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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DEN NEUEN BOTSCHAFTER DER BUNDESREPUBLIK
DEUTSCHLAND
, HERRN PETER HERMES*

Castelgandolfo - Montag, 27. August 1984

 

Sehr geehrter Herr Botschafter!

Indem ich heute Ihr Beglaubigungsschreiben entgegennehme, begrüße ich Sie ehrerbietig als neuen außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter der Bundesrepublik Deutschland beim Heiligen Stuhl. Diese ehrenvolle Ernennung durch Ihren Herrn Bundespräsidenten führt Sie in neuer Verantwortung zurück an einen Ihnen bereits bekannten Ort, in eine diplomatische Vertretung, deren besonderer Charakter und Aufgabenbereich Ihnen durch eine frühere mehrjährige Tätigkeit schon persönlich vertraut sind.

1. Sie haben in Ihrer Begrüßungsansprache auf die tiefen geschichtlichen Zusammenhänge hingewiesen, aus denen sich das gegenwärtige vertrauensvolle Verhältnis zwischen Ihrem Land und dem Heiligen Stuhl herleitet und sich heute in fruchtbarer Zusammenarbeit für gemeinsam erstrebenswerte politische und gesellschaftliche Ziele konkretisiert. Ich danke Ihnen besonders für Ihre anerkennenden Worte, mit denen Sie den Einsatz des Heiligen Stuhles gewürdigt haben, durch den dieser sich bemüht zur Verwirklichung von Gerechtigkeit und Frieden in der internationalen Gemeinschaft der Völker seinen besonderen Beitrag zu leisten.

Staat und Kirche, deren engem Zusammenwirken in der Vergangenheit das Abendland sein großes kulturelles Erbe verdankt, haben in der Neuzeit ihr gegenseitiges Verhältnis und ihre rechtliche Zuordnung neu zu bestimmen versucht. Wie ich in meiner Ansprache an den früheren Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Prof. Karl Carstens, bei seinem Besuch im Vatikan im Oktober 1982 unterstrichen habe, ist in Ihrem Land zwischen den beiden Institutionen auf der Grundlage des Grundgesetzes sowie des geltenden Reichskonkordates und der Länderkonkordate eine besonders glückliche und zeitgemäße Regelung gefunden worden. Gegenseitige Unabhängigkeit und solidarische Partnerschaft in der gemeinsamen Sorge um die großen Anliegen des Menschen und der Gesellschaft bilden die besten Voraussetzungen für eine langfristige wirksame Zusammenarbeit.

2. Im aufrichtigen Wunsch nach einer tiefgreifenden geistigen und politischen Erneuerung Europas würdigt und unterstützt der Heilige Stuhl die vielfältigen Bemühungen Ihrer Regierung um den Abbau von Spannungen, um Verständigung und immer engere Zusammenarbeit zwischen den Völkern des ganzen europäischen Kontinents, besonders mit den östlichen Nachbarländern.

Es ist zu wünschen, daß die Bundesrepublik Deutschland – auch angesichts der besonderen politischen Umstände des Landes – das hohe Ansehen und den Einfluß, die sie sich durch ihre so erfolgreiche innere wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung erworben hat, auch im Bereich der internationalen Politik für die allgemeine Achtung der Würde und der Grundrechte des Menschen, für die Überwindung von Unterentwicklung und Elend in der Welt verantwortungsbewußt voll zur Geltung bringt. Die umfangreichen Hilfen für Länder der Dritten Welt, die in den letzten Jahrzehnten von Ihrem Land geleistet worden sind und noch weiter großzügig gewährt werden, gereichen den deutschen Bürgern, ihren Regierungen und nicht zuletzt den Kirchen zur besonderen Auszeichnung. Gerade in diesem Bereich erweist sich die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche als besonders wirksam.

3. Die verfassungsrechtlichen und konkordatären Bestimmungen gewähren der Kirche in der Bundesrepublik Deutschland auch nach innen für eine maßgebliche Mitwirkung in der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens ein hohes Maß an Freiheit. Die vielfältige konstruktive Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen im sozialen und gesellschaftspolitischen Bereich zeigt, wie sehr sich die deutsche Kirche ihrer großen Verantwortung bewußt ist und zum Wohl des Menschen und der Gesamtheit ihren wichtigen Beitrag leistet.

In der modernen pluralistischen Gesellschaft ist die Kirche in einer besonderen Weise gefordert in ihrem prophetischen Wächteramt zur Förderung und Verteidigung der grundlegenden geistigen und sittlichen Werte, ohne die das menschliche Zusammenleben nicht menschenwürdig gestaltet werden kann. Nicht alles, was machbar ist, ist dadurch auch schon sittlich erlaubt und ein für den Menschen erstrebenswertes Gut. Gerade in der pluralistischen Gesellschaft gilt es, die Geister zu scheiden. Die Kirche ist kraft ihrer Sendung überall dort zum offenen Widerspruch aufgerufen, wo Grundwerte und Grundrechte des Menschen in das Belieben und dadurch in die willkürliche Verfügbarkeit des einzelnen oder der Gesellschaft abzugleiten drohen. Politische Verantwortung darf sich nicht allein an Mehrheitsverhältnissen orientieren, sondern ist letztlich an sittlichen Maßstäben zu messen.

Es ist erfreulich festzustellen, daß auch darüber in Ihrem Land zwischen Staat und Kirche ein intensiver freimütiger Dialog geführt wird. So über die Unantastbarkeit des menschlichem Lebens in allen seinen Phasen, über die öffentliche Moral, über den Schutz der Familie, besonders der Jugend, über Umweltschutz wie über gerechte Lösungen für die vielfältigen sozialen Fragen, z. B. für das drängende Problem der Arbeitslosigkeit und für die Ausländerfrage.

4. Mögen sich die offiziellen freundschaftlichen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Heiligen Stuhl auch im vertrauensvollen partnerschaftlichen Verhältnis von Staat und Kirche in Ihrem Land selbst als wirksam erweisen und fruchtbar weiterentwickeln zur Förderung von Frieden und Gerechtigkeit nach innen und nach außen, zum Nutzen des Gemeinwohls und des einzelnen Menschen.

Daß auch Ihr Wirken in Ihrem neuen verantwortungsvollen Amt, sehr verehrter Herr Botschafter, dazu beitragen möge, wünsche ich Ihnen von Herzen und erbitte Ihnen hierfür Gottes beständigen Beistand. Ihnen und Ihrer werten Familie sowie allen Mitarbeitern in Ihrer Botschaft erteile ich zu ihrem heutigen Amtsantritt meinen besonderen Apostolischen Segen.

Aufrichtig erwidere ich zugleich die von Ihnen überbrachten guten Wünsche des Herrn Bundespräsidenten Dr. Richard von Weizsäcker und erbitte auch ihm für ein erfolgreiches Wirken in seinem neuen hohen Amt stets Gottes Licht und Führung.


*AAS 76 (1984), S. 1059-1062.

Insegnamenti di Giovanni Paolo II, Bd. VII, 2 SS. 252-255.

L'Attività della Santa Sede 1984 SS. 610-611.

L’Osservatore Romano 28.8.1984 S.5

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