Bindungen und ihres Fundaments in der Liebe Gottes, des Vaters, und des Sohnes und des Heiligen Geistes.

Wenn die Familie im Zeichen dieser göttlichen Gemeinschaft lebt, die ich in ihren auch existentiellen Aspekten in Amoris laetitia erläutert habe, dann wird sie ein lebendiges Wort Gottes, der die Liebe ist, gesprochen zur Welt und für die Welt. Denn die Grammatik der familiären Beziehungen – das heißt der Ehelichkeit, der Mutterschaft, der Vaterschaft, der Kindschaft und der Geschwisterlichkeit – ist der Weg, auf dem man die Sprache der Liebe weitergibt, die dem Leben Sinn gibt und jeder Beziehung menschliche Qualität verleiht. Es handelt sich um eine Ausdrucksweise, die nicht nur aus Worten besteht, sondern auch aus Seinsweisen, daraus, wie wir sprechen, aus Blicken, Gesten, aus den Zeiten und Räumen, in denen wir uns zu den anderen in Beziehung setzen.

Die Ehepaare wissen es gut: Eltern und Kinder lernen täglich in dieser Schule der Liebe, die die Familie ist. Und in diesem Umfeld erfolgt auch die Weitergabe des Glaubens zwischen den Generationen: Sie erfolgt über die Sprache guter, gesunder Beziehungen, die man in der Familie tagtäglich lebt, insbesondere indem man Konflikte und Schwierigkeiten gemeinsam bewältigt.

In dieser Zeit der Pandemie ist dies – über die Nöte im finanziellen und gesundheitlichen Bereich hinaus – in der großen Not auf psychischer Ebene ganz klar hervorgetreten: Die familiären Bande wurden und werden stark geprüft, aber sie bleiben zugleich der feste Bezugspunkt, die stärkste Stütze, das unerlässliche Mittel für den Zusammenhalt der gesamten menschlichen und sozialen Gemeinschaft. Unterstützen wir also die Familie! Verteidigen wir sie gegen das, was ihre Schönheit beeinträchtigt. Nähern wir uns diesem Geheimnis der Liebe mit Staunen, Diskretion und Zärtlichkeit. Und setzen wir uns dafür ein, ihre kostbaren und verletzlichen Bande zu wahren: Kinder, Eltern, Großeltern… Diese Bande sind notwendig, um zu leben und um gut zu leben, um die Menschheit geschwisterlicher werden zu lassen.

Das Jahr der Familie, das heute beginnt, wird demnach eine günstige Zeit sein, um die Reflexion über Amoris laetitia fortzusetzen und zu vertiefen. Daher danke ich Euch von Herzen, im Wissen, dass das Institut Johannes Paul II. im Dialog mit anderen akademischen und pastoralen Einrichtungen auf vielerlei Weise zur Entwicklung der menschlichen, geistlichen und pastoralen Aufmerksamkeit zur Unterstützung der Familie beitragen kann. Der heiligen Familie von Nazaret vertraue ich Euch und Eure Arbeit an. Und ich bitte euch, dass ihr dies ebenso für mich und meinen Dienst tut.

FRANZISKUS

Rom, St. Johannes im Lateran, 19. März 2021
Hochfest des heiligen Josef, Beginn des Jahres der Familie
Amoris laetitia

 



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