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PASTORALBESUCH IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

ANSPRACHE VON PAPST JOHANNES PAUL II. 
AN DIE DEUTSCHE BISCHOFSKONFERENZ

Fulda, 18. November 1980

 

Verehrte, liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

1. Unsere heutige denkwürdige Begegnung am Grab des hl. Bonifatius erfolgt vor dem Hintergrund einer reichen und großen, vom Christentum maßgeblich mitgeprägten Geschichte des deutschen Volkes. Von vielfältigen Kräften geformt, hat es im Verlauf der Jahrhunderte weit über seine Grenzen hinaus mannigfache Impulse religiöser, kultureller und politischer Art gegeben. Ich brauche hier nur an den geschichtsträchtigen ehrenvollen Namen ”Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation“ zu erinnern.

Sieben Päpste hat euer Volk, einschließlich die heutigen Niederlande, der Kirche geschenkt, von denen die Geschichte berichtet, daß sie ihren Dienst als oberste Hirten der Christenheit - auch in größten äußeren und inneren Wirren der Zeit - gewissenhaft ausgeübt haben. Ein fast ihnen allen gemeinsames Hauptanliegen ihrer oft nur kurzen Pontifikate war die Erneuerung der Kirche. Eine besondere Erwähnung verdient das eifrige Bemühen von Papst Hadrian VI. um die Erhaltung und Wiederherstellung der Einheit der Christenheit. Manche von ihnen haben auch als Päpste ihrer deutschen Heimat und ihren früheren Diözesen einen persönlichen Besuch abgestattet.

Die innere Erneuerung des religiösen und kirchlichen Lebens und das ökumenische Bemühen um die Annäherung und Verständigung der getrennten Christen bilden die Hauptanliegen auch meiner apostolischen Reisen in die verschiedenen Ortskirchen und Kontinente. Sie sind es ebenso bei meinem Pastoralbesuch in der Kirche eures Landes und bei dieser unserer heutigen Begegnung. Die geistige Erneuerung der Kirche und die Einheit der Christen sind der ausdrückliche Auftrag des II. Vatikanischen Konzils, dem Papst, Bischöfe, Priester und Gläubige gleichermaßen verpflichtet sind. Sich diesen Aufgaben in gemeinsamer Verantwortung zu stellen, ist das vordringliche Gebot der Stunde. Sie sind die große Herausforderung und Pflicht vor allem unserer kollegialen Verantwortung als Hirten der Kirche. Ihnen wollen auch meine folgenden Überlegungen und Ausführungen gelten und dienen.

Von der ersten Stunde meines Pontifikates an verstand ich das oberste Hirtenamt insbesondere als Dienst an der Kollegialität der Bischöfe, die vereint sind mit dem Nachfolger Petri, und ich verstand umgekehrt die ”collegialitas effectiva et affectiva“ der Bischöfe als eine wichtige Hilfe für meinen eigenen Dienst.

So drängt es mich, wenn ich euer Land besuche, meine communio mit euch zum Ausdruck zu bringen und sie durch mein Zeugnis zu bestärken. Dabei gehen meine Gedanken zurück in den September 1978, als ich hier, im selben Raum in Fulda, zum brüderlichen Austausch zwischen den Episkopaten meines Heimatlandes Polen und eures Landes unter euch weilte. Es freut mich, dieselben Gesichter wiederzusehen, und zugleich geht mein betendes Gedenken zu jenen, die seither der Herr aus unserer Mitte zu sich gerufen hat. Schließlich möchte ich auch jene Mitbrüder besonders begrüßen, die in der Zwischenzeit in eurem Lande neu aufgenommen wurden in das Kollegium der Nachfolger der Apostel.

2. Habt Mut zum gemeinsamen Zeugnis.

”Wenn wir schon zu Recht jeden Menschen und in besonderer Weise jeden Christen mit “Brüder” anreden, so erhält dieses Wort“, wie ich in meinem Brief an alle bischöflichen Mitbrüder in der Welt zum Gründonnerstag 1979 geschrieben habe, ”für uns Bischöfe und unsere gegenseitigen Beziehungen doch eine ganz besondere Bedeutung: es knüpft gewissermaßen unmittelbar an jene brüderliche Gemeinschaft an, die die Apostel um Christus einte“.

Ich bin froh und dankbar, daß ich in eurer Konferenz bei mannigfachen Gelegenheiten schon diese Einheit mit dem Nachfolger Petri und diese Einmütigkeit miteinander erfahren habe. Ich möchte euch in dieser Haltung nachdrücklich bestärken. Und so sage ich euch: Laßt euch nicht durch die oftmals gehörte Meinung beirren, ein hohes Maß an Einmütigkeit innerhalb einer Bischofskonferenz gehe auf Kosten der Lebendigkeit und Glaubwürdigkeit bischöflichen Zeugnisses. Das Gegenteil ist der Fall. Sicher soll jeder in einer brüderlichen Atmosphäre sich selbst ohne Angst und Vorbehalt einbringen, sicher soll jeder mit seinem eigenen Beitrag die Einheit des Leibes aufbauen helfen, der vielerlei Gaben umfängt. Aber die Fruchtbarkeit dieser Dienste und Gaben hängt davon ab, daß sie sich einfügen in das eine Leben aus dem einen Geist.

3. Seid liebend besorgt um die Einheit des Presbyteriums in jedem Bistum.

Die Erwartungen und Anforderungen an die Priester sind in den letzten Jahrzehnten in einer sie belastenden Weise gewachsen. Durch die geringer werdende Priesterzahl kommen mehr Aufgaben auf sie zu. Durch die vielen beruflichen und ehrenamtlichen Dienste der Laien in der Seelsorge werden die Priester in ihrer Aufgabe geistlicher Führung noch mehr gefordert. In einer Gesellschaft, die von einem immer dichteren Kommunikationsnetz umspannt ist, wird für den Priester eine immer vielseitigere geistige Auseinandersetzung notwendig. Viele Priester verzehren sich in Arbeit, werden aber einsam und verlieren die Orientierung. Um so wichtiger ist es, daß die Einheit des Presbyteriums gelebt und erfahrbar wird. Stützt alles, was die Priester bestärkt, einander zu begegnen und zu helfen, miteinander aus dem Wort und Geist des Herrn zu leben.

Drei Dinge liegen mir hier besonders am Herzen:

1) Die Seminare. Sie sollen Pflanzstätten echter priesterlicher Gemeinschaft und Freundschaft sowie Ort einer klaren, tragfähigen Entscheidung fürs Leben sein.

2) Die Theologie soll zum Glaubenszeugnis befähigen und zur Glaubensvertiefung führen, so daß die Priester die Fragen der Menschen, aber auch die Antworten des Evangeliums und der Kirche verstehen.

3) Die Priester sollen Hilfe erfahren, den hohen Anspruch des zölibatären Lebens und der Hingabe an Christus und die Menschen zu erfüllen und durch die priesterliche Einfachheit, Armut und Verfügbarkeit zu beglaubigen. Gerade geistliche Gemeinschaft kann hier wertvolle Dienste leisten.

4. Nehmt das Gebet des Hohenpriesters Christus, daß alle eins seien, als einen drängenden Auftrag ernst, die Spaltung der Christenheit zu überwinden.

Ihr lebt im Ursprungsland der Reformation. Euer kirchliches und gesellschaftliches Leben ist tief geprägt von der nun schon über viereinhalb Jahrhunderte dauernden Kirchenspaltung. Ihr dürft euch damit nicht abfinden, daß die Jünger Christi vor der Welt nicht das Zeugnis der Einheit geben.

Unverbrüchliche Treue zur Wahrheit, hörende Offenheit für den anderen, nüchterne Geduld auf dem Weg, feinfühlige Liebe sind erforderlich. Der Kompromiss zählt nicht; nur jene Einheit trägt, die der Herr selber gestiftet hat: die Einheit in der Wahrheit und in der Liebe.

Man hört heute immer wieder sagen, die ökumenische Bewegung der Kirchen aufeinanderzu stagniere, nach dem Frühling des konziliaren Aufbruches sei eine Epoche der Abkühlung angebrochen. Trotz mancher bedauerlicher Erschwernisse kann ich diesem Urteil nicht zustimmen.

Die Einheit, die aus Gott kommt, ist uns geschenkt am Kreuz. Wir dürfen das Kreuz nicht umgehen wollen, indem wir unter Ausklammerung der Wahrheitsfrage zu raschen Harmonisierungsversuchen im Unterscheidenden schreiten. Wir dürfen aber auch nicht einander aufgeben, nicht voneinander lassen, weil das Näherkommen von uns die geduldige und leidende Liebe des Gekreuzigten abfordert. Lassen wir uns vom mühsamen Weg nicht abbringen, um entweder stehenzubleiben oder aber scheinbar kürzere Wege zu wählen, die Abwege sind.

Ökumenische Bewegung, Mühen um die Einheit darf sich nicht nur auf die aus der Reformation hervorgehenden Kirchen beschränken - auch in eurem Land ist das Gespräch und brüderliche Verhältnis zu den anderen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften, etwa den Kirchen der Orthodoxie, von höchster Bedeutung. Dennoch ist das Gedenken an die vor 450 Jahren veröffentlichte ”Confessio Augustana“ ein besonderer Anruf zum Dialog mit der reformatorisch geprägten Christenheit, die einen so großen Anteil an der Bevölkerung und Geschichte eures Landes hat.

5. Sammelt Gottes Volk, wehrt einem falschen Pluralismus, stärkt die wahre communio.

Vom hohen Wert der brüderlichen Einheit im Kollegium der Bischöfe und im Presbyterium habe ich bereits gesprochen. Diese Einheit soll aber die Seele sein, aus welcher auch die Einheit des ganzen Gottesvolkes in allen Gemeinden lebt. Es geht keineswegs darum, die legitime Vielfalt von Ausdrucksweisen der Spiritualität, der Frömmigkeit, der theologischen Schulen zurückzudämmen oder einzugrenzen. Aber alles dies soll ein Ausdruck der Fülle und nicht ein Ausdruck der Armut des Glaubens sein.

Die Verkündigung und auch das kirchliche Leben können sich in eurer Gesellschaft, Gott sei es gedankt, nach außen hin frei entfalten. Und doch ist die Auseinandersetzung, in die ihr gerufen seid, anspruchsvoll. Manchmal finden sich die Menschen geistig in der Situation eines Warenhauses, in dem alle möglichen Güter angepriesen und zur Selbstbedienung angeboten sind. So mischen sich in den Lebensanschauungen vieler Menschen bei euch Elemente christlicher Tradition mit ganz anderen Auffassungen. Die äußere Freiheit, das zu denken und zu sagen, was man will, wird mitunter verwechselt mit der inneren Beliebigkeit der Überzeugung; an die Stelle einer klaren Orientierung tritt die Indifferenz gegenüber so vielen Meinungen und Deutungen.

Was aber ist insgesamt eure Aufgabe und eure Chance angesichts der gezeichneten Situation?

Ich möchte euch zwei Worte zurufen. Zunächst: Verkündet das Wort in aller Eindeutigkeit, unbeirrt um Beifall oder Ablehnung! Nicht wir befördern letztlich Erfolg oder Mißerfolg des Evangeliums sondern Gottes Geist. Die Gläubigen und die Nichtglaubenden haben ein Recht darauf, eindeutig die authentische Botschaft der Kirche zu hören.

Das zweite: Verkündet das Wort mit der ganzen hingebenden, suchenden, verstehenden Liebe des Guten Hirten. Hort auf die Fragen, welche jene stellen, die meinen, in Jesus Christus und seiner Kirche keine Antwort mehr zu finden. Glaubt fest daran, daß Jesus Christus sich gleichsam mit jedem Menschen verbunden hat und daß jeder Mensch sich selbst, seine echten menschlichen Werte und Fragen, in ihm wiederfinden kann.

Zwei Gruppen möchte ich eurer Hirtensorge besonders anempfehlen: Einmal sind es jene, die aus den Impulsen des II. Vatikanischen Konzils den falschen Schluss gezogen haben, der Dialog, in den die Kirche eintritt, sei unverträglich mit der eindeutigen Verbindlichkeit kirchlicher Lehre und Norm, mit der Vollmacht des unverfügbar aufgrund der Sendung Christi der Kirche eingestifteten hierarchischen Amtes. Zeigt, daß beides zusammengehört: Treue zur unverfügbaren Sendung und Nähe zum Menschen mit seinen Erfahrungen und Fragen.

Die andere Gruppe: jene, die - teilweise aufgrund ungemäßer oder zu unbedacht gezogener Konsequenzen aus dem II. Vatikanischen Konzil - in der Kirche von heute sich nicht beheimatet fühlen oder sich gar von ihr abzuspalten drohen. Hier gilt es, mit aller Entschiedenheit, aber zugleich mit aller Behutsamkeit diesen Menschen die Erfahrung zu vermitteln, daß die Kirche des II. Vaticanum und des I. Vaticanum und des Tridentinum und der ersten Konzilien die eine und selbe Kirche ist.

Die Bedeutung gediegener Glaubensvermittlung ist hier nicht zu überschätzen. Wie dankbar bin ich über das, was sich in der sogenannten Gemeindekatechese bei euch bewährt hat: Gläubige bezeugen den Glauben, geben ihn anderen weiter!

Die gezeichnete Glaubenssituation fordert freilich insbesondere die Priester selbst heraus. Wird überall im Lauf einiger Jahre wirklich für alle das ganze Glaubensgut, wie die Kirche es vorlegt, verkündet? Ermutigt dazu, tragt dafür Sorge. Und kümmert euch nach Kräften ebenso darum, daß Religionsunterricht und Katechese jenen den Weg des Glaubens und des Lebens mit der Kirche erschließen, die in einer oft so anderen Alltagserfahrung aufwachsen.

6. Setzt euch mit aller Kraft dafür ein, daß die unverbrüchlichen Maßstäbe und Normen christlichen Handelns ebenso eindeutig wie einladend zur Geltung im Leben der Gläubigen kommen.

Zwischen den Lebensgewohnheiten einer säkularisierten Gesellschaft und den Forderungen des Evangeliums tut sich eine tiefe Kluft auf. Viele wollen sich am kirchlichen Leben beteiligen, finden aber keinen Zusammenhang mehr zwischen ihrer Lebenswelt und den christlichen Prinzipien. Man glaubt, die Kirche halte nur aus Starrheit an ihren Normen fest, und dies verstoße gegen jene Barmherzigkeit, die uns Jesus im Evangelium vorlebt. Die harten Forderungen Jesu, sein Wort: ”Gehe hin und sündige nicht mehr!“ werden übersehen. Oft zieht man sich auf das persönliche Gewissen zurück, vergißt aber, daß dieses Gewissen das Auge ist, welches das Licht nicht aus sich selber besitzt, sondern nur, wenn es zur authentischen Quelle des Lichtes hinblickt.

Ein weiteres: Angesichts aller Technisierung, Funktionalisierung und Organisation erwacht ein tiefes Mißtrauen gerade in der jüngeren Generation gegen Institution, Norm und Regelung. Man setzt die Kirche mit ihrer hierarchischen Verfassung, mit ihrer geordneten Liturgie, mit ihren Dogmen und Normen gegen den Geist Jesu ab. Aber der Geist braucht Gefäße, die ihn wahren und weitergeben.

Christus selbst ist Ursprung jener Sendung und Vollmacht der Kirche, in denen seine Verheißung sich erfüllt: ”Ich bleibe bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“.

Liebe Mitbrüder, haltet alle Not und Frage der Menschen in eurem Herzen gegenwärtig - und verkündet gerade da hinein unbeirrt die Forderung Jesu ohne Abstriche... Tut dies, weil euch am Menschen liegt. Nur der Mensch, der zu einer ganzen und endgültigen Entscheidung fähig ist, der Mensch, bei dem Leib und Seele übereinstimmen, der Mensch, der für sein Heil seine ganze Kraft einzusetzen bereit ist, ist gefeit gegen die heimliche Zersetzung der menschlichen Grundsubstanz.

Schenkt ein besonderes Augenmerk darum der Jugend, in der so viel verheißungsvoller Aufbruch, aber auch so viel Entfremdung von der Kirche zu beobachten ist! Wendet euch den Ehen und Familien mit besonderer Sorgfalt und Herzlichkeit zu - die Bischofssynode, die soeben in Rom zu Ende gegangen ist, darf nicht Theorie bleiben, sondern muß sich mit Leben füllen. Die Entfremdung großer Teile der arbeitenden Bevölkerung von der Kirche, der Abstand zwischen Intellektuellen und Kirche, die Not der Frau um ihr christlich und menschlich in so veränderten Bedingungen voll angenommenes, verwirklichtes, erfülltes Wesen: diese Stichworte erweitern das Feld unseres gemeinsamen Bemühens, damit die Menschen auch morgen glauben.

Ich bin überzeugt, daß ein Aufschwung des sittlichen Bewußtseins und christlichen Lebens eng, ja unlöslich an eine Bedingung gebunden ist: an die Belebung der persönlichen Beichte. Setzt hier eine Priorität eurer pastoralen Sorge!

7. Lenkt euer besonderes Augenmerk auf die Zukunft der geistlichen Berufe und pastoralen Dienste.

Nach menschlichem Ermessen wird sich bei euch die Zahl jener Priester, die für den Dienst in der Pastoral zur Verfügung stehen, binnen eines Jahrzehnts um ein gutes Drittel verringern. Ich teile von Herzen die Sorge, die euch das macht. Ich bin mit euch der Überzeugung, daß es gut ist, mit allen Kräften den Dienst des Ständigen Diakons und auch den zumal ehrenamtlichen, aber auch beruflichen Dienst der Laien für die Aufgaben der Pastoral zu fördern. Doch der Dienst des Priesters kann nicht durch andere Dienste ersetzt werden. Eure Tradition der Seelsorge läßt sich nicht einfachhin vergleichen mit den Verhältnissen in Afrika oder Lateinamerika. Und doch gibt es mir zu denken, daß ich dort weithin einen größeren Optimismus bei wesentlich geringeren Zahlen von zur Verfügung stehenden Seelsorgern angetroffen habe als im westlichen Europa. Ich halte es für eine der wichtigsten Pflichten, mit dem ganzen Einsatz des Gebetes und des geistlichen Zeugnisses alles zu tun, daß der Ruf Gottes an junge Menschen, sich in ungeteiltem Dienst dem Herrn zur Verfügung zu stellen, hörbar wird, daß die Voraussetzungen in der Familie, in den Gemeinden, in den Vereinigungen junger Menschen dazu wachsen. Aber eine Panik angesichts der schweren Situation verstellt uns den nüchternen Blick für das, was der Herr von uns will. Daß der Sinn für die evangelischen Räte und für die priesterliche Ehelosigkeit weithin abnimmt, bedeutet ebenso einen geistlichen Notstand wie der Priestermangel. Sicher ist das Heil des Seelen das oberste Gesetz. Aber dieses Heil der Seelen erfordert gerade, daß wir auch die Gemeinden selber aktivieren, daß wir jeden Getauften und Gefirmten zum Glaubenszeugnis ermuntern, daß wir die geistliche Lebendigkeit in unseren Familien, Gruppen, Gemeinden und Bewegungen fördern. Dann wird der Herr sprechen und rufen können - und wir hören.

Ich habe auf die große Bedeutung des Presbyteriums um den Bischof hingewiesen. Könnte nicht durch ein dichteres Miteinander der Priester der geistliche Dienst wirksamer wahrgenommen werden? Ich möchte hier nochmals auch auf die große Bedeutung der geistlichen Gemeinschaft von Priestern hinweisen, die den einzelnen aus Überforderung und Isolierung zu befreien vermag. In dem Maße, wie ihr aus geistlicher Gesinnung einmütig und eindeutig für das gemeinsame Zeugnis des Presbyteriums in der Ehelosigkeit und für eine Lebensform aus dem Geist der evangelischen Räte eintretet, wird der Herr mit seinen Gnadengaben nicht sparen.

8. Tragt Sorge für ein weltweites Herz und einen weltweiten Blick eurer Gläubigen.

Laßt mich an meinen Appell zum Berliner Katholikentag anknüpfen: Helft mit beim Aufbau einer weltweiten ”Zivilisation der Liebe“! Ich möchte zunächst auf die Dimension des ”Weltweiten“ hinweisen. Christsein und Menschsein heute müssen universal, müssen ”katholisch“ sein. Verbindet mit dem Einsatz eurer materiellen Hilfsbereitschaft auch den Einsatz eurer geistigen und geistlichen Kräfte fürs Ganze und seid auch bereit zu empfangen und zu lernen! Es gibt so viel an unverbrauchter Menschlichkeit, an geistlicher Erfahrung, an aufbauendem Glaubenszeugnis in den jungen Kirchen, daß unser müde werdendes Abendland davon jung und neu zu werden vermag.

Wir können freilich nicht absehen von einer schmerzlichen Realität. In vielen Teilen der Welt ist die Kirche verfolgt, werden viele Christen, viele Menschen an der Ausübung ihrer vollen Freiheitsrechte gehindert. Nehmt die Freiheit in eurer Gesellschaft nicht als Selbstverständlichkeit, sondern als Verpflichtung für andere, die diese Freiheit nicht haben!

Euer Land liegt in Europa. Mit vielen von euch durfte ich als Erzbischof von Krakau wiederholt für eine Verlebendigung Europas, für eine Verankerung seiner Einheit in den tragenden geistigen und geistlichen Fundamenten zusammenarbeiten. Denkt daran, daß Europa nur aus jenen Wurzeln sich erneuern und einen kann, die Europa werden ließen! Denkt schließlich daran, gerade in eurem Land: Europa umspannt nicht nur Norden und Süden, sondern auch Westen und Osten!

Ein Stück Europa, ein Stück Welt wird immer mehr in eurem Land gegenwärtig durch die vielen Ausländer, die unter euch leben und arbeiten. Hier kommt auf euch eine kirchlich wie gesellschaftlich bedrängende Aufgabe zu. Denkt dabei an den, der für alle gestorben ist und uns alle zu Brüdern und Schwestern macht.

9. Setzt euch ein für die Rechte des Menschen und für die tragfähigen Fundamente des menschlichen Zusammenlebens in eurer Gesellschaft.

Ihr lebt in einer Gesellschaft, in der ein hoher Grad an Schutz für Freiheit und Menschenwürde gewährleistet ist. Seid dafür dankbar, aber laßt nicht zu, daß im Namen der Freiheit eine Beliebigkeit propagiert wird, die die Unantastbarkeit des Lebens eines jeden Menschen, auch des ungeborenen, zur Disposition stellt. Stellt euch ebenso vor die Würde und das Recht von Ehe und Familie! Nur die Achtung unverfügbarer Grundrechte und Grundwerte garantiert jene Freiheit, die nicht in Selbstzersetzung mündet! Denkt daran: So wenig Recht und Sittlichkeit dasselbe sind, so dringlich ist doch auch der rechtliche Schutz der sittlichen Grundüberzeugungen.

Die Kirche eures Landes hat eine Fülle von Institutionen der Bildung und Erziehung, der Caritas, des sozialen Dienstes. Verteidigt die Möglichkeit, euren christlichen Beitrag zur Gestaltung der Gesellschaft zu leisten. Denkt andererseits daran: nur aus der inneren Verankerung in Jesus Christus und nicht aus einem bloß äußeren Mithalten mit anderen Kräften der Gesellschaft erwächst ein glaubwürdiges Zeugnis.

10. Setzt gegen ein Anspruchsdenken und eine Konsumhaltung die Alternative eines Lebens aus dem Geiste Christi.

Einerseits wachsen Anspruchs- und Konsumdenken, so daß Haben weithin mehr gilt als Sein. Auf der anderen Seite stoßen wir an die Grenze wirtschaftlichen und technischen Wachstums. Bauen wir vielleicht statt dem Fortschritt dem Untergang und Verderben des Lebens auf unserer Erde eine Straße? Das Beispiel der Christen ist gefordert, die aus der Hoffnung auf die kommenden Güter das Herz nicht an die vergänglichen hängen und so eine Zivilisation der Liebe entwickeln. Fördert daher die zum Christsein so unerläßliche Bereitschaft zu Opfer und Verzicht, erkennen wir gerade auch die Bedeutung der evangelischen Räte für die gesamte Gesellschaft!

11. ”Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit“.

Verehrte, liebe Brüder im bischöflichen Amt! Euer Auftrag ist schwer. Damit die Apostel, deren Nachfolger wir sind, ihn erfüllen konnten, hat der Herr ihnen seinen Heiligen Geist geschenkt.

Diesem Geist wollen wir in uns und zwischen uns Raum geben. Seine Kennzeichen sind: Kraft, Besonnenheit, Liebe, Kraft, unbesorgt um Beifall oder Widerstand den Herrn selber sprechen und wirken zu lassen; Kraft, deren innerstes Maß die Schwachheit des Kreuzes ist. Besonnenheit, die unbeirrt auf die Wahrheit Jesu Christi schaut, die aber ebenso unvoreingenommen hineinhört in die Fragen und Sorgen des Menschen von heute. Schließlich und über allem Liebe, die alles einsetzt, erträgt und erhofft; Liebe, die Einheit schafft, weil sie mit Jesus Christus ans Kreuz geht, das Himmel und Erde vereint und alle Getrennten miteinander verbindet. Ich verspreche euch mein brüderliches Mittragen eurer Lasten und erbitte von euch die unverbrüchliche, immer tiefer werdende Einheit in diesem Geist. Maria, die Königin der Apostel und Mutter der Kirche, sei mitten unter uns, damit ein neues Pfingsten sich vorbereiten kann.

 

 

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