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TRAUERNOVENE FÜR DEN VERSTORBENEN PAPST VON ROM

JOHANNES PAUL II.

PREDIGT VON KARD. CAMILLO RUINI

Petersbasilika
III. Sonntag der Osterzeit, 10. April 2005

 

Von den Toten auferstanden, machte sich Jesus, der Herr, zum Wegbegleiter der beiden Jünger, die von Jerusalem nach Emmaus gingen. Vielleicht können wir einen Vergleich wagen und sagen, daß auch unser so sehr geliebter Papst, der »von weither gekommen war«, sich über 26 Jahre lang zum Weggefährten von uns Christen in Rom gemacht hat.

Während wir noch bestürzt und betrübt über sein Hinscheiden sind, aber auch voll Zuversicht und Freude in der Gewißheit seiner neuen, geheimnisvollen und leuchtenden Gegenwart, dürfen wir uns heute fragen, wie Johannes Paul II. es geschafft hat, uns so nahe zu sein und die Herzen der Römer, aber auch der Italiener und so vieler Bürger in aller Welt so eindrucksvoll für sich zu gewinnen. Die wahre Antwort darauf ist einfach und bedeutsam: Er war und ist auch weiterhin der Bruder und Vater aller, weil er ein Mann Gottes war, weil er ständig in der Gegenwart Gottes gelebt hat, mit ihm innerlich vereinigt war und auf seine grenzenlose Barmherzigkeit vertraute.

Ja, unser Papst war vor allem ein Mann des Gebets; er hat seine wertvollste Zeit und seine besten Kräfte dem Gebet gewidmet. Er ist Jesus Christus gleichförmig geworden und hat das Priestertum Christi in sich Gestalt annehmen lassen, bis er schließlich sagen konnte: »Die heilige Messe ist unbedingt die Mitte meines Lebens und aller meiner Tage.« Er hat sich ganz Maria geweiht und die Wahrhaftigkeit dieser Weihe bewiesen, als er aus der Narkose nach dem Eingriff an der Luftröhre aufwachte und sofort niederschrieb: »Aber ich bin immer Totus Tuus.«

Diese außerordentliche Nähe zu Gott hat ihn keinesfalls von uns irdischen Menschen und Sündern entfernt, sie hat ihn nicht in eine ferne sakrale Sphäre entrückt. Im Gegenteil, Johannes Paul II. war ein echter Mensch, einer, der den Geschmack des Lebens bis auf den Grund gekostet und geschätzt hat: von der Schönheit der Kunst, der Poesie und der Natur bis hin zur Kraft des Sports, zur treuen Freundschaft, zur hohen philosophischen und theologischen Reflexion sowie zum Mut zu schwerwiegenden Entscheidungen. Durch ihn spürten wir tatsächlich die Nähe des Herrn; wir verstanden somit, daß Gott nicht in unzugänglichen Höhen wohnt, sondern der Herr des Lebens ist und im Mittelpunkt unseres Lebens stehen will.

Übrigens hat unser Papst schon in seiner ersten Enzyklika Redemptor hominis (Nr. 13–14) geschrieben, daß der Mensch »der erste und grundlegende Weg der Kirche« ist, wobei er klarstellte, daß »es nicht um einen abstrakten Menschen geht, sondern um den realen, den konkreten und geschichtlichen Menschen…in der vollen Wahrheit…seiner persönlichen und zugleich gemeinschaftsbezogenen und sozialen Existenz«.

Insbesondere uns Römern hat Johannes Paul II. in vielfacher Weise gezeigt, was das für ihn als Bischof und Hirten bedeutete, daß der Mensch der grundlegende Weg der Kirche ist. An dieser Stelle daran zu erinnern, ist gut und angemessen. Denn wie könnte man seine Pastoralvisiten in 301 römischen Pfarreien vergessen? Mir persönlich ist die Beharrlichkeit, um nicht zu sagen die Sorge, unvergeßlich, mit der er mich zu fragen pflegte: »Wann besuchen wir wieder die Pfarreien?« Eine Beharrlichkeit und eine Sorge, die zunahmen, je mehr sich sein Gesundheitszustand verschlechterte. Und als er nicht mehr persönlich in die Pfarreien kommen konnte, wollte er 16 weitere Pfarrgemeinden im Vatikan empfangen. Noch im vergangenen Januar plante er, so bald wie möglich die übriggebliebenen letzten 16 der 333 römischen Pfarreien zu empfangen. Ein Wunsch, den er mit sich nahm, als er in die Freude des Herrn eingegangen ist.

Zu den Pfarrvisiten kamen noch die Besuche in den Krankenhäusern. Er hat sie jedes Jahr abgestattet, so lange er persönlich die Patienten besuchen konnte. Später hat er nie davon abgesehen, die Kranken im Rollstuhl zu begrüßen, die zu ihm in die Petersbasilika zur Feier des 11. Februar kamen.

Eine große Herzensfreude war für ihn der jährliche Besuch im Römischen Priesterseminar am Vorabend des Festes der »Muttergottes vom Vertrauen«. Und ein Anlaß zu familiärer Vertrautheit und Freude war auch die Begegnung mit dem römischen Klerus am Donnerstag nach dem Aschermittwoch sowie das Mittagessen mit den Pfarrern und Kaplänen der Pfarreien einige Tage vor den Pfarrvisiten.

Ein weiterer nicht wegzudenkender und willkommener Termin war die Messe mit den Hochschulstudenten hier in St. Peter, einige Tage vor Weihnachten, sowie das Treffen mit den römischen Jugendlichen am Donnerstag vor dem Palmsonntag, wo sie die diözesane Dimension des Weltjugendtages besser erfahren sollten. Und vergessen wir nicht, daß Johannes Paul II. der Papst war, der die vielen römischen Hochschulen systematisch besuchen wollte.

So hat er also täglich seinen bischöflichen Dienst als Bischof von Rom gelebt, indem er die Worte konkret verwirklichte, die er am 9. November 1978, kurz nach seiner Wahl, an die römischen Priester gerichtet hat: »Ich bin mir zutiefst bewußt, daß ich nur als Bischof von Rom Papst der Weltkirche geworden bin. Das Dienstamt … des Bischofs von Rom, der der Nachfolger des Petrus ist, ist die Wurzel der Universalität« (O.R. dt., Nr. 46, 17.9.1978, S. 4).

Wenn wir dann die großen pastoralen Richtlinien und Initiativen betrachten, können wir sagen, daß die Diözese Rom vom universalen Lehramt ihres Bischofs nicht nur stark profitiert hat, sondern von ihm einige besondere und grundlegende Weisungen empfangen hat. Diözesansynode und Stadtmission Erwähnt seien an dieser Stelle vor allem die Diözesansynode und die Stadtmission. Die Synode, 1986 einberufen und 1993 beendet, wurde auf ausdrücklichen Willen Johannes Pauls II. in der Tat im Leben der Diözese zu einer hohen praktischen Schule der Communio-Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils, das heißt jener Gemeinschaft, derer diese Diözese auf Grund der großen Reichhaltigkeit und Vielfalt der Glieder und Charismen, die in ihr zusammenleben, ganz besonders bedarf.

Die Synode hat sich dann sehr fruchtbringend und innovativ auf die Stadtmission ausgewirkt, zu der der Papst die Kirche von Rom am 8. Dezember 1995 aufgerufen hatte, um »die Herzen der Bewohner [der Stadt Rom] vorzubereiten, die Gnade des Heiligen Jahres anzunehmen; sie sollen im Glauben an Jesus Christus und in dem mit ihm verbundenen Lebens- und Kulturreichtum die Gründe dieses besonderen Auftrags entdecken, der der Ewigen Stadt in bezug auf die ganze Welt gegeben wurde« (O.R. dt., Nr. 50, 15.12.1995, S. 4). Es handelte sich nicht einfach um eine auf die ganze Stadt ausgedehnte »Volksmission«, sondern um das »Volk Gottes ›in missio‹«: In der Tat haben die Pfarreien, die Ordensgemeinschaften, die Vereinigungen und die Bewegungen während dieser drei Jahre versucht, in den römischen Familien, an den Arbeitsplätzen und in allen weiteren Lebensbereichen Missionare zu sein durch den direkten Einsatz einer großen Zahl von Laien, neben den Priestern, Ordensleuten und Diakonen.

Liebe Brüder und Schwestern der Kirche von Rom, die Mission ist gleichsam das pastorale Vermächtnis, das Johannes Paul II. seiner Diözese hinterlassen hat. Denken wir an seine Worte über die Pfarrei und über die Kirche, die sich außerhalb ihrer selbst suchen und finden müssen, dort, wo die Menschen leben. Das ist die Kirche, die er gewollt hat und die zu sein und zu leben er uns heute noch bittet – aber keine ängstliche, entmutigte Kirche, die sich in sich selbst zurückzieht, sondern eine Kirche, die in Liebe zu Christus entbrannt ist, für das Heil jedes Menschen.

Versuchen wir jetzt, dem Ganzen noch mehr auf den Grund zu gehen und in das Herz des Bischofs und Vaters einzudringen. Hilfreich sind für uns seine Worte vom 12. November 1978 bei der feierlichen Amtseinführung in seiner Bischofskirche St. Johannes im Lateran, wo Johannes Paul II. das Liebesgebot als den wesentlichen Inhalt seines Dienstamtes bezeichnet hat, während er die wunderbaren Worte Jesu wiederholte: »Wie mich der Vater geliebt hat, so habe ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe« (Joh 15,9). Und der Papst fügte hinzu: »Die Liebe, nur die Liebe baut auf!«

Auch die Jünger von Emmaus baten den auferstandenen Jesus, den sie noch nicht erkannt hatten: »Bleib doch bei uns; denn es wird bald Abend, der Tag hat sich schon geneigt.« Heute abend fühlen wir in unseren Herzen das heftige Bedürfnis, zu diesem Papst zu sagen: »Bleib doch bei uns!« Und wir wissen sehr wohl, daß er wirklich bei uns bleibt. Aber wir wissen auch, welches der einzige Weg ist, auf dem wir mit ihm in realer und nicht nur gefühlsmäßiger, oberflächlicher Weise bei ihm bleiben können. Es ist der Weg eines jeden persönlich und der ganzen Kirche von Rom, gemeinsam in der Liebe des Herrn zu bleiben, in der Liebe, die sich vom Glauben und vom täglichen Gehorsam gegenüber seinem Willen, aber vor allem von seinem Gebot nährt: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe (vgl. Joh 15,12).

In seinem Leiden, in seinem Tod und in seinem ganzen Leben ist Johannes Paul II. ein außerordentlich wirksamer Verkünder des gekreuzigten und von den Toten auferstandenen Jesus Christus gewesen, wie die Apostel Petrus und Paulus, deren großes christliches und menschliches Erbe er angetreten hat. Darum sind die Tage seiner Exequien für Rom und für die ganze Welt besondere Tage der Einheit, der Öffnung des Herzens für Gott und die Versöhnung geworden: einer Einheit, die Wirklichkeit wurde, weil dieser Papst die Unversehrtheit des Glaubens an Christus und die Universalität der Liebe Christi, der sich für alle am Kreuz geopfert hat, fest zusammengehalten hat.

Uns Römern war es gegeben, unmittelbare Zeugen dieser gnadenreichen Ereignisse zu sein und auch mitarbeiten zu können. Wir danken dem Herrn von ganzem Herzen, und während wir für diesen unseren großen Papst beten, vertrauen wir uns besonders seiner Fürbitte an, um noch mehr und besser lebendige Glieder dieser Kirche zu sein, die seit Jahrhunderten als Braut Christi und als unsere liebe Mutter durch die Kraft des Heiligen Geistes lebt und sich ständig erneuert.

Im Licht dieses Geistes erwarten wir unseren neuen Bischof und Papst. Wir sind nicht auf nutzlose und allzu menschliche Weise neugierig, vorzeitig zu erfahren, wer es sein wird. Wir wollen uns vielmehr vorbereiten, ihn, den der Herr uns geben will, im Gebet, mit Vertrauen und voll Liebe aufzunehmen.

Und während wir Gott unsere Dankbarkeit für diesen Papst bezeigen, der 26 Jahre lang das eucharistische Brot mit uns und für uns gebrochen hat, danken wir auch aus ganzem Herzen der Schwesterkirche Krakau und der geliebten polnischen Nation, in denen Johannes Paul II., Karol Wojtyla, das Leben, den Glauben und seinen wunderbaren christlichen und menschlichen Reichtum erhalten hat, damit er Rom und der ganzen Welt so geschenkt werde.

       

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