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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE TEILNEHMER DER
DEUTSCH-ITALIENISCHEN STUDIENTAGUNG
DER KONRAD-ADENAUER-STIFTUNG

21. November 1981

 

Sehr verehrte Damen und Herrn!

1. Anläßlich des 90 jährigen Jubiläums der Enzyklika Rerum Novarum haben Sie sich im Rahmen der Konrad-Adenauer-Stiftung in Rom zu einer deutsch-italienischen Studientagung zusammengefunden. Das Thema lautet: Die Aktualität der christlichen Soziallehre und die Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Ich freue mich über diese Ihre Initiative und heiße Sie auch zu dieser Begegnung im Vatikan herzlich willkommen.

Ich hatte für die Generalaudienz am 13. Mai dieses Jahres eine Ansprache vorbereitet, die ich dann aber nicht mehr halten konnte. In ihr standen die folgenden Worte: ”Es ist das Verdienst des Papstes Leo XIII., daß er als erster der Soziallehre der Kirche einen organischen und ganzheitlichen Charakter zu geben versuchte“. Den Mittelpunkt seiner Bemühungen bildete die Lösung der ”Arbeiterfrage“. In seinem Rundschreiben lesen wir die denkwürdigen Worte: ”Die Arbeiter dürfen nicht wie Sklaven angesehen und behandelt werden; ihre persönliche Würde, welche geadelt ist durch ihre Würde als Christen, muß stets heilig gehalten werden“. Um diese persönliche Würde der Arbeit in der Bedrohung durch die neue Industriewirtschaft zu verteidigen, forderte Leo XIII. den Beitrag der Kirche, die Hilfe des Staates und die Selbsthilfe der Arbeiter.

Es ist bedeutsam, daß der Papst schon im Jahre 1981 in diesem verantwortungsbewußten Beitrag der Arbeiter selber einen wesentlichen Baustein zur Überwindung des Klassenkampfes und für die Erstellung einer menschenwürdigen Gesellschaft sah.

2. In den vergangenen 90 Jahren hat sich viel geändert, gerade auch in der Welt der Arbeit. Die Soziallehre der Kirche hat diesen Wandel aufmerksam begleitet und ihn mitzugestalten versucht. In meiner letzten Enzyklika Laborem Exercens habe ich die Überzeugung ausgesprochen, daß wir heute ”am Vorabend neuer Entwicklungen in den Bereichen der Technologie, der Wirtschaft und der Politik stehen, die nach dem Urteil vieler Fachleute auf die Welt der Arbeit und der Produktion ebenso starke Auswirkungen haben werden wie die industrielle Revolution des vergangenen Jahrhunderts“. Ich habe in der gleichen Enzyklika eindringlich betont, daß heute auf Weltebene ”neue Weisen von Ungerechtigkeit“ bestehen und zwar ”weit größeren Ausmaßes als jene, die im vorigen Jahrhundert den Zusammenschluß der arbeitenden Menschen durch eine besondere Solidarität in der Welt der Arbeit angeregt hatten“.

Es geht heute darum, die Würde der menschlichen Arbeit in den veränderten nationalen und internationalen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Situationen in neuer Weise zu sichern.

Es ist nicht die Aufgabe der Kirche, dafür konkrete Programme anzubieten. Aber es ist ihre Aufgabe und Pflicht, immer wieder darauf hinzuweisen, daß die menschliche Arbeit keine Ware ist und daß der Mensch ”durch die Arbeit nicht nur die Natur verwandelt und seinen Bedürfnissen anpaßt, sondern auch sich selbst als Mensch verwirklicht, ja gewissermaßen, mehr Mensch wird“.

Daraus ergibt sich mit Notwendigkeit der Grundsatz vom Vorrang des Menschen vor den Dingen, der Arbeit vor dem Kapital.

3. Bei der Suche nach der praktischen Verwirklichung dieses Grundsatzes, die selbstverständlich immer den konkreten Umständen Rechnung tragen muß, kommt der verantwortlichen Mitbeteiligung und Mitbestimmung der Arbeiter eine entscheidende Aufgabe zu, besonders auch in der Form organisierter Vereinigungen. ”Die historische Erfahrung lehrt“, wie ich in meinem kürzlichen Rundschreiben unterstrichen habe ”daß Organisationen dieser Art ein unentbehrliches Element des sozialen Lebens darstellen, vor allem in den modernen Industriestaaten“. Aber ”die katholische Soziallehre vertritt nicht die Meinung, daß die Gewerkschaften nur Ausdruck der Klassenstruktur einer Gesellschaft und Teilnehmer des Klassenkampfes seien, der unvermeidlich das gesellschaftliche Leben beherrsche... Es ist ein Kennzeichen der Arbeit, daß sie die Menschen vor allem eint; darin besteht ihre soziale Kraft: Sie bildet Gemeinschaft. In dieser Gemeinschaft müssen sich letzten Endes alle in irgendeiner Form zusammenfinden, sowohl jene, die arbeiten, wie auch jene, die über die Produktionsmittel verfügen oder sie besitzen“.

Sie haben, sehr verehrte Damen und Herren, in dieser Studientagung nach konkreten Mitteln und Wegen gesucht, wie trotz aller Spannungen und Interessengegensätzen mehr Einheit und Partnerschaft erreicht werden kann. Ich begrüße und ermutige diese Bemühungen. Besonders freue ich mich darüber, daß Sie dies in Zusammenarbeit von deutschen und italienischen Arbeitnehmern tun. Ich bin davon überzeugt, daß die Lösung der brennenden Anliegen der Welt der Arbeit in Zukunft nur mehr in der größeren Solidarität der Völker und Staaten möglich ist. Ich begleite Ihre weiteren Arbeiten mit besonderem Interesse und mit meinen besten Wünschen und erteile Ihnen und Ihren Angehörigen von Herzen meinen Apostolischen Segen.



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