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Bußgottesdienst für die Römische Kurie in Vorbereitung auf das Jubiläum

MEDITATION DES PREDIGERS DES PÄPSTLICHEN HAUSES

Homilie von Pater Raniero Cantalamessa

21. Februar 2000

 

Zunächst möchte ich etwas zu der Geisteshaltung sagen, mit der ich nun diese Überlegungen vortragen werde. Wenn man hört, daß die Römische Kurie einen Bußgottesdienst feiert, fragt sich doch sogleich ein jeder, ob man auch bekanntgeben wird, von welcher Sünde sich nun die Kurie bekehren muß und ob man darüber Konkretes erfahren wird.

Ich muß gestehen, auch ich habe mir diese Fragen gestellt, doch habe ich aufgegeben, auf dieser Linie weiter zu denken, denn es ist zu einfach, die Sünden der anderen oder einer Institution festzustellen, der man selbst nicht angehört. Aber es ist zumindest auch in diesem Kontext völlig unnötig, denn damit ist niemandem geholfen. Jeder, auf den man so zugeht, verteidigt sich zuerst einmal, und das zu Recht. Ich denke immer an eine Maxime des hl. Seraphim von Sarov: »Es ist einfach, gegen die Schuld anderer zu predigen; das ist, wie wenn man Steine von einem Kirchturm herunterwirft. Doch ist es schwierig, die eigene Schuld anzugehen, das ist, wie wenn man dieselben Steine von unten auf seinen Schultern wieder auf die Spitze des Kirchturms hinaufträgt.«

Nur das Wort Gottes kann von innen heraus wirken und kann auf einfühlsame Weise gegen die Sünde »überzeugen«, denn nur Gott ist »ohne Sünde«. Daher habe ich mich entschlossen, einfach nur das Wort sprechen zu lassen. Es herrscht außerdem soviel Voreingenommenheit und Feindseligkeit gegen die arme Römische Kurie, daß es nicht schlecht wäre, diese einmal die ganze Liebe Gottes und die Dankbarkeit Christi und der Kirche für ihre Arbeit spüren zu lassen, die oft eine sehr undankbare Arbeit ist. Ich würde mir wirklich wünschen, etwas von dieser Liebe hinüberkommen zu lassen.

In diesem Geiste hören wir das Wort Gottes, das von Umkehr spricht. Im Neuen Testament wird an drei entscheidenden Stellen von Umkehr gesprochen, und jedesmal wird eine neue Komponente der Umkehr hervorgehoben. Die drei Bibelstellen geben uns einen Gesamtüberblick über die Bedeutung der »metanoia« im Evangelium. Das heißt nicht, daß wir sie alle drei zugleich und mit derselben Intensität erleben müssen. Es gibt eine Umkehr für jeden Lebensabschnitt. Wichtig ist, daß jeder das entdeckt, was für ihn in diesem Moment und an dem Platz, den er einnimmt, und bei der Aufgabe, die er innerhalb oder außerhalb der Kurie ausübt, wichtig ist.

»Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!« (Mk 1,15).

Die erste Art von Umkehr ist die, von der wir im Evangelium dieser Liturgie gehört haben: »Kehrt um, und glaubt an das Evangelium!« Versuchen wir, zu verstehen, was hier das Wort »Umkehr« bedeutet. Vor Jesus bedeutete »convertiri« stets »zurückkehren« (das hebräische Wort »shub« bedeutet: »den Kurs ändern«, »es sich noch einmal überlegen«). Es bezeichnete den Erkenntnisakt eines Menschen, der irgendwann im Leben merkt, daß er »vom Weg abgekommen« war. Also hält er inne, denkt nach, entschließt sich, zur Befolgung der Gesetze zurückzukehren und wieder in den Bund mit Gott einzutreten. Er vollzieht eine »Kehrtwendung« im wahrsten Sinne des Wortes. In diesem Fall hat das Wort Umkehr im Grunde eine moralische Bedeutung und läßt an etwas Unangenehmes denken, das vollzogen werden muß, nämlich seine Gewohnheiten zu ändern oder dieses und jenes nicht mehr zu tun.

Das ist gewöhnlich die Bedeutung des Wortes Umkehr im Sprachgebrauch der Propheten bis einschließlich Johannes, dem Täufer. Aber wenn Jesus von Umkehr spricht, ändert sich die Bedeutung, und zwar nicht, weil er Gefallen daran findet, einfach so die Wortbedeutungen umzuändern, sondern weil mit seiner Ankunft sich alles geändert hat. »Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe.« Umkehr heißt nun nicht mehr zurückzukehren zum alten Bund oder zur Gesetzestreue, sondern es heißt jetzt viel mehr, einen Schritt nach vorne zu machen und in das Reich einzutreten, es heißt, das Heil zu erlangen, das den Menschen unentgeltlich zuteil geworden ist, weil Gott völlig frei und souverän die Initiative dazu ergriffen hat.

Umkehr und Heil haben den Platz vertauscht. Nun kommt nicht mehr an erster Stelle die Umkehr und dann als Folge das Heil, nein im Gegenteil, nun kommt zuerst das Heil, und dafür ist Umkehr erforderlich. Es heißt nicht: Kehrt um, damit das Reich zu euch kommt, damit der Messias kommen wird, wie es noch die letzten Propheten auszudrücken pflegten, sondern es heißt nun: Kehrt um, weil das Reich gekommen ist und weil es mitten unter euch ist. Umkehr heißt, die rettende Entscheidung zu treffen, die »Entscheidung der Stunde«, wie sie die Gleichnisse vom Reich umschreibt.

Die Aufforderung »Kehrt um und glaubt!« bezeichnet nicht zwei voneinander verschiedene und aufeinanderfolgende Ereignisse, sondern sie bringt dieselbe grundlegende Tat zum Ausdruck, nämlich: Kehrt um, bzw. glaubt! Kehrt um, indem ihr glaubt! Man hat in letzter Zeit viel von der »Rechtfertigung durch den Glauben« gesprochen. Dies ist keine Erfindung des hl. Paulus, sondern Jesus hat bereits mit diesen Worten dasselbe gelehrt.

All das erfordert eine wahre »Umkehr«, eine tiefgreifende Veränderung der Art und Weise, wie wir unser Verhältnis zu Gott auffassen. Es erfordert von uns, daß wir von der Vorstellung eines Gottes abgehen, der nur verlangt, befiehlt und droht, sondern wir sollen uns ein Verständnis von Gott aneignen, der mit vollen Händen kommt, um uns alles zu geben. Es ist die Umkehr vom »Gesetz« zur »Gnade«, die dem hl. Paulus so sehr am Herzen lag. Sind wir im Stande, in uns selbst diese Art von Umkehr zu vollziehen, bevor wir sterben? Das Jubiläum sollte uns genau in diesem Punkt helfen.

Ich erinnere mich noch an die Ereignisse der letzten Kriegstage, so zum Beispiel an den Tag, als die Deutschen begannen, aus meiner Heimatstadt Ascoli Piceno abzuziehen. Wie ein Blitz verbreitete sich die Nachricht, daß die Militärlager offenstünden und daß jeder hineingehen und das holen könne, was er wolle. Man muß sich nun die Reaktion der Leute vorstellen, die bitteren Hunger litten und denen es an den wesentlichsten Dingen fehlte. Ich war noch ein Junge, aber ich kann mich noch gut an die aus dem Umland kommenden Menschenmengen erinnern. Die Menschen forderten sich gegenseitig auf, dorthin zu gehen, und man kehrte zurück, die Schultern bepackt mit Lebensmitteln, Decken und allerlei anderen Dingen.

Anläßlich des Jubiläums sollte man dasselbe Phänomen nachvollziehen. Die Vorratsräume der Gnade und des Erbarmens Gottes stehen offen! Die Kirche richtet erneut an alle die Einladung, die wir bei Jesaja lesen: »Auf, ihr Durstigen, kommt alle zum Wasser! Auch wer kein Geld hat, soll kommen. Kauft Getreide, und eßt, kommt und kauft ohne Geld, kauft Wein und Milch ohne Bezahlung« (Jes 55,1). »Auch wer kein Geld hat«, bedeutet hier, wer keine Verdienste hat, die er in die Waagschale legen kann, wer sich unwürdig fühlt und wer Fehler im Leben gemacht hat.

Wir brauchen keine Angst zu haben, daß man auf diese Weise den Laxismus und das Nichtstun fördert. Es wird gerade das Erfahren der Gnade sein, das uns zu Taten drängt und unsere Füße besser als jedes Gesetz beflügelt. Lassen wir das Jubiläum nicht verstreichen, ohne daß wir dieses Wagnis unseres Lebens eingehen!

»Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet …« (Mt 18,1–4)

Hören wir nun die zweite Stelle aus dem Evangelium, in der von Umkehr die Rede ist: »In jener Stunde kamen die Jünger zu Jesus und fragten: Wer ist im Himmelreich der Größte? Da rief er ein Kind herbei, stellte es in die Mitte und sagte: Amen, das sage ich euch: Wenn ihr nicht umkehrt und wie die Kinder werdet, könnt ihr nicht in das Himmelreich kommen.« Es muß einem hier sofort etwas auffallen: Die Jünger fragen nicht allgemein, wer der Größte im Himmelreich ist, sondern wer von ihnen dort der Größte ist. Bei den anderen Synoptikern heißt es diesbezüglich, daß wegen dieser Frage eine Diskussion, ja ein Streit entbrannte.

Diesmal allerdings ist die Bedeutung von »convertiri« – »umkehren« – sehr wohl »zurückkehren«, und zwar sollen wir sogar wieder werden, wie wir als Kinder waren! Das hier verwendete Verb »strefo« bedeutet »eine Kehrtwendung machen«. Hier handelt es sich um die Umkehr derer, die bereits zum Reich gehören und an das Evangelium glauben, derer, die schon länger im Dienst Christi sind. Es handelt sich um unsere Umkehr!

Was ist nun den Aposteln passiert? Wer einmal in einem Ruderboot auf dem Meer war, hat eine Erfahrung gemacht, die zum Verständnis sehr hilfreich ist. Der Wellengang und die Windrichtung können die Richtung des Bootes verändern. Man rudert und rudert, und wenn man dann einmal aufschaut, merkt man, daß man genau in die entgegengesetzte Richtung rudert, als man eigentlich wollte. Und das ist sozusagen den Aposteln passiert. Langsam, aber sicher hat die Natur Überhand gewonnen, und ohne es zu merken, haben sie sich vom Reich entfernt, anstatt sich dem Reich zu nähern.

Denn was bedeutet eigentlich die Diskussion über den Größten im Reich? Nun, daß das Hauptanliegen nicht mehr das Reich selbst ist, sondern der eigene Rang, den man darin einnimmt, sowie das eigene »ego«. Jeder von ihnen hatte irgendeinen Titel, so daß ein jeder danach strebte, der Größte zu sein: Petrus wurde die Verheißung des Primates zuteil, Judas die Kasse, Matthäus konnte von sich sagen, daß er mehr als alle anderen aufgegeben hatte, Andreas, daß er der Erstberufene war, Jakobus und Johannes hingegen waren mit Jesus auf dem Berg Tabor gewesen usw. Die Früchte dieser Situation sind ersichtlich: Es sind Rivalität, Verdächtigungen, Konfrontationen und Frustrationen.

Mit einem Schlag macht Jesus all diese Erwartungen zunichte. Von wegen, die Ersten sein, auf diese Weise kommt man überhaupt nicht in das Reich! Was also tun? Umkehren, völlig die Perspektive und die Richtung ändern. Was Jesus da vorschlägt, ist eine wahre kopernikanische Wende. Man muß »sich selbst als Mittelpunkt aufgeben und Christus wieder zum Mittelpunkt machen«. Mit den Worten des Apostels Paulus ausgedrückt, die wir in der zweiten Lesung gehört haben, müssen wir »die Gottlosigkeit verleugnen«, das heißt, wir dürfen uns selbst nicht mehr den Platz einräumen, der nur Gott gebührt.

Es ist dies der großartige Gedanke, der Augustinus in seinem Werk Der Gottesstaat inspiriert hat. Es gibt zwei Städte auf der Welt, die im Bau sind, die Stadt Satans, welche Babylon heißt, und die Stadt Gottes, welche Jerusalem heißt. Die eine Stadt ist auf der Liebe zu sich selbst errichtet, die bis zur Mißachtung Gottes führen kann, die andere Stadt ist auf der Liebe zu Gott errichtet und kann bis zur Selbstaufopferung führen. Es sind zwei stets offene Baustellen, und jeder von uns muß selbst entscheiden, auf welcher er tätig sein will. Jede Tat, jede Initiative, auch diese Predigt, die ich gerade halte, kann entweder Babel oder Pfingsten bedeuten. Sie stellt Babel dar, wenn sie mir zur Ruhmsuche dient, wenn ich mir dadurch »einen Namen machen« will, wie die Erbauer von Babel (vgl. Gen 11,4). Sie stellt aber Pfingsten dar, wenn ich mir wenigstens Mühe gebe, dadurch Gott zu ehren.

Jesus spricht einfach vom »Werden wie die Kinder«. Wieder zu Kindern werden bedeutete für die Apostel, wieder so zu werden, wie sie waren, als sie am Seeufer oder beim Netzflicken zum erstenmal berufen worden waren, nämlich anspruchslos und ohne Titel, konfrontationslos und ohne Neid und Rivalität zu sein, nur durch eine Verheißung (»Ich werde euch zu Menschenfischern machen«) und durch die Anwesenheit Jesu bereichert. Sie sollten wieder so werden, wie sie waren, als sie noch Gefährten und nicht Konkurrenten um den ersten Platz waren. Auch für uns bedeutet das »Werden wie die Kinder« wieder so zu werden, wie wir waren, als wir zum erstenmal unsere Berufung verspürten, wie wir waren, als wir zu Priestern geweiht wurden oder das Ordensgelübde ablegten und sagten: »Gott allein genügt!« und daran glaubten.

Das im Philipperbrief, 3 beschriebene Beispiel des Apostels Paulus macht großen Eindruck auf mich. Als er nämlich Christus entdeckt hatte, betrachtete er seine ganze ruhmreiche Vergangenheit als einen Verlust, als einen Unrat auf der Suche, Christus zu gewinnen. Einige Sätze weiter sagt er dann: »Brüder, ich bilde mir nicht ein, daß ich es schon ergriffen hätte. Eines aber tue ich: Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist« (Phil 3,13). Was heißt das, was hinter ihm liegt? Das heißt, er vergißt seine Vergangenheit als Pharisäer und lebt nun als Apostel. Er verspürte die Gefahr, sich einen neuen »Verdienst«, eine neue »Gerechtigkeit« zu erheischen, die er nur sich selbst zuschreiben könnte aufgrund dessen, was er in Christi Diensten geleistet hatte. »Welch glänzende Karriere hat doch dieser Paulus um einer neuen obskuren Sekte willen aufgegeben, welche Briefe hat er deswegen geschrieben und wie viele Kirchen hat er doch gegründet!«. All dies macht er durch die Entscheidung: »Ich vergesse, was hinter mir liegt, und strecke mich nach dem aus, was vor mir ist«, zunichte.

In der »Vita« der sel. Angela von Foligno kommt eine Episode vor, die uns helfen könnte. Seit geraumer Zeit schon hatte sie sich bekehrt, beschritt den Pfad der Heiligkeit und war umgeben von angesehenen Jüngern. Eines Tages wurde sie sich jedoch bewußt, daß Gott nicht ihr Ein und Alles im Leben war. In jenem Moment verspürte sie eine Stimme, die zu ihr sagte: »Angela, was willst du?« Sie aber brach mit all der Kraft ihrer Seele in einen Schrei aus und gelangte zu jener mystischen Höhe, die wir von ihr kennen. Sie schrie: »Ich will Gott!« Wir wollen es ihr gleichtun und sagen: Ich will Gott! Es ist, wie wenn man einen Stein wirft oder lauthals die Hände gegen einen Baum stößt, der von lärmenden Vögeln wimmelt. Auf einmal fliegen alle fort, und tiefe Stille tritt ein. Jene Gedanken und Bestrebungen, jene falschen Vorhaben, die unseren Geist und unsere Herzen aufwühlen, verschwinden durch diesen Schrei, und wir erleben einen neuen Frieden.

»Kehrt um […] dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen« (Apg 2,37–38).

Nun kommen wir zur dritten Art von Umkehr. Es ist jene Art von Umkehr, die Petrus am Pfingsttag verkündete.

»Ihr habt Jesus, den Nazoräer, ans Kreuz geschlagen.« Als die dreitausend Anwesenden diese Worte hörten, traf es sie mitten ins Herz (»katenugesan«), und sie sagten zu Petrus und den übrigen Aposteln: »Was sollen wir tun, Brüder?« Petrus antwortete: »Kehrt um […] dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen.« Dies war die Geburtsstunde der Kirche, und auf diese Weise wird sie auch immer wieder neu geboren und erneuert werden.

Diese dreitausend Leute hätten auch protestieren können, denn sie waren nicht alle dabei, als Pilatus das »Crucifige« entgegengeschrien wurde, noch waren sie alle auf dem Kalvarienberg zugegen, als Jesus mit Nägeln durchbohrt wurde, doch keiner rührt sich. Der Heilige Geist vollbrachte in jenem Moment das, was Jesus verheißen hatte. »Bei seinem Kommen wird er die sündige Welt überwinden.« Sie hatten verstanden, daß, wenn Jesus für die Sünden der Menschen gestorben ist und diese Menschen Sünder waren, dieselben Menschen ihn auch ans Kreuz geschlagen haben.

Petrus hielt dieselbe Rede auch vor dem Sanhedrin, doch diesmal war die Wirkung eine ganz andere. Auch diese Leute waren aufgebracht, aber nicht vor Zerknirschung, sondern vor Zorn, und sie wollten die Apostel steinigen. Das zeigt uns, daß man angesichts dieser schrecklichen Aussage: »Ihr habt ihn ans Kreuz geschlagen!« zwei vollkommen entgegengesetzte Wege einschlagen kann: entweder den Weg der reuigen Zerknirschung oder den Weg der Verhärtung.

Wenn wir uns nun hier befinden, heißt das, daß wir bzw. die Kurie bereits eine Wahl getroffen hat. Also gilt es nun, zu verstehen, was das Wort »metanoeite« bedeutet. Es ist dasselbe Wort, das Jesus zu Beginn seines öffentlichen Wirkens benutzt hatte. Hier wird es natürlich zu Recht nicht mit »convertimini«, sondern mit »paenitentiam agere« übersetzt. Und tatsächlich ist hier auch ein Umdenken gemeint, eine Veränderung unserer Mentalität, unseres Urteilvermögens und unserer Selbstauffassung, das rückgängig zu machen, was wir getan haben.

Es geht hier nicht darum, unsere alte Denkweise aufzugeben, um eine dem Evangelium angemessenere Denkweise anzunehmen; auch geht es nicht darum, das eigene Urteilsvermögen zu ersetzen durch ein etwas geistlicheres Urteilsvermögen, das man sich erst zu eigen machen muß, sondern es geht darum, die eigene Denkweise aufzugeben und Gottes Denkweise anzunehmen, auf die eigene Beurteilung zu verzichten und Gott urteilen zu lassen. Ja, Reue heißt, in Gottes Herz einzugehen und zu beginnen, die Welt, die Kirche und das eigene Leben so zu sehen, wie es Gott sieht.

(Damit stelle ich nicht das in Abrede, was ich zu Beginn gesagt habe, und ich glaube, daß hier der Kurie die Möglichkeit geboten wird, sich eine konkrete Frage zu stellen: Ist die Kirche, wie wir sie in ihrem Zustand, mit all ihren Problemen und Lösungen sehen und weiterführen, auch wirklich so von Gott gewollt? Ist es für uns nicht einfach selbstverständlich, daß unser Kirchenbild auch das von Gott ist? Sind wir bereit, es zu hinterfragen und immer wieder von vorne, das heißt bei Gott, zu beginnen?)

Wenn wir in die persönliche Sphäre eintreten, geht es genau darum. Man hält inne, denkt nach und sagt: »Herrgott, ich kenne mich nicht. Ich weiß nicht, welches mein wirklicher Zustand vor dir ist und welche Verantwortung bzw. mildernden Umstände ich vor dir habe. Keiner kennt mich wirklich durch und durch, nicht einmal mein geistlicher Vater. Nur einer kennt in diesem Universum die genaue Wahrheit über mich, und das bist du. Ich unterwerfe mich deiner Wahrheit, ich stürze mich in die Tiefen deines göttlichen Ratschlusses.« Von daher versteht man auch jenen Vers, der den theologischen Höhepunkt des »Miserere« darstellt: »So behältst du recht mit deinem Urteil, rein stehst du da als Richter.« Das ist, wie wenn man sagt: »Gott ist unschuldig, er hat nichts mit dem Bösen zu tun, denn wir sind es, die gesündigt haben.«

Uns wurde ein neues Herz geschenkt, geschehen ist das Wunder der Wiedergeburt »aus Wasser und Heiligem Geist« (diesmal aus dem Wasser der Tränenströme). Ich hatte mich einmal gefragt, was die Bibel wohl damit sagen will, wenn sie vom Herz aus Stein spricht. Die Antwort erhielt ich von dort, woher ich sie am wenigsten erwartete. Ich betete gerade den Psalm 139:

»Herr, du hast mich erforscht, und du kennst mich.
Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir.
Von fern erkennst du meine Gedanken.
Ob ich gehe oder ruhe, es ist dir bekannt […].«

Es ein Psalm, bei dem man sich von Gottes Blick durchleuchtet fühlt wie von einer Art Röntgenstrahl. Plötzlich bemerkte ich, daß ich begann, von Gottes Warte aus zu denken, als würde ich mich selbst mit seinem Auge prüfen. Im Geiste ist ein Bild entstanden, und zwar das eines Stalagmiten. Das sind jene Kalksäulen, die sich durch stetiges Heruntertropfen des Kalkwassers von den Decken im Laufe der Jahrtausende in verschiedenen Tropfsteinhöhlen gebildet haben. Gleichzeitig erhielt ich auch die Erklärung dieses Bildes. Meine Sünden sind im Laufe der Jahre wie Kalkwasser in die Tiefe meines Herzens getröpfelt und haben immer wieder ein bißchen von diesem Kalk abgesetzt. Mit anderen Worten, ich bin etwas matt und hart geworden und habe Gott Widerstand entgegengebracht. Jeder Tropfen bzw. jede Sünde hat sich an der vorherigen Sünde festgesetzt und ist zu einer Masse geworden. Und wie auch in der Natur ist der größte Teil dank der Beichte, der Eucharistie und meiner Gebete abgeflossen…Aber jedesmal blieb ein wenig zurück, was sich eben nicht aufgelöst hatte, und zwar weil meine Reue und meine Vorsätze nicht vollkommen und absolut gewesen waren. So ist mein Stalagmit wie eine Säule gewachsen und wurde mir zu einem großen und beschwerlichen Stein. Auf einmal verstand ich, was dieses »Herz aus Stein« (Ez 36,26) bedeutete. Es ist das sündige Herz, das wir uns selbst durch unsere Nachlässigkeit und durch unseren Widerstand gegen die Gnade geschaffen haben.

Was kann man in einer solchen Situation nun tun? Diesen Stein kann man nicht einfach durch die Willenskraft entfernen, denn er ist ein Teil des Willens. Der Mensch kann sündigen, aber er kann Sünden nicht nachlassen. »Gott allein kann Sünden vergeben« (vgl. Mk 2,7), so haben wir es im gestrigen Evangelium gehört. Hier entdecken wir wieder die Kostbarkeit des Blutes Christi, das allein uns kraftvoll von der Sünde erlöst: »Und das Blut seines Sohnes Jesus reinigt uns von aller Sünde« (1 Joh 1,7). Hier entdecken wir auch wieder das Geschenk des Sakraments der Versöhnung, wodurch die Macht dieses Blutes uns »die Wohltaten der Erlösung« spüren läßt.

Nun wollen wir in der Erwartung, vielleicht dieses Sakrament und die sakramentale Lossprechung zu empfangen, nochmals mit Freuden jene Art allgemeiner Lossprechung hören, die Gott in der ersten Lesung (Sach 3,1–7) dem israelitischen Priestertum nach der Rückkehr aus dem Exil gewährte – wir wollen ihr, in uns gekehrt, lauschen: »Hiermit nehme ich deine Schuld von dir und bekleide dich mit festlichen Gewändern.«

Feiere dein Jubiläum mit Freuden, Kurie!

 

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