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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DEUTSCHE PILGER

Montag, 2. November 1987

 

Liebe Brüder und Schwestern!

In brüderlicher Verbundenheit begrüße ich Euch zu dieser erneuten Begegnung hier im Vatikan. Sie gibt mir die willkommene Gelegenheit, euch allen noch einmal meine herzliche Mitfreude über die Seligsprechung zweier Mitbürgerinnen aus eurer Heimat zu bekunden. Schwester Ulrika Nisch und Schwester Blandine Merten, Küchenschwester die eine, Lehrerin die andere: beide selig, weil sie ihr Leben und Wirken der Liebe Gottes vorbehaltlos geöffnet haben, weil sie ihr von Gott erfülltes Herz an die suchenden, leidenden Mitmenschen an ihrer Seite verschenkt haben, weil sie die ihnen zugemessene, zuweilen harte Lebenslage mit ganzer Kraft und Zuversicht angenommen und nach bestem Können für das Reich Gottes fruchtbar gemacht haben.

An dieser Stelle möchte ich einem möglichen Mißverständnis zuvorkommen: Nicht ihre ärmliche Herkunft, nicht ihre schwache Gesundheit, nicht ihr Wirken an kaum beachteten, geringen Aufgaben haben sie zur Seligkeit geführt, sondern die geistige Kraft aus der Quelle unseres Glaubens, mit der beide diese widrigen Voraussetzungen bewußt angenommen und in wertvolles, erfülltes Leben umgewandelt haben. Sie sind nicht vor den beschwerlichen Bedingungen ihres Lebens geflüchtet, sondern haben diese mit der Hilfe Gottes in Gebet und Opferbereitschaft gemeistert. Dabei haben sie sich nicht selbstzufrieden in ihre innere geistliche Welt zurückgezogen, sondern die reichen Schätze, die sich mit der Gnade Gottes in ihrem Herzen sammelten, nach dem Beispiel Christi großzügig weitergeschenkt. An ihrer Seite lebten bedrückte Menschen wieder auf und fühlten sich ”wie im Paradies“; hier erfuhren sie greifbar und konkret, welche Macht eine von Gott entzündete Liebe darstellt. Aus dem Kreis solcher reich beschenkter Menschen kommen dann auch die ersten Zeugen, die von ihrer Erfahrung echter, selbstloser Liebe im Umgang mit Schwester Ulrika und Schwester Blandine berichten. Ihr Urteil ist die Grundlage für die kirchliche Bestätigung: Ja, diese beiden Leben haben bleibenden Wert vor Gott und eine beispielhafte Bedeutung für uns alle.

Liebe Mitchristen! Als ich im Mai dieses Jahres vor dem Kaiserdom zu Speyer von den christlichen Wurzeln Europas und dem Weltfrieden, von Religionsfreiheit und Wiedervereinigung der Christen gesprochen hatte, habe ich bei den Zuhörern die Frage verspürt: Was kann ich, der einzelne, für diese großen Herausforderungen unserer Zeit tun? Kann ich überhaupt etwas dazu beitragen? Meine Antwort lautete damals: Ja, du, der einzelne, kann etwas in Bewegung setzen; denn jeder gute Entschluß, jede bereite Übernahme einer Aufgabe beginnt immer beim einzelnen Menschen. So sehr die Einzelbemühungen dann auch gebündelt werden müssen, um sich im Großen auswirken zu können, so bleibt doch bestehen: ”Das Ja einer einzelnen Person, mit Hochherzigkeit gegeben und im eigenen Lebensbereich treu durchgehalten, kann tatsächlich tiefgreifende Veränderungen zum Guten auf kirchlicher wie auf gesellschaftlicher Ebene einleiten und wirksam fördern“.

Selige und Heilige sind solche Menschen, die in ihrem persönlichen, zuweilen völlig verborgenen und bescheidenen Lebensbereich etwas in Bewegung setzen, die ein lebendiges Feuer entzünden, die begeistern können, und dies oft - wie bei unseren beiden Seligen von heute - ohne an solche Fernwirkungen auch nur zu denken. Bereits die unbeirrbare, treue Pflichterfüllung des Alltags kann solche weittragenden Folgen haben. Die Küchenschwester, die Hausfrau und die Mutter; die Lehrerin, der Redakteur, der Sozialarbeiter; der Handwerker, der Ingenieur, der Unternehmer; der Kaplan und der Bischof: Wir alle sollten unsere unmittelbaren Aufgaben und Pflichten ganz ernstnehmen und sie gewissenhaft erfüllen Denn jeder einzelne Handgriff, den wir tun, jedes Wort, das wir sprechen, kann aufbauen und helfen, kann Leben schaffen und Vorbild werden. Die meisten Forderungen, die wir an andere stellen, an den Nachbarn, den Kollegen, den Ehepartner, haben einen Anteil, der uns selbst betrifft: Du selbst bist jeweils der erste, auf den es ankommt. Ziehe andere mit, indem du selbst dein Leben möglichst wertvoll und segensreich machst

Das ist die ermutigende Botschaft gerade auch von Schwester Ulrika und Schwester Blandine. Übernehmen wir als Dank ihr Lebenszeugnis auch für unseren Aufgabenbereich! Das sei zugleich mein herzlicher Wunsch für euch alle - mit der Gnade Gottes und meinem besonderen Apostolischen Segen.

 

© Copyright 1987 - Libreria Editrice Vaticana

 



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