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ENTHÜLLUNG EINES PORTRÄTS VON BENEDIKT XVI. AN DER
DEUTSCHEN BOTSCHAFT BEIM HEILIGEN STUHL

 

Ansprache von Erzbischof Gerhard Ludwig Müller

16. April 2013

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Freunde der Wahrheit
!

Ich möchte mich sehr herzlich bei Ihnen, Exzellenz Dr. Reinhard Schweppe, dem deutschen Botschafter beim Heiligen Stuhl, und bei Ihrer geschätzten Gattin Frau Margret Schweppe-Ebber im Namen aller Gäste für die Einladung bedanken. Zugleich grüße ich freundlich auch Sie, Herr Michael Triegel aus Leipzig. Ihnen verdanken wir dieses Portrait von Papst Benedikt XVI. und ebenso die Vernissage heute zum Geburtstag von Joseph Ratzinger, der am 16. April 1927 in Marktl am Inn das Licht der Welt erblickte.

Ein Kunstwerk kann in zweierlei Hinsicht gewürdigt werden: zum einen im Blick auf Technik und Stil und zum anderen ausgehend von seiner Botschaft.

Zu ersterem sehe ich mich nicht in der Lage. Hier gehe ich gerne in die Schule der Kunstgeschichtler. Ich kann lediglich unterscheiden zwischen der Barbarei des sozialistischen Realismus, dessen monistisches Weltbild Kunst nur als Propaganda und Manipulation zulässt, dem Verständnis eines Portraits, das über ein koloriertes Foto nicht hinausgeht, und der echten Qualität eines Werkes, das die Frucht eines inneren Dialogs zwischen der darstellenden und der dargestellten Person ist.

Da die Lebensgeschichte und das philosophisch-theologische Werk Joseph Ratzingers um den Glauben an die Offenbarung Gottes in Jesus Christus und die lebendige Gegenwart des Mensch gewordenen Sohnes Gottes in der Kirche kreisen, mag es nicht ganz unangemessen sein, wenn man statt eines renommierten Kunstkritikers einem Dogmatiker und dem Hüter der katholischen Lehre die Hinführung zu diesem Portrait eines aus Deutschland stammenden Papstes anvertraut hat.

Was fasziniert einen Künstler von der Begabung eines Michael Triegel an Benedikt XVI. und welche Einsichten möchte er mit seinen Ausdrucksmitteln dem Betrachter vermitteln? Wir sind es gewohnt, dass zu den Werken eines herausragenden Denkers Dissertationen und Monographien erscheinen, die Gesammelten Schriften herausgegeben werden und am Ende vielleicht eine umfassende Einordnung in der Geschichte der theologischen Literatur erfolgt.

Wissenschaftliche Literatur und Kunst unterscheiden sich gewiss dem Genus nach, sie ermöglichen aber aus der je eigenen Perspektive heraus einen Zugang zu der Persönlichkeit, mit der sie im Gespräch sind. Die Malkunst ist zu verstehen als eine nichtverbale aber zeichenhafte, zugleich verborgene und auch entbergende Begegnung mit dem Mysterium einer Person. Von einer Person sagen wir, dass sie immer ein individuum ineffabile bleibt. Der Respekt vor der Würde des anderen verbietet jede Vereinnahmung, weil nur Gott die Tiefen des Herzens wirklich kennt. Ein guter Portraitist wahrt das Geheimnis seines Gegenüber, und auch der ehrfürchtige Betrachter respektiert die Würde des abgebildeten Menschen, der von Gott nach seinem Bild und Gleichnis geschaffen wurde. Ein gemaltes oder geschriebenes Lebensbild muss sich immer als Annäherung an das Bild verstehen, das der unübertreffliche artifex divinus für jeden Menschen schon im voraus bereitet hat.

Schauen wir auf dieses von Menschenhand entworfene Bild, dann sehen wir auf dem Lehrstuhl Petri den Menschen Joseph Ratzinger: nicht in Herrscherpose, sondern als Mann in seinem Alter, begrenzt auf einen kurzen Abschnitt der Welt- und Heilsgeschichte, den aber niemand anderer als der Heilige Geist mittels der Wahl durch das Kardinalskollegium am 19. April 2005 zum obersten Hirten der Kirche bestellt hat.

Indem die Krümme der Armlehne weit ausgezogen als Schlüssel erscheint, kommen uns die Schlüssel in den Sinn, die der Herr einst bei Cäsarea Philippi dem Apostel Petrus überreicht hat. In Petrus sind diese Schlüssel auch allen seinen Nachfolgern gegeben, bis bei der Wiederkunft Christi am Ende der Zeiten die Sendung der Kirche erfüllt ist – jener Kirche, die Zeichen und Werkzeug der innigsten Vereinigung der Menschen mit Gott wie auch für die Einheit der ganzen Menschheit in Jesus Christus ist (vgl. Lumen gentium 1).

Warum hat Christus die Ausbreitung seines Heils- und Friedenswerkes einem einfachen Fischer vom See Gennesaret übertragen und nicht, politisch viel realistischer berechnet, den Herrschern des römischen Reiches auf dem Höhepunkt ihrer Machtentfaltung unter den Kaisern Augustus und Tiberius? Und warum hat er aus den Jüngern nicht die psychologisch stärkste Persönlichkeit ausgewählt, sondern in Petrus und den Päpsten auf zuweilen wankelmütige Charaktere gesetzt? Die Antwort ist zu finden im Logos von der Torheit des Kreuzes: weil die Gottesherrschaft nicht auf weltlicher Macht und Herrlichkeit gebaut ist, sondern auf der Gnade Gottes, die dem wahren Apostel genügen muss.

Petrus hat bei Cäsarea Philippi das Bekenntnis zu Jesus Christus, dem Sohn Gottes, abgelegt. Der Fels, auf den Christus seine Kirche gebaut hat, ist der Mensch namens Petrus, nicht eine bloße Idee oder ein purer Gedanke. Der Fels der Kirche ist aber nicht Fleisch und Blut der natürlichen Erkenntnis und Gefolgschaft, sondern die übernatürliche Offenbarung des Vaters, aufgrund derer Petrus und seine Nachfolger Jesus als den Messias, den Sohn des lebendigen Gottes, bekennen. Alle Jünger des Herrn müssen immer wieder neu lernen, dass Gottes Reich nicht durch weltliche Macht oder Massensuggestion aufgebaut wird, sondern durch die Teilnahme am Leiden und Sterben Christi, an seinem Verkannt-, Verleugnet- und Bekämpftwerden. Triegel erkennt, dass der Felsenmann Benedikt XVI. auch skeptisch in die eigenen Reihen der Gläubigen schaut. Auf dem Stuhl Petri sitzt nicht ein Übermensch, sondern ein Mensch, der bei all seiner hohen Bildung die Ungewissheit und das Wagnis des Endlichen in sich trägt, der am „Dilemma des Glaubens in der Welt von heute zwischen Zweifel und der Hoffnung auf Gott“ mitleidet, wie er in seiner Einführung in das Christentum schon 1968 geschrieben hat.

Triegel und Ratzinger verbindet lebensgeschichtlich – wenn auch Generationen versetzt – die Erfahrung von zwei menschenverachtenden Diktaturen, die ihre Kindheit und Jugend prägten, und dazu die Herausforderung einer neuen Diktatur des Konsumismus, die alles, auch die Wahrheit, die Liebe und den Menschen selbst, nur als Ware und als Mittel betrachtet. Nach Benedikts Rede im Freiburger Konzerthaus wurde penibel nach dem literarischen Vorkommen des Programms der Entweltlichung der Kirche gesucht und keiner merkte, dass niemand anderer als der Mensch gewordene Sohn Gottes selbst vor Pilatus bezeugte: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt". Jesu Diener kämpfen nicht nach der Art der Welt und um die Ziele der Welt. Der Weg der Kirche kann nicht die Anpassung an die Welt sein.

Im nachdenklichen Blick von Benedikt XVI. schaut uns Jesus selbst an und fragt uns, ob wir als seine Jünger der Versuchung zur Verweltlichung, dem bequemen Niederfallen vor den Idolen der irdischen Macht, dem scheinbar zwingenden Fortschritt zur transzendenzlosen Innerweltlichkeit verfallen sind; ob wir den Menschen noch als Geschöpf und Bild Gottes betrachten oder bloß als Designerprodukt seiner selbst ohne unverlierbare Würde. Wenn einmal die Diktatur des Relativismus die ganze Welt erfasst, gibt es keinen Ausweg aus dem Gefängnis des Diesseits und keinen Appell an die höhere Gerechtigkeit mehr. Ohne Gott und ohne Hoffnung auf die Erlösung wird die Welt zur Hölle. So erkenne ich in diesem Papst-Portrait aus der Hand eines großen Künstlers nicht einfach nur einen rein biographischen Charakterzug Joseph Ratzingers. In Gesicht und Haltung des Papstes auf der Cathedra Petri spiegelt sich die Gewissheit des Glaubens und die demütige Kraft der Liebe, aber auch das Erschrecken über die dramatische Zuspitzung des Kampfes zwischen Glauben und Unglauben in unserer Zeit und über die Abgründe des Bösen, das sich kurz vor dem endgültigen Sieg wähnt über "Gott und das Lamm, das geschlachtet ward“ (Offb 5,12).

Freiheit ist ohne Wahrheit nicht möglich. Die Wahrheit über den Menschen und die Welt wird nicht von uns produziert und verwaltet, sondern von Gott geschenkt in Jesus Christus, vermittelt im Heiligen Geist und bezeugt durch die Kirche. Das ist die Grundbotschaft von Person und Werk Josef Ratzingers als Theologe und Seelsorger. Seine Erfahrung des Antagonismus von Gottesherrschaft und Menschendiktatur, die Wahrheit und Freiheit gegeneinander ausspielt und damit beide verspielt, und der Gewissheit, dass Gott siegt und den Menschen rettet, das ist das Bild, das der göttliche Künstler von Papst Benedikt XVI. für die Kirchengeschichte gemalt hat. Die Wahrheit, die Christus durch seine Kirche vergegenwärtigt, erdrückt nicht, drängt sich nicht auf und manipuliert nicht, sondern will in Freiheit und Liebe angenommen sein.

Die Demut der Verkündigung, die Joseph Ratzinger bei seiner überragenden Begabung immer vor dem Zynismus und dem Geschichtspessimismus bewahrt hat, ist der Gestus der einladenden Wahrheit, die Glauben und Gewissen in Freiheit ermöglicht. Auch unter den Nichtchristen gibt es viele, die aufrichtig suchen. Sie sind im Bezug auf die Wahrheit mit uns Christen verbunden. Sie lassen sich nicht vom militanten Atheismus vereinnahmen, der die Entchristlichung Europas betreibt und damit unseren Kontinent seiner religiös-sittlichen Lebenswurzeln beraubt. Für uns Christen gilt, dass wir die Wahrheit nicht besitzen wie ein Eigentum und über sie verfügen wie eine Herrschaftsideologie. Mit seinen großen Lehrern Augustinus und Bonaventura ist für Joseph Ratzinger die Wahrheit der Ort der Vermittlung zwischen den gläubigen und den suchenden Menschen: Niemand kann Gott suchen, wenn ihn Gott nicht immer schon gefunden hätte, und keiner hat Gott gefunden, der ihn nicht immer wieder neu suchen würde – sein Leben lang.

Die Begegnung zwischen Papst Benedikt XVI., dem Zeugen und Mitarbeiter der Wahrheit, und seinem Portraitisten, dem suchenden Menschen und begnadeten Künstler Michael Triegel, hat dieses Bild hervorgebracht, das wir heute der Öffentlichkeit übergeben. Es ist Anlass zur Bewunderung der Malkunst von Michael Triegel, und zugleich Grund, Gott zu danken für Joseph Ratzinger als Mensch und Christ, als Theologe und Gelehrter von Weltrang, als Erzbischof von München und Freising, als oberster Hirte der Kirche von 2005 bis 2013 und nun als einfacher Pilger auf seinem letzten Wegstück hier auf Erden hin zur ewigen Heimat – der demütige Arbeiter im Weinberg des Herrn.

 

 

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