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ANSPRACHE VON PAPST JOHANNES PAUL II. 
AN DIE TEILNEHMERINNEN DES KONGRESSES FÜR HEBAMMEN:  "DIENST AM LEBEN UND DIENST AN DER FAMILIE"

26. Januar 1980

 

Liebe Schwestern!

1. Gern bin ich dem von euch geäußerten Wunsch nach einer eigenen Begegnung nachgekommen, die euch Gelegenheit gibt, von der Ergebenheit, die euch mit dem Papst verbindet, Zeugnis zu geben und ein stärkendes und weisendes Wort von ihm zu hören zur Erfüllung der heiklen Aufgaben, die euer Beruf mit sich bringt.

Ich weiß um die hohen Zielsetzungen eurer Vereinigung, und mir sind auch die mutigen Entscheidungen bekannt, die sie in diesen Jahren getroffen hat, um den Geboten des vom Glauben erleuchteten Gewissens treu zu bleiben. Ich freue mich daher, euch persönlich meine herzliche Wertschätzung bekunden zu dürfen und gleichzeitig meine väterliche Ermutigung an euch zu richten, unbeirrt zu eurem Vorsatz zu stehen und konsequent an den berufsethischen Normen festzuhalten. Euer Beruf ist nicht selten einem starken Druck von seiten derer ausgesetzt, die ihn zu Dienstleistungen nötigen wollen, welche den Zielen, für die er entstanden ist und ausgeübt wird, direkt entgegengesetzt sind.

Der "Dienst am Leben und an der Familie" war und ist die eigentliche Daseinsberechtigung dieses Berufes, wie ihr passenderweise im Thema des Kongresses betont habt; und eben in diesem vorzüglichen Dienst ist das Geheimnis seiner Größe zu suchen. Euch fällt die Aufgabe zu, fürsorglich über den wunderbaren und geheimnisvollen Prozeß der Entstehung menschlichen Lebens im Mutterschoß zu wachen, um seine richtige Entwicklung zu verfolgen und den glücklichen Ausgang, das Zur-Welt-Kommen des neuen Geschöpfes, hilfreich zu fördern. Ihr seid somit die Hüterinnen des menschlichen Lebens, das sich in der Welt erneuert, indem ihr mit dem frischen Lächeln des Neugeborenen die Freude (vgl. Joh 16, 21) und Hoffnung auf eine bessere Zukunft bringt.

2. Es ist deshalb notwendig, daß jede von euch in sich selbst das klare Bewußtsein vom hohen Wert des menschlichen: Lebens pflegt: im Bereich der gesamten sichtbaren Schöpfung ist es ein einzigartiger Wert. Der Herr hat ja in der Tat alles andere auf Erden für den Menschen geschaffen; der Mensch hingegen ist wie das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt hat "die einzige von Gott um ihrer selbst willen gewollte Kreatur" (Gaudium et spes, Nr. 24).

Dies bedeutet, daß der Mensch, was sein Sein und Wesen betrifft, nicht in irgendeinem Geschöpf, sondern allein in Gott seine letzte Bestimmung finden kann. Das ist der tiefe Sinn der bekannten Bibelstelle, wonach "Gott den Menschen als sein Abbild schuf ... Als Mann und Frau schuf er sie" (Gen 1, 27); und daran will man auch erinnern, wenn man hervorhebt, daß menschliches Leben heilig ist. Der Mensch als ein mit Intelligenz und freiem Willen ausgestattetes Wesen empfängt sein Recht auf Leben unmittelbar von Gott, dessen Abbild er ist, nicht von den Eltern noch von irgendeiner Gesellschaft oder menschlichen Macht. Gott allein kann also über dieses sein einzigartiges Geschenk "verfügen": "Ich bin da, nur ich, und kein Gott tritt mir entgegen. Ich bin es, der tötet und der lebendig macht. Ich habe verwundet, ich werde wieder heilen. Niemand kann mir etwas aus der Hand reißen" (Dtn 32, 39).

Der Mensch besitzt das Leben also wie ein Geschenk, als dessen Herr er sich jedoch nicht betrachten darf; daher darf er nicht meinen, er habe die letzte Entscheidung über sein eigenes Leben oder über das Leben eines anderen. Das Alte Testament formuliert diese Schlußfolgerung in einem der Zehn Gebote: "Du sollst nicht töten" (Ex 20, 13) und kurz darauf noch ausführlicher: "Wer unschuldig und im Recht ist, den bring nicht um sein Leben, denn ich spreche den Schuldigen nicht frei" (Ex 23, 7). Im Neuen Testament bekräftigt Christus dieses Gebot als Vorbedingung für die "Erlangung des Lebens" (vgl. Mt 19, 18); aber und das ist bezeichnend er erwähnt unmittelbar danach das Gebot, das in sich jeden Aspekt der sittlichen Norm zusammenfaßt und zur Erfüllung bringt, nämlich das Gebot der Liebe (vgl. Mt 19, 19). Nur wer liebt, vermag die Forderungen, die aus der Achtung für das Leben des Nächsten erwachsen, bis ins Letzte anzunehmen.

In diesem Zusammenhang erinnert ihr euch gewiß an die Worte Christi in der Bergpredigt: dort kommt Jesus in geradezu polemischer Form auf das "du sollst nicht töten" des Alten Testaments zurück und sieht darin einen Ausdruck der "unzureichenden" Gerechtigkeit der Schriftgelehrten und Pharisäer (vgl. Mt 5, 20). Er fordert dazu auf, tiefer in sich selbst hineinzublicken, um Wurzeln des Bösen zu erkennen, aus denen jede Gewaltanwendung gegen das Leben erwächst. Schuldig ist nicht nur derjenige, der einen anderen tötet, sondern auch jeder, der übelwollende Gedanken hegt und in Beleidigungen gegen den Nächsten ausbricht (vgl. Mt 5, 21 ff.). Es gibt eine Gewalt mit Worten, die den Boden bereitet und das Entstehen psychologischer Voraussetzungen für den Ausbruch der physischen Gewalt begünstigt.

Wer das Leben achten und sich hochherzig in seinen Dienst stellen will, muß in sich selbst Feinfühligkeit und Verständnis für den anderen, Anteilnahme an seinem Leben, menschliche Solidarität, mit einem Wort: Gefühle aufrichtiger Liebe pflegen. Der Glaubende hat es dabei leichter, denn er weiß in jedem Menschen einen Bruder zu erkennen (vgl. Mt 23, 8), mit dem Christus sich so identifiziert, daß er das, was für jenen getan wird, als für sich selbst getan ansieht (vgl. Mt 25, 40. 45).

3. Mensch ist auch das noch ungeborene Kind. Ja, wenn das besondere Vorrecht der Identifizierung mit Christus darin besteht, zu "den Geringsten" (vgl. Mt 25, 40) zu gehören, wie sollte man dann nicht eine Gegenwart Christi erst recht in dem im Werden begriffenen Menschenwesen sehen, das unter allen anderen Menschen in der Tat das kleinste und wehrloseste ist, bar jeden Mittels zur Verteidigung, ja selbst der Stimme, um gegen die Verletzung und Mißachtung seiner elementarsten Rechte Einspruch zu erheben?

Es ist eure Aufgabe, vor allem die Liebe und die Achtung zu bezeugen, die ihr in eurem Herzen für das menschliche Leben nährt; es im gegebenen Fall mutig zu verteidigen; euch zu weigern, an seiner unmittelbaren Tötung mitzuwirken. Keine menschliche Verfügung kann eine in sich böse Handlung rechtfertigen, noch viel weniger kann euch irgend jemand zur Zustimmung zwingen. Das Gesetz leitet seinen verpflichtenden Wert ab von der Funktion, die es in Treue gegenüber dem göttlichen Gesetz im Dienst des Gemeinwohls entfaltet; und dieses ist in dem Maß gegeben, wie es das Wohl der Person fördert. Einem Gesetz jedoch, das in direktem Gegensatz zum Wohl der Person steht, ja das die Person als solche nicht anerkennt, da es ihr Recht auf Leben unterdrückt, einem solchen Gesetz kann der Christ nur seine höfliche, aber bestimmte Weigerung entgegensetzen, eingedenk der Worte des Apostels Petrus vor dem Hohen Rat: "Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen" (Apg 5, 29).

Euer Einsatz beschränkt sich jedoch nicht auf diese sozusagen negative Funktion. Er umfaßt eine Fülle positiver Aufgaben von größer Bedeutung. An euch liegt es, im Herzen der Eltern das Verlangen nach dem neuen, aus ihrer Liebe erblühten Leben und die Freude darüber zu festigen; ihnen zu helfen, es in christlicher Sicht zu betrachten und in eurem eigenen Verhalten zu zeigen, daß ihr das im Mutterschoß gewachsene Kind als ein Geschenk und einen Segen Gottes anseht (vgl. Ps 126, 3; 127, 3 ff.). Eure Aufgabe ist es auch, der Mutter zur Seite zu stehen und in ihr das Bewußtsein vom Adel ihrer Sendung wiederzubeleben und dadurch den Widerstand gegenüber möglichen Einflüssen menschlicher Kleinmütigkeit zu stärken. Euch schließlich steht es zu, für eine gesunde und glückliche Geburt des Kindes zu sorgen.

Wie könnte man, wenn man euren Dienst am Leben in einem weiteren Rahmen sieht, den wichtigen Beitrag an Rat und praktischer Orientierung unerwähnt lassen, den ihr den einzelnen Ehepaaren geben könnt, die unter Achtung der von Gott eingesetzten Ordnung eine verantwortungsbewußte Elternschaft verwirklichen wollen? Auch für euch gelten die Worte meines Vorgängers Paul VI., mit denen er alle, die im Gesundheitswesen tätig sind, aufgefordert hat, "weiterhin und unter allen Umständen die vom Glauben und von der rechten Vernunft inspirierten Lösungen zu fördern" und sich "um die Überzeugung und die Achtung dieser Lösungen in ihrem Arbeitsbereich" zu bemühen (Humanae vitae, Nr. 27).

Natürlich müßt ihr, um alle diese komplexen und heiklen Aufgaben entsprechend zu erfüllen, eine hervorragende Fachkenntnis zu erwerben suchen, die stets mit den neuesten wissenschaftlichen Fortschritten auf dem laufenden bleiben muß. Eine solche Berufserfahrung wird euch nicht nur rechtzeitige und geeignete Eingriffe im streng beruflichen Bereich ermöglichen, sondern euch auch bei denen, die sich an euch wenden, die Achtung und das Vertrauen sichern, das die Herzen bereit macht, eure Ratschläge in den mit eurem Dienst zusammenhängenden ethischen Fragen anzunehmen.

4. Damit sind also einige Richtlinien vorgezeichnet, nach denen ihr euren Einsatz als Bürger und Christen ausrichten sollt. Es ist ein Einsatz, der ein lebendiges Pflichtgefühl und eine hochherzige Bekräftigung der sittlichen Werte voraussetzt sowie menschliches Verständnis und unermüdliche Geduld, Mut, Festigkeit und mütterliche Liebe. Gaben, die nicht leicht sind, wie euch die Erfahrung lehrt. Gaben, die jedoch ein Beruf, der seiner Natur nach eine Sendung ist, erfordert. Gaben, die normalerweise auch mit Beweisen der Wertschätzung und liebevoller Dankbarkeit von denen vergolten werden, die eure Hilfe in Anspruch genommen haben.

Im Lichte Mariens rufe ich auf euch und auf eure Arbeit die Gaben der göttlichen Güte in Fülle herab, während ich als Unterpfand besonderen Wohlwollens euch allen den Apostolischen Segen erteile.

 

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