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La Curia Romana  
 

 

 
 
 

Prälat Dr. Giampietro Dal Toso
Sekretär des Päpstlichen Rates Cor Unum

 

Theologische Einführung
zum Kolloquium Caritastheologie und/oder Sozialethik? 
Versuch einer Synthese

(Vatikanstadt, 4. M
ärz 2013)

Am Ende einer Veranstaltung wird die Frage legitim, ob sie ihre Ziele erreicht hat. Vorausgesetzt, dass das Leben und Ableben einer Idee schwer voraussehbar ist und dass das gesprochene Wort, sowie jede unserer Handlungen, weitere Kreise zieht, die nicht messbar sind, weil sie bis in die Unendlichkeit wirken, glaube ich, dass die verschiedenen Beiträge doch neues Licht über die Problematik von Unterschied und Gemeinsamkeiten von Sozialethik und Caritas-Theologie gebracht haben. Darüber hinaus, diesmal vom praktisch-pastoralen Standpunkt aus, sind zwar Probleme angesprochen worden, die die spezifische Situation Deutschlands betreffen; sie können aber in ihren grundsätzlichen Zügen weit hinaus von Bedeutung sein. Die Frage, was macht eine Caritasstation katholisch, betrifft nicht nur die zahlreichen Institutionen, die z. B. der Deutsche Caritasverband führt, sondern kann sehr leicht auch an viele unserer katholischen Einrichtungen gestellt werden, gleich auf welchem Breitengrad und in wessen katholischer Trägerschaft.

Was die Ausgangsfrage des Verhältnisses von beiden Disziplinen anlangt, so kann man anhand eines Modells eine Synthese versuchen. Ich greife hier frei auf Papst Paul VI. und seine Enzyklika Ecclesiam suam zurück, die den Dialog der Kirche anhand von verschiedenen Kreisen gestalten möchte, die wiederum nicht in sich geschlossen sind, als ob sie rein aus eigener Kraft lebten, sondern sich berühren und ineinander übergreifen. Der Christ stimmt Christus nicht unabhängig oder gar abgesehen von der Kirche zu, die Gemeinschaft der Gläubigen ist. Diese lebt in der Welt, selbst wenn sie nicht von der Welt ist. So weist diese vielfältige Zugehörigkeit auf die Grenzen hin, die jedes Modell in sich trägt.

Der Kern ist Christus. Paulus schreibt in seinem Brief an die Kolosser: „In Ihm hat alles Bestand“ (Kol 1,17). Sein Primat bestimmt die Schöpfung, und die Erlösung. In Christus finden wir jenes Einheitsprinzip, das den Dingen, den Geschehnissen, den Personen ihren letzten Sinn und Halt vermittelt. So kann auch von unserer Seite jede Analyse und Perspektive nur von diesem Kern ausgehen.
Der biblische Ansatz hat auch das Spezifische der Sendung Christi hervorgehoben, das wieder sehr in unser Thema hineinpasst: „Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele“ (Mk 10,45). Der Dienst in der Hingabe seiner selbst aus Liebe kennzeichnet also die Proexistenz Christi. In Ihm offenbart sich in vollem Licht das trinitarische Leben, die Fülle der Liebe: Deus caritas est.

Der erste Kreis wird von den Personen gebildet, die die Nachfolge Christi auf sich genommen haben – es ist die Kirche betrachtet in ihren Gliedern. Wir haben in diesem Sinne von Christusförmigkeit gesprochen. Als Christ ist der Getaufte dazu berufen, die Gestalt Christi zu übernehmen. In diesem Sinne ergeht der Auftrag des Dienens an jeden Christen. Zentrales Gebot des Christentums ist somit die Gottes- und Nächstenliebe (vgl. Mk 12,30-31). Dies ist auch der Weg der Heiligkeit: Der christusförmige Getaufte dient konkret anderen Menschen, gleich welcher Zugehörigkeit.
Natürlich weitet sich dieser Kreis analog auch auf jeden Menschen aus. Am Menschen muss sich aber auch jedes menschliche System messen und messen lassen. Schon in Gaudium et Spes erklingen die Worte über die Zentralität des Menschen, in dem auch die Schöpfung ihren Höhepunkt erreicht. „Wurzelgrund nämlich, Träger und Ziel aller gesellschaftlichen Institutionen ist und muss auch sein die menschliche Person, die ja von ihrem Wesen selbst her des gesellschaftlichen Lebens durchaus bedarf„ (Nr. 25, vgl. auch Nr. 12).

Einen zweiten Kreis sehe ich in der Kirche (forum internum). Sie besteht ja – wenigstens in ihrem Kern – aus denjenigen, die den Weg der Christusförmigkeit durch die Taufe angefangen haben zu gehen. Andererseits steht die Kirche in einem ständigen Kontakt mit allen Menschen, da ihre Berufung, in der Nachfolge ihres Herrn, darin besteht, das Heil Gottes jedem Menschen anzubieten. In diesem Sinne ist auch die Realisierung der Vollzüge der Kirche – dies sei auch in Bezug auf die drei Grundfunktionen gesagt - zu verstehen. So verantwortet sich das Leben der Kirche einer einzigen Mission, dem Heil der Menschen, das gleichzeitig Verherrlichung Gottes ist: dem Menschen wird offenbart, dass Gott ihn liebt. Auf diese einzige Mission ist die Verschiedenheit ihrer Vollzüge zurückzuführen.
Der Liebesdienst der Kirche als Verwirklichung einer ihrer Grundfunktionen hat hier seine Verortung; dies ist sichtbar schon von der Erfahrung der, in der Schrift dargestellten ersten christlichen Gemeinde, sowohl in ihrem Grundvollzug (Apg 2), als auch in der Einsetzung der sieben Diakone (Apg 6). Dies wird weiterhin bezeugt durch die ersten Formen institutionalisierter Caritas (Hl. Geist-Spitäler). Kirche ist nur verkürzt da, wenn ihr Liebesdienst ausbleibt.
Für unsere Ausgangsfrage können wir sagen, dass hier der eigentliche Ort der Caritas-Theologie ist, weil die Theologie die ist, die grundsätzlich über das Heil des Menschen im Lichte des Gottes Jesu Christi reflektiert. In dem kerygmatisch ausgesprochenen, sakramental besiegelten und diakonisch vergegenwärtigten Geschehen Christi – der Kirche – reflektiert die Caritas-Theologie die theologischen Implikationen der Vergegenwärtigung Christi im Liebesdienst, u.z. nochmals in diesem zugleich verkündigenden und sakramental gekennzeichneten Raum.
Hier setzt auch die Reflexion zur Verbindung von Caritas und Pfarrstrukturen, von Caritas und Pastoral, von Caritas und Evangelisierung, von Caritas und Spiritualität an. Von hier aus geht auch, wieder im Zeichen der Caritas-Theologie, die Frage an unsere karitativen Institutionen, wie in ihnen Kirche realisiert wird.

Der erste, personenbezogene Kreis unseres Modells steht im Dialog mit diesem zweiten Kreis. Hier setzt die Frage an nach der Qualität des Dienstes katholischer Institutionen an die Menschen, die sich an uns wenden, aber auch die Frage der immer zu erneuernden Motivation und Spiritualität der Mitarbeiter und der Führungskräfte. In diesem Dialog situieren wir auch die stärker aufkommende Frage an unsere Caritas-Mitarbeiter: „Wer bist Du, der Du mir Kirche vermittelst?“ In diesem Dialog hat ihren Platz auch die Reflexion und das Anbieten einer fundierten christlichen Anthropologie, d.h. des Menschenbildes, das von Grund auf unsere Tätigkeit motiviert und das von ihr gleichzeitig mitgeprägt wird. Es ist aber nicht nur die theoretische Frage der Anthropologie: auch existentiell verdankt sich der Mensch dem Anderen, seiner Liebe, und spezifisch der Liebe Gottes, seines Schöpfers.

Einen dritten Kreis bildet die Welt (forum externum), spezifisch die Gesellschaft, in der wir uns bewegen, die wiederum nicht identisch ist mit Politik oder mit Strukturen der Politik. Wie die Kirche in einem Verhältnis zur Person steht, weil sie der Person dient, so steht die Kirche in einer wechselseitigen Beziehung zur Welt. Wie gestaltet sich diese Wechselbeziehung, die auch Zusammenarbeit ist im Hinblick auf das Gemeinwohl?
Die Kirche erarbeitet aufgrund ihres Glaubensschatzes und im Austausch mit anderen Wissenschaften Prinzipien und Grundsatzüberlegungen über wichtige Vollzüge der Gesellschaft (Arbeit, Wirtschaft, Makrobeziehungen, Entwicklung, Ökologie). In diesem Bereich der Wechselbeziehung zur Gesellschaft situiert sich die Rolle der Sozialethik, zum Unterschied zur Caritas-Theologie. Grundsätzlich ist hier an den Interpretationsschlüssel der Analogie zu denken: Kirche (ein sakramental umrissener Raum) und Gesellschaft sind nicht identifizierbar; zwischen ihnen besteht eine Kontinuität, aber auch eine Diskontinuität; die Begrifflichkeit (Gerechtigkeit, Liebe), die in der Kirche waltet, kann nur bedingt, besser eben analog, an die Gesellschaft angewandt werden und umgekehrt (Solidarität).
Darüber hinaus liefert die Kirche der Welt Modelle gelungenen Lebens, Modelle von guten Institutionen, Modelle authentischen Dienstes. Die Kirche bietet ferner der Gesellschaft eine Kultur: wie vom Kult sich Kultur ergibt, so wird diese Kultur weitergegeben gerade in einer Zeit der Krise, die auf ersten Anhieb gesehen finanzieller, genau gesehen aber kultureller Art ist. Dadurch kann die Welt regeneriert werden. Ein weiterer Bereich dieser Beziehung ist – wie seit jeher in der Geschichte - die Evangelisierung, eine Präsentation des Evangeliums in Wort und Tat (verbis et gestis) nach der inkarnatorischen Struktur des Dialogs Gottes mit den Menschen – und hier ist auch die Rolle der karitativen Tätigkeit nicht zu unterschätzen. Ein wichtiges Stichwort in diesem Zusammenhang ist Sauerteig. Die Kirche ist in der Welt wie ein Sauerteig, oder, nach den Worten des Diognet, die Christen sind in der Welt wie die Seele im Leib.
In dieser Wechselbeziehung ist die Kirche auch diejenige die von der Welt empfängt, weil sich Kirche auf dem Grund der Wirklichkeit realisiert. Christen sind Menschen in der Welt. Wir nehmen darüber hinaus auch die Anliegen der Welt auf uns. Wir sind nämlich in der Welt, selbst wenn wir nicht von der Welt sind; wir haben also eine Verantwortung gegenüber der Welt. Um diese Spannung herum kann die theologische Dimension der Sozialethik auch artikuliert werden.
Der Weltauftrag der Kirche ist somit nicht nur Sozialauftrag. Darum sind hier neben der Sozialethik auch weitere theologische Disziplinen zu bemühen. Dies wiederum impliziert ein Ineinander, das Interdisziplinarität als wachsende Notwendigkeit theologischer Reflexion vor Augen stellt. Dieses Kolloquium im Vatikan versteht sich als wichtiges Element davon.
 

 

 

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