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  AUßERORDENTLICHES KONSISTORIUM

REFERAT VON S. E. KARD. ROGER ETCHEGARAY

Montag, 21. Mai 2001

 

Die Ereignisse des Heiligen Jahres in einer Viertelstunde zusammenzufassen ist ein kühnes Unterfangen, auch wenn man mich gebeten hat, dies nur hinsichtlich der Heiligjahrfeiern zu tun, die zweifelsohne den geeigneten Schlüssel darstellen, um dem vom Heiligen Vater zu Beginn seines Schreibens Novo millennio ineunte geäußerten Wunsch zu entsprechen: »Zugleich will alles, was unter unseren Augen geschehen ist, noch einmal überdacht und gleichsam entschlüsselt werden, um zu hören, was der Geist während dieses so intensiven Jahres der Kirche gesagt hat« (2). 

Das gesamte Jubiläum gründete auf religiösen Feierlichkeiten. Sein Programm und sein Veranstaltungskalender waren wesensmäßig liturgisch, ja eigentlich sakramental geprägt und wurden für alle Lebensbedingungen und Lebensalter angeboten. Nichts Neues, sondern der gewöhnliche Zyklus, der Jahr für Jahr das Dasein der Gläubigen bestimmt. Es wurden lediglich die traditionellen Zeichen eines Jubiläums hinzugefügt. Der überwältigende Erfolg jener Feiern muß uns über ihre eindringliche Aktualität nachdenken lassen. Trotz des Zweiten Vatikanischen Konzils haben wir uns noch nicht genügend mit der Stellung der Liturgie im Leben der Kirche auseinandergesetzt und uns noch nicht genügend um ihre symbolische Funktion gekümmert, die das in sich geschlossene Universum aufbricht, in dem der Mensch zu Beginn des Jahrtausends zu ersticken droht. Die Qualität der römischen Feierlichkeiten, die von den Medien gut übermittelt wurden, ermöglichte es, deren spirituellen Gehalt zu erfassen. 

Das Schreiben Tertio millennio adveniente – Frucht eines Kardinalskonsistoriums – enthält mit Sicherheit den längsten und am genauesten beschriebenen Weg, den ein Papst jemals seiner Kirche vorgeschlagen hat, um sich auf ein religiöses Ereignis vorzubereiten: ein Gebirgsbewohner kennt die Wichtigkeit der Wegmarkierungen. 

Als Hilfe bei der Entschlüsselung des Jubiläums müssen wir dessen zweifaches Verwurzeltsein in Zeit und Raum bedenken, wozu uns das Schreiben Novo millennio ineunte einlädt (vgl. 3). 

1. Verwurzeltsein im Raum 

Die Gleichheit und das Miteinander aller Kirchen (ohne hierbei die orientalischen Kirchen zu vergessen) während der Zeit des Jubiläums führten zu ihrer ekklesiologischen Aufwertung. »Wir haben uns als Ortskirche wiederentdeckt«, sagte mir ein Bischof. Gewiß, unter der einzigartigen Voraussetzung der »Urbs« als Bischofssitz des Nachfolgers Petri leistete der römische Kalender einen Dienst der Vorbildhaftigkeit, des Ansporns und der Gemeinschaft zwischen den Kirchen – und ich muß den wirkungsvollen Beitrag der Dikasterien der Kurie bezeugen bei der Organisation der zahlreichen Ereignisse, die in ihren Zuständigkeitsbereich fielen. Doch durch die ganze »Orbis« gaben die Teilkirchen – bis hin zu den entferntesten – Zeugnis für eine große Vitalität, um fröhlich am Fest des Jubiläums vor dem Herrn teilzunehmen. 

Wir kennen das Schreiben des Heiligen Vaters über die »Pilgerfahrt zu den Stätten, die mit der Heilsgeschichte verbunden sind« (29. Juni 1999). Dieses Schreiben scheint er zunächst an sich selbst gerichtet zu haben, um sich sein eigenes Jubiläum zu erleichtern, das er in diesem Monat auf den Spuren des Apostels Paulus verlängert hat. Im Heiligen Land war zweifelsohne der 23. März der bedeutungsvollste, obgleich am wenigsten von den Medien beachtete Moment, als der Papst sich nämlich frühmorgens in den Abendmahlssaal begab; dies geschah hinter verschlossenen Türen wegen des spärlichen Raumes in diesem »Hohen Saal«, in dem seit vierhundert Jahren keine öffentliche Messe gefeiert wurde (für lange Zeit war dieser Saal eine Moschee, und er ist heute für die Juden ein heiliger Ort: Es findet sich dort kein christliches Zeichen, und daher mußte das für die Messe Notwendige eigens mitgebracht werden). Diese Eucharistiefeier an der Stätte ihrer Einsetzung hatte etwas Unwirkliches und offenbarte uns die unbesiegbar Kraft zur Errichtung einer »neuen Welt«. Das einzige Treffen, das nicht stattfinden konnte, war jenes mit Abraham; doch zum Ausgleich setzte sich der Papst dafür ein, in Rom eine symbolische Gedenkveranstaltung durchzuführen in Gegenwart einiger jüdischer und muslimischer Nachkommen des Vaters der Glaubenden. 

Die ökumenische Landschaft ist uns vertraut: sie findet sich wieder in zahlreichen Jubiläumsinitiativen. Eine der bedeutendsten war wohl die »sechshändige« Öffnung – Katholiken, Orthodoxe und Anglikaner – der Heiligen Pforte in St. Paul vor den Mauern! Doch ist zu bedauern, daß ins Programm des Jubiläums nicht jener Wunsch aufgenommen werden konnte, den der Papst seit dem Schreiben Tertio millennio adveniente hegte: ein panchristliches Treffen, ja schlicht und einfach ein Treffen am selbstverständlichsten Ort, nämlich im Lande Christi. Die Suche nach der sichtbaren Einheit der Kirche nimmt die Gestalt eines Marathonlaufes an, der unsere Hoffnung auf eine harte Probe stellt, wenn man bedenkt, daß Christus die Einheit nicht zum Gegenstand einer Verheißung, sondern einer Bitte gemacht hat. 

Vor dem Panorama des Jubiläums fand das im Oktober 1999 im Vatikan durchgeführte Interreligiöse Treffen nicht die entsprechende Beachtung. Und doch war es mehr als ein einmaliger Akt. Es war eine Art erster Akt, der die Kirche ihre Sendung vertiefen lassen wird inmitten einer Menschenkarawane, wo sich uns – die wir fest daran glauben, daß Christus der einzige und universale Erlöser ist – die Pluralität der Religionen als Tatsache und mehr noch als Geheimnis darbietet. 

Die Dynamik des Raumes führt uns auch dazu, auf Orte zu sprechen zu kommen, an denen die Jubiläumsfeierlichkeiten keinen Platz fanden, sowohl in den von der Säkularisierung betroffenen Regionen als auch bei den zahlreichen Bevölkerungen, die das Antlitz Christi nie kennengelernt haben. Wie könnten wir nicht an das riesengroße Asien denken, wo die Kirche eine verschwindende Minderheit angesichts einer Bevölkerung bildet, die eine weltweite Mehrheit darstellt? Und dennoch wurde das Jubiläum sogar von der offiziellen Kirche der Volksrepublik China mit Begeisterung gefeiert: Im September wurde ich im Nationalseminar in Peking von 120 Seminaristen empfangen, die T-Shirts mit dem Logo des Heiligen Jahres trugen und die Hymne des Jubiläums sangen. 

2. Verwurzeltsein in der Zeit 

Die Feier des Jubiläums gedachte des Eintretens Gottes in die menschliche Geschichte. Das Christentum ist eine Religion, die in die Geschichte eingetreten ist (vgl. Novo millennio ineunte, 3), sagte der Papst, der uns unablässig dazu aufruft, »mit Christus die Reise von der Zeit in die Ewigkeit zu tun« (Generalaudienz vom 10. Dezember 1997; in O. R. dt., Nr. 51/52 vom 19.12.1997). Es wird daher verständlich, daß er zwei Feiern, die durch seine Sicht der Geschichte angeregt wurden, eine so große Bedeutung beigemessen hat: die Gedenkfeier für die Glaubenszeugen des 20. Jahrhunderts und die Reinigung des Gedächtnisses der Kirche durch die Vergebungsbitte: 

– Der 7. Mai am Kolosseum: ein Tag des Gedenkens an ein Jahrhundert der »Märtyrer«. Die sechzehn Zeugenberichte offenbarten sechzehn Mal das schöne Antlitz von Christen aller geographischen, kulturellen und konfessionellen Horizonte. »Ein überraschender Schauplatz«, merkte der Papst hierzu an: »Mit ihrem Beispiel haben sie uns den Weg in die Zukunft gewiesen und gleichsam geebnet« (Novo millennio ineunte, 41).

– Der Papst hat sich darum bemüht, alle für eine große Reise zu gewinnen, im Hinblick auf die Reinigung des jahrtausendealten Gedächtnisses der Kirche. Es war am 12. März, dem ersten Sonntag in der Fastenzeit. Niemand wird den tiefen und ruhigen Blick des Papstes vergessen, den er auf den großen Christus am Kreuz richtete, sowie seine Geste, gefolgt von jener Geste der sieben Kardinäle, die die sieben Hauptsünden der Söhne und Töchter der Kirche vortrugen, die sich verbeugten, um die Füße des leidenden Knechtes zu umfassen: Die Barmherzigkeit Gottes steigt stets tiefer herab, als das Elend des Menschen herabzusteigen vermag. 

*** 

In meinem Wortbeitrag sollte ich das Hauptaugenmerk auf die Jubiläumsfeierlichkeiten richten, doch viele von ihnen blieben unergründlich, vor allem jene bei denen der einzelne Beichtende durch das Bekenntnis der Sünden die barmherzige Liebe der Allerheiligsten Dreifaltigkeit »mitfeierte«. Alle Feiern lassen sich mit einem Wort aus der Bibel zusammenfassen: »Gott reich an Huld und Treue« (vgl. Ex 34,6). Auch dürfen wir abschließend nicht einen weiteren Aspekt vergessen, den sozialen Aspekt eines Jubiläums, das den eigenen biblischen Wurzeln neues Leben geschenkt hat: Die Eröffnungsbulle nennt dies »Zeichen der Nächstenliebe« (vgl. 12), und in Novo millennio ineunte wird von der »Herausforderung der Nächstenliebe« gesprochen (49). Mit seinen betrachtenden Gedanken über die im Evangelium angeführte Szene vom Jüngsten Gericht ruft der Papst uns kraftvoll zu: »Diese Aussage ist nicht nur eine Aufforderung zur Nächstenliebe; sie ist ein Stück Christologie, das einen Lichtstrahl auf das Geheimnis Christi wirft. Daran mißt die Kirche ihre Treue als Braut Christi nicht weniger, als wenn es um die Rechtgläubigkeit geht« (ebd.). 

Und er geht noch weiter, als er von der Kirche »das Zeugnis der christlichen Armut« verlangt: den Übergang von einer Kirche für die Armen hin zu einer selbst völlig armen Kirche. Hierbei berühren wir wahrscheinlich die provozierendste Frage, die für die Evangelisierung im neuen Jahrtausend am dringendsten ist. Nur eine arme Kirche kann zur missionarischen Kirche werden, und nur eine missionarische Kirche kann eine arme Kirche fordern. 

Ich muß meine Überlegungen auf den Wegen des Jubiläums abschließen. Auch ich bin ungeduldig, »hinauszufahren« – stets geleitet vom »sicheren Kompaß« des Zweiten Vatikanischen Konzils (vgl. Novo millennio ineunte, 57) – mit Jesus Christus, der den Menschen »wiederhergestellt« hat. Das Jubiläum hat uns dabei geholfen, aus seiner erhabenen und freudvollen Fülle zu leben … Das leidenschaftliche Bestreben des Papstes besteht darin, daß »die gesamte Menschheit ihr höchste Berufung wiederentdeckt« (vgl. Ansprache bei der Audienz für das Zentralkomitee des Heiligen Jahres, 8. Juni 1995). Die zahlreichen Jugendlichen, die nach Rom kamen (und nicht nur zur Zeit des Weltjugendtages), haben nicht geirrt, als sie sich mit Christus auf dasselbe Niveau erhoben, auf dem die Zukunft des Menschen gestaltet wird, und als sie aus dem Gebet eher das Gewicht als das Gegengewicht ihres Handelns machten. Dies ist die Frucht, die uns das Jubiläum hinterläßt: während es »für uns eine hoffnungsvolle Zukunft einleitet, steige das Lob und der Dank der ganzen Kirche durch Christus im Heiligen Geist zum Vater auf« (Novo millennio ineunte, Schluß).

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