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ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE BISCHÖFE AUS DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND ANLÄSSLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES

Samstag, 16. Januar 1988

 

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

1. Im Mai des vergangenen Jahres bin ich Euch und den Katholiken Eures Landes bei meinem zweiten Pastoralbesuch in der Bundesrepublik Deutschland begegnet. Ich freue mich, daß Ihr nun nach dem altehrwürdigen Brauch der ”Visitatio liminum Apostolorum“ gemeinsam eine Art Gegenbesuch macht und zum Zentrum der Weltkirche kommt. Unsere Begegnungen sind jeweils ein Zeugnis der tiefen Einheit der Kirche und der festen, unzerstörbaren Gemeinschaft des Kollegiums der Bischöfe mit dem Papst als dem Nachfolger Petri. Ich heiße Euch von Herzen willkommen und hoffe, daß Euer Besuch an den Gräbern der Apostel Petrus und Paulus sowie Eure Gespräche in den Dikasterien der römischen Kurie zusammen mit unserem brüderlichen Austausch in Gebet und gemeinsamen Beratungen zu einer Quelle ungeminderten pastoralen Eifers für Eure Bistümer und die ganze Weltkirche werden.

In Euch grüße ich heute die erste Gruppe Eurer Bischofskonferenz, nämlich die Bischöfe Bayerns aus Augsburg, Bamberg, Eichstätt, München und Freising, Passau und Würzburg. Die Bischöfe von Fulda und Speyer haben sich Euch angeschlossen. Ganz besonders begrüße ich die Metropoliten Eurer Region, Friedrich Kardinal Wetter von München und Freising und Erzbischof Elmar Maria Kredel aus Bamberg. Mit Euch sind die Weihbischöfe gekommen, die Euch in der pastoralen Sorge treu und hilfreich zur Seite stehen. Auch Euch, liebe Mitbrüder, heiße ich hier in Rom herzlich willkommen.

Bei meinem Pastoralbesuch im vergangenen Jahr hat mich der unvergessene Vorsitzende Eurer Bischofskonferenz, Joseph Kardinal Höffner, unermüdlich überallhin begleitet. Wer hätte gedacht, daß er schon damals von einer heimtückischen Krankheit erfaßt war und wenige Wochen später langsam dem gewissen Tod entgegengehen mußte. Dankbar gedenke ich nun am Beginn Eurer Ad-limina-Besuche nochmals seiner außer ordentlichen Gestalt. Er war ein mutiger Zeuge des Glaubens und hatte für seine Erzdiözese Köln, für die Deutsche Bischofskonferenz und auch für die Weltkirche eine herausragende Bedeutung. Haltet sein Gedächtnis in Ehren und lebt aus dem Geist der Gerechtigkeit und der Liebe, dem er stets verpflichtet gewesen ist.

Meine Ansprache an die deutschen Bischöfe in den drei Gruppen möchte ich unter den Leitgedanken der Sorge um den Glauben, um das christliche Leben in den Pfarrgemeinden und um das Zeugnis christlichen Lebens in der Welt stellen. Wenn ich mich auch vor jeder Gruppe nur auf einen Themenkreis beschränken muß, so sind jedoch meine jeweiligen Ausführungen immer an Eure ganze Bischofskonferenz gerichtet. Nehmt darum die ganze Ansprache als Anregung und Hilfe für Euren pastoralen Dienst in Euren Diözesen und Eure gemeinsame Arbeit in Eurem Land.

2. Bei unserer heutigen ersten Begegnung möchte ich also die Sorge um den Glauben besonders Eurer Eurer Aufmerksamkeit und Eurem Dienst als verantwortliche Oberhirten des Volkes Gottes anempfehlen.

Die Pastoral hat zu jeder Zeit viele und dringliche Aufgaben. Ihr wißt, wie viele Nöte und Probleme heute existieren, die Antwort von uns verlangen. Gerade Ihr in der Bundesrepublik Deutschland habt wegen Eurer guten äußeren Bedingungen die Möglichkeit, viele Dienste einzurichten und aufzubauen, um diesen Aufgaben Rechnung zu tragen. Wenn man die vielfältigen kirchlichen Einrichtungen und Aktivitäten in Euren Bistümern und im ganzen Land betrachtet, so gibt es gewiß viel Anlaß zur Dankbarkeit. Doch müßt Ihr als Bischöfe darüber wachen, daß diese vielen Dienste ihre Gestalt, ihre innere Ordnung und ihre Richtung vom Maß des Glaubens her empfangen, damit sie nicht am Ende beziehungslos oder vielleicht sogar widersprüchlich nebeneinanderstehen und so letztlich unfruchtbar bleiben. Es ist eine primäre Aufgabe der Bischöfe, durch ihre verantwortungsbewußte und umsichtige Leitung diese vielen Aktivitäten und Dienste immer wieder auf das eine wesentliche Ziel hinzuordnen: die Sorge um die unverkürzte Weitergabe des Glaubens und um seine stetige Vertiefung. So ist stets zu prüfen, ob das, was in der Kirche in den verschiedenen Bereichen geschieht, wirklich in die innerste Mitte unseres Glaubens hineinführt. Es gibt gerade heute auch viele Aufgaben im Vorraum der Kirche und in ihrer gesellschaftlichen Diakonia, die für eine Re-Evangelisierung des privaten und öffentlichen Lebens in Familie und Gesellschaft notwendig sind; aber sie müssen eine innere Dynamik aufweisen, die konkret und überzeugend zu einer Intensivierung des Glaubensvollzugs führt und nicht bei den unumgänglichen ”Praeambula“ stehen bleibt. Die Mitte Eurer Hirtensorge muß immer und überall vorrangig das Leben des Glaubens in den Herzen der einzelnen und in Euren Gemeinden und Diözesen sein. Damit habt Ihr auch ein wichtiges Kriterium für die ”Nützlichkeit“ vieler Aktivitäten und Dienste: Alles, was geistlich ”auferbaut“ im Sinne des Völkerapostels,  ist auch nützlich für das Leben des Glaubens in der Kirche.

Ihr habt, liebe Mitbrüder, als Bischöfe Verantwortung für diesen Glauben in einer mit Gütern der Zivilisation gesegneten Industrienation. Die Menschen Eures Landes haben – im Vergleich mit den meisten Menschen in anderen Völkern – gute Lebensbedingungen und ein sehr hohes Maß an Freiheit. Doch sind diese an sich guten Umstände dem Leben des Glaubens leider nicht gleichermaßen zugute gekommen. Im Gegenteil, das Ausmaß der Säkularisierung ist bei Euch im Leben des einzelnen, der Familie und nicht zuletzt in der Öffentlichkeit weit fortgeschritten. Der Sinn für die Transzendenz und für den lebendigen Gott scheint bei vielen Menschen kaum noch vorhanden zu sein. Der Kirchenbesuch, der erwiesenermaßen ein feinfühliger Gradmesser der meisten Lebensäußerungen im Bereich der Kirche ist, hat über die letzten Jahrzehnte spürbar nachgelassen. Der Glaube hat vor allem im Alltag der Familien an Kraft verloren, so zum Beispiel im täglichen Gebet. Darum ist es nicht verwunderlich, daß bei der Weitergabe des Glaubens an die kommenden Generationen zwischen den Eltern und den Kindern zum Teil eine tiefe Kluft entstanden ist; eine Situation, die manche bei Euch geradezu als ”dramatisch“ bezeichnen.

3. Dieser Situation und den sich daraus ergebenden Aufgaben hat sich die Kirche in Eurem Land heute zu stellen. Ihr müßt die Ursachen gründlich erforschen und alles tun, um mit gemeinsamen Anstrengungen eine Wende zum Besseren zu schaffen. Ich bin dankbar, daß Ihr schon eine Reihe von trefflichen Maßnahmen eingeleitet habt, die auch für andere Länder von Bedeutung sein können. Euer ”Katholischer Erwachsenenkatechismus“, dessen 1. Teil dem Glaubensbekenntnis der Kirche gewidmet ist, ist eine gute Hilfe bei der notwendigen Aufgabe, die oft verlorengegangenen Grundlagen des Glaubens zurückzugewinnen. Ich denke an die verschiedenen Initiativen in der sogenannten ”Gemeindekatechese“, um die Kinder und Jugendlichen, die oft dem Leben des Glaubens fernstehen, gut und wirkungsvoll zu den Sakramenten hinzuführen. Es ist ein hoffnungsvolles Zeichen, daß viele hilfsbereite Laien dabei mitarbeiten. Sorgt dafür, daß sie für ihre katechetische Aufgabe gut vorgebildet sind und mit den Pfarrern harmonisch zusammenarbeiten. Nutzt weiterhin die sich Euch bietenden vielfältigen Chancen für eine vertiefte Glaubensvermittlung in Euren zahlreichen Kindergärten, im schulischen Religionsunterricht bis hin zur Theologischen Erwachsenenbildung. Von besonderer Wichtigkeit für die Weitergabe eines lebendigen Glaubens, der den heutigen Fragen der Menschen auf überzeugende Weise standzuhalten vermag, ist vor allem eine entsprechende gründliche Vorbereitung der Priester und der pastoralen Mitarbeiter selbst, denen diese wichtige Aufgabe von Berufs wegen obliegt, wie auch ihre ständige Weiterbildung, damit sie imstande sind, das Glaubensgespräch mit unseren Zeitgenossen fruchtbar zu führen und ihnen die Frohe Botschaft Jesu Christi überzeugend zu verkünden. In diesem Zusammenhang möchte ich an die große Verantwortung der wissenschaftlichen Theologie für die Vergegenwärtigung des Glaubens erinnern Ihrer großen Tradition kann die Theologie in Eurem Lande nur dann gerecht werden, wenn sie über alle Spezialisierungen hinaus und durch sie hindurch die Vernunft des Glaubens sichtbar macht, Ermutigung zum Glauben in und mit der Kirche wird, so daß Menschen auch heute dankbar und froh mit dem Psalmisten sagen können: ”Bei Dir ist die Quelle des Lebens, in Deinem Licht schauen wir das Licht“ 

Entsprechend Eurer bisherigen Bemühungen möchte ich Euch heute neu ermutigen und aufrufen, Euch mit dem Prozeß der Säkularisierung und der Aushöhlung des Glaubenslebens nicht abzufinden. Kämpft im Geist des II. Vatikanischen Konzils und in Gemeinschaft mit dem obersten Lehramt der Kirche mit allen Mitteln, über die Ihr so reichlich verfügt, entschlossen dagegen an. Ihr seid es nicht nur der Wahrheit unseres Glaubens und Eurem Amt, sondern der oft verborgenen Suche nach Wahrheit und Sinn der Menschen, besonders der Jugendlichen, schuldig. Dazu ist es notwendig, daß Ihr Euch immer wieder auf die lebendige Mitte des Glaubens konzentriert, um von ihr her die Schönheit und Tiefe aller Wahrheiten neu zu erkennen und zu verkünden.

4. Zu dieser Wahrheit des Glaubens gehört wesentlich auch das christliche Ethos. Ihr wißt, wie mannigfach gefährdet die sittlichen Überzeugungen der Menschen sind. Ihr habt in Eurem Land viele Jahre über die gemeinsamen Maßstäbe diskutiert, die trotz der Freiheit in Fragen der Religion und der Weltanschauungen die Menschen in derselben Gesellschaft verbinden. Die allgemeine Anerkennung der sogenannten ”Grundwerte“, die ein menschenwürdiges Zusammenleben ermöglichen, scheint in den modernen Gesellschaften immer mehr zu schrumpfen. Ein rücksichtsloses Streben nach Macht und Reichtum, ein ungezügeltes Geltungsbedürfnis und ein unkontrollierter Umgang mit der menschlichen Sexualität werden dem heutigen Menschen zunehmend zum Verhängnis und zum sittlichen Ruin. Bemüht Euch darum in der Verkündigung und in der Glaubensunterweisung mit Nachdruck um die Vermittlung authentischer sittlicher Normen. Seid besonders wachsam, wenn auch im Raum der Kirche moralische Verhaltensregeln propagiert oder faktisch verbreitet werden, die sich weitgehend den Triebbedürfnissen der Menschen anpassen, aber die wahre Freiheit eines Christen verraten. Verzicht und Geduld, Reifenlassen und Standfestigkeit dürfen nicht zu Fremdwörtern in unserem täglichen Leben werden, besonders auch nicht in der Gestaltung der menschlichen Sexualität.

Die Moraltheologen haben heute eine besonders große Verantwortung, nicht nur weil sie vor neuen und schwierigen Herausforderungen stehen, sondern weil unklare oder gar falsche Lehrmeinungen im Bereich der Moral bei den Gläubigen zu besonderer Verwirrung führen – rascher und schwerwiegender als in Fragen von mehr theoretischem Charakter. Ihr müßt es daher als einen zentralen Punkt Eurer bischöflichen Verantwortung in dieser unserer Zeit ansehen, dafür zu sorgen, daß die Moraltheologie wirklich von den reinen Quellen des Glaubens der Kirche her denkt, die suchenden Menschen führt und ihnen hilft, von dort her ihr Leben zu gestalten. Demgemäß werdet Ihr alles tun, damit Eure Moraltheologen eindeutig und auf überzeugende Weise das verbindliche Ethos der christlichen Botschaft lehren.

Dazu gehört auch, daß sie den authentischen Sinn der lehramtlichen Dokumente über sittliche Grundfragen – in spezieller Weise jene, welche Ehe und Familie betreffen  – in den Verständnishorizont Eurer Gesellschaft übersetzen und für das konkrete Leben der Menschen fruchtbar machen. In diesem Sinne hat sich schon der verstorbene Kardinal Höffner in den letzten Jahren seines Lebens ganz eindeutig geäußert.

5. Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! Unsere gemeinsame Sorge um den Glauben in unseren Diözesen und Gemeinden muß in einer besonderen Weise und gewissermaßen auch vorrangig unsere Sorge um die Lehrer und Verkünder des Glaubens sein, um unsere Priester und deren Mitarbeiter im pastoralen Dienst und um genügend Priesternachwuchs. Seid als Vater und Freund Euren Priestern zur Seite in ihren vielfältigen und mühevollen Aufgaben ihres Amtes. Sorgt Euch mit ihnen zusammen um eine angemessene Pastoral der geistlichen Berufe. Und kümmert Euch mit besonderer Umsicht um die Priesterseminare und die Ausbildungsstätten künftiger pastoraler Mitarbeiter, um die Theologischen Hochschulen und Fakultäten. Sie sollen die künftigen Lehrer und Verkünder des Glaubens zuverlässig unterrichten in der philosophischen und theologischen Wissenschaft. Eine solide theologische Grundausbildung ist unbedingt notwendig. Sie darf nicht einem verkürzten und oft überschätzten Praxisbezug geopfert werden. Achtet auf eine gediegene Lehre durch gut ausgebildete Dozenten. Aller Ausbildung und allen pastoralen Bemühungen zugrunde aber liege eine tiefe und überzeugende Spiritualität. Ihre Mitte sei die Hinführung zum Gebet sowie ein Leben und Wirken aus dem Gebet. Die Orden mit ihren kirchlich anerkannten geistlichen Traditionen und die neueren geistlichen Bewegungen sind dabei für Priester und Laien eine sehr große und heute unentbehrliche Hilfe.

Eure bayerischen Diözesen sind zudem noch Träger der einzigen Universität päpstlichen Rechts im deutschen Sprachraum, der Katholischen Universität Eichstätt. Ich möchte Euch für die Bemühungen, welche Ihr für diese Universität einsetzt, aufrichtig danken und Euch zugleich ermutigen, den weiteren Ausbau dieser Hochschule zu fördern. Es wäre vielleicht sogar wünschenswert, wenn nicht nur die bayerischen, sondern alle deutschen Diözesen sich für diese Universität verantwortlich fühlen würden. Da Deutschland eine in der ganzen Welt bekannte Universitätstradition hat, scheint eine katholische Universität gerade auch in Eurem Land für die Kirche von besonderer Bedeutung zu sein.

6. Indem ich diesen ersten Teil meiner Überlegungen anläßlich Eures Ad-limina-Besuches zusammen mit den später noch folgenden nun Euren weiteren persönlichen und gemeinsamen Beratungen und Schlußfolgerungen anvertraue, danke ich Euch, liebe Mitbrüder, zum Schluß noch von Herzen für Euer treues Zeugnis von Glaube, Hoffnung und Liebe in Euren Diözesen. Grüßt Eure noch lebenden Vorgänger im bischöflichen Amt, die verdienten Altbischöfe von Bamberg und Speyer: Josef Schneider und Isidor Markus Emanuel, sowie von Passau und Fulda: Anton Hofmann und Eduard Schick. Grüßt alle Gläubigen, vor allem Eure Priester und Diakone sowie alle, die sich mit ihnen im Dienst an der Kirche aufopfern. Grüßt alle Eure Mitarbeiter, gleich an welcher Stelle sie sich abmühen: in der Pastoral, in der Caritas, in der Glaubensunterweisung, in der theologischen Wissenschaft, in der Verwaltung. Ganz besonders grüße ich durch Euch die Frauen und Männer in den Orden und Kongregationen sowie in den Säkularinstituten und geistlichen Gemeinschaften. Ich bete zu Gott, daß ihr entschiedenes Leben im Geist der Nachfolge Jesu Christi reiche Frucht bringe für sie und die ganze Kirche.

Für Gottes bleibenden Schutz und Beistand erteile ich Euch und allen Eurer bischöflichen Hirtensorge anvertrauten Gläubigen, besonders auch den Kindern und Alten sowie allen Kranken und Leidenden von Herzen den Apostolischen Segen.

 

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