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BOTSCHAFT VON BENEDIKT XVI.
 AN DIE TEILNEHMER DER X. ÖFFENTLICHEN SITZUNG
DER PÄPSTLICHEN AKADEMIEN

 

Herr Kardinal,
verehrte Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt,
liebe Brüder und Schwestern!

Es ist mir eine Freude, Euch allen, den Teilnehmern der X. Öffentlichen Sitzung der Päpstlichen Akademien, einen besonderen Gruß zu senden. Dies ist ein wichtiger Moment im jährlichen Ablauf der Arbeiten jeder Päpstlichen Akademie und eine bedeutende Etappe auf dem gemeinsam zurückgelegten Weg. Der Koordinationsrat der Päpstlichen Akademien wurde nämlich vor genau zehn Jahren vom Diener Gottes Johannes Paul II. mit dem Ziel gegründet, dem Leben und den Aktivitäten der Akademien einen neuen Impuls zu geben. Mein herzlicher Gruß geht an Kardinal Paul Poupard, den Vorsitzenden des Koordinationsrates der Päpstlichen Akademien, und ich danke ihm für seinen Einsatz in der Ausübung dieses Amtes. Er begleitete zunächst die Reform der Akademien und dann ihre Entwicklung, bei der das Ziel verfolgt wurde, sowohl der Kirche als auch der Welt der Kultur und Künste den Entwurf für einen neuen, wahrhaft christlichen Humanismus anzubieten, der für die Männer und Frauen des dritten Jahrtausends wertvoll und von Bedeutung sein soll. Mit ihm grüße ich die Kardinäle, die Mitbrüder im Bischofsamt, die Botschafter, die Priester und die Verantwortlichen und Vertreter der Päpstlichen Akademien, die an dieser öffentlichen Sitzung teilnehmen.

Diese feierliche Sitzung, bei der die Päpstliche Akademie des hl. Thomas von Aquin und die Päpstliche Theologische Akademie die Hauptbeteiligten sind, steht unter dem Thema: »Christus, Sohn Gottes, vollkommener Mensch, ›Maß des wahren Humanismus‹«, das mir besonders am Herzen liegt, da es sowohl für die theologische Reflexion als auch für die Glaubenserfahrung jedes Christen zentral und wesentlich ist. Die gegenwärtige Kultur, die sehr stark geprägt ist von einem Subjektivismus, der nicht selten in einen extremen Individualismus oder in den Relativismus übergeht, verleitet den Menschen dazu, die eigene Person zum einzigen Maß seiner selbst zu machen und dabei andere Ziele aus den Augen zu verlieren, die nicht auf das eigene Ich ausgerichtet sind, das zum einzigen Bewertungsmaßstab für die Realität und die persönlichen Entscheidungen geworden ist. Der Mensch neigt auf diese Weise dazu, sich immer mehr in sich selbst zu verschließen, sich abzukapseln im luftleeren Mikrokosmos einer Existenz, in der kein Platz mehr ist für große Ideale, die offen sind für das Transzendente, für Gott. Der Mensch dagegen, der sich selbst übersteigt und sich nicht einzwängen läßt in die Enge des eigenen Egoismus, ist in der Lage, die anderen Menschen und die Schöpfung in ihrem wahren Wesen zu betrachten. So wird er sich seines wichtigsten Wesenszuges bewußt, nämlich ein ständig im Werden begriffenes Geschöpf zu sein, ein Geschöpf, das zu einem harmonischen Wachstum in allen seinen Dimensionen berufen ist. Dieses Wachstum beginnt bei der Innerlichkeit und hat sein Ziel in der vollkommenen Verwirklichung jenes Lebensentwurfs, den der Schöpfer seinem tiefsten Sein eingeprägt hat.

Einige kulturelle Tendenzen oder Strömungen zielen darauf ab, den Menschen in einem Zustand der Unreife, der Kindheit oder der ewigen Jugend zu belassen. Das Wort Gottes dagegen spornt uns eindeutig an, zur Reife zu gelangen, und fordert uns auf, alle unsere Kräfte einzusetzen, um zu einem hohen Maß an Menschlichkeit zu gelangen. Als er an die Gemeinde von Ephesus schrieb, ermahnte der hl. Paulus die Christen, sich nicht wie die Heiden »in ihrem nichtigen Denken« zu verhalten! »Ihr Sinn ist verfinstert. Sie sind dem Leben, das Gott schenkt, entfremdet« (Eph 4,17–18). Die wahren Jünger dagegen sind weit davon entfernt, unmündige Kinder zu bleiben, die hin und her getrieben werden vom Widerstreit der Meinungen (vgl. Eph 4,14), sondern sie sollen sich Mühe geben, »zum vollkommenen Menschen [zu] werden und Christus in seiner vollendeten Gestalt dar[zu]stellen« (Eph 4,13). Jesus Christus, der Sohn Gottes, den der Vater der Menschheit geschenkt hat, um sein von der Sünde verunstaltetes Ebenbild wiederherzustellen, ist also der vollkommene Mensch, an dem sich der wahre Humanismus mißt. Mit Ihm muß jeder Mensch sich vergleichen und zu Ihm hin muß er mit Hilfe der Gnade mit ganzem Herzen, mit allen Gedanken und mit allen Kräften streben, um seine Existenz zur Vollkommenheit zu bringen und mit Freude und Begeisterung eine Antwort zu geben auf die höchste Berufung, die in sein Herz geschrieben ist (vgl. Gaudium et spes, 22). Ich wende mich daher besonders an Euch, liebe und verehrte Mitglieder der Päpstlichen Akademien, um Euch zu ermutigen, in Eurem jeweiligen Studien- und Forschungsbereich mit Begeisterung und Leidenschaft den Aufbau dieses neuen Humanismus zu fördern. Es soll Eure Aufgabe sein, in Eurem jeweiligen Kompetenzbereich die Schönheit, die Güte und die Wahrheit des Antlitzes Christi neu aufzuzeigen. Jeder Mensch ist dazu aufgerufen, in diesem Antlitz seine wahren und unverfälschten Züge, das Vorbild, das es immer besser nachzuahmen gilt, zu erkennen. Dies ist also Eure schwierige Aufgabe, Eure hohe Sendung: Christus dem Menschen von heute aufzuzeigen, als wahres Maß menschlicher Reife und Fülle.

Liebe Freunde, ich freue mich, der von meinem verehrten Vorgänger ins Leben gerufenen Tradition zu folgen und den Preis der Päpstlichen Akademien zu verleihen, der bereits vor zehn Jahren geschaffen wurde, um junge Forscher, Künstler und Institutionen, die ihre Arbeit der Förderung der christlichen Werte widmen, in ihrem Streben zu ermutigen. Ich nehme den vom Koordinationsrat unterbreiteten Vorschlag an und freue mich, den Preis der Päpstlichen Akademien Herrn Dr. Giovanni Catapano aus Pordenone zu überreichen, für sein Werk »Das Konzept der Philosophie in den frühen Werken von Augustinus. Analyse der metaphilosophischen Abschnitte vom Contra Academicos bis zu De vera religione«, in dem er scharfsinnig das philosophische Konzept des »frühen« Augustinus in den ihm eigensten Aspekten untersucht. Ebenfalls auf Vorschlag des Koordinationsrates möchte ich außerdem als Zeichen der Wertschätzung und Ermutigung zwei weiteren Forschern je eine Pontifikatsmedaille überreichen: Herrn Dr. Massimiliano Marianelli aus Lama (Perugia) für sein Werk »Die wiederentdeckte Metapher. Mythen und Symbole in der Philosophie Simone Weils« und Herrn Prof. Santiago Sanz Sánchez aus Talavera de la Reina (Toledo) für seine Abhandlung mit dem Titel »Die Beziehung zwischen Schöpfung und Bund in der zeitgenössischen Theologie: status quaestionis und philosophisch-theologische Überlegungen«. Ich möchte abschließend allen Mitgliedern der Päpstlichen Akademien und besonders den Mitgliedern der Päpstlichen Akademie des hl. Thomas von Aquin und der Päpstlichen Theologischen Akademie meine aufrichtige Wertschätzung bekunden für die Arbeit, die sie geleistet haben, und dem Wunsch nach immer neuem und großzügigen Streben im Bereich der Theologie und der Philosophie Ausdruck verleihen.

Während ich jeden von Euch und Eure wertvollen Studien und kreativen Forschungsarbeiten dem mütterlichen Schutz der Jungfrau Maria anvertraue, der Mutter Christi, des wahren Gottes und wahren Menschen, erteile ich mit diesen Empfindungen Euch allen von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, 5. November 2005

 

BENEDICTUS PP.XVI

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