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Interview mit Erzbischof G.L. Müller,
Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre

Süddeutsche Zeitung, 12 Juli 2012 (S. 2)

 

SZ: Herr Erzbischof, vor drei Wochen waren Sie Bischof von Regensburg, jetzt sind Sie Präfekt der Glaubenskongregation. Fremdeln Sie noch in Rom?

Müller: Man ist als Priester öfter auf Wanderschaft, das weiß man. Natürlich ist das eine Umstellung: der Umzug, die neuen Mitarbeiter.

Muss ein Glaubenspräfekt in Rom eine Wohnung suchen?

Ich habe Glück: Der Heilige Vater hat mir seine frühere Wohnung angeboten.

Als 1982 Joseph Ratzinger über die Alpen ging, musste sein Flügel mit. Was muss bei Ihnen dringend mit?

Klavier spiele ich leider nicht. Aber die Bücher müssen mit. Ein deutscher Professor braucht natürlich seine Gelehrtenbibliothek. Die geistige Auseinandersetzung, das macht die deutsche Theologie aus.

Was sagt Ihnen das Wort Karriere?

Das wird mir jetzt unterstellt - dabei freut sich doch jeder Mensch, wenn er einen Posten bekommt, der respektabel ist. Wobei man wissen muss, wenn man Priester wird, dass es auf das Dienen ankommt und nicht auf die Selbstpflege. Ideal ist, wenn die Bereitschaft zum Dienst mit den eigenen Talenten und Fähigkeiten zusammenkommt. Ich wollte zum Beispiel nie Präsident der Weltbank sein.

Warum sind Sie Priester geworden?

Ich war schon in der Jugendarbeit engagiert. Es ist also nicht plötzlich eine Bekehrung geschehen wie beim Apostel Paulus. Mir sind Priester begegnet, mit denen ich mich identifizieren konnte; daraus entstand der Gedanke: Das wäre vielleicht auch etwas für dich. Es kommt letztlich darauf an, dass man spürt, dass der Ruf Jesu an einen ergangen ist – und man bereit ist zu sagen: Ja, hier bin ich. Wer Diener der frohen Botschaft ist, soll davon erfüllt sein, dass er den Menschen etwas Aufbauendes bringen kann.

Diese Entscheidung hat Sie jetzt in eins der wichtigsten Ämter in der Kirche geführt. Wie viel Macht haben Sie jetzt?

Macht bedeutet zweierlei: das Vermögen, etwas zu bewirken, und die Verantwortung, die einem übertragen ist. Das wäre vermessen oder lächerlich, wenn ich mich jetzt für jemanden halten würde, der auf seiner Fingerspitze die Weltkugel dreht, wie der große Diktator im Charlie-Chaplin-Film. Aber sicher kann ich jetzt einigen Einfluss nehmen, und ich muss ihn auch nehmen.

Um jene zu maßregeln, die von der Linie abweichen? In der unseligen Tradition der Heiligen Inquisition?

Das ist das Klischee, das der Glaubenskongregation in gewissen Kreisen noch immer anhaftet. Dabei ist es gar nicht unsere Hauptaufgabe, einfach Bischöfe und Theologen zu kontrollieren. 1965 hat Papst Paul VI. im Zuge des Zweiten Vatikanischen Konzils gesagt, die erste Aufgabe der Glaubenskongregation ist es, den katholischen Glauben zu fördern. Erst dann, ihn auch zu verteidigen. Als Präfekt der Glaubenskongregation muss ich also zuerst von der Hoffnung reden, die uns erfüllt, vom Positiven des Glaubens, von seiner Bedeutung für das ganze Leben. Und dann müssen wir den Glauben auch verteidigen gegen falsche Auslegungen und Verkürzungen, gegen Ideologisierungen. Dabei ist immer das richtige Verhältnis zwischen der Treue zum verbindlichen Glauben, der uns von Gott offenbart ist, und einer gewissen Bandbreite theologischer Auslegungen zu wahren. Die katholische Kirche braucht unterschiedliche Denkrichtungen. Es kann niemand sagen, für mich gilt nur Augustinus oder Thomas von Aquin, nur Karl Rahner oder nur Hans Urs von Balthasar. Schon die Bibel verwendet das Bild der unterschiedlichen Charismen.

Die katholische Kirche als Kirche der Freiheit?

Freiheit heißt nicht, tun können, was man will; Freiheit im Glauben ist unsere Antwort auf das, was Gott uns in seiner Freiheit vorgibt. Insofern muss ich zuerst die Freiheit Gottes berücksichtigen, die steht im Mittelpunkt. Eine falsche Lehre zu verurteilen heißt also nicht, die Freiheit einzuschränken – sondern die Freiheit Gottes in seiner Offenbarung zu wahren. Die Freiheit der Kinder Gottes ist die Vollendung des Glaubensgehorsams gegenüber Gott.

Wenn Sie sich die Kurie als Fußballmannschaft vorstellen, was sind Sie da – der grätschende Verteidiger?

In einer guten Mannschaft gibt es diesen Verteidiger nicht mehr. Da müssen alle nach vorne spielen können. Ich habe mich immer als Theologe verstanden, der das Konstruktive sieht, das Ganze des Glaubens, so wie auch Joseph Ratzinger, der Theologe und Papst. Bloß mit Abwehr, mit Nein sagen lässt sich nichts Großes erreichen. Wenn es Schwierigkeiten mit einzelnen Theologen gibt, muss man sie zuerst auf das Ganze des katholischen Glaubens hinweisen, dem jeder Theologe zu dienen hat.

Sie wollen in die Offensive gehen, Themen setzen, Streit riskieren?

Mit Abwarten allein erreicht man nicht viel. Die Glaubenskongregation muss die großen geistigen Bewegungen der Welt beobachten und dann im Licht des Glaubens Rede und Antwort stehen. Da gibt es große Herausforderungen: die Säkularisierung, den Atheismus, den Nihilismus, die Frage nach Gott in der Welt. Die Kirche kann nicht einfach ihren Bestand verteidigen und die Welt sich selber überlassen. Jeder Mensch ist es wert, dass ihm das Evangelium verkündet und er befähigt wird, sein Leben aus dem Glauben heraus zu gestalten. Und den Sinn, den Gott in jedes Menschen Leben gelegt hat, zu erkennen.

Derzeit bietet die katholische Kirche eher ein anderes Bild – das der Institution in der Krise.

Ach, Pessimismus gibt es immer, Wadlbeißerei auch. Da gehört es zu den Aufgaben unserer Kongregation, dass wir uns nicht verheddern lassen, sondern das Aufbauende des Evangeliums in den Mittelpunkt stellen. Das braucht die Welt, wenn man die Krise sieht in Europa und die Gefährdung des Friedens in der Welt, die Gefährdung der Religionsfreiheit, die Verletzung der Menschenrechte, die ethischen Herausforderungen durch den wissenschaftlichen Fortschritt.

Ist die Kirche Ihnen zu zurückhaltend?

Manche schon. Ein Gegenbeispiel, auf das ich stolz bin, habe ich aus meiner Erfahrung in Regensburg. Gegen den Menschenhandel mit Frauen aus Osteuropa hat unser Frauenbund beeindruckende Aktionen gestartet. Das ist vorbildlich. Kirche ist ja nicht nur das, was in Rom geschieht und in der Kurie. Sie wirkt vor allem in Pfarreien, Diözesen und Verbänden.

Nochmals zu Ihren neuen Aufgaben. Theologen, die von Verfahren der Glaubenskongregation betroffen sind, klagen über mangelnde Transparenz und dass sie nicht angehört werden. Sind hier Reformen nötig?

Ich kenne die Verfahren noch nicht ganz genau. Aber es gibt eine klare Verfahrensordnung, die veröffentlicht ist. vielleicht bin ich als Theologe auch selber in der Lage, den Dialog mit einzelnen Theologen zu führen, die betroffen sind.

Die deutschen Theologen hat die Kurie in der Vergangenheit mit großem Misstrauen beobachtet.

Vielleicht auch, weil unsere theologischen Fakultäten und Theologen sich zu oft mit zweitrangigen Themen beschäftigen – und das bestimmt das öffentliche Bild von der Theologie in Deutschland. Dabei gibt es doch sehr gute Theologen, die solide Arbeit leisten. Das möchte ich fördern. Die große Auseinandersetzung mit den atheistischen und säkularistischen Lebenskonzeptionen kann die Kongregation gar nicht leisten, das ist eine Hauptaufgabe der Fakultäten. Da gibt es zum Beispiel riesige Herausforderungen in der Medizinethik. Wo sind die Grenzen, jenseits derer die Menschenwürde nicht mehr gewahrt wird? Es gibt in Deutschland Professoren, die dazu Bedeutendes sagen und in Ethikkommissionen vorbringen können. Das möchte ich fördern: dass die positiven Möglichkeiten, die sich aus dem christlichen Menschenbild heraus bieten, in die gesellschaftliche Entwicklung eingebracht werden. Gegen den Pessimismus, der zur Zeit in Kirche und Gesellschaft herrscht.

Andererseits kann man den Theologen nicht vorwerfen, dass sie die Konfliktthemen der Kirche diskutieren: Zölibat, Frauenpriestertum, die Rolle der Laien, geschiedene Wiederverheiratete.

Das diskutiert man auch anderswo in der Welt. Trotzdem muss man es einordnen in das große Ganze und sich nicht nur davon bestimmen lassen. Denn es geht wirklich um die Verkündigung des Evangeliums. Viele Universitätsrektoren sind froh, dass sie theologische Fakultäten haben für den interdisziplinären Dialog und wissenschaftlichen Fortschritt. Da müssen die theologischen Fakultäten mehr in die Offensive. Probleme wie das Diakonat von Frauen lösen ja nicht theologische Fakultäten. Das sind lehramtliche Fragen. Bei den wiederverheirateten Geschiedenen geht es um pastorale Fragen. Lehrmäßig kann es keine Zweifel geben an der Unauflöslichkeit einer gültig geschlossenen sakramentalen Ehe und am objektiven Widerspruch zwischen dem Eingehen einer zivilen Zweitehe und dem Kommunionempfang

Da geht es um den pastoralen Umgang.

Ja, man muss den einzelnen Menschen im Auge behalten, das ist die Sorge der Pastoral, der Einzelseelsorge. Aber vielen ist nicht mehr klar, was im katholischen Sinn die Ehe bedeutet und wie das existenziell umgesetzt werden kann. Sorge um einzelne Menschen und Treue zur Lehre schließen sich nicht aus. Da haben wir ein großes Arbeitsfeld vor uns. Wir müssen die Situation der Zeit berücksichtigen und dürfen trotzdem keine Abstriche machen, uns einfach anpassen, damit es gemütlich bleibt und man gewissermaßen katholisch bleiben kann zu ermäßigten Preisen. Mit bloßer Gesellschaftskonformität tun wir den Menschen keinen Gefallen.

Keine Abstriche machen – ist das nicht das Konzept von der Kirche als kleiner Herde: Wir versammeln die Überzeugten, die anderen sind nicht so wichtig?

Nein, das ist keine Option für die katholische Kirche. Es macht jeder Mensch die Erfahrung, dass er dem Glauben und der Kirche mal näher und mal ferner steht. Die Bibel spricht alle an, auch die Menschen an den Hecken und Zäunen. Wir wollen und wir können keine Elite-Kirche sein, zu der nur die Reinen gehören. Es wäre auch schwer auszuhalten, wenn zur Kirche nur jene gehörten, die sich für vollkommen halten, und nicht auch die Sünder. Die Starken und die Schwachen im Glauben haben Platz im Hause des Herrn.

Eine Kirche mit Platz für Zweifler?

Mit Platz für Menschen, die auch Zweifel haben. Mit Platz für Leute wie meine Eltern, die selbstverständlich katholisch waren, ohne Übertreibungen, die uns Kinder nie zu etwas drängten, die uns ein positives Bild von der Kirche vermittelten.

Diese Mitte geht der katholischen Kirche in Westeuropa verloren.

Leider, zum Teil. Aber es gibt auch Aufbrüche und Hoffnungszeichen.

Und viele Gläubige hadern mit den Lehraussagen ihrer Kirche. Sogar viele Pfarrer stoßen sich an einer Kirche, die sie für starr halten, in Österreich hat sich eine Ungehorsamsinitiative gegründet. Das muss Ihnen doch Sorgen machen.

Die Spannungen kann man nicht leugnen. Bei einem Priester gehe ich aber davon aus, dass er die Lehre seiner Kirche kennt und diese Spannungen aushält. Wenn Pfarrer sagen, wir sind jetzt mal ungehorsam, dann fördern sie ein Kirchenbild, das davon ausgeht, dass die Menschen sich selber ihre Kirche schaffen, nach eigenem Geschmack und jeweiligem Zeitgeist. Dies ist mit dem christlichen Glauben nicht vereinbar. Das orientiert sich an innerweltlichen Lebenszielen, verliert aber aus den Augen, dass es darüber hinaus das höhere Lebensziel der Gemeinschaft mit Gott gibt. Für das es sich lohnt, sich anzustrengen, über sich hinauszuwachsen.

Würden Sie das Helmut Schüller, dem Initiator der ungehorsamen Pfarrer, gerne persönlich sagen?

Er müsste eigentlich selber darauf kommen, was Gehorsam bedeutet.

Blinder Gehorsam?

Gerade nicht! Sondern das vernunftgemäße Hören auf das Wort Gottes, das Kennen der Lehre der Kirche und die Fähigkeit, sich mit dem Zeitgeist kritisch und konstruktiv auseinanderzusetzen. Das ist ja nichts Neues für die Kirche, und Jesus hat die Antwort darauf gegeben: Es ist wichtiger, Gott zu gehorchen als den Menschen. Ich kenne auch die pastorale Not, die hinter solchen Initiativen steckt. Aber die Antwort kann nicht heißen: Wir gehen einfach dem Zeitgeist nach.

Als Präfekt der Glaubenskongregation sind sie nun an oberster Stelle zuständig für die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, die kirchenrechtliche Bestrafung der Täter. Wie soll hier das verloren gegangene Vertrauen wiedergewonnen werden?

Der Grundsatz, nach dem wir arbeiten, ist klar: Sexuelle Gewalt ist ein Verbrechen und eine Sünde, erst recht gegen Kinder, und wenn ein Priester Menschen sexuelle Gewalt antut, widerspricht das allem, wozu ein Seelsorger da sein soll. Das Vertrauen, das da verloren gegangen ist, können wir nur durch Konsequenz und Klarheit wiedergewinnen: Der Täter muss sich vor einem weltlichen Gericht verantworten. Danach ist es an den Bischöfen und der Glaubenskongregation, zu entscheiden, ob und in welchem Rahmen er noch als Priester eingesetzt werden kann, natürlich mit genauen Vorgaben.

Viele Opfer fordern, dass die Täter nie wieder in der Pastoral arbeiten.

Ein Einsatz in der ordentlichen Seelsorge kommt nicht in Frage, sondern nur beschränkte Dienste als Priester. Klar muss immer sein: Wir vertuschen nichts, wir verharmlosen nichts.

Dieser Verdacht wird Ihnen noch lange erhalten bleiben – und bei jedem neuen Fall neue Nahrung erhalten.

Es gibt keine vergleichbare Organisation mit Jugendarbeit, die sich mit dieser Rigorosität dem Problem gestellt hat, wie die katholische Kirche. Unser Problem ist, dass ein straffälliger Priester immer auch gleich für die ganze Kirche steht. Es gibt eben keine Weltgemeinschaft der Sportlehrer mit einem der katholischen Kirche vergleichbaren Anspruch. Wir müssen uns aber wehren, wenn Priester unter Generalverdacht gestellt werden, nur weil sie Priester sind.

Eine andere Baustelle, die Sie übernehmen, sind die Verhandlungen mit der traditionalistischen Priesterbruderschaft Pius X. Die hat nun die Bedingungen der Glaubenskongregation für eine Rückkehr in die katholische Kirche abgelehnt. Das Ende der Verhandlungen?

Zur katholischen Kirche gehört man, wenn man bestimmte Voraussetzungen erfüllt – vor allem die Orientierung an der Heiligen Schrift, an der Tradition und am kirchlichen Lehramt. Wer Teile davon nicht akzeptiert, steht in gewisser Entfernung zur Kirche, auch wenn er sich katholisch nennen will. Wenn die Priesterbruderschaft diese Trennung überwinden will, muss sie akzeptieren, was zum katholischen Glauben gehört – und dazu gehört, dass das Zweite Vatikanische Konzil verbindlich ist. Natürlich: Über manches, etwa die praktische Erklärung zum Verhältnis zu den Medien, kann man diskutieren. Andere Aussagen, etwa zum Judentum, zur Religionsfreiheit, zu den Menschenrechten, haben dogmatische Implikationen. Die kann man nicht ablehnen, ohne den katholischen Glauben zu beeinträchtigen.

Der Generalobere der Piusbrüder hat sie schon unter Häresieverdacht gestellt. Ist das Tischtuch  endgültig zerschnitten?

Wir müssen jetzt abwarten, welche offizielle Antwort von der Bruderschaft kommt. Unsere Haltung ist eindeutig.

Die Piusbruderschaft stellt das anders dar: Der Papst würde sich gerne mit den Traditionalisten einigen. Nur die Glaubenskongregation ist dagegen.

Das ist eine Medienpolitik, die mit der Wirklichkeit nichts zu tun hat. 

Der Theologe Hans Küng hat Ihre Ernennung eine „katastrophale Fehlbesetzung“ genannt.

Da Hans Küng unfehlbar ist, muss das wohl stimmen.

In Deutschland gelten Sie als der Hardliner, der streng durchgreift – in Rom stehen Sie unter dem Verdacht, zu liberal zu sein. Ein eigentümliches Gefühl?

Ich bin von meiner Jugend an katholisch. Dazu gehören Weite und Entschiedenheit. Zu beidem stehe ich.

Vor allem Ihre Freundschaft zu dem Befreiungstheologen Gustavo Gutierrez wird Ihnen zum Vorwurf gemacht.

Ich bin vielen armen Menschen begegnet in Südamerika, und da habe ich gesehen, dass es richtig ist, was die Kirche zur sozialen Not sagt. Mein Vater war Arbeiter bei Opel, von daher war das Soziale mir immer nahe. Ich kann in Lateinamerika keine Messe halten, ohne darauf einzugehen, dass es hier Menschen gibt, die nichts zu essen haben, die krank werden, weil es keine Hygiene gibt und keine medizinische Versorgung. Da kann ich nicht schweigen. Ich bin davon überzeugt, dass Gottes- und Nächstenliebe nicht voneinander zu trennen sind.

In den 80er Jahren hat die Glaubenskongregation viele Befreiungstheologen abgestraft. War das falsch?

Da ging es nie um die Option für die Armen. Da ging es darum, inwieweit man eine marxistische Gesellschaftsanalyse, die mit einer innerweltlichen Heilslehre verbunden ist, in die Theologie integrieren kann – und wo da die Grenze ist.

Wohin wird diese katholische Kirche gehen? In einer Welt, wo einerseits die Individualisierung zunimmt, andererseits auch die Fundamentalismen wachsen, die christlichen, die islamischen, die auf den Krieg der Religionen setzen?

Christsein und Gewalt gegen andere schließen sich aus. Katholisch heißt, gegen Ideologisierungen und Einseitigkeiten vorzugehen. Jeder Mensch ist Individuum und Gemeinschaftswesen zugleich, das muss in der Balance gehalten werden. Die totale Individualisierung ist genauso ein Irrweg wie die totale Kollektivierung. Die totale Individualisierung macht den Menschen zu „Gott“, die totale Kollektivierung zum Nichts. Das ist das Zukunftsweisende der katholischen Kirche: Sie weiß, dass der Mensch ein personales Wesen ist, einzigartig von Gott gemacht, mit einem unveräußerlichen Recht auf Leben von der Empfängnis bis zum Tod, und mit der Berufung zum ewigen Leben. Und dass er doch immer ein Gemeinschaftswesen ist und bleibt. Das ist etwas wunderbar Lebendiges, Dynamisches – dafür steht die katholische Kirche.

 

 

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