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EUCHARISTIEFEIER AM PALMSONNTAG

PREDIGT VON BENEDIKT XVI.

Petersplatz
XXIII. Weltjugendtag
Sonntag, 16. März 2008

  

Liebe Brüder und Schwestern!

Jahr um Jahr erzählt uns das Evangelium des Palmsonntags vom Einzug Jesu in Jerusalem. Mit seinen Jüngern und einer wachsenden Pilgerschar war er aus der Ebene Galiläas hinaufgestiegen zur Heiligen Stadt. Die Evangelisten haben uns als Stufen dieses Aufstiegs drei Leidensweissagungen Jesu überliefert und damit zugleich den inneren Aufstieg angedeutet, der sich in dieser Pilgerschaft vollzog. Jesus ist unterwegs zum Tempel – zu dem Ort, von dem das Buch Deuteronomium sagt, daß Gott dort seinen Namen wohnen lassen wollte (vgl. 12, 11; 14, 23). Der Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, hat sich einen Namen gegeben, sich anrufbar, ja, geradezu berührbar gemacht für die Menschen. Kein Ort kann ihn umfassen, und dennoch oder gerade deshalb gibt er sich selbst einen Ort und einen Namen, damit dort er, der wahre Gott verehrt werden könne als Gott mitten unter uns. Aus der Geschichte vom 12-jährigen Jesus wissen wir, daß Jesus den Tempel als Haus seines Vaters, als sein Vater-Haus geliebt hat. Nun kommt er wieder zu diesem Tempel, aber sein Weg führt darüber hinaus: Letztes Ziel seines Aufstiegs ist das Kreuz. Es ist der Aufstieg, den der Brief an die Hebräer schildert als Hinaufgehen zu dem nicht von Menschenhand gemachten Zelt, vor Gottes eigenes Angesicht hin. Dieser Aufstieg vor das Gesicht Gottes führt über das Kreuz. Er ist der Aufstieg zur „Liebe bis ans Ende“ (Joh 13, 1), die der eigentliche Gottesberg ist, der endgültige Ort der Berührung zwischen Gott und Mensch.

Beim Einzug in Jerusalem huldigen die Menschen Jesus als dem Sohn Davids mit Worten aus dem Pilgerpsalm 118: „Hosanna dem Sohn Davids! Gesegnet sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe!“ (Mt 21, 9). Dann kommt er zum Tempel. Aber dort, wo der Raum der Begegnung zwischen Gott und Mensch sein sollte, findet er Viehhändler und Geldwechsler, die den Ort des Gebets mit ihren Geschäften ausfüllen. Gewiß – das Vieh, das dort angeboten wurde, gehörte für die Opfer, die im Tempel dargebracht wurden. Und da im Tempel nicht das Geld gebraucht werden konnte, auf dem die römischen Imperatoren dargestellt waren, die dem wahren Gott entgegenstanden, mußte dort Geld eingetauscht werden, das keine götzendienerischen Bilder trug. Aber all das konnte anderswo geschehen: Der Raum, an dem es nun geschah, sollte seiner Bestimmung nach Vorhof der Heiden sein. Denn der Gott Israels war eben der eine Gott aller Völker, und wenn die Heiden auch gleichsam nicht den Innenraum der Offenbarung betreten, so konnten sie sich doch im Vorhof des Glaubens dem Gebet an den einen Gott anschließen. Der Gott Israels, der Gott aller Menschen, wartete immer auch auf ihr Gebet, auf ihr Suchen und Rufen. Aber nun herrschte da stattdessen das Geschäft – ein Geschäft, das von der zuständigen Behörde legalisiert worden war, die selbst am Gewinn der Händler beteiligt war. Die Händler handelten recht nach der geltenden Ordnung, aber die Ordnung selbst war korrupt. „Habsucht ist Götzendienst“, sagt der Kolosserbrief (vgl. 3, 5). Diesen Götzendienst findet Jesus vor, und ihm gegenüber zitiert er Jesaja: „Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein“ (Mt 21, 13; vgl. Jes 56, 7), und Jeremia: „Ihr aber macht daraus eine Räuberhöhle“ (Mt 21, 13; cfr Jer 7, 11). Gegen die falsch verstandene Ordnung verteidigt Jesus mit seiner prophetischen Gebärde die wahre Ordnung, die sich im Gesetz und den Propheten findet.

All dies muß uns auch heute als Christen nachdenklich machen: Ist unser Glaube rein und offen genug, daß auch die „Heiden“, die suchenden und fragenden Menschen von heute, von ihm her das Licht des einen Gottes erahnen, sich in den Vorhöfen des Glaubens an unser Beten anhängen, mit ihrem Fragen doch auch Anbetende werden können? Wissen wir auch mit dem Herzen und mit unserer Lebenspraxis, daß Habsucht Götzendienst ist? Lassen wir nicht auf vielerlei Weise die Götzen auch mitten in die Welt unseres Glaubens hinein? Sind wir bereit, uns immer wieder neu vom Herrn reinigen, aus uns und aus der Kirche austreiben zu lassen, was ihm entgegensteht?

Bei der Tempelreinigung geht es aber um mehr als um Bekämpfung von Mißbräuchen. Eine neue Geschichtsstunde ist angesagt. Nun beginnt, was Jesus der Samariterin auf ihre Frage nach der rechten Anbetung angekündigt hatte: „Die Stunde kommt, und sie ist schon da, zu der die wahren Beter den Vater anbeten werden im Geist und in der Wahrheit; denn so will der Vater angebetet werden“ (Joh 4, 23). Die Zeit ist zu Ende, in der Tiere für Gott geopfert wurden. Immer schon waren die Tieropfer nur ein armseliger Ersatz gewesen, eine Gebärde der Sehnsucht nach der wirklichen Weise, Gott anzubeten. Der Brief an die Hebräer hat als Überschrift über das Leben und Wirken Jesu ein Wort aus Psalm 40 gestellt: „Schlacht- und Speiseopfer hast du nicht gewollt; aber einen Leib hast du mir bereitet“ (Hebr 10, 5). An die Stelle der Schlacht- und Speiseopfer tritt Christi Leib, tritt er selbst. Nur die „Liebe bis ans Ende“, nur die sich ganz für die Menschen an Gott verschenkende Liebe ist der wahre Kult, ist das wahre Opfer. Anbeten im Geist und in der Wahrheit bedeutet Anbeten in der Gemeinschaft mit ihm, der die Wahrheit ist; anbeten in der Gemeinschaft mit seinem Leib, zu dem uns der Heilige Geist zusammenführt.

Die Evangelisten erzählen uns, daß im Prozeß Jesu Falschzeugen auftraten, die behaupteten, Jesus habe gesagt: „Ich kann den Tempel Gottes abbrechen und binnen drei Tagen wieder aufbauen“ (Mt 26, 61). Vor dem am Kreuz hängenden Christus beziehen sich Spötter auf das gleiche Wort und rufen ihm zu: „Der du den Tempel abbrechen und in drei Tagen wieder aufbauen kannst, rette dich selbst“ (Mt 27, 40). Die rechte Fassung des Wortes aus dem Mund Jesu selbst hat uns Johannes in seinem Bericht von der Tempelreinigung überliefert. Auf die Frage nach einem Zeichen, mit dem Jesus sich für eine solche Handlung autorisiert, hat der Herr geantwortet: „Brecht diesen Tempel ab, und in drei Tagen werde ich ihn wieder aufrichten“ (Joh 2, 18f). Johannes fügt hinzu, daß die Jünger nach der Auferstehung in der Rückschau begreifen, daß Jesus vom Tempel seines Leibes geredet hatte (2, 21f). Nicht Jesus bricht den Tempel ab; der Zerstörung preisgegeben wird er durch die Haltung derer, die ihn vom Ort der Begegnung aller Völker mit Gott zur „Räuberhöhle“, zum Ort ihrer Geschäfte gemacht haben. Aber wie immer seit Adams Fall wird das Versagen der Menschen zum Anlaß für einen noch größeren Einsatz der Liebe Gottes für uns. Die Stunde des steinernen Tempels, die Stunde der Tieropfer war vorbei: Daß der Herr die Händler austreibt, wehrt nicht nur einem Mißbrauch, sondern zeigt auf das neue Tun Gottes hin. Der neue Tempel entsteht: Jesus Christus selbst, in dem Gottes Liebe sich zu den Menschen beugt. Er ist in seinem Leben der neue, lebendige Tempel. Er, der durch das Kreuz Hindurchgegangene und Auferstandene, ist der lebendige Raum von Geist und Wahrheit, in dem die rechte Anbetung geschieht. So ist die Tempelreinigung als Höhepunkt von Jesu feierlichem Einzug in Jerusalem zugleich Zeichen für den drohenden Untergang des Bauwerks und Verheißung des neuen Tempels; Verheißung des Reichs der Versöhnung und der Liebe, das in der Gemeinschaft mit Christus über alle Grenzen hin aufgerichtet wird.

Der heilige Matthäus, dessen Evangelium wir in diesem Jahr hören, berichtet am Ende seiner Palmsonntagserzählung nach der Tempelreinigung noch von zwei kleinen Begebenheiten, die wiederum prophetischen Charakter tragen und uns noch einmal das wirkliche Wollen Jesu verdeutlichen. Direkt nach dem Wort Jesu vom Gebetshaus aller Völker fährt der Evangelist so fort: „Im Tempel kamen Lahme und Blinde zu ihm, und er heilte sie.“ Des weiteren sagt uns Matthäus, daß Kinder im Tempel den Ruf wiederholten, den die Pilger am Eingang der Stadt ausgebracht hatten: „Hosanna dem Sohn Davids“ (Mt 21, 14f). Dem Viehhandel und dem Geldgeschäft stellt Jesus seine heilende Güte entgegen. Sie ist die wahre Reinigung des Tempels. Er kommt nicht als Zerstörer; er kommt nicht mit dem Schwert des Aufrührers. Er kommt mit der Gabe der Heilung. Er wendet sich denen zu, die aufgrund ihres Gebrechens an den Rand ihres Lebens und der Gesellschaft gedrängt werden. Er zeigt Gott als den Liebenden und seine Macht als Macht der Liebe. Und so sagt er uns, was für immer zur rechten Gottesverehrung gehört: das Heilen, das Dienen, die heilende Güte.

Und da sind dann die Kinder, die Jesus als Davidssohn huldigen und ihm das Hosanna zurufen. Jesus hatte seinen Jüngern gesagt, daß sie, um ins Reich Gottes zu kommen, wieder wie Kinder werden müßten. Er selbst, der die ganze Welt umfaßt, war klein geworden, um uns entgegenzugehen, um uns auf den Weg zu Gott zu bringen. Um Gott zu erkennen, müssen wir den Hochmut ablegen, der uns verblendet, der uns von Gott abdrängen will, als wäre Gott unser Konkurrent. Um Gott zu begegnen, muß man mit dem Herzen sehend werden. Wir müssen sehen lernen mit einem jungen Herzen, das nicht verstellt ist von Vorurteilen und nicht geblendet von Interessen. So hat die Kirche in den Kleinen, die mit solchem freien und offenen Herzen ihn erkennen, das Bild der Gläubigen aller Zeiten, ihr eigenes Bild gesehen.

Liebe Freunde, in dieser Stunde schließen wir uns der die ganze Geschichte hindurchgehenden Prozession der jungen Menschen von damals an. Mit den jungen Menschen von der ganzen Welt gehen wir Jesus entgegen. Von ihm lassen wir uns zu Gott hinführen, um von Gott her das rechte Menschsein zu erlernen. Mit ihnen danken wir Gott, daß er uns mit Jesus, dem Sohn Davids, einen Raum des Friedens und der Versöhnung über die ganze Welt hin geschenkt hat. Ihn bitten wir, daß wir mit ihm und von ihm her zu Boten seines Friedens werden, daß sein Reich wachse in uns und um uns. Amen.

 

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