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KONGREGATION FÜR DIE GLAUBENSLEHRE

 

NOTIFIKATION

bezüglich einiger Schriften von 

P. MARCIANO VIDAL, C.Ss.R. 

 

EINLEITUNG

Eine Aufgabe der Kongregation für die Glaubenslehre besteht darin, über die Glaubenslehre zu wachen und sie zu schützen, damit das Volk Gottes der empfangenen Lehre treu bleibt. Manchmal muss die Kongregation eine Lehrüberprüfung vornehmen und in einer öffentlichen Notifikation auf die Zweideutigkeiten und Irrtümer aufmerksam machen, die in weit verbreiteten Werken enthalten sind, dem Glauben des Volkes Gottes Schaden zufügen können und deshalb einer gebotenen Richtigstellung bedürfen. In einigen Fällen ist eine solche Notifikation auch dann erforderlich, wenn der Autor zur Richtigstellung bereit ist oder diese bereits in Gang ist. 

Im Anschluss an ein Studium der von P. Marciano Vidal, C.Ss.R. verfassten Werke Diccionario de ética teológica, La propuesta moral de Juan Pablo II. Comentario teológico-moral de la encíclica Veritatis Splendor und der Bände des Handbuches Moral de actitudes in ihrer spanischen und der letzten italienischen Ausgabe hat die Kongregation aufgrund der vorgefundenen Irrtümer und Zweideutigkeiten sowie deren Verbreitung und Einfluss in der theologischen Ausbildung beschlossen, die genannten Schriften einem ordentlichen Lehrprüfungsverfahren gemäß der geltenden Ordnung für die Lehrüberprüfung zu unterziehen. 

Mit Datum vom 13. Dezember 1997 wurde dem Autor über P. Joseph William Tobin, den Generaloberen der Kongregation der Redemptoristen, der Text der offiziellen Beanstandung übermittelt. Diese bestand aus einer Einleitung über die christologische Grundlegung der theologischen Ethik sowie zwei Abschnitten, die in Fragen epistemologischer Art (Verhältnis von Hl. Schrift, Tradition und Lehramt; Verhältnis von Theologie und Lehramt) bzw. Irrtümer besonderer Art (Person, Sexualität, Bioethik; soziale Moral: Eschatologie, Utopie) unterteilt waren. 

Zusammen mit einem Begleitschreiben des Generaloberen traf am 4. Juni 1998 die Antwort von P. Vidal ein, dem ein von ihm gewählter Ratgeber zur Seite stand. Die Antwort wurde von den zuständigen Instanzen der Kongregation untersucht, die sie für nicht zufriedenstellend bewertete und dem Autor eine weitere Möglichkeit zur Klarstellung seines Denkens in den beanstandeten Punkten anbot. Am 20. Januar 1999 wurden die neuen Fragen der Ordentlichen Versammlung der Kongregation vorgelegt, die dem Autor zur Beantwortung wiederum eine Frist von drei Monaten gewährte, wie es die Ordnung für die Lehrüberprüfung vorsieht. In der dem Kardinalpräfekten am 5. Februar 1999 gewährten Audienz hat der Heilige Vater die genannte Vorgangsweise sowie die neuen Fragen approbiert. 

Diese Dokumentation und das entsprechende Begleitschreiben wurden am 7. Juni 1999 in einer Begegnung am Sitz der Kongregation dem Generaloberen der Redemptoristen ausgehändigt. Bei dieser Gelegenheit kamen auch das Ergebnis der Prüfung der vorhergehenden Antwort sowie die Entscheidung der Kongregation für die Glaubenslehre zur Sprache, ausnahmsweise die diskutierten Fragen neu zu formulieren, um klarere und präzisere Antworten zu erhalten. Es wurde der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass P. Vidal diese weitere ihm angebotene Gelegenheit verstehe als Einladung zu einem vertieften Nachdenken zu seinem Wohl und zum Wohl der Kirche, in deren Namen er seinen Dienst in der theologischen Lehre ausübt. Darüber hinaus wurde beschlossen, dass die Antworten des Autors in persönlicher, unzweideutiger und knapper Form bis spätestens 30. September 1999 bei der Kongregation für die Glaubenslehre eintreffen sollten.

Nachdem P. Vidal über den neuen Schritt informiert worden war, versicherte er durch seinen eigenen Ordinarius, dass er sich an die von der Kongregation gestellten Forderungen halten wolle. Am 28. September 1999 hat der Generalobere zusammen mit einem eigenen Gutachten die Rispuesta a las »Preguntas dirigidas al Rev. P. Marciano Vidal, C.Ss.R.« dem Kardinalpräfekten persönlich überreicht. Diese zweite Antwort wurde wiederum gemäß der Ordnung für die Lehrüberprüfung den zuständigen Instanzen der Kongregation vorgelegt. 

Auf der Grundlage aller Schritte der Prüfung und der gesamten Dokumentation wurde das ausnahmsweise angewandte Verfahren von der Ordentlichen Versammlung der Kongregation am 10. November 1999 für abgeschlossen erklärt. Die Kongregation für die Glaubenslehre nahm mit Genugtuung zur Kenntnis, dass der Autor seine Bereitschaft bekundete, die Zweideutigkeiten bezüglich der heterologen künstlichen Befruchtung, der therapeutischen und eugenischen Abtreibung sowie der Abtreibungsgesetze zu klären, und dass er seine eigene Zustimmung zum Lehramt in den beanstandeten Fragen zum Ausdruck brachte, allerdings ohne konkrete substantielle Änderungen in den anderen Punkten der Beanstandung vorzuschlagen. Zugleich wurde entschieden, eine Notifikation zu verfassen, die P. Vidal im Rahmen eines Gesprächs vorgelegt werden sollte, um die ausdrückliche Anerkennung der vorhandenen Irrtümer und Zweideutigkeiten zu erlangen und nach den vom Autor selbst geäußerten Prinzipien seine Bereitschaft zu verifizieren, die Bücher nach den von der Kongregation festgelegten Bestimmungen zu überarbeiten. Die Notifikation sollte durch einen Hinweis auf das Ergebnis des Gesprächs vervollständigt und nach Approbation durch die Ordentliche Versammlung der Kongregation veröffentlicht werden. Diese Entscheidungen wurden vom Heiligen Vater in der dem Sekretär der Kongregation am 12. November 1999 gewährten Audienz bekräftigt. 

Am 2. Juni 2000 fand das vorgesehene Gespräch statt, an dem neben dem Präfekten und dem Sekretär der Kongregation in Vertretung der Spanischen Bischofskonferenz der Erzbischof von Granada, Msgr. Antonio Cañizares Llovera, auch Mitglied der Kongregation, sowie einige vom Dikasterium ernannte Delegaten teilnahmen; P. Vidal wurde von P. Joseph William Tobin und P. Joseph Pfab, C.Ss.R., dem früheren Generaloberen und für den Anlass gewählten Ratgeber, begleitet. Nach der formalen Übermittlung der Notifikation und einem sachlichen, fruchtbaren Gespräch über die eigentlichen Lehrfragen sowie die vorgeschriebene weitere Vorgangsweise hat P. Vidal das von der Kongregation für die Glaubenslehre formulierte lehrmäßige Urteil sowie die ausdrückliche Verpflichtung angenommen, die eigenen Schriften gemäß den festgelegten Bestimmungen zu überarbeiten. 

Nach der Mitteilung über das positive Ergebnis des Gesprächs haben die Mitglieder der Ordentlichen Versammlung der Kongregation am 14. Juni 2000 bzw. am 7. Februar 2001 mit Genugtuung die Zustimmung von P. Vidal zur Kenntnis genommen und zugleich das weitere Vorgehen in der Angelegenheit, die Veröffentlichung der vorliegenden Notifikation, bekräftigt. Sie haben zudem beschlossen, dass die vor dem Datum der Notifikation veröffentlichten Ausgaben des Handbuchs Moral de actitudes (einschließlich des Bandes über die Sozialmoral), des Diccionario de ética teológica, des Buches La propuesta moral de Juan Pablo II sowie die entsprechenden Übersetzungen in andere Sprachen nicht für die theologische Ausbildung verwendet werden können und dass der Autor insbesondere das Handbuch Moral de actitudes unter Aufsicht der Glaubenskommission der Spanischen Bischofskonferenz zu überarbeiten hat. Über den Generaloberen wurde die vorliegende Notifikation mit den entsprechenden Klauseln P. Vidal zugesandt, der sie angenommen und persönlich unterschrieben hat. 

Diese Entscheidung möchte weder die Person des Autors noch seine Absicht oder sein gesamtes Werk und theologisches Wirken, sondern nur die untersuchten Schriften beurteilen und so das gegenwärtige und zukünftige Wohl der Gläubigen, der Hirten und der Professoren der Moraltheologie schützen, vor allem jener, die nach der Theologie des Autors ausgebildet wurden oder sich in dessen moraltheologischen Ausführungen wiedererkennen, damit sie sich von den Irrtümern und Lücken, in denen sie ausgebildet wurden oder noch immer verharren, sowie von den praktischen Folgen dieser Positionen im pastoralen und priesterlichen Dienst lossagen.

 

LEHRMÄßIGE NOTE

1.Allgemeine Beurteilung

Das Handbuch Moral de actitudes besteht aus drei Bänden. Der erste Band behandelt die Fundamentalmoral.1 Der zweite Band besteht aus zwei Teilen, in denen die Moral der Person und die theologische Bioethik2 bzw. die Moral der Liebe und der Sexualität3 dargelegt werden. Der dritte Band beschäftigt sich mit der Sozialmoral.4 Das Diccionario de ética teológica5 ist ein kürzeres, aber doch hinreichend detailliertes Werk über grundlegende Begriffe und Themen der christlichen Moral. 

Das Handbuch Moral de actitudes ist durch das pastorale Anliegen um einen Dialog mit »dem autonomen, säkularen und konkreten Menschen«6 gekennzeichnet. Dieses Ziel wird verfolgt durch eine wohlwollende und verständnisvolle Haltung, die den graduellen und voranschreitenden Charakter des Lebens und der moralischen Erziehung beachtet, sowie durch die Suche nach einer Vermittlung, die unter Berücksichtigung der Daten, die von den Humanwissenschaften und verschiedenen gegenwärtigen kulturellen Einstellungen geliefert werden, für extrem betrachtete Positionen abzuschwächen versucht. Oft erreicht dieses lobenswerte Anliegen aber nicht das angestrebte Ziel, weil die pastorale Sorge die Oberhand gewinnt gegenüber anderen Aspekten, die für eine vollständige Darlegung der kirchlichen Morallehre grundlegend und konstitutiv sind, insbesondere die Verwendung einer korrekten theologischen Methode, die angemessene Definition des objektiven moralischen Wertes der Handlungen, die Genauigkeit der Sprache und die Vollständigkeit der Argumente. 

Wie der Autor ausführt, ist das Handbuch aufgebaut auf der »Option für das Paradigma der ‘theonomen Autonomie’, die von der ‘Ethik der Befreiung’ neu interpretiert wird«.7 Er will eine persönliche Überarbeitung dieses Paradigmas vornehmen, es gelingt ihm aber nicht, einige der mit dem gewählten Modell verbundenen Irrtümer zu vermeiden, die im Wesentlichen den von der Enzyklika Veritatis splendor angeführten Auffassungen entsprechen.8 In der Tat wird nicht beachtet, dass Glaube und Vernunft bei aller Verschiedenheit doch eine gemeinsame Quelle und ein gemeinsames Ziel haben und ihr gegenseitiges Verhältnis nicht darin besteht, in immer ausschließlicher und ausschließender Weise nur den eigenen Kompetenzbereich abzugrenzen oder zum Schaden des anderen in einer Optik der Emanzipation auszudehnen. Gemäß dem Autor ist die »normative Ratio«9 nicht als etwas zu begreifen, das zwischen Mensch und Gott steht wie ein verbindendes Glied,10 sondern vielmehr wie eine Wand, die sich zwischen Mensch und Gott schiebt und es unmöglich macht, in der »göttlichen Weisheit« das ontologische (und darum objektive) Fundament der moralischen Kompetenz zu finden, die jeder Mensch unzweifelhaft besitzt.11 In der Folge wird nicht mehr eingeräumt, dass die moralische Vernunft »von der göttlichen Offenbarung und vom Glauben« erleuchtet werden kann.12 

Der Autor wiederholt verschiedene Male eine für den Ansatz des Werkes ausschlaggebende Behauptung: »Das Proprium und das Spezifische des christlichen Ethos ist nicht in der Ordnung der konkreten Inhalte des moralischen Bemühens zu finden«, sondern »in der Ordnung der Weltsicht«, die diese Inhalte begleitet.13 Nur auf dem Hintergrund dieser Behauptung kann man gemäß dem Autor verstehen, was »der Verweis auf Jesus von Nazaret als Horizont oder neues Umfeld des Verstehens und der Lebenserfahrung der Wirklichkeit«14 bedeutet, oder in welchem Sinn der Glaube einen »Einfluss«, einen »Kontext«, eine »Orientierung«,15 ein »neues Beziehungsfeld« und eine »Dimension« bietet.16 Auch wenn der Autor gelegentlich anführt, dass »Christus die maßgebliche Norm der christlichen Ethik ist« und »es außer dem Ereignis Jesu von Nazaret keine andere Norm für den Christen gibt«,17 gelingt es ihm in seinem Versuch einer christologischen Grundlegung nicht, der Offenbarung Gottes in Christus konkrete normative Bedeutung für die Ethik zu geben.18 Die christologische Grundlegung der Ethik wird nur insofern angenommen, als sie »die innerweltliche normative Bedeutung des zwischenmenschlichen Personalismus neu dimensioniert«.19

Die daraus resultierende christliche Ethik ist »eine Ethik, die vom Glauben beeinflusst ist«,20 aber es handelt sich um einen schwachen Einfluss, denn er steht faktisch einer säkularisierten Rationalität gegenüber, die ganz auf horizontaler Ebene entworfen ist. Deshalb wird in dem Handbuch die vertikale, aufsteigende Dimension der christlichen Moral nicht hinreichend hervorgehoben. Die großen christlichen Themen — wie Erlösung, Kreuz, Gnade, theologische Tugenden, Gebet, Seligpreisungen, Auferstehung, Gericht, ewiges Leben — sind wenig präsent und haben fast keinen Einfluss auf die Darlegung der moralischen Inhalte. 

Als Folge des gewählten Moralmodells werden die Tradition und das Lehramt der Kirche in unzureichendem Maß berücksichtigt und durch die häufigen »Optionen« und »Präferenzen« des Autors gefiltert.21 Insbesondere dem Kommentar zur Enzyklika Veritatis splendor ist ein mangelhaftes Verständnis der moralischen Kompetenz des kirchlichen Lehramts zu entnehmen.22 Auch wenn der Autor die Leser über die kirchliche Lehre in Kenntnis setzt, entfernt er sich bei der Lösung verschiedener Fragen der speziellen Moral in kritischer Weise davon, wie weiter unten dargelegt wird. 

Zu bedenken sind schließlich die Tendenz, beim Studium verschiedener ethischer Probleme auf die Methode des Werte- oder Güterkonflikts zurückzugreifen, sowie die Rolle, welche Verweise auf die ontische oder vor-moralische Ebene einnehmen.23 Dadurch kommt es zu einer Verkürzung theoretischer und praktischer Probleme — wie das Verhältnis zwischen Freiheit und Wahrheit, zwischen Gewissen und Gesetz, zwischen Grundentscheidung und konkreten Verhaltensweisen —, die vom Autor wegen der fehlenden entsprechenden Stellungnahme nicht positiv gelöst werden können. Auf der praktischen Ebene nimmt er die traditionelle Lehre von den in sich schlechten Handlungen und vom absoluten Wert der Normen, die solche Handlungen verbieten, nicht an.

 

2. Spezielle Fragen

Der Autor behauptet, dass die kontrazeptiven Methoden, die nach der Befruchtung und vor der Einnistung wirken, nicht abtreibend sind. Im Allgemeinen könnten sie nicht als moralisch erlaubte Wege der Geburtenregelung betrachtet werden;24 sie seien jedoch moralisch annehmbar »in besonders schwerwiegenden Situationen, in denen es unmöglich ist, zu anderen Mitteln zu greifen«.25 Dasselbe Beurteilungskriterium wendet der Autor auch auf die Sterilisation an, indem er feststellt, dass sie in einigen Fällen moralisch keine Schwierigkeit bereite, »weil die Intention darin liegt, in verantwortlicher Weise einen menschlichen Wert zu verwirklichen«.26 In beiden Fällen handelt es sich um Ansichten im Gegensatz zur Lehre der Kirche.27

Der Autor ist der Auffassung, dass die Lehre der Kirche über die Homosexualität eine gewisse Folgerichtigkeit besitzt, jedoch kein hinreichendes biblisches Fundament hat28 und unter dem Einfluss gewichtiger Bedingtheiten29 und Zweideutigkeiten30 steht. Sie enthalte die Mängel, die »im gesamten historischen Gebäude der christlichen Sexualethik« anzutreffen seien.31 In der moralischen Bewertung der Homosexualität muss man gemäß dem Autor »eine provisorische Haltung einnehmen« und sie »als noch weiter zu erforschen und offen formulieren«.32 Für einen irreversibel Homosexuellen gehe das richtige christliche Verhalten »nicht notwendigerweise über den einzigen Ausweg einer rigiden Moral: Schritt zur Heterosexualität oder vollkommene Enthaltsamkeit«.33 Diese moralischen Urteile sind mit der katholischen Lehre nicht vereinbar, gemäß der die objektive moralische Bewertung sexueller Beziehungen zwischen Personen desselben Geschlechts genau und sicher feststeht.34 Eine andere Frage, die hier nicht zur Diskussion steht, ist der Grad der subjektiven moralischen Anrechenbarkeit solcher Beziehungen in jedem einzelnen Fall. 

Der Autor behauptet, dass die »Schwere ex toto genere suo der Masturbation« nicht erwiesen ist.35 Einige persönliche Umstände seien in Wirklichkeit objektive Elemente dieses Verhaltens und deswegen sei es »nicht richtig, von diesen persönlichen Bedingtheiten ‘objektiv zu abstrahieren‘ und eine allgemein gültige Beurteilung in objektiver Sicht vorzunehmen«.36 »Nicht jeder Akt der Selbstbefriedigung ist ‘objektiv schwerwiegende Materie‘«.37 Das Urteil der katholischen Moral, nach der die Masturbation eine in sich objektiv schlechte Handlung darstellt,38 sei nicht richtig. 

Was die verantwortliche Elternschaft anbelangt, vertritt der Autor die Auffassung, dass keine der gegenwärtigen Methoden der Geburtenregelung unter allen Aspekten gut ist. »Es ist inkonsequent und gefährlich, sich in der moralischen Bewertung von einer bestimmten Methode vereinnahmen zu lassen«.39 Dem kirchlichen Lehramt komme es wohl zu, bezüglich der Anwendung verschiedener konkreter Lösungen positiv und negativ Orientierung zu geben;40 im Fall von Gewissenskonflikten bleibe jedoch »das Grundprinzip der Unverletzlichkeit des moralischen Gewissens gültig«.41 Auch abgesehen von diesen Konfliktsituationen »muss die moralische Anwendung der Verhütungsmethoden der verantwortlichen Unterscheidung der Ehegatten überlassen werden«.42 Unter den verschiedenen Kriterien, die der Autor anführt, um für diese Unterscheidung Orientierung zu geben,43 wird die moralische Norm, die in der Enzyklika Humanae vitae44 sowie in den vorausgehenden45 und nachfolgenden46 Dokumenten des päpstlichen Lehramtes enthalten ist, nicht in ihrer objektiven und verbindlichen Bedeutung angeführt. 

Im Zusammenhang mit der homologen In-vitro-Befruchtung entfernt sich der Autor von der kirchlichen Lehre.47 »Was die Befruchtung ganz innerhalb eines ehelichen Verhältnisses (‘einfacher Fall‘) anbelangt, meinen wir, dass sie nicht verweigert werden kann...«.48 Wenn man die Wahrscheinlichkeit von Risikos für das Kind so gut wie möglich neutralisiere, ein vernünftiges Verhältnis zwischen Scheitern und grundsätzlich erhofftem Erfolg vorliege und das Menschsein des Embryos stets geachtet werde, »kann die homologe künstliche Befruchtung nicht als prinzipiell unmoralisch qualifiziert werden«.49 

Auch in anderen Problemen der speziellen Moral enthält das Handbuch zweideutige Aussagen, wie etwa hinsichtlich der künstlichen Besamung innerhalb der Ehe mit dem Sperma eines Spenders,50 der heterologen In-vitro-Befruchtung51 und der Abtreibung. Der Autor hält mit Recht am grundsätzlich unmoralischen Charakter der Abtreibung fest, doch hinsichtlich der therapeutischen Abtreibung ist seine Haltung zweideutig:52 Bei der Feststellung über die Möglichkeit einiger medizinischer Eingriffe in gewissen sehr schwierigen Fällen bleibt unklar, ob er sich auf die traditionell als »indirekte Abtreibung« bewertete Handlungen bezieht, oder ob er Eingriffe für erlaubt hält, die nicht in die eben genannte traditionelle Kategorie gehören. Ebenso zweideutig sind die Ausführungen über die eugenische Abtreibung.53 Bezüglich der Abtreibungsgesetze stellt der Autor richtigerweise fest, dass die Praxis der Abtreibung nicht als Inhalt eines individuellen Rechts verstanden werden kann.54 Er fügt aber an, dass »nicht jede rechtliche Liberalisierung [der Abtreibung] frontal den ethischen Gesichtspunkten entgegengesetzt ist«.55 Es scheint, dass der Autor sich hier auf die Gesetze bezieht, die eine gewisse Straffreiheit der Abtreibung regeln.56 Weil es jedoch unterschiedliche Arten der Straffreiheit der Abtreibung gibt, von denen einige praktisch einer Legalisierung gleichkommen und die anderen jedenfalls für die katholische Lehre nicht annehmbar sind,57 und weil der Kontext nicht hinreichend klar ist, wird dem Leser nicht die Möglichkeit geboten, die Art von Gesetzen zur Straffreiheit der Abtreibung zu bestimmen, welche als »nicht frontal den ethischen Gesichtspunkten entgegengesetzt« betrachtet werden.

 

Die Kongregation nimmt mit Genugtuung die vom Autor bereits unternommenen Schritte sowie seine Bereitschaft, den lehramtlichen Verlautbarungen zu folgen, zur Kenntnis und hofft, dass durch seine Zusammenarbeit mit der Glaubenskommission der Spanischen Bischofskonferenz ein Handbuch entsteht, das für die Ausbildung der Studenten in Moraltheologie geeignet ist.

 

Mit dieser Notifikation möchte die Kongregation auch die Moraltheologen ermutigen, den Weg der Erneuerung der Moraltheologie weiterzugehen, vor allem in der Vertiefung der Fundamentalmoral und in der präzisen Anwendung der moraltheologischen Methode in Treue zu den Lehren der Enzyklika Veritatis splendor und mit echtem kirchlichem Verantwortungssinn.

 

Papst Johannes Paul II. hat in der dem unterzeichneten Präfekten am 9. Februar 2001 gewährten Audienz im Licht der letzten Entwicklungen Seine Approbation der vorliegenden Notifikation, die in der Ordentlichen Versammlung dieser Kongregation beschlossen worden war, bekräftigt und ihre Veröffentlichung angeordnet.

 

Rom, am Sitz der Kongregation für die Glaubenslehre, dem 22. Februar 2001, am Fest Kathedra Petri.

  

+ Joseph Card. Ratzinger
Präfekt

 

+ Tarcisio Bertone, S.D.B.
Erzbischof em. von Vercelli
Sekretär

 


1 Moral de actitudes, I. Moral fundamental, Editorial PS, Madrid 1990, 8. erweiterte und überarbeitete Auflage, 902 Seiten. Italienische Ausgabe: Manuale di etica teologica, I. Morale fondamentale, Cittadella Editrice, Assisi 1994, 958 Seiten. Nachfolgend zitiert mit Ma I unter Angabe der Seitenzahl der spanischen Ausgabe, der die Seitenzahl der italienischen Fassung nach dem Zeichen = folgt.

2 Moral de actitudes, II-1. Moral de la persona y bioética teológica, Editorial PS, Madrid 1991, 8. Auflage, 797 Seiten. Italienische Ausgabe: Manuale di etica teologica, II-1. Morale della persona e bioetica teologica, Cittadella Editrice, Assisi 1995, 896 Seiten. Nachfolgend zitiert mit Ma II/1 unter Angabe der Seitenzahl der spanischen Ausgabe, der die Seitenzahl der italienischen Fassung nach dem Zeichen = folgt.

3 Moral de actitudes, II-2. Moral del amor y de la sexualidad, Editorial PS, Madrid 1991, 8. Auflage, 662 Seiten. Italienische Ausgabe: Manuale di etica teologica, II-2. Morale dell’amore e della sessualità, Cittadella Editrice, Assisi 1996, 748 Seiten. Nachfolgend zitiert mit Ma II/2 unter Angabe der Seitenzahl der spanischen Ausgabe, der die Seitenzahl der italienischen Fassung nach dem Zeichen = folgt.

4 Moral de actitudes, III. Moral social, Editorial PS, Madrid 1995, 8. Auflage, 1015 Seiten. Italienische Ausgabe: Manuale di etica teologica, III. Morale sociale, Cittadella Editrice, Assisi 1997, 1123 Seiten. Nachfolgend zitiert mit Ma III unter Angabe der Seitenzahl der spanischen Ausgabe, der die Seitenzahl der italienischen Fassung nach dem Zeichen = folgt.

5 Diccionario de ética teológica, Editorial Verbo Divino, Estella (Navarra) 1991, 649 Seiten. Nachfolgend zitiert mit Det.

6 Ma I, 266 = 283; vgl. Ma I, 139 = 147-148, 211-215 = 222-226.

7 Ma I, 260 = 276; vgl. Ma I, 260-284 = 276-301.

8 Vgl. Johannes Paul II., Enzyklika Veritatis splendor (6. August 1993), vor allem 36-37: AAS 85 (1993) 1162-1163.

9 Ma I, 213 = 224.

10 Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, I-II, q. 100, a. 2, c.

11 Vgl. Enzyklika Veritatis splendor, 36, 42-45: AAS 85 (1993) 1162-1163, 1166-1169.

12 Enzyklika Veritatis splendor, 44: AAS 85 (1993) 1168-1169.

13 Ma I, 203 = 214. Dieselbe Behauptung findet sich auch in Ma II/1, 131 = 140, 139 = 148; Ma III, 99-100 = 107-108; Ma I, 99 = 103 mit Verweis auf die Heilige Schrift. Das Ganze ist zu konfrontieren mit der Enzyklika Veritatis splendor, 37: AAS 85 (1993) 1163: »Folglich gelangte man dahin, das Vorhandensein eines spezifischen und konkreten, universal gültigen und bleibenden sittlichen Gehaltes der göttlichen Offenbarung zu leugnen: Das heute bindende Wort Gottes würde sich darauf beschränken, eine Ermahnung, eine allgemeine ‘Paränese’ anzubieten; sie mit wahrhaft ‘objektiven’, d.h. an die konkrete geschichtliche Situation angepassten, normativen Bestimmungen aufzufüllen, wäre dann allein Aufgabe der autonomen Vernunft«.

14 Ma I, 203-204 = 214.

15 Ma I, 192-193 = 202-203.

16 Ma I, 274 = 291.

17 Ma I, 452 = 476.

18 Vgl. Ma I, 268-270 = 285-287.

19 Ma I, 275 = 291.

20 Ma I, 192 = 202-203.

21 Vgl. etwa Ma I, 260 = 276, 789-790 = 837-839, 816 = 872, 848 = 904; Ma II/1, 400-403 = 434-437, 497 = 550-551, 597 = 660-661; Ma II/2, 189 = 202, 191 = 204, 263 = 311, 264 = 312, 495 = 553.

22 Vgl. II. Vat. Konzil, Dogmatische Konstitution Lumen gentium, 25; Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum veritatis (24. Mai 1990), 16: AAS 82 (1990) 1557. Vgl. dazu: La propuesta moral de Juan Pablo II. Comentario teológico-moral de la encíclica Veritatis splendor, PPC, Madrid 1994, vor allem die Seiten 24-26, 29, 54, 76-78, 82, 89-90, 94-95, 98, 102, 116, 120, 130-131, 136, 167; Ma I, 82-83 = 80; 154 = 145; Det, 362-365; Manuale di etica teologica, I. Morale fondamentale, Cittadella Editrice, Assisi 1994, 142-145: Diese Seiten über die Enzyklika Veritatis splendor sind nach der Veröffentlichung der spanischen Ausgabe verfasst worden und deshalb nur in der italienschen Fassung enthalten.

23 Vgl. etwa Ma I, 468 = 492.

24 Ma II/2, 574 = 651.

25 Ma II/2, 574 = 651.

26 Ma II/1, 641 = 714. Vgl. auch Ma II/2, 575 = 652, wo die Sterilisation als eine “angemessene Lösung” für einige Fälle betrachtet wird, sowie Det, 225, wo es heißt, dass die Sterilisation in einigen Situationen die »einzig mögliche Methode« ist.

27 Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung De abortu procurato (18. November 1974), 12-13: AAS 66 (1974) 737-739; Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium vitae (25. März 1995), 58: AAS 87 (1995) 466-467. Bezüglich der Sterilisation vgl. Paul VI., Enzyklika Humanae vitae (25. Juli 1968), 14: AAS 60 (1968) 490-491 und die dort zitierten Quellen; Kongregation für die Glaubenslehre, Antwort Circa sterilizationem in nosocomiis catholicis (13. März 1975): AAS 68 (1976) 738-740; Katechismus der Katholischen Kirche, 2399.

28 Vgl. Ma II/2, 266-267 = 314-315.

29 Vgl. Ma /II/2, 267 = 315.

30 Vgl. Ma II/2, 268 = 316; sowie DET, 294-295.

31 Vgl. Ma II/2, 268 = 316; sowie DET, 294-295.

32 Ma II/2, 281-282 = 330.

33 Ma II/2, 283 = 332.

34 Vgl. Röm 1,24-27; 1 Kor 6,10; 1 Tim 1,10; Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung Persona humana (29. Dezember 1975), 8: AAS 68 (1976) 84-85; Schreiben Homosexualitatis problema (1. Oktober 1986), 3-8: AAS 79 (1987) 544-548; Katechismus der Katholischen Kirche, 2357-2359, 2396.

35 Ma II/2, 324 = 374.

36 Ma II/2, 330 = 381; vgl. auch Det, 45.

37 Ma II/2, 332 = 382.

38 Vgl. Erklärung Persona humana, 9: AAS 68 (1976) 85-87; Katechismus der Katholischen Kirche, 2352. Vgl. auch Leo IX., Schreiben Ad splendidum nitentis (1054): DH 687-688.

39 Ma II/2, 576 = 653.

40 Vgl. Ma II/2, 576 = 653.

41 Ma II/2, 576 = 653.

42 Ma II/2, 576 = 653.

43 Vgl. Ma II/2, 576-577 = 653-654.

44 Vgl. Enzyklika Humanae vitae, 11-14: AAS 60 (1968) 488-491.

45 Vgl. die Quellenverweise in der Enzyklika Humanae vitae, 14: AAS 60 (1968) 490-491.

46 Vgl. Johannes Paul II., Apostolisches Schreiben Familiaris consortio (22. November 1981), 32: AAS 74 (1982) 118-120; Katechismus der Katholischen Kirche, 2370, 2399. Vgl. dazu auch Ma II/2, 571-573 = 648-650.

47 Vgl. Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum vitae, II, B, 5: AAS 80 (1988) 92-95.

48 Ma II/1, 597 = 660.

49 Ma II/1, 597 = 661.

50 Vgl. Ma II/1, 586 = 649; DET, 315.

51 Vgl. Ma II/1, 597 = 660.

52 Vgl. Ma II/1, 403 = 437.

53 Vgl. Ma II/1, 403 = 437-438.

54 Vgl. Ma II/1, 412 = 454.

55 Ma II/1, 412 = 454.

56 Vgl. Ma II/1, 408 = 442, 444.

57 Vgl. Erklärung De abortu procurato, 19-23: AAS 66 (1974) 742-744; Enzyklika Evangelium vitae, 71-74: AAS 87 (1995) 483-488.

 

  

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