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  AUßERORDENTLICHES KONSISTORIUM

REFERAT VON S. E. KARD. CRESCENZIO SEPE

Montag, 21. Mai 2001

 

Heiliger Vater, 
hochwürdige Herren Kardinäle!

Einige Monate sind nunmehr seit der Schließung der Heiligen Pforte in der Peterskirche vergangen; immer noch deutlich haben wir jedoch die Erinnerungen an dieses Ereignis vor Augen, das die Jahrhundert- und Jahrtausendwende geprägt hat und für die Geschichte der Kirche und der Menschheit entscheidend sein kann. 

Wir erleben gegenwärtig die Zeit »nach dem Heiligen Jahr«, also die Zeit einer Glaubensgeschichte, die zu einer immer vollständigeren Umsetzung und zur tagtäglichen Verwirklichung ihrer außerordentlichen Voraussetzungen berufen ist. 

Für ein Ereignis wie dieses kann es das Wort »Ende« eigentlich gar nicht geben. Im Gegenteil: Alles beginnt erneut mit einem neuen Geist, mit frischen und regenerierten Kräften nach einem Weg, der nicht Müdigkeit, sondern einen erneuerten Enthusiasmus bewirkt und allen die Kraft zu einem Neuanfang gegeben hat. 

Das »duc in altum«, das der Kirche des neuen Jahrtausends vorgeschlagen wurde, ist gewissermaßen der Großbuchstabe, der eine neue, bedeutende Phase der Verkündigung und Evangelisierung einleitet.

»Hinausfahren« bedeutet – jenseits aller Mutmaßungen über eine Bilanz –, daß die Erntezeit nicht vorüber ist, auch wenn die spirituellen Früchte dieses Gnadenereignisses ins Buch Gottes eingeschrieben und besiegelt sind. 

»Das Ereignis der Gnade, das im Laufe des Jahres das Bewußtsein der Menschen erfaßte, läßt sich unmöglich ermessen«, steht in Novo millennio ineunte (2). Ebenso schwierig ist es aber, nicht den »Strom lebendigen Wassers« zu sehen, der »vom Thron Gottes und des Lammes« hervorgeht und sich über der Kirche ergossen hat. 

Anstatt eine Bilanz vorzustellen, ist daher vielleicht eher der Versuch angebracht, einige Antworten auf die vom Heiligen Jahr eröffneten Erwartungen und Aussichten zu geben – insbesondere in kirchlicher Hinsicht. 

A) Auf der Grundlage der schriftlichen und mündlichen Zeugnisse der Bischofskonferenzen, einzelner Bischöfe, Priester, Ordensleute, Laien, Bewegungen usw. kann man zunächst sagen, daß die Feier des Großen Jubiläums für die ganze kirchliche Gemeinschaft eine ganz besondere Gelegenheit gewesen ist, ein echter »kairos«, auf der Suche nach neuen Wegen der Neuevangelisierung. 

Obwohl das Jubiläumsjahr ein außerordentliches und in vielerlei Hinsicht einzigartiges Ereignis im Vergleich zum gewöhnlichen Ablauf der kirchlichen Gegebenheiten bildet, war es dennoch kein Fremdkörper, aus dem Nichts in einen Organismus eingefügt, der ihn nicht als sein eigen erkennt, sondern es war unter vielerlei Gesichtspunkten das außergewöhnliche Ergebnis eines langen und »gewöhnlichen« kirchlichen Erneuerungsprozesses, der mit dem II. Vatikanischen Konzil begann und sich mit der »Neuevangelisierung« unter Johannes Paul II. fortsetzte. Die Ortskirchen mußten also für das Heilige Jahr nichts improvisieren, sondern schlicht und einfach jenen Fermenten Raum geben, die sie schon seit geraumer Zeit zur Reifung geführt hatten – unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Ausgangssituationen und der zuweilen dramatischen Umstände, unter denen sich diese Reifung vollzogen hat. 

Als kurze und bündige Zusammenfassung kann man also sagen, daß in vielen europäischen Ländern das Jubiläumsjahr in eine sehr dynamische Seelsorge eingegliedert wurde. Insbesondere in den mittel- und osteuropäischen Ländern, die gewissermaßen ihr erstes Heiliges Jahr erleben durften, erschien das Antlitz der zu neuem Leben erwachten Kirchen, die zur Versammlung und Belebung des Gottesvolkes fähig sind. 

In Amerika folgte das Jubiläumsjahr größtenteils den Richtlinien der Kontinentalsynode, die auf ein brüderliches und solidarisches Teilen der Zielsetzungen und Horizonte abzielten, wobei die menschliche Person im Mittelpunkt stand. 

In Afrika hat trotz des großen Mangels an Mitteln, dem das Zentralkomitee Abhilfe zu verschaffen suchte, das Heilige Jahr große Hoffnungen geweckt und die Bevölkerung und die Hirten zu einem erneuerten und stärkeren Zeugnis für den Glauben und den Frieden angespornt (vgl. Botschaft der Bischofskonferenz von Angola und Sao Tome zum Abschluß der 1. Vollversammlung nach dem Heiligen Jahr ). 

In Asien und Ozeanien, zwei Kontinenten, auf denen das Christentum zahlenmäßig nicht so stark vertreten ist, konnte sich die Aktion der Ortskirchen lebendiger gestalten.

Zusammenfassend gesagt: Das Heilige Jahr hat in Rom, im Heiligen Land und in den Teilkirchen das Antlitz einer lebendigen und jungen Kirche gezeigt, die in keiner Weise von den beiden schon vergangenen Jahrtausenden ihrer Geschichte erschöpft ist, sondern die bereiter denn je ist, die neuen Herausforderungen des dritten Jahrtausends in Angriff zu nehmen. 

Mit diesen kurzen Vorbemerkungen sollen nun einige der wichtigsten spirituellen Früchte vorgestellt werden: 

1. Wiederaufnahme des Zweiten Vatikanischen Konzils 

Sowohl aufgrund der Inhalte als auch hinsichtlich der Methode war das Heilige Jahr 2000 das Jubiläumsjahr des Konzils. Wegen seines Inhalts, weil die Hauptthemen des Konzils das Gerüst der gesamten Theologie und der Pastoral anläßlich der Heiligjahrfeiern bildeten; und wegen der Methode: Man denke nur an die zahllosen und wiederholten Aufforderungen des Heiligen Vaters an all die verschiedenen Kategorien von Pilgern, die Konzilsdokumente noch einmal zu lesen, wiederzuentdecken und zu leben. In Wirklichkeit war jeder Tag des Jubiläumsjahrs eine Zeit des Nachdenkens und des Betens entsprechend den Weisungen des Konzils. 

2. Wiederentdeckung der Heiligkeit des Gottesvolkes 

Der wahre Protagonist des Heiligen Jahres 2000 war das Volk Gottes: Mit seinem Zeugnis des Gebets, des Opfers und der Frömmigkeit zeigte es das Antlitz der Heiligkeit, die in der Kirche erstrahlt. Wir haben gesehen, wie dieses Volk bereitwillig und großherzig auf den Aufruf des Papstes antwortete. 

Die Einstimmigkeit der Antworten sollte als Zeichen gedeutet werden: ein Zeichen dafür, daß das Volk der Gläubigen immer noch fähig ist, eine christliche Spur in der Gesellschaft unserer Zeit zu hinterlassen. Die Zusammenkünfte waren keine Paraden oder Einberufungen, die sich zum Ziel setzten, Personen verschiedener sozialer Kategorien zu versammeln, sondern sie waren das notwendige Werkzeug, um es allen Mitgliedern dieses Gottesvolkes zu ermöglichen, »videre Petrum« [Petrus zu sehen] – wie sie dies nachdrücklich forderten – und seine Stimme zu hören. Die Heiligjahrfeiern waren ein Beleg der Katholizität der Kirche, der Universalität ihrer Botschaft und der Heiligkeit eines Volkes, das die Gesellschaft wie Sauerteig durchdringt und auf diese Weise das Evangelisierungswerk, das die kleine Gruppe der Apostel vor zweitausend Jahren begann, in diesem neuen Jahrtausend fortsetzen und zu allen Völkern bringen möchte. 

Wie sollte man in diesem Zusammenhang nicht an das Gebetszeugnis vieler Pilger erinnern, die durch die Heilige Pforte gegangen sind? Oder auch an das beeindruckende und bewegende Treffen zum Abendgebet auf dem Vorplatz der Peterskirche? Und insbesondere an die so vielen Menschen, die in den römischen Basiliken, aber auch in den Heiligtümern und Kirchen der ganzen Welt vor den Beichtstühlen Schlange standen? 

Uns bleibt heute als eines der wichtigsten Zeichen des Heiligen Jahres die bemerkenswerte Rückkehr, ja in gewisser Weise sogar die große Wiederentdeckung des Beichtsakraments, dem viele seit Jahren eine Krise nachsagten. Während des Jubiläumsjahres wurde die Gnade Gottes aus vollen Händen von unserem Vater gespendet, der reich an Erbarmen ist. 

3. Das Jubiläumsjahr im Zeichen der Nächstenliebe und Gerechtigkeit 

In Tertio millennio adveniente und in der Bulle Incarnationis mysterium hatte der Heilige Vater die Nächstenliebe und die Gerechtigkeit als Kennzeichen und Merkmale des echten spirituellen Wesens des Großen Jubiläumsjahres dargestellt. Die Antwort hierauf war insgesamt positiv. Bezüglich der Nächstenliebe konnte man feststellen, daß das Heilige Jahr in aller Welt zum Motor zahlreicher Initiativen wurde. Sie alle aufzuzählen ist unmöglich, denn sie wurden auf allen Ebenen unternommen – also im Bereich der Bischofskonferenzen, der Diözesen, Gemeinden, Bewegungen und Einzelpersonen – sowie in allen Breitengraden und Ländern, wo eine Gemeinschaft von Gläubigen lebt. Im übrigen hatte der Heilige Vater ja ein Beispiel hierfür gegeben, sowohl durch die Einrichtung eines Solidaritätsfonds für alle bedürftigen Pilger als auch durch sehr beredte Gesten, wie die Armenspeisungen bei den vier römischen Basiliken oder das Essen für die Armen im Vatikan usw. Diese Aktionen der Nächstenliebe werden auch nach dem Heiligen Jahr fortgesetzt, zusammen mit einem konkreten Projekt zugunsten der Behinderten, das hier in Rom realisiert werden soll. 

Im Hinblick auf die Gerechtigkeit wurde die Aufforderung, »an eine Überprüfung, wenn nicht überhaupt an einen erheblichen Erlaß der internationalen Schulden zu denken« (Tertio millennio adveniente, 51), wie auch die Bitte um Gnade zugunsten der Inhaftierten in vielen Ländern der Welt allgemein anerkennend aufgenommen. Ohne eine präzise Liste aufstellen zu wollen, bleibt die positive Tatsache, daß das Jubiläumsjahr sowohl die öffentliche Meinung der Welt als auch die Regierungen zu diesen hochaktuellen Themen sensibilisiert hat. 

4. Die Wallfahrten der Gläubigen und des Papstes 

Man kann sagen, daß in diesem Heiligen Jahr – im Unterschied zu den vorangegangenen – die spirituelle Symbolik der Wallfahrt dadurch weiter verstärkt wurde, daß der Pilgerstrom nicht in eine einzige Richtung verlief, also aus den Diözesen der Welt nach Rom, sondern daß es auch auf lokaler Ebene eine Vielzahl von Wallfahrten gegeben hat: von den Pfarreien zur Kathedrale oder zum jeweiligen Heiligtum, das vom Ortsbischof zum Ziel der Heiligjahrwallfahrt bestimmt wurde. 

Die Welt war tief beeindruckt von den zahlenstärksten Wallfahrten, insbesondere von jener der Jugendlichen im August. Man kann sagen, daß Â– auch hinsichtlich der Zahlen – selbst die optimistischsten Erwartungen in den Schatten gestellt wurden. Man denke nur daran, daß aus den osteuropäischen Ländern, die ihr erstes Heiliges Jahr feierten, etwa eine Million Pilger angereist ist: 185 % mehr als im Vorjahr. 

Der wichtigste Aspekt aber war die gemessene innere Haltung, die Frömmigkeit, Stille und Sammlung der Pilger, die ein ernsthaftes, tiefes und motiviertes Bild ihrer Teilnahme am Jubiläumsjahr gegeben haben. 

Die Pilgerreisen des Heiligen Vaters zu den Stätten der Heilsgeschichte und zum Heiligtum in Fatima hatten große Breitenwirkung: Die Gläubigen verstanden das Vorbild der Mission und gaben die Antwort auf ihren Wunsch, ihm zu begegnen. 

5. Ökumene und Glaubenszeugnis 

Obwohl nicht alle vorgesehenen ökumenischen Veranstaltungen auch tatsächlich durchgeführt werden konnten, bleibt festzuhalten, daß dieses Heilige Jahr – dem eine große interreligiöse Versammlung vorausgegangen war – wie kein anderes zuvor eine so breite Teilnahme von Vertretern verschiedener christlicher Konfessionen und Kirchengemeinschaften verzeichnen konnte. Beispielhaft war die »sechshändige« Öffnung der Heiligen Pforte in St. Paul vor den Mauern. Der Höhepunkt und bedeutendste Termin des gesamten Jubiläumsjahrs in ökumenischer Hinsicht war allerdings die »Ökumene der Heiligen und der Märtyrer«. 

Die Gedenkfeier für die Märtyrer des 20. Jahrhunderts war zweifellos eine Neuheit in der Geschichte der Heiligen Jahre; sie zeigte, daß in der derzeitigen Kirche, in der Kirche des Jubiläumsjahres, Heiligkeit nicht nur möglich ist, sondern sogar das wahre und sichtbare Monument der Lebendigkeit der Kirche in der Welt darstellt. 

6. Der Zukunft entgegen 

Das Große Jubiläumsjahr 2000, das eine zutiefst eucharistische und marianische Ausrichtung besaß, hinterließ der ganzen Kirche ein reiches Erbe, das nicht vergessen werden darf. 

Wir stehen am epochalen Übergang zu einem neuen Jahrtausend, und die Stunde zum Hinausfahren ist gekommen, wenn wir nicht auf dem Trockenen bleiben wollen. 

Alle starken und intensiven Anregungen des Heiligen Jahres müssen weiter untersucht, vertieft und vor allem in die Tat umgesetzt werden – durch eine Pastoral, die den Kontext der unterschiedlichen kirchlichen Gegebenheiten berücksichtigt. 

Das Heilige Jahr ist offiziell abgeschlossen, der Pilgerweg des Lebens der Christen geht jedoch weiter: Es liegt noch ein weiter Weg mit nicht wenigen Mühen vor uns, bis wir das Ziel erreichen. Wir alle sind aufgerufen, diesem dritten Jahrtausend ein wirklich glaubhaftes Zeugnis für die Kraft eines Glaubens zu geben, der alle Zivilisationskrisen überwindet und unserer Pilgerreise auf Erden Sinn gibt. 

Die allerseligste Jungfrau Maria, Mutter der schönen Liebe und Morgenstern des neuen Jahrtausends, erleuchte stets den Weg der Kirche. 

Danke. 

         

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