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BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI.
ZUR XVIII. VOLLVERSAMMLUNG DER PÄPSTLICHEN
AKADEMIE DER SOZIALWISSENSCHAFTEN

 

An Ihre Exzellenz
Frau Professor Mary Ann Glendon,
Präsidentin der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften

Ich freue mich, Ihnen und allen, die sich in Rom zur 18. Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften versammelt haben, einen Gruß zu senden. Sie haben sich entschlossen, den 50. Jahrestag der Enzyklika Pacem in terris des sel. Johannes XXIII. zu begehen, indem Sie den Beitrag dieses wichtigen Dokuments zur Soziallehre der Kirche untersuchen. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, als die Welt noch mit der Bedrohung fertigwerden mußte, die die Existenz und die starke Vermehrung von Massenvernichtungswaffen darstellte, richtete Papst Johannes einen sogenannten »offenen Brief an die Welt«. Es war ein aufrichtiger Appell von seiten eines großen Hirten, der sich seinem Lebensende näherte, Frieden und Gerechtigkeit auf allen Ebenen der Gesellschaft national und international mit Nachdruck zu fördern. Zwar hat sich die globale politische Landschaft in dem inzwischen vergangenen halben Jahrhundert stark verändert, aber die Sichtweise, die Papst Johannes uns dargelegt hat, kann uns noch viel lehren in unseren Bemühungen, den neuen Herausforderungen für Frieden und Gerechtigkeit in der Zeit nach dem Kalten Krieg gegenüberzutreten, während die Aufrüstung beständig weitergeht.

»Es wird gewiß kein Friede in der menschlichen Gesellschaft herrschen, wenn er nicht zuerst im Herzen jedes einzelnen Wohnung nimmt, wenn nicht jeder in sich die gottgewollte Ordnung wahrt« (Pacem in terris, 88). Grundlage der Soziallehre der Kirche ist die Anthropologie, die im menschlichen Geschöpf das Abbild des Schöpfers erkennt, ausgestattet mit Verstand und Freiheit, fähig zu erkennen und zu lieben. Friede und Gerechtigkeit sind Früchte der rechten Ordnung, die der Schöpfung selbst innewohnt, ins menschliche Herz geschrieben (vgl. Röm 2,15) und die daher allen Menschen guten Willens zugänglich ist, allen »Pilgern der Wahrheit und des Friedens«.

Die Enzyklika von Papst Johannes war und ist ein kraftvoller Appell, sich einzusetzen für den schöpferischen Dialog zwischen Kirche und Welt, zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen, den das Zweite Vatikanische Konzil in Gang gesetzt hat. Sie bietet eine zutiefst christliche Sichtweise von der Stellung des Menschen im Kosmos, im Vertrauen darauf, daß sie damit einer Welt, die danach verlangt, eine Botschaft der Hoffnung anbietet, eine Botschaft, die Menschen jeden Glaubens ebenso anspricht wie jene, die nicht glauben, denn ihre Wahrheit ist allen zugänglich. Im selben Geist sagte der sel. Johannes Paul II. nach den Terroranschlägen, die im September 2001 die Welt erschütterten, daß es »keinen Frieden ohne Gerechtigkeit, keine Gerechtigkeit ohne Vergebung« geben kann (Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 2002). Der Gedanke der Vergebung muß in das internationale Gespräch zur Konfliktlösung hineingebracht werden, um die unfruchtbare Sprache gegenseitiger Beschuldigungen, die nirgends hinführt, zu verwandeln.

Wenn der Mensch als Abbild Gottes geschaffen ist, eines Gottes der Gerechtigkeit, der »voll Erbarmen« ist (Eph 2,4), dann müssen diese Eigenschaften sich im Umgang mit menschlichen Angelegenheiten widerspiegeln. Es ist das Zusammenwirken von Gerechtigkeit und Vergebung, von Gerechtigkeit und Gnade, das der göttlichen Antwort auf menschliche Vergehen zugrundeliegt (vgl. Spe salvi, 44), also mit anderen Worten der »von Gott gesetzten Ordnung« (Pacem in terris, 1) zugrundeliegt. Vergebung ist keine Verleugnung der Vergehen, sondern eine Teilhabe an der heilenden und verwandelnden Liebe Gottes, die versöhnt und wiederherstellt. Sehr vielsagend war daher die Wahl des Themas für die Sonderversammlung der Bischofssynode für Afrika im Jahre 2009: »Die Kirche in Afrika im Dienst der Versöhnung, der Gerechtigkeit und des Friedens.« Die lebensspendende Botschaft des Evangeliums hat Millionen von Afrikanern Hoffnung gebracht und ihnen geholfen, sich über das Leid zu erheben, das ihnen durch repressive Regime und mörderische Bruderkriege zugefügt wurde. Ebenso hat die Sonderversammlung für den Nahen Osten im Jahre 2010 die Themen Gemeinschaft und Zeugnis hervorgehoben: die Einheit von Verstand und Herz, die jene auszeichnet, die sich aufmachen, um dem Licht der Wahrheit zu folgen.

Historisches Unrecht und Ungerechtigkeiten können nur überwunden werden, wenn Männer und Frauen beseelt sind von einer Botschaft der Heilung und der Hoffnung, einer Botschaft, die einen Weg nach vorn anbietet, heraus aus der Ausweglosigkeit, die Menschen und Nationen so oft in einem Teufelskreis der Gewalt gefangenhält. Seit 1963 sind einige der Konflikte, die damals unlösbar erschienen, Geschichte geworden. Laßt uns daher Mut fassen in unserem Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit in der heutigen Welt, im Vertrauen, daß unser gemeinsames Streben nach der von Gott gesetzten Ordnung, nach einer Welt, in der der Würde eines jeden Menschen die gebührende Achtung zuteil wird, Früchte tragen kann und wird. Ich empfehle Ihre Beratungen der mütterlichen Führung Unserer Lieben Frau, Königin des Friedens, an. Ihnen, Bischof Sánchez Sorondo sowie allen Teilnehmern an der 18. Vollversammlung erteile ich gern meinen Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 27. April 2012

 

BENEDICTUS PP. XVI

 



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