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INTERNATIONALE THEOLOGISCHE KOMMISSION

 

VERSÖHNUNG UND BUSSE*
(1982)

 

 

Einleitung

A. Der anthropologische Kontext der Buße

            I. Das Wesen der Buße in anthropologischer Sicht
            II. Anthropologische Dimensionen der Buße

B. Die theologischen Grundlagen der Buße

            I. Die theologalen Grundlagen
            II. Die christologischen Grundlagen
            III. Die ekklesialen Grundlagen
            IV. Dogmen- und theologiegeschichtliche Grundlagen

                        a. Die Konstanten der geschichtlichen Entwicklung
                        b. Die Variablen der geschichtlichen Entwicklung
                        c. Die Lehre des Konzils von Trient

C. Überlegungen zu einigen praktisch bedeutsamen Fragen

            I. Einheit und Vielfalt der Bußformen
            II. Einzelbeichte - Bußfeier - Generalabsolution
            III. Sünde - schwere Sünde - alltägliche Sünden
            IV. Buße und Eucharistie

Ausblick

 

EINLEITUNG

Der Ruf zur Umkehr ist in der Verkündigung Jesu unmittelbar mit dem Evangelium vom Kommen der Herrschaft Gottes verbunden (Mk 1,14f.). Wenn deshalb die Kirche in der Nachfolge und in der Sendung Jesu zur Umkehr ruft und die Versöhnung der Welt, die Gott durch Tod und Auferstehung Jesu Christi gewirkt hat, verkündet (2 Kor 5,18–20), dann verkündet sie den Gott, der reich ist an Erbarmen (Eph 2,4) und der sich nicht schämt, der Gott der Menschen genannt zu werden (Hebr 11,16).

Die Botschaft von Gottes Gottsein und vom Kommen seiner Herrschaft ist darum zugleich die Botschaft vom Heil der Menschen und von der Versöhnung der Welt. Die Sünde dagegen, die Gott nicht als Gott anerkennt und die Gemeinschaft mit Gott, die Gott dem Menschen seit Anbeginn der Schöpfung anbietet, verweigert, bedeutet zugleich die Entfremdung des Menschen vom Sinn und Ziel seines Menschseins wie die Entfremdung der Menschen untereinander. Aber auch wenn wir nicht treu sind, bleibt Gott treu. Deshalb hat er einen Bund geschlossen, zuerst mit dem von ihm auserwählten Volk; in der Fülle der Zeit hat er diesen Bund erneuert, indem er Jesus Christus eingesetzt hat zum einen Mittler zwischen Gott und den Menschen (1 Tim 2,5). Er hat diesen neuen und ewigen Bund geschlossen durch das Blut, das Jesus Christus vergossen hat für die Vielen zur Vergebung der Sünden (Mt 26,28).

Wenn dies die Mitte der christlichen Botschaft ist, dann betrifft das Thema Buße und Versöhnung die Kirche, die das Sakrament der Versöhnung für die Welt ist, in ihrer ganzen Existenz, in ihrer Lehre wie in ihrem Leben. Dann hat auf der anderen Seite der Verlust des Gespürs für die Sünde, den wir heute in vielen Teilen der Welt feststellen, seine Wurzel im Verlust des Gespürs für Gott, und er führt in der Folge zum Verlust des Gespürs für den Menschen. Wenn deshalb die Kirche die Umkehr und die Versöhnung verkündet, ist sie zugleich Gott und den Menschen treu; als Dienerin und Verwalterin der göttlichen Geheimnisse (1 Kor 4,1) dient sie zugleich dem Heil des Menschen.

In diesem Kontext, der „ungetrennt und unvermischt“ zugleich theologal und anthropologisch ist, legt die Internationale Theologische Kommission den Beitrag vor, um den sie für die Bischofsynode 1983 gebeten worden ist. Sie hat nicht die Absicht, alles zu sagen, und möchte nicht auf das zurückkommen, was allgemein bekannt und anerkannt ist. Sie ist jedoch der Meinung, dass sie den Erwartungen, die man ihr zu Recht entgegenbringt, nicht entsprechen würde, wenn sie unmittelbar oder gar ausschließlich auf die aktuellen theologischen und pastoralen Probleme eingehen würde. Sie ist der Überzeugung, dass Buße und Versöhnung von besonderer Bedeutung sind für die Begegnung mit den kulturellen Mentalitäten der Menschen, und sie ist auf der anderen Seite ebenso überzeugt von der unlösbaren Zusammengehörigkeit zwischen der Lehre und der lebendigen Praxis der Kirche. Deshalb möchte sie ihre Reflexionen in drei Schritten vortragen:

1. Analyse der gegenwärtigen anthropologischen Situation der Buße im Zusammen­hang der heutigen Krise des Menschen;

2. biblische, historische und dogmatische Grundlagen der Lehre von der Buße;

3. Überlegungen zu einigen wichtigen Fragen der Lehre und der Praxis der Buße.

 

A. Der Anthropologische Kontext der Buße

I. Das Wesen der Buße in anthropologischer Sicht

1. Schuld und Sünde, Buße und Bekehrung sind allgemein-menschliche Phänomene, die sich in verschiedener geschichtlicher Ausprägung in allen Religionen und in allen Kulturen – wenn auch häufig verdunkelt oder entstellt – finden. Der Ruf zur Buße und die Botschaft des Alten und des Neuen Testaments von der von Gott geschenkten Versöhnung setzen diese allgemein-menschlichen Phänomene voraus, reinigen und überbieten sie. Denn nach dem Verständnis der Heiligen Schrift sind Bekehrung und Buße die von der Gnade Gottes ermöglichte und getragene Antwort des Menschen auf das Versöhnungsangebot Gottes. Die Buße ist also in einem ein Geschenk der Gnade und ein freier, sittlich verantwortlicher Akt des Menschen (actus humanus), in dem der Mensch sich als verantwortliches Subjekt zu seinen bösen Taten bekennt und zugleich aus innerer Entscheidung heraus sein Leben ändert und ihm eine neue Richtung auf Gott hin gibt. Aus dieser spannungsvollen Einheit von göttlichem und menschlichem Tun im Akt der Buße folgt, dass die pastorale Sorge um die Erneuerung der Haltung und des Sakraments der Buße von der Sache her notwendig die Sorge um die anthropologischen, d.h. ökonomischen, soziologischen, psychologischen und geistigen Voraussetzungen der Buße einschließen muss.

2. Die gegenwärtige Krise in Verständnis und Praxis der Buße betrifft nicht nur und oft nicht primär dogmatische, disziplinäre und pastorale Einzelfragen. In weiten Teilen der heutigen Welt ist es zu einem Verlust des Sinns für die Sünde und folglich auch für die Buße gekommen. Diese Situation hat vielfältige Ursachen. Zunächst ist auf innerkirchliche Ursachen zu verweisen. So wie die Buße bis in die jüngste Vergangenheit in der Kirche oft praktiziert wurde, wird sie von vielen Christen als menschlich leer und wirkungslos erfahren. Die konkrete Bußpraxis berührt in vielen Fällen kaum das Leben der Menschen und die dramatische Situation der heutigen Welt. Dazu kommt ein mehr außerkirchlicher Aspekt. Die gegenwärtige Krise der Buße ist letztlich begründet in einer Krise des modernen, vornehmlich des von der westlichen Zivilisation beeinflussten Menschen und seines Selbstverständnisses, das Sünde und Bekehrung weitgehend nicht mehr kennt und anerkennt. Heute werden Schuld und Sünde nämlich sehr oft gar nicht mehr als ein ursprüngliches Element der personalen Verantwortung des Menschen verstanden, sondern als sekundäre Erscheinung aus der Natur, der Kultur, der Gesellschaft, der Geschichte, den Verhältnissen, dem Unbewußten u.a. abgeleitet und damit als Ideologie oder Illusion erklärt. So kam es zu einer Schwächung des persönlichen Gewissens zugunsten des meist unbewussten Einflusses der sozialen Normen einer weithin entchristlichten Welt.

3. Die Erneuerung der anthropologischen Voraussetzungen der Buße muss deshalb einsetzen mit der Erneuerung des Verständnisses des Menschen als sittlich-religiös verantwortlicher Person. Es muss neu aufgezeigt werden, dass die Möglichkeit schuldig zu werden mit der menschlichen Freiheit gegeben ist, in der die personale Würde des Menschen besteht. Denn es gehört zum Menschen, dass er sich selbst zur Verwirklichung aufgegeben ist. Es ist im Primat der Person vor den Sachen begründet, dass der Mensch nicht nur Objekt anonymer physiologischer, ökonomischer, gesellschaftlicher und kultureller Kräfte, sondern auch frei verantwortliches Subjekt ist, das selbst Ursache der Spannungen, Spaltungen, Entfremdungen in der Welt ist. Wo deshalb Sünde und Schuld grundsätzlich nicht mehr anerkannt werden, da ist das Humanum des Menschen selbst in Gefahr.

4. Die unbedingte Würde des Menschen als Person ist letztlich in seinem Bezug zu Gott, in seiner Gottebenbildlichkeit und in seiner gnadenhaften Berufung zur Gemeinschaft mit Gott begründet. Deshalb bleibt sich der Mensch selbst eine ungelöste Frage, auf die nur Gott die volle und ganz sichere Antwort geben kann; ja, Gott selbst und die Gemeinschaft mit ihm ist die Antwort auf die Frage, die der Mensch nicht nur hat, sondern zutiefst ist (GS 21): Deshalb muss die Erneuerung des Menschen und des Bewusstseins der personalen Würde des Menschen beginnen mit der Bekehrung zu Gott und der Erneuerung der Gemeinschaft mit ihm. Umgekehrt ist die Kirche, gerade wenn sie zur Bekehrung des Menschen zu Gott ruft, „Zeichen und Schutz der Transzendenz der menschlichen Person“ (GS 76).

II. Anthropologische Dimensionen der Buße

1. Die menschliche Person ist wesensmäßig leiblich verfasst. Sie ist in ihrer konkreten Verwirklichung in vielfältiger Weise abhängig von physiologischen, ökonomischen, soziologischen, kulturellen und psychologischen Bedingungen. Umgekehrt verleiblichen sich Schuld und Sünde auch in den von Menschen und von der menschlichen Gesellschaft geschaffenen Ordnungen und Strukturen, die dann ihrerseits wieder von einzelnen Menschen, die in solchen Ordnungen und Strukturen leben, interiorisiert werden und so die Freiheit der Menschen erschweren und zur Sünde verleiten können. Solche von der Sünde verschuldete und geprägte Strukturen können also menschlich entfremdend und destruktiv wirken. Trotz dieser ihrer großen Bedeutung für das persönliche Verhalten des Einzelnen kann man aber höchstens in einem analogen Sinn von „sündigen Strukturen“ und von „struktureller Sünde“ sprechen; im eigentlichen Sinn des Wortes kann nur der Mensch sündig sein. Weil aber solche Strukturen aus der Sünde kommen und wiederum zur Sünde Anlass sein können, ja zur Sünde drängen, muss die Bekehrung und die Buße sich auch – wo immer dies möglich ist – in der Veränderung der Strukturen auswirken. Solche Veränderungen setzen die eigene Bekehrung voraus und müssen deshalb mit Mitteln bewirkt werden, die der Versöhnung entsprechen und zur Versöhnung führen.

Wie dies konkret möglich ist, hängt auch von der Stellung und von den Möglichkeiten der einzelnen Person in einer bestimmten Gesellschaft ab. Weiten Teilen der Menschheit ist es heute auferlegt, in der Haltung der Buße bösartige Strukturen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher oder politischer Art leidend hinzunehmen. Für viele bringt der Versuch, sich einer Kooperation mit solchen Strukturen zu entziehen, einen empfindlichen Verzicht von Gütern oder Positionen mit sich, was auch eine Form auferlegter Buße sein kann. Vollends kann der Versuch, bösartige Strukturen abzumildern oder zu beseitigen, zu schweren Belastungen, ja zu Verfolgungen führen, die im Geist der Buße getragen werden müssen.

Auf diese vielfältige Weise geht uns heute in neuer Weise auf, dass Bekehrung und Buße notwendig eine leibliche und kosmische Dimension haben und zu leiblichen Früchten der Buße führen müssen. Durch eine solche ganzheitliche personale Bekehrung des Menschen zu Gott geschieht die Rückkehr und Heimholung aller Wirklichkeit zu Gott.

2. Die menschliche Person ist nicht nur leiblich, sie ist auch sozial verfasst. Deshalb ist die Bekehrung zu Gott unabdingbar mit der Bekehrung zum Bruder verbunden. Gott ist ja der Vater aller Menschen; durch ihn und unter ihm bildet die gesamte Menschheit eine einzige Familie. Die Bekehrung ist darum nur echt, wenn sie die Erfüllung der Forderungen der Gerechtigkeit und den Einsatz für eine gerechte Ordnung, für den Frieden und für die Freiheit der andern einschließt. Die Versöhnung mit Gott muss zur Versöhnung mit den Brüdern führen und mithelfen, eine Zivilisation der Liebe heraufzuführen, für welche die Kirche Sakrament, d.h. Zeichen und Werkzeug ist. Die Bekehrung zu Gott hat jedoch nicht nur soziale Konsequenzen, sondern auch soziale Voraussetzungen. Nur wer Liebe erfährt, kann sich liebend Gott und dem andern öffnen. Die Buße darf also nicht rein innerlich und privat verstanden werden. Weil (nicht: obwohl!) sie ein personaler Akt ist, hat sie auch eine soziale Dimension. Dieser Gesichtspunkt ist auch von Bedeutung für die Begründung des ekklesialen und sakramentalen Aspekts der Buße.

3. Der Mensch ist ein Wesen, das in der Zeit und in der Geschichte lebt. Er findet seine Identität nur, wenn er sich zu seiner sündigen Vergangenheit bekennt und sie auf eine neue Zukunft hin öffnet. Sünde kann ja als incurvatio hominis oder als amor curvus verstanden werden. Die Bekehrung besteht darin, dass der Mensch diese seine egoistische Selbstverkrampfung aufgibt und sich neu in Liebe Gott und den anderen öffnet. Beides geschieht im Bekenntnis der Schuld. Hier bekennt sich der Mensch zu seiner sündigen Vergangenheit, indem er sich vor Gott und vor den Menschen öffnet und ausspricht, um in der Gemeinschaft mit Gott und mit den Brüdern neu Zukunft zu erlangen. Ein solches Bekenntnis ist schon rein anthropologisch gesehen ein wesentliches Element der Buße, und es hat schon auf der psychischen und sozialen Ebene eine befreiende und versöhnende Wirkung. Die Erneuerung des Sakraments der Buße kann an dieser anthropologischen Einsicht anknüpfen und von dort her das persönliche Bekenntnis der Sünden wieder neu verständlich machen. Sie kann und muss von dieser anthropologischen Einsicht freilich zugleich lernen und das Sakrament der Buße wieder deutlicher als ein dialogales Sakrament verstehen und praktisch verwirklichen.

4. Wo immer Menschen in dieser Weise umkehren, Buße tun und ihre Schuld bekennen, da rühren sie an das tiefste Geheimnis der Person, das seinerseits auf das Geheimnis Gottes verweist. Wo immer dies geschieht, verwirklicht sich in antizipatorischer Weise die Hoffnung auf den letzten Sinn und die eschatologische Versöhnung der Welt, die uns in ihrer Fülle erst durch Jesus Christus geoffenbart und geschenkt wurde. Weil die Buße in ihrer allgemein-menschlichen und allgemein-religiösen Gestalt in antizipatorischer und fragmentarischer Weise das vorwegnimmt, was den Gläubigen durch Jesus Christus in Fülle geschenkt wird, kann man sie als sacramentum legis naturae bezeichnen [1].

 

B. Die Theologischen Grundlagen der Buße

I. Die theologalen Grundlagen

1. Die Botschaft des Alten und Neuen Testaments, welche alle menschliche Erwartung weit übertrifft und überbietet, ist zutiefst theozentrisch. Es geht darum, dass Gottes Gottsein und seine Herrlichkeit offenbar werden, dass seine Herrschaft kommt, dass sein Wille geschieht und sein Name verherrlicht wird (Mt 6,9f.; Lk 11,2). Entsprechend beginnt der Dekalog: „Ich bin der Herr, dein Gott“ (Ex 20,2; Dtn 5,6). Die Forderung nach Ganzhingabe an Gott und an den Nächsten erhält bei Jesus eine inhaltliche Höhe und Tiefe, dazu eine Vehemenz, die die des Alten Testaments nochmals überbietet (Mk 12,29–31 par.). Die Sünde ist demgegenüber die Haltung und die Tat des Menschen, die Gott und seine Herrschaft nicht anerkennt. Sie wird deshalb in der Heiligen Schrift beschrieben als Ungehorsam, als Götzendienst und als eigenmächtige und verabsolutierte Autonomie des Menschen. Durch solche Abwendung von Gott und durch solche ungeordnete Zuwendung zu geschöpflichen Größen verfehlt der Mensch letztlich die Wahrheit seines geschöpflichen Seins; er wird sich selbst entfremdet (Röm 1,21ff.). Indem er in der Bekehrung wieder zu Gott, seinem Ursprung und Ziel, zurückkehrt, findet er auch wieder den Sinn des eigenen Daseins.

2. Der Gottesgedanke des Alten Testaments ist vom Bundesgedanken bestimmt. Gott wird wie ein liebender Ehemann, ein gütiger Vater beschrieben, er ist Dives in misericordia, immer auf Vergebung und Versöhnung bedacht, ständig zur Erneuerung seines Bundes bereit. Freilich ist auch der Zorn Gottes eine Realität; er zeigt, dass Gott sich in seiner Liebe betreffen lässt vom Bösen in der Welt und dass er gegen das Unrecht und die Lüge reagiert. Die Sünde wird in dieser Perspektive als Bundesbruch bezeichnet und mit einem Ehebruch verglichen. Am Ende hat freilich schon bei den Propheten die Hoffnung auf die Gnade und die Treue Gottes das erste und das letzte Wort. Vollends ist bei Jesus die Radikalität seiner Forderung und seines Rufs zur Umkehr eingebettet in seine Heilsbotschaft (Lk 6,35). Bei Jesus besteht eine absolute Priorität des Evangeliums vor dem Gesetz. Das bedeutet nicht, dass es bei Jesus keine sittlichen Forderungen mehr gibt; vielmehr sind die sittlichen Forderungen Jesu und sein Umkehrruf nur im Rahmen seiner Frohbotschaft verständlich und realisierbar. Die Zusage der Liebe und der vorgängige Vergebungswille des Vaters befreien, ermutigen und ermöglichen erst die Umkehr und die Ganzhingabe des Menschen. Umkehr und Buße sind deshalb keine rein menschlichen Leistungen, sondern ein Geschenk der Gnade. Denn bei seinen eigenen Umkehrversuchen steht der Mensch immer unter den Bedingungen der Sünde, des Unrechts, des Unfriedens, der Unfreiheit und der Unversöhntheit. Nur Gott kann den Menschen in seiner tiefsten Wurzel heilen und ihm einen qualitativ neuen Anfang schenken, indem er ihm ein neues Herz gibt (Jer 31,33; Ez 36,26). Nicht wir versöhnen uns mit Gott, Gott ist es, der uns durch Christus mit sich versöhnt (2 Kor 5,18).

3. Weder die Sünde noch die Umkehr des Menschen werden im Alten und im Neuen Testament rein individualistisch verstanden. Im Gegenteil, gerade bei den alttestamentlichen Propheten werden die Sünden gegen die soziale Gerechtigkeit von Gott im Namen des Bundes verurteilt. Das Alte und das Neue Testament sehen den Menschen eingebettet in die Solidarität des Volkes und der ganzen Menschheit (Gen 3; Röm 5) bzw. in die Solidarität des neuen Volkes Gottes. Auf der anderen Seite entdecken bereits die Propheten des 7. und 6. Jahrhunderts v. Chr. die persönliche Verantwortung des einzelnen Menschen. Vollends ruft die Bekehrung zu Jesus Christus den Einzelnen heraus aus seiner völkischen Einbindung und ordnet ihn ein in das alle Völker umfassende neue Volk Gottes. Im Einzelnen verlangt die Gnade der Bekehrung vom Menschen eine dreifache Antwort: Zum Ersten ist eine wirkliche Änderung des Herzens, ein neuer Geist und Sinn notwendig. Bekehrung und Buße sind eine Fundamentaloption (s.u. C III, 3f.) der Person auf Gott hin und eine gänzliche Absage an die Sünde. Zweitens erwartet bereits Jeremia vom Sünder ein öffentliches Bekenntnis seiner Schuld und ein Versprechen der Besserung „vor Jahwe“ (Jer 36,5–7). Auch bei Jesus ist gutwillig vertrauender Glaube (Mk 1,15), reumütiges Bekennen und Vergebungsbitte (Lk 11,4; 18,10–14) ein Anfang der Umkehr und eine beginnende Lebenswende. Schließlich muss sich die Buße in einer radikalen Änderung des gesamten Lebens und aller seiner Bereiche äußern. Dazu gehören vor allem das Tun der Gerechtigkeit und Vergebungsbereitschaft gegenüber dem Nächsten (Mt 18,21–35; Lk 17,4).

 

II. Die christologischen Grundlagen

1. Schon das Alte Testament schaut auf den neuen Bund voraus, in dem Gott dem Menschen ein neues Herz und einen neuen Geist schenkt (Jer 31,31–33; Ez 36,26f.). Jesaja erwartet den „Knecht Gottes“ (Jes 53), Maleachi den „Engel des Bundes“ (Mal 3,1). Jesus weiß das Heil des kommenden Gottesreiches bereits in seinem eigenen Dasein gegenwärtig (Lk 10,23f.). Deshalb bestand für ihn die Mitte der Umkehrforderung in der gläubig-kindlichen Annahme des bereits zugesagten Heils (Mk 10,15), in der gläubigen Hinwendung zu ihm selbst (Lk 12,8f.), im Hören und Bewahren seines Wortes (Lk 10,38–42; 11,27f.) bzw. in seiner Nachfolge (Mt 8,19–22). Umkehr besteht jetzt also in der Entscheidung für Jesus, in der sich zugleich die kommende Herrschaft Gottes entscheidet. Doch Jesus wusste wohl von Anfang an, dass er mit seiner Forderung seine Jünger und seine Hörer überforderte und dass er ähnlich wie die Propheten und der Täufer menschlich gesehen erfolglos bleiben werde. Im Vertrauen auf Gott, seinen Vater, konnte er seine Botschaft trotzdem durchhalten und sie wohl von Anfang an mit dem Gedanken des Leidens verbinden (Mk 12,1–12), wobei ihm die Möglichkeit des Martyriums gegen Ende immer stärker zur Gewissheit wurde (Mk 14,25). Sein proexistenter Einsatz für die Unbußfertigen und Sünder, sein Lebensdienst (Lk 22,27) wird in seinem Leiden und Sterben zum proexistenten Todesdienst (Mk 10,45). Die in der Taufe begründete Kreuzesnachfolge Jesu (Röm 6,3ff.) ist darum die Grundgestalt christlicher Buße.

 2. Das Neue Testament deutet das Kreuz Jesu Christi mit Begriffen wie „Stellvertretung“, „Opfer“, „Sühne“. Alle diese Begriffe sind heute sehr vielen Menschen nur schwer zugänglich und müssen deshalb sorgfältig aufgeschlüsselt und interpretiert werden. Dies ist in einer hinführenden und vorbereitenden Weise möglich durch den Hinweis auf die solidarische Struktur des Menschseins: Das Sein, Tun und Lassen des anderen und der anderen bestimmt den Einzelnen in seinem eigenen Sein und Tun. So kann neu verständlich werden, dass Jesus Christus durch seinen Gehorsam und seine Hingabe „für die vielen“ die seinsmäßige Situation jedes menschlichen Daseins neu bestimmt hat. Voll verständlich werden die Aussagen über den stellvertretenden Charakter der Erlösungstat Jesu Christi freilich erst, wenn man hinzunimmt, dass in Jesus Christus Gott selbst in die conditio humana eingegangen ist, so dass in der Person des Gott-Menschen Jesus Christus Gott die Welt mit sich versöhnt hat (2 Kor 5,19). So gilt: „Einer ist für alle gestorben, also sind alle gestorben [...]. Wenn also einer in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung“ (2 Kor 5,14.17). Die Erlösung von der Sünde bzw. die Vergebung der Sünden geschieht also durch das admirabile commercium. Gott hat den, „der keine Sünde kannte, für uns zur Sünde gemacht, damit wir in ihm Gerechtigkeit Gottes würden“ (2 Kor 5,21; vgl. Röm 8,3f.; Ga1 3,13; 1 Petr 2,24). „Gottes Sohn hat in der mit sich geeinten menschlichen Natur durch seinen Tod und seine Auferstehung den Tod besiegt und so den Menschen erlöst und ihn umgestaltet zu einem neuen Geschöpf“ (LG 7). „Da in ihm die menschliche Natur angenommen wurde, ohne dabei verschlungen zu werden, ist sie dadurch auch schon in uns zu einer erhabenen Würde erhöht worden. Denn er, der Sohn Gottes, hat sich in seiner Menschwerdung gewissermaßen mit jedem Menschen vereinigt“ (GS 22) [2].

3. Die christliche Buße ist Teilnahme am Leben, Leiden und Sterben Jesu Christi. Dies geschieht „per fidem et caritatem et per fidei sacramenta“ [3]. Die christliche Buße wird durch die Taufe, die das Sakrament der Umkehr zur Vergebung der Sünden (Apg 2,38) und das Sakrament des Glaubens ist, grundgelegt; sie muss das ganze Leben des Christen bestimmen (Röm 6,3ff.). Die christliche Buße darf deshalb nicht in erster Linie ethisch und aszetisch, sondern muss grundlegend sakramental als von Gott geschenkte Gabe eines neuen Seins verstanden werden, das dann freilich zum ethischen und aszetischen Tun drängt. Sie darf nicht nur punktuell in einzelnen Akten geschehen, sondern muss die ganze christliche Existenz prägen. In dieser Aussage liegt das berechtigte Anliegen der ersten Ablassthese Luthers vom 31. Oktober 1517 [4]. Schließlich darf die Buße nicht individualistisch verkürzt werden. Sie ist in der Nachfolge Jesu vielmehr sowohl als Gehorsam gegenüber dem Vater wie als stellvertretender Dienst für die anderen und für die Welt zu begreifen.

 

III. Die ekklesialen Grundlagen

1. Das Werk der Versöhnung Gottes durch Jesus Christus bleibt durch den Heiligen Geist lebendige Gegenwart und gewinnt umfassende Wirklichkeit in der Gemeinschaft der Glaubenden. Dies schliesst nicht aus, dass durch das Wirken des Pneuma auch außerhalb der Grenzen der Kirche Versöhnung geschieht. Die Kirche ist aber in Jesus Christus gleichsam das sakramentale Zeichen der Vergebung und Versöhnung für die ganze Welt. Sie ist dies in dreifacher Weise: a) Sie ist Kirche für die Armen, Leidenden und Entrechteten, deren Not zu erleichtern sie sich müht, und in denen sie Jesus Christus dient. b) Sie ist die Kirche der Sünder, die zugleich heilig ist und stets den Weg der Umkehr und Erneuerung gehen muss. c) Sie ist die verfolgte Kirche, die „zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf dem Pilgerweg dahinschreitet“ (LG 8). So lebt die Kirche grundlegend aus der Vergebung Gottes in Jesus Christus. Sie ist jedoch nicht nur Zeichen dieser Versöhnung, sondern auch ihr wirksames Werkzeug in der Welt (LG 1; 11 u.a.). Sie ist dies, indem sie durch das Wort der Buße und der Versöhnung, durch das Sakrament der Buße und der Versöhnung und durch ihren ganzen Dienst der Versöhnung die Versöhnung verkündet und vermittelt, die Gott uns in Jesus Christus geschenkt hat.

2. Sakramentales Zeichen der Versöhnung für die Welt kann die Kirche nur sein, weil und wenn das Wort und der Dienst der Versöhnung in ihr selbst lebendig ist. Nach dem Vorbild des versöhnenden Gottes impliziert die brüderliche Gemeinschaft der Kirche die Bereitschaft der Glaubenden zur Vergebung (Eph 4,32; Kol 3,13; Lk 17,3f.; Mt 18,21f.). Die von Gott empfangene Vergebung zielt auf ein brüderliches Verzeihen (Mt 5,23f.; 6,12.14f.; Mk 11,25f.). In der Vergebung der Gemeinde kommt die versöhnende Liebe Jesu Christi auf den sündigen Bruder zu. Mahnung und Zurechtweisung (Mt 18,15f.) haben den Sinn, den in seinem Heil gefährdeten Bruder zu retten. Die Fürsorge für den irrenden Bruder muss unermüdlich und die Bereitschaft zur Vergebung muss unbegrenzt sein (Mt 18,21f.).

Der Ernst des Heilsangebotes Gottes verlangt jedoch auch die Beachtung eines weiteren Aspekts: Durch die Sünde wird die Kirche selbst verwundet, gerade als Zeichen der Versöhnung Gottes mit den Menschen und der Menschen untereinander. Darum stehen Verfehlungen gegen die Gottesverehrung und Verletzungen der Nächstenliebe in einem engen Zusammenhang. Das Gericht umgreift beide Aspekte, wie besonders die Identifizierung Jesu mit den geringsten seiner Brüder erweist (Mt 25,40.45). Darum muss die Kirche selbst immer wieder vom Bösen gereinigt werden und den Weg der Umkehr und Erneuerung gehen (LG 8). Die Umkehr zu Gott ist so zugleich die Hinkehr zu den Brüdern und die Versöhnung mit der kirchlichen Gemeinschaft. Der Umkehrende muss den Weg zurückgehen, auf dem zuerst die Versöhnung zu ihm gekommen ist. „Ecclesiae caritas quae per Spiritum sanctum diffunditur in cordibus nostris, participum suorum peccata dimittit“ [5] . So gibt es keine Vergebung der Verfehlungen ohne die Kirche. Die Versöhnung mit der Kirche und die Versöhnung mit Gott sind voneinander nicht zu trennen.

3. Das Neue Testament rechnet trotz aller Ermahnung zur grenzenlosen Vergebungsbereitschaft mit gravierenden Verletzungen der christlichen Liebe zu Gott und dem Nächsten. Dabei wird ein gestuftes Verfahren der Versöhnung sichtbar: Gewinnen des Bruders, Mahnung, Zurechtweisung, Schelten, Ausschluss (Mt 18,15–20 und auch 1 Kor 5,1–13; 2 Kor 2,5–11; 7,10–13). Dabei ist die Hartnäckigkeit und Verstocktheit in einer bestimmten Fehlhaltung ein besonders wichtiges Kriterium für die Schwere des Vergehens. Um der Reinheit der Gemeinde willen kann also ein Verfahren des Ausschlusses unerlässlich werden.

4. Die Vollmacht der Sündenvergebung, die Jesus zukommt (Mk 2,1–12), wird auch „den Menschen“ (Mt 9,8) gegeben. An einigen Stellen des Neuen Testaments (vgl. bes. Mt 18,17) steht dabei zunächst die Kirche als ganze im Vordergrund, die freilich Dienste und Ämter hat. Auch wenn in einigen Aussagen der beauftragte Personenkreis nicht mit letzter Eindeutigkeit feststeht (Mt 18,15–20; Joh 20,22f.), so ist der allgemeine Auftrag zur Versöhnung (Mt 5,23f.) von der amtlichen Vollmacht zum Vergeben bzw. Behalten der Sünden qualitativ unterschieden. Das Wort und der Dienst der Versöhnung werden nämlich in besonderer Weise dem apostolischen Amt in der Kirche übertragen. Es ist gesandt an Christi Statt, und Gott ist es, der durch es mahnt (2 Kor 5,20; 1 Kor 5,1–13; 2 Kor 2,5–11; 7,10–13). An dieser Stelle ist die Verbindung zu der dem Apostel Petrus verliehenen umfassenden Lehr- und Leitungsvollmacht wichtig (Mt 16,18f.). Gerade bei Vergehen, die vom Reich Gottes ausschliessen (1 Kor 6,9f.; Gal 5,20f.; Eph 5,5; Offb 21,8; 22,15; Hebr 6,4–6; 10,26f.; 1 Joh 5,16; Mt 12,31f.), ist es notwendig, dass die Vollmacht des Vergebens oder Nichtvergebens der Sünden dem übertragen wird, dem die Schlüssel des Himmelreiches gegeben sind. Ein grundlegendes Vergehen gegen Gott und die Kirche kann nur durch ein eindeutiges, authentisches Wort der Vergebung im Namen Jesu Christi und in seiner Vollmacht (auctoritas) bewältigt werden. Die dazu notwendige spezifische Vollmacht hat Jesus Christus dem Amt übertragen, das mit Vollmacht der Kirche vorsteht und das mit dem Dienst der Einheit beauftragt ist.

Durch diesen in der Stiftung Jesu Christi begründeten vollmächtigen Dienst wirkt Gott selbst die Vergebung der Sünden (Mt 16,19; 18,18; Joh 20,23). Gemäß der Stiftung Jesu Christi vergibt Gott durch den Heiligen Geist, wenn die Kirche in ihren amtlichen Vertretern von der Sündenlast losspricht. Diese Struktur des Sakramentes der Buße ist der Kirche im Laufe ihrer Geschichte in einer allmählichen Reflexion auf den Sinn der Schrift immer mehr aufgegangen [6] und wurde auf dem Konzil von Trient für verbindlich erklärt [7]. Das II. Vatikanische Konzil hat den ekklesialen Aspekt der Vergebung im Sakrament der Buße nochmals deutlich herausgestellt (LG 11) [8].

Zusammenfassend kann man also sagen: Der Ausschluss (excommunicatio – binden) aus der vollen Gemeinschaft der Kirche, dem universale salutis sacramentum, hat Gültigkeit im Himmel (= vor Gott) und bedeutet den Ausschluss von den Sakramenten des Heils, besonders von der Eucharistie. Die Wiederaufnahme (reconciliatio – lösen) in die volle Kirchengemeinschaft (=Eucharistiegemeinschaft) ist zugleich Versöhnung mit Gott (Sündenvergebung). So ist bei der sakramentalen Buße die Wiederaufnahme in die volle sakramentale Kirchengemeinschaft das sakramentale Zeichen (res et sacramentum) der erneuerten Gemeinschaft mit Gott (res sacramenti). Diese altkirchliche Idee vom Sakrament der Buße muss durch Verkündigung und Katechese wieder deutlicher dem Bewusstsein der Kirche eingeprägt werden.

5. Die Buße muss im organischen Zusammenhang mit den übrigen Sakramenten gesehen werden. Sie ist zuerst als Wort der Versöhnung an alle gegenwärtig in der umfassenden Verkündigung der Kirche. Ein zentrales Zeugnis dafür ist der Artikel in den Glaubensbekenntnissen: „Ich glaube [...] die Vergebung der Sünden“. Vergebung zeigt sich dann in der Bekehrung, in der sich der Glaubende von seinem bisherigen sündigen Leben abwendet, sich mit seinem ganzen Herzen zu Gott hinkehrt, der ihn durch den Nachlass der Sünden aus der unheilvollen Situation befreit und ihm ein neues Leben im Geist eröffnet. Diese Bekehrung erfolgt grundlegend durch Glaube und Taufe. In der Taufe wird die Mitteilung des Geistes besiegelt; der Glaubende wird Glied am Leib Christi, der Kirche. Die Taufe bleibt so auch die Grundlage für die Vergebung späterer Sünden. Die Buße der Getauften, die bei den aus dem Wasser und dem Geist Neugeborenen manchmal als ganz unmöglich und in der altkirchlichen Buße als nur einmalig vollziehbar erschien, verlangt nicht nur – wie bei der Taufe – aufrichtige Reue als Disposition zur Vergebung, sondern auch den festen Willen zur Besserung und Genugtuung sowie das Bekenntnis vor der Kirche in ihren amtlichen Vertretern. Obwohl auf die Taufe zurückbezogen, ist die Buße ein eigenes Sakrament mit einem eigenen Zeichen und einer besonderen Wirkung. Sie ist ihrer inneren Bestimmung nach eine Ergänzung zur Taufe [9].

Als zweite Taufe ist das Sakrament der Buße zugleich eine Voraussetzung für den Empfang der übrigen Sakramente [10]. Das gilt besonders für die Eucharistie, die der Höhepunkt des geistlichen Lebens der Kirche und des einzelnen Gläubigen ist (LG 11). Die Krankensalbung hat schon von Anfang an (Jak 5,15) [11] einen Bezug zur Sündenvergebung. „Hoc sacramentum [...] praebet etiam, si necesse est, veniam peccatorum et consummationem paenitentiae christianae.“ [12] Im Angesicht der Vollendung des menschlichen Pilgerweges oder wenigstens bei einer schweren physischen Bedrohung des menschlichen Lebens ist die Krankensalbung eine eigene Form der Tauferneuerung. Das alles zeigt den engen Zusammenhang von Taufe – Buße – Krankensalbung und deren Bezug auf die Eucharistie, der Mitte des sakramentalen Lebens der Kirche.

 

IV. Dogmen- und theologiegeschichtliche Grundlagen

a) Die Konstanten in der geschichtlichen Entwicklung

1. Die wesentliche Struktur des Sakraments der Buße ist bereits in der apostolischen und nachapostolischen alten Kirche bezeugt. Von besonderer, wenngleich nicht ausschließlicher Bedeutung ist das Wort vom „Binden und Lösen“ in Mt 16,19 und 18,18 sowie dessen Variante in Joh 20,23 (s.o. B III, 4). Das Wesentliche dieses Sakraments besteht also darin, dass die Versöhnung des Sünders mit Gott durch die Versöhnung mit der Kirche geschieht. Entsprechend besteht das Zeichen des Sakraments der Buße in einem doppelten Vorgang: einerseits in den menschlichen Akten der Umkehr (conversio) durch von der Liebe bewegte Reue (contritio), äußeres Bekenntnis (confessio) und Genugtuung (satisfactio) (anthropologische Dimension), andererseits darin, dass die kirchliche Gemeinschaft unter der Leitung des Bischofs und der Priester im Namen Jesu Christi die Vergebung der Sünden anbietet, die notwendigen Formen der Genugtuung festlegt, für den Sünder betet und stellvertretend mit ihm büsst, um ihm schließlich die volle kirchliche Gemeinschaft und die Vergebung seiner Sünden zuzusprechen (ekklesiale Dimension).

2. Der entscheidende Vorgang in der geschichtlichen Entwicklung des Sakraments der Buße besteht darin, dass der personale Charakter dieses Sakraments immer deutlicher erkannt und herausgestellt wurde. In diesem Prozess der Personalisierung hat die lebendige Tradition der Kirche die Entwicklung innerhalb des Alten Testaments wie die Entwicklung vom Alten zum Neuen Testament nachvollzogen und sich tiefer zu Eigen gemacht (s.o. B I, 3). Weil in dieser Geschichte die Grundtendenz des biblischen Zeugnisses im universalen Konsens der Kirche zur Geltung kam, ist dieser Prozess der Personalisierung irreversibel. Er hat freilich auf der anderen Seite auch dazu geführt, dass die ekklesiale Dimension des Sakraments der Buße lange Zeit in den Hintergrund des Bewusstseins gedrängt wurde. In unserem Jahrhundert wurde der Gemeinschaftsaspekt der Buße wieder neu entdeckt. Das II. Vatikanische Konzil und der neue Ordo Paenitentiae haben diese Einsicht aufgegriffen. Es ist aber notwendig, sie noch tiefer im Bewusstsein der Gläubigen zu verankern und wieder zu einem sachgemäßen Ausgleich der beiden Aspekte des Sakraments der Buße zu gelangen. Um dieser pastoralen Aufgabe in der Gegenwart gerecht werden zu können, ist eine eingehendere Kenntnis der Geschichte des Sakraments der Buße unerläßlich. Sie weist bei aller Konstanz im Wesentlichen auch eine nicht unerhebliche Variabilität auf und zeigt damit zugleich den Raum der Freiheit, den die Kirche – „salva eorum substantia“ [13] – heute bei der Erneuerung des Sakraments der Buße hat.

b) Die Variablen in der geschichtlichen Entwicklung

1. Schon immer betraf die Versöhnung in der Kirche zwei unterschiedliche christliche Situationen: Auf der einen Seite ist sie eine Verwirklichung des in der Taufe begründeten Lebens, das zu einem beständigen Kampf gegen die „alltäglichen Sünden“ verpflichtet. Auf der anderen Seite soll die Bußpraxis diejenigen zum Leben der Gnade zurückführen und ihnen die Rechte der Taufe zurückgeben, welche das Siegel der Taufe verletzt haben durch Sünden, die zum Tode führen und die mit der christlichen Existenz unvereinbar sind. In der alten Kirche wurden die alltäglichen Sünden durch liturgische Gebete, an denen die ganze Gemeinde teilnahm, vergeben, besonders während der sonntäglichen Eucharistie; daneben waren auch vielfältige andere Formen der Buße von Bedeutung (s.u. C I, 3). Die Bussdisziplin im eigentlichen Sinn betraf in der alten Kirche die zweite Situation. Beim Übergang von der öffentlichen zur privaten Buße wurde das Sakrament der Buße, das nunmehr wiederholt gespendet wurde, immer mehr ausgedehnt von den Todsünden auf die lässlichen Sünden. Eine einzige Form des Sakraments entsprach nun den beiden unterschiedlichen christlichen Situationen.

2. Das Bekenntnis der Sünden, das mit dem geistlichen Gespräch bei der Seelenführung verbunden ist, ist ein sehr altes Gut der Kirche. Auf der einen Seite gehört es zur Struktur des Vollzugs der Versöhnung und deshalb auch zur Grundstruktur des durch Jesus Christus eingesetzten Sakraments. Auf der anderen Seite hat es nach dem Zeugnis der monastischen und der spirituellen Tradition seinen Platz aber auch außerhalb des Sakraments. Die Entwicklung ging von diesen beiden Seiten aus; sie wurde von der geistlichen Erfahrung der Kirche geleitet. Sie führte dazu, dass seit dem Ausgang der Epoche der alten Kirche im frühen und hohen Mittelalter das Verlangen nach dem privaten Bekenntnis der Sünden immer mehr zunahm; geistliche Führung und sakramentale Buße wurden immer mehr miteinander verbunden.

3. In der Disziplin und in der Pastoral der Versöhnung hat die Kirche eine große Freiheit unter Beweis gestellt, indem sie die Disziplin ihrer Sakramente, deren Grundstruktur freilich nicht veränderlich ist, entsprechend den Bedürfnissen des christlichen Volkes und zum Besten des Dienstes an den Gläubigen auszugestalten versuchte. Der augenfälligste Wandel bestand in dem Übergang von der Vorherrschaft der öffentlichen Buße zur Vorherrschaft der privaten Bußpraxis. Aufgrund der Schwierigkeiten und der Abneigung, welcher die ältere Praxis verfallen war, hat die Kirche auf dem Weg über eine säkulare Entwicklung, die nicht ohne Verluste und Konflikte möglich war, zu einer erneuerten Disziplin gefunden, welche das Sakrament wieder mehr erstrebenswert und fruchtbarer gestaltete. Diese neue Gestalt des Sakraments führte auch zu einer Umstellung in der Ordnung der Bußakte: Ursprünglich wurde die Rekonziliation erst nach der Verrichtung der auferlegten Satisfaktion gewährt; nun wurde die Absolution bereits nach dem Bekenntnis der Sünden gewährt.

4. Außerdem gab es einen Übergang von einer Disziplin, welche bestimmte Fälle von nicht vergebbaren Sünden und das heißt einer lebenslangen Buße kannte, zu einer Disziplin, bei der alle Sünden vergeben wurden. Es gab weiterhin einen Übergang von der Praxis der einmaligen Buße zu der wiederholbaren Buße, von sehr strengen und sehr lange dauernden Bussauflagen zu leichteren Bussauflagen, von der ursprünglich vornehmlich öffentlichen Buße, welche den öffentlichen Sünden entsprach, zur privaten Buße, von der dem Bischof vorbehaltenen Rekonziliation zu der vom Priester gegebenen Absolution, von der deprekativen zur indikativen Absolutionsformel.

5. Die Gestalt der Akte des Poenitenten unterlag ebenfalls einem bemerkenswerten Wandel, und es kam oft dazu, dass einer von ihnen so stark betont wurde, dass die anderen in den Hintergrund traten. Die öffentliche Buße in der alten Kirche stand im Zeichen der äußeren, eine bestimmte Zeit dauernden satisfactio; die private Buße im Mittelalter und in der Neuzeit stand dagegen im Zeichen der contritio; in der Gegenwart dagegen wird der Akzent mehr auf die confessio gelegt. Da dieses Bekenntnis oft Sünden von geringerem existentiellen Gewicht betrifft, hat das Sakrament der Buße in manchen Fällen die Gestalt eines „billigen Sakraments“ angenommen. Confessio, contritio und satisfactio müssen deshalb wieder mehr in ihrer inneren Zusammengehörigkeit gesehen werden.

c) Die Lehre des Konzils von Trient

1. Die Lehräußerungen des Trienter Konzils über das Sakrament der Buße [14] müssen verstanden werden als Antwort auf ziemlich präzise und in der Kontroverse mit den Reformatoren damals aktuelle Fragen. Dieser Kontext und diese Intention sind von großer Bedeutung für die Interpretation des Trienter Dekrets über das Sakrament der Buße.

Die Fragen über die Versöhnung und das Sakrament der Buße, die im 16. Jahrhundert zwischen den Katholiken und den Reformatoren umstritten waren, betrafen u.a.:

a) die Einsetzung der Buße durch Jesus Christus als ein von der Taufe verschiedenes Sakrament;

b) die Beziehung des rechtfertigenden Glaubens zur Reue, zum Bekenntnis, zur Genugtuung und zur sakramentalen Lossprechung;

c) die Verpflichtung zum Bekenntnis aller schweren Sünden, näherhin die Frage, ob ein solches Bekenntnis möglich und ob es von Gott oder nur von der Kirche gefordert sei, ob es in Widerspruch stehe zur Rechtfertigung durch den Glauben, ob es zum Frieden oder zur Beunruhigung des Gewissens führe;

d) die Funktion des Beichtvaters, näherhin ob er angemessen als Verkündiger der unbedingten Verheissung der Nachlassung der Sünden durch Gott um Christi willen beschrieben werden kann, oder ob er auch als Arzt, Seelenführer, Wiederhersteller der durch die Sünde gestörten Schöpfungsordnung und als Richter bezeichnet werden müsse.

2. Als Antwort auf diese Fragen lehrte das Trienter Konzil über die sakramentale Beichte:

a) Sie dient dem geistlichen Wohl und dem Heil des Menschen, und zwar ohne dass sie notwendigerweise zur Beunruhigung des Gewissens führt; im Gegenteil, die Frucht dieses Sakraments ist oft Friede und Freude des Gewissens und Trost der Seele [15].

b) Sie ist ein notwendiger Teil innerhalb des Sakraments der Buße, das unangemessenerweise auf die Verkündigung der unbedingten Verheißung göttlicher Vergebung um des Verdienstes Christi willen reduziert wird [16].

c) Sie muss klar und unzweideutig sein, wenn es sich um Todsünden handelt; diese Verpflichtung besteht nicht für den Fall, dass es unmöglich ist, sich der Sünden zu erinnern [17].

d) Das vollständige Bekenntnis der Todsünden wird vom Heilswillen Gottes (iure divino) gefordert, damit die Kirche durch das geweihte Amt die Funktion des Richters, Arztes, des Seelenführers, des Wiederherstellers der durch die Sünde gestörten Schöpfungsordnung ausüben kann [18].

3. Trotz der Unterschiede über die Notwendigkeit des Bekenntnisses aller Todsünden besteht zwischen dem Trienter Konzil [19] und den lutherischen Bekenntnisschriften [20] ein beachtenswerter Konsens über den geistlichen Nutzen des Sündenbekenntnisses und der Absolution, der für das ökumenische Gespräch von Bedeutung ist und Ausgangspunkt sein kann für das Gespräch über die noch bestehenden Differenzen.

4. Trotz des kulturellen Pluralismus von heute bestehen bleibende reale Bedürfnisse, welche der ganzen Menschheit gemeinsam sind und denen die Hilfsmittel, welche aufgrund der göttlichen Barmherzigkeit aus dem Sakrament der Buße hervorgehen, auch heute bestens entsprechen:

a) Heilung von geistlichen Krankheiten;

b) Wachstum im persönlichen geistlichen Leben;

c) Anleitung für die Wiederherstellung der von der Sünde gestörten Ordnung und für die Beförderung der Gerechtigkeit, wie sie von der sozialen Natur sowohl der Sünde wie der Vergebung gefordert wird;

d) der wirksame göttliche und kirchliche Zuspruch der Vergebung der Sünden in einer Zeit, in der oft Feindschaft zwischen den Menschen und den Nationen herrscht;

e) Unterwerfung unter das Urteil der Kirche, die durch das kirchliche Amt über die Ernsthaftigkeit der Umkehr zu Gott und zur Kirche befindet.

5. Da es diese menschlichen und geistlichen Bedürfnisse gibt und da uns im Sakrament der Buße von Gott dafür die entsprechenden Heilmittel gegeben sind, muss das Bekenntnis der schweren Sünden, derer sich der Sünder nach gewissenhafter Prüfung seines Gewissens erinnert, aufgrund des Heilswillens Gottes (iure divino) einen unverzichtbaren Platz bei der Erlangung der Absolution behalten. Anders kann die Kirche die ihr von Jesus Christus, ihrem Herrn, im Heiligen Geist (iure divino) gegebenen Aufgaben nicht erfüllen, nämlich den Dienst des Arztes, des Seelenführers, des Anwalts der Gerechtigkeit und der Liebe im persönlichen wie im sozialen Leben, des Verkünders der göttlichen Verheißung der Vergebung und des Friedens in einer oft von der Sünde und von der Feindschaft beherrschten Welt, des Richters über die Ernsthaftigkeit der Bekehrung zu Gott und zur Kirche.

6. Das vollständige Bekenntnis der Todsünden gehört also iure divino notwendig zum Sakrament der Buße und ist daher weder dem Belieben des Einzelnen anheimgestellt noch der Entscheidung der Kirche überlassen. Das Konzil von Trient kennt jedoch den Begriff des sakramentalen Bekenntnisses in voto [21]. Deshalb kann die Kirche in außerordentlichen Notsituationen, in denen ein solches Bekenntnis nicht möglich ist, den Aufschub des Bekenntnisses gestatten und die Absolution einzeln oder gemeinsam (Generalabsolution) ohne vorhergehendes Bekenntnis erteilen. Dabei muss die Kirche freilich unter Berück­sichtigung der Möglichkeiten und der geistlichen Situation des Poenitenten für das spätere Bekenntnis der Todsünden Sorge tragen und die Gläubigen über die Verpflichtung dazu durch geeignete Mittel sorgfältig unterrichten. Über die Art und den Umfang solcher Notsituationen macht das Trienter Konzil selbst keine Aussagen. Zur Lösung schwieriger pastoraler Situationen stellt die von manchen empfohlene Ausweitung der in den Normae pastorales von 1972 [22] und im Ordo Paenitentiae genannten Situationen freilich nicht die einzige mögliche Lösung dar. Das Konzil verweist für Situationen, in denen eine hinreichende Anzahl von Beichtvätern nicht gegeben ist [23], eher auf die versöhnende Wirkung der kraft der Liebe vollkommenen Reue (contritio), welche die Versöhnung mit Gott schenkt, wenn sie das votum sacramenti und damit auch das votum confessionis einschließt [24]. Wie die Kirche hier auf der Grundlage der Lehre des Konzils von Trient konkret verfahren soll, ist eine Frage der pastoralen Klugheit und Liebe (s.u. C II, 4).

 

C. ÜBERLEGUNGEN ZU EINIGEN PRAKTISCH BEDEUTSAMEN FRAGEN

I. Einheit und Vielfalt der Bußformen

1. Formen der Buße gibt es auch in vor- und außerbiblischen Religionen. In ihnen bezeugt sich ein Urwissen der Menschheit um Schuld und Erlösungsbedürftigkeit. Die christliche Botschaft von der Buße und von der Versöhnung geht davon aus, dass alle Buße und Genugtuung ein für allemal von Jesus Christus in seinem gehorsamen Lebens- und Todesdienst am Kreuz geleistet worden ist. Die christliche Buße unterscheidet sich von den Bußpraktiken der anderen Religionen deshalb vor allem dadurch, dass sie sich vom Geist Jesu Christi bestimmen lässt und ihn in der persönlichen Bußgesinnung wie in den leiblichen Bußwerken zeichenhaft zum Ausdruck bringt. So müssen die christlichen Formen der Buße wenigstens anfänglich (saltem inchoative) und im Keim (in nucleo) von Glaube, Hoffnung und Liebe bewegt sein. Vor allem der Glaube an Gott ist der Grund, die bleibende Mitte und das Lebensprinzip der christlichen Buße. Die Hoffnung schenkt dem Bekehrten die Zuversicht, dass er mit Gottes Hilfe auf dem Weg der Bekehrung weiterschreiten und das eschatologische Heil erreichen wird. Damit hängt der Wegcharakter der Buße zusammen; sie kann mit „niedrigeren“ Motiven beginnen: Furcht vor Strafe, Furcht vor Gottes Gericht u.a. [25] und von dort zu den „höheren“ Motiven aufsteigen. Die Liebe zu Gott und zum Nächsten ist das tiefste Motiv, weshalb der Getaufte bereut, sich bekehrt und ein neues Leben führt [26]. Daraus folgt eine neue Weise der Gemeinschaft Gottes mit den Menschen und der Menschen untereinander (s.o. A II, 2f.; B III, 2.4).

2. Bei den vielen Formen der christlichen Buße und Sündenvergebung gibt es trotz der Pluralität ihrer Gestalten eine strukturelle Einheit des Gesamtgeschehens: Einsicht in individuelle oder gemeinschaftliche Schuld – Reue über das Begangene oder Unterlassene – Bekenntnis der Schuld – Bereitschaft zur Änderung des Lebens (einschließlich einer eventuell möglichen, jedoch grundsätzlich notwendigen Wiedergutmachung entstandenen Schadens) – Bitte um Vergebung – Empfang der Gabe der Versöhnung (Lossprechung) – Dank für die zugesprochene Vergebung – Leben in einem neuen Gehorsam. Die Praxis der Buße ist also in den einzelnen Formen der Buße ein dynamischer Prozess mit einer konsequenten Struktur. Die Pastoral und die Katechese der Versöhnung muss auf die Gesamtheit und die Ausgewogenheit der einzelnen Elemente achten.

3. Die eine Buße entfaltet sich in einer Vielfalt von Vollzugsweisen. Die Heilige Schrift und die Väter betonen das Zusammengehören der drei Grundformen: Fasten, Gebet und Almosen (Tob 12,8) [27]. Origenes [28] und Cassian [29] bieten längere Aufzählungen von Formen der Sündenvergebung. Außer den grundlegenden Auswirkungen der Taufgnade und dem Erleiden des Martyriums nennen sie z.B. die Versöhnung mit dem Bruder, die Tränen der Buße, die Sorge um das Heil des Nächsten, die Fürbitte der Heiligen und die Liebe. Hinzu kommen in der lebendigen Tradition der Kirche vor allem das Lesen der Heiligen Schrift und das Beten des Vaterunsers. Es müssen aber auch die vom Glauben inspirierten Vollzüge der Umkehr in der täglichen Lebenswelt genannt werden, z.B. Gesinnungswandel, gemeinsame Aussprache über Schuld und Sünde in einer Gemeinschaft, Gesten der Versöhnung, correctio fraterna, Versöhnungsbeichte. Gewisse Formen geistlicher Lebensführung haben einen sündentilgenden Charakter, wie z.B. die révision de vie, Schuldkapitel, seelsorgerliche Aussprache, Beichte der „Starzen“ im Zusammenhang mit der Mönchsbeichte. Nicht zu vergessen sind die ethischen Folgen einer neuen Lebensorientierung: Änderung des Lebensstils, Aszese und Verzicht in vielen Weisen, Taten der Nächstenliebe, Werke der Barmherzigkeit, Sühne und Stellvertretung.

Die gottesdienstlichen Formen der Sündenvergebung bestehen nicht bloß in den celebrationes paenitentiales (Bußfeiern), sondern auch in Besinnung und Gebet, Fürbitte und Stundengebet der Kirche, in der Lesung und Meditation der Heiligen Schrift und in der Eucharistiefeier (s.u. C IV, 1)[30]. Neben den spezifisch sakramentalen Formen der Sündenvergebung [31] ist auch an die Vollzugsweisen der heutigen Bußdisziplin zu erinnern [32]. Die Bußzeiten und Bußtage der Kirche im Laufe des Kirchenjahres sind besondere Schwerpunkte der Bußpraxis der Kirche.

 

II. Einzelbeichte – Bußfeier – Generalabsolution

1. Das Bewusstsein für den Reichtum und die Vielfalt der Bußformen ist oft verschüttet; es muss deshalb neu gestärkt und sowohl in der Verkündigung der Versöhnung als auch in der Pastoral der Buße zur Geltung gebracht werden. Eine Isolierung des Bußsakraments vom Ganzen des christlichen Lebens aus dem Geist der Versöhnung führt zu einer Verkümmerung des Sakraments selbst. Eine Engführung des Versöhnungsgeschehens auf nur wenige Formen kann mitschuldig werden an der Krise des Bußsakraments und die bekannten Gefahren des Ritualismus und der Privatisierung heraufbeschwören. Die verschiedenen Wege der Versöhnung dürfen also nicht in eine Konkurrenz zueinander gebracht werden, vielmehr muss die innere Einheit und die Dynamik zwischen den einzelnen Vollzugsweisen dargelegt und sichtbar gemacht werden. Die oben aufgezählten Formen (s.o. C I, 3) sind vor allem im Blick auf die Vergebung der „alltäglichen Sünden“ von Nutzen. Vergebung der Sünden kann nämlich auf vielfältige Weise geschenkt werden; die Vergebung der alltäglichen Sünden wird immer dann gewährt, wenn die Liebesreue (contritio) vorliegt [33].

2. Je klarer und überzeugender die genannten Formen und Dimensionen der Buße im alltäglichen Leben des Christen vollzogen werden, umso mehr wird auch das Verlangen nach der sakramentalen Einzelbeichte wachsen. Vor allem die schweren Sünden müssen nämlich in einem individuellen und möglichst umfassenden Bekenntnis der Schuld vor der Kirche in ihren amtlichen Vertretern zur Sprache gebracht werden. Ein allgemeines Sündenbekenntnis genügt nicht, weil der Sünder – soweit nur möglich – die Wahrheit seiner Schuld und die Art seiner Sünden konkret zum Ausdruck bringen muss und weil andererseits eine solche individuell-personale Bekundung der Schuld eine wirkliche Reue stärkt und vertieft. Für diese These sprechen sowohl anthropologische (s.o. A II, 3) als auch vor allem theologische Gesichtspunkte (s.o. B III, 4; B IVc, 2.5f.). Zur Vergebung solcher Sünden bedarf es also der sakramentalen Vollmacht. Freilich bedarf die authentische Gestalt der Einzelbeichte heute im Zusammenhang des erneuerten Ordo Paenitentiae einer tiefgreifenden geistlichen Erneuerung, ohne welche die Krise des Bußsakraments nicht bewältigt werden kann. Dafür ist vor allem eine tiefere spirituelle und theologische Bildung der Priester notwendig, damit sie den heutigen Anforderungen der Beichte genügen können, die mehr Elemente der geistlichen Führung und des brüderlichen Gesprächs enthalten muss. Gerade unter diesem Aspekt bleibt auch die sogenannte Andachtsbeichte wichtig.

3. Unter den celebrationes paenitentiales (Bußfeiern) wird manchmal Unterschiedliches verstanden. In diesem Zusammenhang sind damit liturgische Feiern der versammelten Gemeinde gemeint, in denen der Ruf zur Buße und die Verheißung der Versöhnung verkündet werden, ein allgemeines Sündenbekenntnis, aber kein individuelles Sündenbekenntnis und keine individuelle Absolution oder Generalabsolution stattfindet. Diese Art von Bußfeiern können den kommunitären Aspekt der Sünde und der Vergebung deutlicher vortreten lassen; sie können den Geist der Buße und der Versöhnung wecken und vertiefen. Sie dürfen jedoch nicht mit dem Bußsakrament gleichgesetzt werden oder dieses gar einfachhin ersetzen. Solche Bußfeiern sind gewiss in ihrer inneren Finalität auf die sakramentale Einzelbeichte hingeordnet, sie haben jedoch nicht nur die Funktion der Einladung zur Bekehrung und der Disposition zum Bußsakrament, sondern sie können im Blick auf die alltäglichen Sünden bei einem echten Geist der Umkehr und bei ausreichender Reue (contritio) zu einem wahren Ort der Vergebung werden. So können die celebrationes paenitentiales eine wirksame Heilsbedeutung bekommen, auch wenn sie keine Form des Sakraments der Buße darstellen.

4. Der Ordo Paenitentiae kennt auch eine gemeinschaftliche Feier der Versöhnung mit allgemeinem Bekenntnis und Generalabsolution. Diese setzt ethisch und rechtlich eindeutige Normen voraus, die pastoral beachtet werden müssen [34].

Daraus ergibt sich, dass sich diese Form der sakramentalen Versöhnung auf außerordentliche Notsituationen bezieht. Wie die Praxis gelegentlich gezeigt hat, kann die Generalabsolution außerhalb solcher außerordentlicher Notsituationen leicht zu Missverständnissen grundsätzlicher Art über das Wesen des Sakraments der Buße, besonders über die prinzipielle Notwendigkeit des persönlichen Sündenbekenntnisses, die Wirkung der sakramentalen Lossprechung, welche die Reue und zumindest das votum confessionis voraussetzt, führen. Solche Missverständnisse und daraus entstehende Missbräuche schaden dem Geist und dem Sakrament der Versöhnung.

Die schwierige, teilweise dramatische pastorale Situation in manchen Teilen der Kirche bringt es freilich mit sich, dass viele Gläubige kaum die Möglichkeit haben, das Sakrament der Buße zu empfangen. In solchen Notsituationen ist es unerlässlich, den betroffenen Gläubigen Wege zu zeigen, die ihnen den Zugang zur Sündenvergebung und zum Empfang der Eucharistie ermöglichen. Die kirchliche Überlieferung kennt die durch das Trienter Konzil bestätigte Möglichkeit, in solchen Situationen durch die vollkommene Reue (contritio) die Vergebung der schweren Sünden zu erlangen, wobei nach derselben Überlieferung die vollkommene Reue immer auch das Verlangen (votum) einschließst, sobald wie möglich das Bußsakrament zu empfangen [35]. Wo keine Beichtväter verfügbar sind, dürfte nach der Lehre des Trienter Konzils eine solche vollkommene Reue eine hinreichende Voraussetzung für den Empfang der Eucharistie sein (s.o. B IVc, 6) [36]. In den meisten pastoralen Notsituationen wird diese Möglichkeit angemessener sein als die Generalabsolution, weil so die Verpflichtung zum späteren persönlichen Bekenntnis den meisten Gläubigen psychologisch leichter einsichtig gemacht werden kann. Die ekklesiale Dimension einer solchen vollkommenen Reue kann durch die oben genannten Bußfeiern zum Ausdruck gebracht werden.

5. Die gegenwärtige Krise der Buße und des Sakraments der Buße kann nicht durch die Betonung einer einzigen Form der Buße allein bewältigt werden, sondern nur durch ein integratives Konzept, das dem vielschichtigen Verhältnis und der gegenseitigen Ergänzung der einzelnen Bußformen Rechnung trägt. Dabei wird es auch darauf ankommen, die einzelnen Formen der Buße wieder mehr in den Vollzug des Sakraments der Buße zu integrieren, um so der sakramentalen Buße im Bewusstsein der Gläubigen wieder mehr existentielles Gewicht zu geben.

 

III. Sünde – schwere Sünde – alltägliche Sünden

1. Die Umkehr als Abkehr von der Sünde und Hinkehr zu Gott setzt das Bewusstsein der Sünde als Heillosigkeit voraus. Die gegenwärtige Krise des Sakraments der Buße steht in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Krise des Sündenverständnisses und des Sündenbewusstseins, wie es in weiten Teilen der Welt festzustellen ist. Dabei spielt auch das Empfinden vieler Menschen unserer Zeit eine Rolle, dass die pastoralen Bemühungen der Kirche (Predigt, Katechese, persönliches Gespräch u.a.) in vielfacher Weise hinter ihren Möglichkeiten zurückgeblieben sind (s.o. A I, 2). Deshalb ist es notwendig, das authentische christliche Verständnis der Sünde wieder neu zu erschließen.

Wenn uns die Heilige Schrift auch keine eigentliche Definition der Sünde bietet, so enthält sie doch eine Fülle von Einzelaussagen, die in mehrfacher Hinsicht und in unterschiedlichen Bezügen eine Deutung der Sünde enthalten. So nennt die Heilige Schrift die Sünde u.a.:

a) Heillosigkeit (amartia): Gottlosigkeit, Verweigerung der Anerkennung Gottes (Röm 1,18ff.), Bruch des Bundes mit Gott;

b) Widerspruch gegen den geoffenbarten Willen Gottes (anomia): Widerspruch gegen das Gesetz Gottes und gegen seine Gebote;

c) Unrecht und Schuld (adikia): Weigerung, aus der von Gott geschenkten Gerechtigkeit zu leben;

d) Lüge und Finsternis (pseudos, skotos): Widerspruch gegen die Wahrheit Gottes, gegen Jesus Christus, der der Weg, die Wahrheit und das Leben ist (Joh 14,6), gegen den Mitmenschen und gegen die Wahrheit des Menschseins selbst. Wer sündigt, kommt nicht ans Licht, er bleibt in der Finsternis (s.o. B I, 1–3).

Auf diesem Hintergrund wird deutlich, dass jede Sünde in Relation zu Gott steht; sie ist Abkehr von Gott und seinem Willen und Verabsolutierung geschaffener Güter. Das Bewusstsein und das Verständnis für die Sünde kann deshalb nur auf dem Weg der Verkündigung Gottes und seiner Heilsbotschaft und der Weckung eines erneuerten und vertieften Gespürs für Gott geschehen. Nur wenn deutlich wird, dass die Sünde in Relation zu Gott steht, kann auch verständlich werden, dass nur von Gott her Vergebung der Sünde geschehen kann.

2. Bereits in der Paränese und Bußpraxis der frühen christlichen Gemeinden bildeten sich Unterscheidungen in der Art der Sünden heraus:

a) Sünden, die vom Reich Gottes ausschließen wie Unzucht, Götzendienst, Ehebruch, Knabenschändung, Habgier u.a. (1 Kor 6,9f.) und die zugleich zum Ausschluss aus der Gemeinde führen (1 Kor 5,1–13; s.o. B III, 4);

b) so genannte alltägliche Sünden (peccata quotidiana).

Die grundsätzliche Unterscheidung von schweren und nicht schweren Sünden ist in der gesamten Tradition der Kirche gelehrt worden, wenn auch mit bedeutenden Unterschieden in der Terminologie und in der Gewichtung der einzelnen Sünden.

Manchmal wird versucht, diese Zweiteilung in schwere und nicht schwere Sünden zu ersetzen bzw. zu ergänzen durch die dreifache Unterscheidung zwischen crimina (peccata capitalia), peccata gravia und peccata venialia. Diese Dreiteilung hat auf der phänomenologisch-deskriptiven Ebene ihr Recht; auf der theologischen Ebene darf jedoch nicht der grundsätzliche Unterschied verwischt werden zwischen dem Ja und dem Nein zu Gott, zwischen dem Stand der Gnade, dem Leben in der Gemeinschaft und Freundschaft mit Gott einerseits und dem Stand der Sünde, der Abkehr von Gott, die zum Verlust des ewigen Lebens führt, andererseits. Denn zwischen beiden kann es wesensmäßig kein Drittes geben. So bringt die traditionelle zweiteilige Unterscheidung den Ernst der sittlichen Entscheidung des Menschen zum Ausdruck.

3. Mit diesen Differenzierungen hat die Kirche bereits in früheren Jahrhunderten – jeweils in den Denkweisen und Ausdrucksformen der Zeit – das berücksichtigt, was heute unter den gegenwärtigen Einsichten und Umständen in kirchlichen Lehräußerungen und in theologischen Reflexionen über den Unterschied und das Verhältnis von schwerer und nicht schwerer Sünde von grossem Gewicht ist:

a) Von der subjektiven Seite her: Die Freiheit der menschlichen Person muss aus ihrer Relation zu Gott gesehen werden. Deshalb gibt es die Möglichkeit des Menschen, aus der Mitte seiner Person das Nein zu Gott (aversio a Deo) als Grundentscheidung über den Sinn seines Daseins zu fällen. Diese Grundentscheidung geschieht im „Herzen“ des Menschen, in der Mitte seiner Person. Sie ist aber aufgrund der raumzeitlichen Existenz des Menschen durch konkrete Akte vermittelt, in denen sich die Grundentscheidung des Menschen mehr oder weniger voll ausdrückt. Dazu kommt, dass der Mensch aufgrund der erbsündlich bedingten Gebrochenheit seiner Existenz unter Aufrechterhaltung des fundamentalen „Ja“ zu Gott mit „geteiltem Herzen“, d.h. nicht mit vollem Engagement leben und handeln kann;

b) Von der objektiven Seite her gibt es einerseits das schwer verpflichtende Gebot mit der Verpflichtung zu einem total verfügenden Akt und andererseits das leicht verpflichtende Gebot, dessen Übertretung normalerweise nur in einem analogen Sinn als Sünde bezeichnet werden kann, das aber doch nicht bagatellisiert werden darf, weil auch ein solches Handeln in die Freiheitsentscheidung eingeht und Ausdruck einer Grundentscheidung sein bzw. werden kann.

4. Dieses theologische Verständnis der schweren Sünde lehrt die Kirche, wenn sie von der schweren Sünde als Auflehnung gegen Gott, als Ablehnung Gottes und als Hinwendung zum Geschaffenen spricht, wie wenn sie in jedem Widerspruch zur christlichen Liebe und im Verhalten gegen die von Gott gewollte Ordnung der Schöpfung, in einer wichtigen Sache, vor allem in der Verletzung der Würde der menschlichen Person, ebenfalls eine schwere Verfehlung gegen Gott sieht. Diesen zweiten Aspekt betont die Kongregation für die Glaubenslehre mit dem Hinweis auf die Antwort Jesu an den jungen Mann, der ihn fragt: „Meister, was muss ich Gutes tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“. Jesus antwortete ihm: „Wenn du das Leben erlangen willst, halte die Gebote [...]. Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht falsch aussagen; ehre Vater und Mutter! Und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!“ (Mt 19,16–19) [37].

Nach dieser Lehre der Kirche bestimmt die Grundentscheidung letztlich die sittliche Verfassung des Menschen. Aber der Begriff „Grundentscheidung“ dient nicht als Kriterium, um konkret zwischen schwerer und nicht schwerer Sünde zu unterscheiden; vielmehr dient dieser Begriff dazu, theologisch zu verdeutlichen, was schwere Sünde ist. Obwohl der Mensch grundsätzlich seine Entscheidung in einem einzelnen Akt zum Ausdruck bringen oder verändern kann, wenn nämlich dieser Akt mit vollem Bewusstsein und voller Freiheit geschieht, so muss doch nicht in jede einzelne Tat schon die ganze Grundentscheidung eingehen, so dass nicht jede einzelne Sünde eo ipso auch schon eine Revidierung der (expliziten oder impliziten) Grundentscheidung sein muss. Nach der kirchlichen und theologischen Tradition ist für einen Christen, der sich im Stand der Gnade befindet und der sich aufrichtig am sakramentalen Leben der Kirche beteiligt, eine schwere Sünde wegen der „Schwerkraft“ der Gnade nicht leichthin möglich und nicht das Normale im christlichen Leben [38].

 

IV. Buße und Eucharistie

1. Die Frage nach der Beziehung zwischen Buße und Eucharistie konfrontiert uns in der Tradition der Kirche mit zwei Gegebenheiten, die nur scheinbar widersprüchlich, in Wirklichkeit gerade in ihrer immanenten Spannung fruchtbar sind:

a) Auf der einen Seite ist die Eucharistie das Sakrament der Einheit und der Liebe für die Christen, die in der Gnade Gottes leben. Die alte Kirche ließ zur Kommunion nur die Getauften zu, die, wenn sie Sünden zum Tode begangen hatten, nach der öffentlichen Buße rekonziliiert worden sind. Desgleichen verlangt das Konzil von Trient, dass derjenige, der sich einer schweren Sünde bewusst ist, nicht kommuniziert und nicht zelebriert, bevor er nicht die sakramentale Buße empfangen hat [39]. Doch es spricht dabei nicht von einer Verpflichtung iure divino; es übersetzt vielmehr die Verpflichtung, sich zu prüfen, um erst dann von dem Brot zu essen und aus dem Kelch zu trinken (1 Kor 11,28), auf die Ebene der Disziplin. Deshalb kann diese Verpflichtung Ausnahmefälle erlauben, etwa wenn keine Beichtväter verfügbar sind; in diesem Fall muss die contritio aber das votum sacramenti einschliessen (s.o. B IV, c, 6; C II, 4). Trotzdem schließt das Konzil die weiterreichende These des Cajetan aus [40]. Die Eucharistie ist in der Kirche also keine Alternative zum Sakrament der Buße.

b) Auf der anderen Seite vergibt die Eucharistie Sünden. Die alte Kirche war der Überzeugung, dass die Eucharistie die alltäglichen Sünden vergibt [41]. Auch das Konzil von Trient spricht von der Eucharistie als „Gegengift, durch das wir von den täglichen Vergehen befreit und vor schweren Sünden bewahrt“ werden [42]. Die Vergebung der schweren Sünden schenkt die Eucharistie vermittels der Gnade und der Gabe der Buße [43], die nach der Lehre des Konzils das sakramentale Bekenntnis zumindest in voto einschließt (s.o. B IV, c, 6). Diese Kraft der Eucharistie zur Vergebung der alltäglichen Sünden ist darin begründet, dass sie die memoria, d.h. die sakramentale Vergegenwärtigung (repraesentatio) des ein für allemal dargebrachten Opfers Jesu Christi ist, dessen Blut vergossen wurde zur Vergebung der Sünden (Mt 26,28). [44]

2. Beichte und Kommunion der Kinder. Die Bildung des Gewissens für das Verständnis der Sünde und der Buße bei den Kindern muss dem Alter und der Erfahrung der Kinder Rechnung tragen und darf nicht einfach das Bewusstsein und die Erfahrungen der Erwachsenen auf die Kinder übertragen. Dennoch kann die Beichte der Kinder als Sakrament der Bekehrung (metanoia) nicht als Ziel der religiösen Erziehung betrachtet werden. Denn gerade durch die Praxis des Sakraments wird das Kind wachsen im lebendigen Verständnis der Buße.

 

AUSBLICK

Die Erneuerung der Haltung und des Sakraments der Umkehr und der Versöhnung steht im Zusammenhang der Verlebendigung der Botschaft von Gott, der reich ist an Erbarmen (Eph 2,4), vor allem mit der Botschaft von der Versöhnung, die Gott durch Tod und Auferstehung Jesu Christi ein für allemal geschenkt und im Heiligen Geist bleibend gegenwärtig macht in der Kirche. Die Erneuerung der Umkehr und der Versöhnung ist darum nur dann möglich, wenn es gelingt, den Sinn für Gott wieder mehr zu wecken, den Geist der Nachfolge Jesu und die Haltungen von Glaube, Hoffnung und Liebe in der Kirche zu vertiefen. Die Erneuerung des Sakraments der Buße ist nur möglich innerhalb und im Ganzen des Organismus aller Sakramente und aller Formen der Buße.

Diese umfassende und aus der Mitte der christlichen Botschaft kommende spirituelle Erneuerung schließt eine Erneuerung des Sinns für die personale Würde des Menschen, der durch die Gnade zur Gemeinschaft und Freundschaft mit Gott berufen ist, ein. Nur wenn der Mensch umkehrt, Gottes Gottsein anerkennt und aus der Gemeinschaft mit Gott heraus lebt, findet er auch den wahren Sinn seines eigenen Daseins. Deshalb ist es wichtig, dass bei der Erneuerung des Sakraments der Buße der anthropologischen Dimension dieses Sakraments Rechnung getragen wird und die unlösbare Zusammengehörigkeit der Versöhnung mit Gott und der Versöhnung mit der Kirche und mit den Brüdern deutlich wird. Auf diese Weise kann es gelingen, dem Sakrament der Buße durch schöpferische Treue zur Tradition der Kirche auf der Linie des neuen Ordo Paenitentiae eine Gestalt zu geben, die den geistlichen Bedürfnissen und Nöten der Menschen entspricht.

Nicht zuletzt muss die Kirche insgesamt durch ihre martyria, leiturgia und diaconia Sakrament, d.h. Zeichen und Werkzeug der Versöhnung für die Welt sein und durch alles, was sie ist und was sie glaubt, die Botschaft von der Versöhnung, die Gott durch Jesus Christus geschenkt hat, im Heiligen Geist bezeugen und vergegenwärtigen.

 



* Internationale Theologische Kommission, Versöhnung und Buße, Schlußdokumente 1982, 29. Juni 1983: maschinengeschriebenes Original  - Italienische Version: CivCatt 135(1984) 1/3205, pp. 45-72.

 

[1] Vgl. Thomas von Aquin, IV Sent., dist. XXII, 2, 3, Bd. 2.

[2] Vgl. dazu Internationale Theologische Kommission, Ausgewählte Fragen zur Christologie, Abschnitt 9.

[3] Thomas von Aquin, S.th. III, 49, 3 ad 1 und 49, 5 (ed. Leon., t. XI, 474 und 475–476; Deutsche Thomas-Ausgabe, Bd. 28, Graz 1956, 111–112 und 116–119).

[4] Vgl. Martin Luther, Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum (WA 1, 233): „Dominus et magister noster Jesus Christus dicendo: ‚Paenitentiam agite, etc.‘ (Mt 4,7) omnem vitam fidelium paenitentiam esse voluit.“

[5] Augustinus, In Iohannis Evangelium 121, 4 (CCL 36, 667).

[6] Vgl. die Bedeutung von Mt 16,19 und 18,18 bei Tertullian, De pudicitia XXI, 9–10 (CCL 2, 1327); zu Joh 20,23 bei Origenes, De oratione 28, 9 (GCS 3, 380–381).

[7] Vgl. den Rückgriff auf Joh 20,23 in Konzil von Trient, 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Buße (DH 1670; 1679; 1684; 1692) und Kanones über das Sakrament der Buße (DH 1703).

[8] Vgl. auch den erneuerten Ordo Paenitentiae, Praenotanda II (De reconciliatione paenitentium in vita Ecclesiae. Reconciliatio cum Deo et cum Ecclesia 5), editio typica (Typis Polyglottis Vaticanis 1974) 11–12.

[9] Vgl. die klassischen Ausdrücke „paenitentia secunda“: Tertullian, De paenitentia VII, 10 (CCL 1, 334); „secunda planca salutis“: De paenitentia IV, 2 (CCL 1, 326); ibid. XII, 9 (CCL 1, 340), zit. in: Konzil von Trient, 6. Sitzung, Dekret über die Rechtfertigung (DH 1542); „laboriosus quidam baptismus“: Gregor von Nazianz, Oratio 39, 17 (SC 358, 188), zit. in: Konzil von Trient, 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Buße (DH 1672).

[10] Vgl. Richard von St. Viktor, De potestate ligandi et solvendi, 21 (PL 196, 1173).

[11] Vgl. dazu Konzil von Trient, 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Letzten Ölung (DH 1695f.; 1699) und Kanones über die Letzte Ölung (DH 1716).

[12] Ordo Unctionis Infirmorum, Praenotanda 6, editio typica (Typis Polyglottis Vaticanis 1972) 14, mit Verweis auf Konzil von Trient, 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Letzten Ölung (DH 1694; 1696).

[13] Konzil von Trient, 21. Sitzung, Lehre und Kanones über die Kommunion unter beiderlei Gestalten (DH 1728); vgl. Pius XII., Sacramentum Ordinis (DH 3857).

[14] Konzil von Trient, 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Buße (DH 1667–1693) und Kanones über das Sakrament der Buße (DH 1701–1715).

[15] Vgl. Konzil von Trient, 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Buße (DH 1674; 1682).

[16] Vgl. Konzil von Trient, 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Buße (DH 1679) und Kanones über das Sakrament der Buße (DH 1706; 1709).

[17] Vgl. Konzil von Trient, 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Buße (DH 1682) und Kanones über das Sakrament der Buße (DH 1707).

[18] Vgl. Konzil von Trient, 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Buße (DH 1679; 1680; 1685; 1692) und Kanones über das Sakrament der Buße (DH 1707).

 [19] Vgl. Konzil von Trient, 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Buße (DH 1680; 1682).

[20] Vgl. Confessio Augustana 12 (BSLK 66–67); ibid. 25 (BSLK 97–100); Apologia Confessionis Augustanae 12, 99.110 (BSLK 272 und 274).

[21] Vgl. Konzil von Trient, 6. Sitzung, Dekret über die Rechtfertigung (DH 1543).

[22] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Normae pastorales circa absolutionem sacramentalem generali modo impertiendam (16. Juni 1972), in: AAS 64 (1972) 510–514.

[23] Vgl. Konzil von Trient, 13. Sitzung, Dekret über das Sakrament der Eucharistie (DH 1661).

[24] Vgl. Konzil von Trient, 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Buße (DH 1677).

[25] Vgl. Konzil von Trient, 6. Sitzung, Dekret über die Rechtfertigung (DH 1526) und 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Buße (DH 1678).

[26] Vgl. Konzil von Trient, 6. Sitzung, Dekret über die Rechtfertigung (DH 1526) und 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Buße (DH 1676).

[27] Aufgegriffen im Konzil von Trient, 6. Sitzung, Dekret über die Rechtfertigung (DH 1543).

[28] Vgl. Origenes, In Leviticum homilia II, 4 (SC 286, 106–112).

[29] Vgl. Cassian, Collationes patrum XX, 8 (CSEL 13, 561–565).

[30] Vgl. Konzil von Trient, 22. Sitzung, Lehre und Kanones über das Messopfer (DH 1743).

[31] Vgl. die drei Celebrationes im Ordo Paenitentiae, editio typica (Typis Polyglottis Vaticanis 1974) 26–42.

[32] Vgl. Absolutio a censuris und dispensatio ab irregularitate im Ordo Paenitentiae, Appendix I, editio typica (Typis Polyglottis Vaticanis 1974) 79.

[33] Vgl. Konzil von Trient, 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Buße (DH 1677).

[34] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Normae pastorales circa absolutionem sacramentalem generali modo impertiendam (16. Juni 1972), in: AAS 64 (1972) 510–514; Ordo Paenitentiae, Praenotanda 35, editio typica (Typis Polyglottis Vaticanis 1974) 22–23; vgl. auch CIC (1983) cann. 960–963.

[35] Vgl. Konzil von Trient, 14. Sitzung, Lehre über das Sakrament der Buße (DH 1677).

[36] Vgl. Konzil von Trient, 13. Sitzung, Dekret über das Sakrament der Eucharistie (DH 1661).

[37] Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Persona humana de quibusdam quaestionibus ad sexualem ethicam spectantibus (29. Dezember 1975) 10, in: AAS 68 (1975) 89–90.

[38] Vgl. Thomas von Aquin, De Veritate 27, 1 ad 9 (ed. Leon., t. XXII/3, 792).

[39] Vgl. Konzil von Trient, 13. Sitzung, Dekret über das Sakrament der Eucharistie (DH 1647; 1661).

[40]Vgl. Konzil von Trient, 13. Sitzung, Dekret über das Sakrament der Eucharistie (DH 1661).

[41] Vgl. das Zeugnis der Liturgien.

[42]Konzil von Trient, 13. Sitzung, Dekret über das Sakrament der Eucharistie (DH 1638); vgl. 22. Sitzung, Lehre und Kanones über das Messopfer (DH 1740).

[43] Vgl. Konzil von Trient, 22. Sitzung, Lehre und Kanones über das Messopfer (DH 1743).

[44] Vgl. Konzil von Trient, 22. Sitzung, Lehre und Kanones über das Messopfer (DH 1743).

 

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