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ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI.
AN HERRN LUIS DOSITEO TAPIA, 
NEUER BOTSCHAFTER ECUADORS BEIM HEILIGEN STUHL

Freitag, 22. Oktober 2010

 

Herr Botschafter!

1. Ich freue mich, aus Ihren Händen das Schreiben entgegenzunehmen, durch das Sie als außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Republik Ecuador beim Heiligen Stuhl akkreditiert werden, und während ich Sie sehr herzlich willkommen heiße, bitte ich Sie den Ausdruck meiner Zuneigung für alle Söhne und Töchter dieser geliebten Nation entgegenzunehmen. Ich danke Ihnen auch für die freundlichen Worte, die Sie im Namen des Präsidenten der Republik, Wirtschaftswissenschaftler Rafael Correa Delgado, an mich gerichtet haben und die ich mit Freude erwidere; gleichzeitig bitte ich Sie, ihm meine herzlichsten Wünsche für Frieden und Wohlergehen für seine Person und für das edle Volk von Ecuador zu übermitteln.

2. In Ihrem Heimatland, das ich zu meiner Freude im Jahr 1978 – als Sondergesandter meines verehrten Vorgängers Papst Johannes Paul I., beim III. Nationalen Marianischen Kongreß Ecuadors – besuchen konnte, ist das Wort Gottes mit Großzügigkeit gesät worden und zu wunderbarer Blüte gelangt. Es wurden berühmte Gipfel der Heiligkeit erklommen, die zu anderen nicht so bekannten, aber deshalb nicht weniger bedeutenden hinzukommen, die ein Ruhmessiegel für diese geliebte Republik sind und zugleich offenkundig machen, wie viel Nützliches der katholische Glaube zur Förderung all jener Initiativen beitragen kann, die den Menschen adeln und die Gesellschaft vollkommener machen. Das ist das Ziel gewesen, das die Kirche in Ihrem Land stets angestrebt hat und weiterhin anstrebt. Bei der Erfüllung ihrer besonderen Sendung sucht sie keine Privilegien; sie will nur all das fördern, was zur ganzheitlichen Entwicklung der Menschen beitragen kann. In diesem Sinn freut sich die kirchliche Gemeinschaft, die vor kurzem mit der kanonischen Errichtung der Diözese San Jacinto de Yaguachi eine Vervielfachung ihrer Freude erlebte, auch, wenn sie sieht, daß die soziale Eintracht gefördert wird, und unterstützt zu diesem Zweck das Bemühen, das die Obrigkeiten des Landes seit mehreren Jahren vollbringen, um die Grundlagen des demokratischen Zusammenlebens wiederzuentdecken, den Rechtsstaat zu stärken und der Solidarität und Brüderlichkeit neuen Auftrieb zu geben. Ich bitte den Allmächtigen, daß sich dieser strahlende Hoffnungshorizont durch neue Projekte und entsprechende Entscheidungen immer weiter ausdehnen möge, so daß das Gemeinwohl über die Partei- und Klasseninteressen siege, der ethische Imperativ der verpflichtende Bezugspunkt jedes Bürgers sei, der Reichtum gerecht verteilt werde und die Opfer zu gleichen Teilen aufgeteilt und nicht den Ärmsten aufgebürdet werden.

3. Ihre Anwesenheit, Exzellenz, bei diesem feierlichen Akt erlaubt mir, mich in Gedanken Ihrem Vaterland zuzuwenden, das der Schöpfer mit außergewöhnlichen natürlichen Ressourcen in einem fruchtbaren Land ausgestattet hat, durchzogen von einem unvergleichlich abwechslungsreichen Nebeneinander von Andenhochebenen, schneebedeckten Berggipfeln und imposanten Flüssen: Schätze, die als Spiegelbild der Liebe und Größe Gottes tatkräftig und redlich bewahrt werden sollen. Dieses Filigran landschaftlicher Schönheiten entspricht einer Reihe von Eigenschaften, die die Ecuadorianer auszeichnen: ein gastfreundliches und fleißiges Volk, das erkennt, daß es ohne das geistige und moralische Wohl der in ihrer Ganzheit aus Seele und Leib gesehenen Menschen weder gerechten Fortschritt noch universales Gemeinwohl geben kann. Ohne diese unverzichtbare Voraussetzung verfällt das öffentliche Leben bezüglich seiner Motivationen und »die Menschenrechte laufen Gefahr, nicht geachtet zu werden, weil sie entweder ihres transzendenten Fundaments beraubt werden oder weil die persönliche Freiheit nicht anerkannt wird« (Caritas in veritate, 56). Diese Grundwerte sind tief verwurzelt in der Wahrheit vom Menschen, der, geschaffen nach dem Bild und Gleichnis Gottes, an und für sich das Maß jeder politischen Macht und zugleich den Sinn ihres Dienstes darstellt. Dazu lehrt die Geschichte, daß das Ignorieren oder Entstellen dieser Wahrheit über den Menschen oft zu Ungerechtigkeiten und Totalitarismen führt. Wenn sich hingegen der Staat mit den angemessenen Gesetzgebungs- und Rechtsmitteln ausstattet, damit die Wahrheit großzügig geschützt und gefördert wird, festigt sich die Ordnung der Freiheit und echten bürgerlichen Beteiligung, erfährt das Sozialgefüge und die Hilfe für die Bedürftigsten eine Stärkung.

4. Herr Botschafter, auch wenn es in der Vergangenheit Ihrer geliebten Nation, die dem Papst so sehr am Herzen liegt, Zeiten voller Schwierigkeiten und Sorgen gegeben hat, haben die menschlichen und christlichen Tugenden Ihres Volkes ebenso wenig abgenommen wie auch das tiefe Verlangen nach Überwindung der Schwierigkeiten durch Opfer, die positive Lehren zeitigen, deren weitere Beherzigung den Menschen von heute im Hinblick auf die Planung einer zuversichtlichen und ermutigenden Zukunft anvertraut ist. Die Ecuadorianischen Obrigkeiten werden dem Land einen großen Dienst erweisen, wenn sie dieses ansehnliche menschliche und geistig-geistliche Erbe vermehren, aus dem sie Kräfte und Inspiration werden gewinnen können, um weiter die tragenden Säulen jeder menschlichen Gemeinschaft, die sich dieses Namens rühmt, zu errichten: Verteidigung des Lebens von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende, Religionsfreiheit, Denk- und Meinungsfreiheit und auch die anderen bürgerlichen Freiheiten, wobei diese letzteren die wahre Voraussetzung für eine echte soziale Gerechtigkeit darstellen. Diese wiederum wird sich nur ausgehend von der Unterstützung und vom auch rechtlichen und wirtschaftlichen Schutz der Grundzelle der Gesellschaft durchsetzen können, das heißt der auf die eheliche Vereinigung zwischen einem Mann und einer Frau gegründeten Familie.

Von grundlegender Bedeutung werden auch jene Programme sein, die sich die Beseitigung der Arbeitslosigkeit, der Gewalt, der Straffreiheit, des Analphabetismus und der Korruption zum Ziel setzen. Die Bischöfe der Kirche sind sich bewußt, daß sie sich zur Erreichung dieser lobenswerten Ziele nicht mit konkreten Lösungsvorschlägen oder durch Aufdrängen ihrer Haltung in die politische Debatte einmischen dürfen. Aber sie können und dürfen weder den großen Problemen und Bestrebungen der Menschen gegenüber neutral bleiben noch beim Kampf für die Gerechtigkeit Gleichgültigkeit an den Tag legen. Mit dem gebührenden Respekt für die legitime Meinungsvielfalt besteht ihre Rolle eher darin, durch das Evangelium und die Soziallehre der Kirche Geist und Willen der Gläubigen zu erleuchten, damit sie mit Verantwortung die Entscheidungen treffen, die dem Aufbau einer harmonischeren und geordneteren Gesellschaft gelten.

5. Exzellenz, eines der großen Ziele, die sich Ihre Mitbürger vorgenommen haben, ist die Durchführung einer umfassenden Reform des Erziehungssystems von der Grundschule bis zur Universität. Die Kirche in Ecuador hat im Bereich des Unterrichts von Kindern und Jugendlichen eine fruchtbare Geschichte, da sie ihre Lehrtätigkeit mit besonderer Hingabe in abgelegenen, isolierten und armen Regionen des Landes ausgeübt hat. Es ist nur recht und billig, diese schwierige kirchliche Arbeit, die das Beispiel einer gesunden Zusammenarbeit mit dem Staat ist, nicht zu übersehen. Ja, die christliche Gemeinschaft will ihre umfassende Erfahrung auf diesem Gebiet weiterhin in den Dienst aller stellen. Sie ist deshalb bereit, an der Hebung des kulturellen Niveaus mitzuarbeiten, die eine vorrangige Herausforderung für den rechten menschlichen Fortschritt darstellt, der gleichzeitig jene Freiheit erfordert, ohne die Erziehung nicht mehr Erziehung wäre. Tatsächlich erschöpft sich ja die tiefste Identität der Schule und der Universität nicht in der bloßen Weitergabe nützlicher Daten und Informationen, sondern antwortet auf den Wunsch und Willen, den Schülern und Studenten die Liebe zur Wahrheit einzuflößen, damit sie sie zu jener persönlichen Reife führt, mit der sie ihre Rolle als Protagonisten der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung des Landes wahrnehmen sollen. Bei der Annahme dieser Herausforderung muß die staatliche Obrigkeit für die Eltern das Recht gewährleisten, daß sie die Kinder entsprechend ihren religiösen Überzeugungen und ethischen Kriterien erziehen und schulische Einrichtungen gründen und unterhalten können. In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, daß die staatliche Autorität im Einklang mit dem vor 70 Jahren zwischen der Republik Ecuador und dem Heiligen Stuhl unterzeichneten »modus vivendi« die besondere Identität und Autonomie der Erziehungseinrichtungen und der katholischen Universität respektiert. Andererseits müssen die Eltern kraft ihrer Erziehungsrechte darauf zählen können, daß die Erziehungsfreiheit auch in den staatlichen Erziehungseinrichtungen gefördert wird, wo die Gesetzgebung den schulischen Religionsunterricht nach einem Lehrplan, der den Zielen der Schule als solcher entspricht, weiterhin garantiert.

6. Herr Botschafter, zum Abschluß dieser Begegnung, mit der Ihr Auftrag, die bereits fruchtbaren Beziehungen zwischen der Republik Ecuador und dem Heiligen Stuhl noch weiter zu stärken, beginnt, vertraue ich Sie, Ihre werte Familie und das Personal dieser Diplomatischen Vertretung der liebevollen Fürsprache der allerseligsten Jungfrau Maria, unter ihrem Titel »Nuestra Señora de la Presentación del Quinche«, Schutzpatronin von Ecuador, an. Ich bitte die Muttergottes, alle Söhne und Töchter dieses schönen Landes zu begleiten, damit sie in ihnen das Denken ihres berühmten Landsmannes, Doktor Eugenio de Santacruz y Espejo, wiederbelebe, der in den Tagen, als die Nation vor 200 Jahren ihre Unabhängigkeit erlangte, alle Ecuadorianer ermahnte, frei zu sein im Schutz des Kreuzes. Mit diesen Gefühlen bitte ich den Gekreuzigten, alle Ihre Landsleute zu schützen und zu segnen.


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