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 Pontifical Council for the Pastoral Care of Migrants and Itinerant People

People on the Move

N° 97 (Suppl.), April 2005 

 

pilgrimage 2000

 

Pastor Paul Martin CLOTZ

Pfarrer und Referent für Geistliches Leben

im Zentrum Verkündigung

der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau

 Frankfurt, Deutschland

 

Dieses Wort steht für ein Millenniums-Aktionsprogramm, mit dem verschiedene Initiativen und Gruppen aus den protestantischen Kirchen Mitteleuropas sich verstärkt dem Pilgern zuwandten.

Diese Sehnsucht

nach vielen Pilgerwegen, an denen auch evangelische Christinnen und Christen beteiligt sind, hat ihre Vorgeschichte und verschiedene Wurzeln:

1. Das Pilgern wurde neu entdeckt:

Im Rahmen des „Konziliaren Prozesses“ für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung hatten sich Christen in Deutschland seit den 70igern immer wieder an Protest-, Oster-, und Friedensmärschen beteiligt. Dabei wurde die biblische Tradition des „Unterwegsseins“ neu entdeckt und u.A. erfahren, wie hilfreich es für die Bearbeitung von Problemen ist, gewohnte Standpunkte auch einmal zu verlassen und (wenigstens versuchsweise) aufzugeben und aufeinander zuzugehen. Das geschieht beim Wandern tatsächlich und ganzheitlich mit jedem Schritt.

2. Wanderexerzitien in evangelischen Landeskirchen:

Seit 1990 begann in Mecklenburg eine Gruppe von evangelischen und katholischen Geistlichen zu zehntägigen „Ökumenischen Pilgerwegen“ einzuladen. Dabei wurden DDR-Erfahrungen der katholischen Magdeburg-Wallfahrt in eher evangelischen Landesteilen mit großem Zuspruch weitergeführt. An andern Stellen Deutschlands – vor allem in Hessen – wurden diese guten Erfahrungen ab 1995 aufgegriffen. Das Konzept dieser Pilgerwege orientiert sich an „Wanderexerzitien“ und lebt vom geistlichen Rahmen: Morgengebet mit Abendmahl oder Eucharistie. Mittagsgebet unterwegs. Abendgebet. Jeder Tag hat einen biblischen Text, der immer wieder aufgegriffen, bedacht und „begangen“ wird. Vormittags und nachmittags gibt es jeweils einen „Schweigeweg“ von etwa 45 Minuten mit anschließendem Austausch in kleinen Gruppen.

3. Mit Unterstützung „von oben“:

Eine Arbeitsgruppe von ÖRK und KEK zur Vorbereitung der Millenniumsfeierlichkeiten des Jahres 2000 regte schon 1996 in einer Erklärung an, mit vielen Pilgerwegen durch ganz Europa den Übergang ins neue Jahrtausend zu markieren, zu erleben und zu feiern. Darin hieß es:

„Pilgrimage for life into the new millennium. We have a vision that the new millennium will start with a year of pilgrimage. A vision that people of all the churches in Europe will join the celebration, that the whole of Europe will experience the faith in our Lord. Jesus Christ still is alive on our continent. Let us all join a pilgrimage throughout Europe. To be a pilgrim! Christian life is a journey with Christ, from death to life, from separation to reconciliation, from despair to hope. In pilgrimage we affirm our right to share the journey with one another, across national and denominational boundaries. In pilgrimage we give and receive hospitality in the name of Christ....“ (Co-ordinating Group for Mission and Renewal, established by the World Council of Churches and the Conference of European Churches).

Der Aufbruch

Diese Initiative führte zu einer Reihe von Workshops in der Missionsakademie Hamburg, in denen Pilgererfahrungen ausgetauscht, die theologischen Zusammenhänge durchdacht und praktische Pläne geschmiedet wurden. Dankbar hörten dabei Pilgerpraktiker und solche, die es werden wollten – die meisten von ihnen gehörten evangelischen Kirchen an –, auch auf Pilger- und Wallfahrtsspezialisten aus der katholischen Kirche – vor allem durch Kontakte zur deutschen Wallfahrtsrektorenkonferenz (denen ich ja letztlich auch die ehrenvolle Einladung zu diesem Kongress zu verdanken habe).

Und der Anstoß jener kleinen „Co-ordination-group“ setzte tatsächlich etwas Neues und Lebendiges in Gang. Aus den Workshops erwuchs praktisches konkretes Handeln. Es entstand ein Netzwerk von Pilgerinitiativen, von kirchlichen Pilger-Beauftragten und interessierten Einzelpersonen.

Das Evangelische Missionswerk in Hamburg (EMW) gab zur Unterstützung und Vertiefung in seiner Reihe „Weltmission heute“ eine Arbeitshilfe heraus (Nr. 33): Ökumenische Pilgerwege in Europa: Unterwegs zum Leben (1998).

Auf europäischer Ebene wurden einige zentrale Pilgerereignisse geplant: Ostern 2000: ein Weg nach Thessaloniki. Sommer 2000: ein Weg nach Trondheim. Herbst 2000: Teilnahme am Perschewa-Pilgerweg in Iasi, Rumänien. Fastenzeit 2001: ein „keltischer Pilgerweg“ nach Glastonbury in England. Pfingsten 2001: Pilgerweg nach Prag.

Unterwegsauf vielen Wegen durch das Jahr 2000

Diese europäischen „Highlights“ waren ganz schön, aber doch eher eine Sache weniger Funktionäre. Nachhaltiger wirkten sich die Bemühungen aus, kreuz und quer durch Deutschland ein Netz von Pilgerwegen zu gestalten. Der ursprüngliche Wunsch ließ sich allerdings nicht umsetzen, durchgehende Wege von Flensburg nach Basel, von Görlitz nach Aachen anzubieten.

Aber schließlich gab es doch ca. 20 regionale Pilgerwege. Viele von ihnen dauerten eine Woche oder zehn Tage. An diesen geistlichen Gruppenwanderungen waren jeweils etwa 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer beteiligt. Sie orientierten sich z.T. an alten Pilgerrouten und suchten geprägte heilige Orte und ehrwürdige Kirchen (mit Wallfahrtstradition) auf.

Wichtig war, dass trotz der Regionalisierung ein hohes Maß an Gemeinsamkeit und innerem Zusammenhalt erreicht werden konnte:

Aus der Arbeit der Workshops in Hamburg erwuchs ein weiteres Vorbereitungs- und Materialheft: „Von Osten und Westen, von Norden und Süden: Ökumenische Pilgerwege“, erschienen im Jahr 2000 bei „Missio“ Aachen mit Unterstützung einiger evangelischer Landeskirchen.

Die indische Künstlerin Lucy DÂ’Souza-Krone malte für all diese Wege ein Meditationsbild „Unterwegs zum Leben – unterwegs zum Licht“. Jede Gruppe stellte sich selbst davon ein großes Stoffbild her, das mit auf die Wege genommen wurde und für die inhaltliche Gestaltung und tägliche Meditation benutzt wurde. Außerdem gab es Poster und Karten des Bildes für die Teilnehmenden und die Gastgeber unterwegs.

In einem zentralen ökumenischen Gottesdienst am 14. Mai 2000 in der Elisabethkirche in Marburg wurden die Wege des Jahres eröffnet. Die beiden für Marburg zuständigen Bischöfe waren für diese Feier zuständig. Bischof Zippert aus Kassel gestaltete die Liturgie. Erzbischof Dyba aus Fulda hielt die Predigt. Es waren Vertreterinnen und Vertreter fast aller geplanten Pilgerwege angereist. Sie hatten ihre Bildtücher dabei, die von beiden Bischöfen für die kommenden Wege gesegnet wurden.

Ein weiter Höhepunkt war ein Pilgertreffen mit 150 Menschen in der Marburger Elisabethkirche am 1. und 2. Juli 2000. Drei verschiedene Wege vom Hülfensberg, von Mainz und vom Kloster Altenberg her hatten hier ihr gemeinsames Ziel und ihre bewegende Schlussfeier.

Es geht weiter!

Die Bezeichnung dieses gesamten Projektes als „Pilgrimage 2000plus“ hatte die Hoffnung ausdrücken wollen, dass dieser Pilgeranstoß auch über ein Jahr hinaus wirken sollte. Das hat sich bewahrheitet. Das entstandene Netzwerk verschiedener Initiativgruppen wuchs und besteht weiter und fördert den Gedanken- und Erfahrungsaustausch.

Es ist maßgeblich daran beteiligt, dass das Thema „Pilgern“ im evangelischen Bereich immer selbstverständlicher Heimat findet. Vor allem in Norddeutschland gibt es seitdem neu eine Reihe jährlich durchgeführter „Ökumenischer Pilgerwege“. Die Mecklenburger und Hessischen Wege sind feste Einrichtungen geworden. Zusätzlich entstanden durch diese Anregungen neue markierte Pilgerrouten, wie der „Elisabethpfad“ und die „Bonifatiusroute“ in Hessen und der „Ökumenische Pilgerweg“ der Jakobsinitiative durch Sachsen von Görlitz bis nach Thüringen. Längere Pilgerwege gehören inzwischen in Zürich und in Hessen-Nassau zum festen Bestandteil der Pfarrerfortbildung.

Die Initiatoren von „Pilgrimage 2000plus“ blieben als „Arbeitsgemeinschaft Ökumenischer Pilgerwege in Deutschland“ zusammen und gestalteten beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Frankfurt 2001 mit etwa 14 Gruppen aus Deutschland und der Schweiz in der großen Messehalle 1 eine viel beachtete „Pilgerherberge“ und halfen bei der Durchführung des Kirchentags-Pilgerwegs durch die Frankfurter Innenstadt mit ca. 5000 Teilnehmenden. Dies wurde fortgesetzt beim 1. Ökumenischen Kirchentag in Berlin 2003. Und auch der Deutsche Evangelische Kirchentag in Hannover 2005 wird wieder eine Pilgerherberge haben, weil „Pilgern“ dort eines der Schwerpunktthemen werden soll.

Sind alle Ziele erreicht?

Was aber wurde aus dem Wunsch, dass durch „Pilgrimage 2000plus“ auch Wege über die Grenzen von Kirchen und Konfessionen gefunden werden könnten, dass Schritte der Versöhnung gewagt und neue Wege der Hoffnung miteinander gegangen werden?

Für die, die sich in dieser Zeit miteinander auf Wege durch dieses Land machten, hat sich diese Sehnsucht mehr als erfüllt. Da geschieht ein vorbehaltloses, also grenzenloses geschwisterliches Miteinander von Menschen mit unterschiedlichsten kirchlichen Bindungen und Zugehörigkeiten. Das verwundert keinen, der solche geistlichen Übungswege schon gegangen ist. Denn auf dem Weg sind alle gleich. Jede und jeder muss mit sich und seinem Weg alleine fertig werden. Da nützt nicht eine besondere Weltanschauung oder Gottessicht. Vorerfahrungen oder Vorurteile spielen keine Rolle. Jetzt gilt es. Jetzt muss Schritt vor Schritt gesetzt werden – immer diese Übung vom Aufgeben eines alten Standpunkt zugunsten eines neuen.

Aber wir sind als Gruppe unterwegs, als Gemeinde, und erleben uns als Leib Christi. Vieles wird dabei miteinander geteilt. Geteilt werden vor allem die neuen Erfahrungen, die jetzt auf diesem Weg gemacht werden. Sie gehören nur in diese Gruppe und haben wenig mit dem zu tun, was zu Hause oder im Alltag vielleicht so wichtig zu sein scheint. Geteilt wird das Hören auf Gottes Wort, das Feiern seiner Gegenwart, die Erfahrung seines Schutzes und seiner Bewahrung. Aber auch der Pilgeralltag ist für alle gleich: Essen und Trinken, die primitive Unterkunft, die Mühe des Weges, die Last der Rucksäcke, das Schwitzen und die Blasen an den Füßen – doch es wird auch geteilt die Freude, trotz aller Hindernisse das Ziel glücklich erreicht zu haben. Es wird geteilt das Lachen und das Weinen, die Angst und die Hoffnung, das Leiden und das Heilwerden.

So erleben wir bei diesen Pilgerwegen eine freundschaftliche Ökumene und sind dankbar für die dabei gewonnene Vielfalt. Wie auch bei „Pilgrimage 2000plus“ versehen die meisten von uns ihre Angebote mit dem Prädikat „ökumenisch“. Was wollen wir damit zum Ausdruck bringen? Ich nenne die drei Gründe, die ich habe:

1. Wenn ich im Auftrag meiner Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau zu Pilgerwanderungen einlade, möchte ich zum Ausdruck bringen, dass dies mehr als eine rein „evangelische“ Veranstaltung ist. Unsere reformatorischen Väter haben damals von der Teilnahme an Wallfahrten abgeraten wegen der Gefahr von Werkgerechtigkeit und der moralisch bedenklichen Zustände an den Wallfahrtsorten. So gibt es keine evangelische Tradition der geistlichen Wanderung. Um so dankbarer sind wir aber, dass in der katholischen Kirche diese wichtige zentrale biblische Übung der leibhaftigen Nachfolge des Herrn so gut aufbewahrt wurde. Gerne greifen wir diese Anregungen auf und versuchen sie, mit den eigenen protestantischen Wurzeln in Verbindung zu bringen. Wir Evangelischen lernen von der katholischen Tradition. Vielleicht ist umgekehrt von unseren Erfahrungen auch etwas zu lernen. Dadurch könnte ein wahrhaft ökumenischer Lernprozess im Geben und Nehmen in Gang kommen.

2. Wegen dieser biblischen Ökumenizität können wir unsere Pilgerwege nicht ausschließlich für Evangelische anbieten. Das wäre ein merkwürdiger Widerspruch in sich. So soll das Prädikat „ökumenisch“ signalisieren, dass auch Katholiken willkommen sind. Und sie kommen auch.

Und mehr noch: Unsere Wege machen Tag für Tag Station in Kirchengemeinden. Deswegen erbitten wir Gastfreundschaft immer auch in katholischen Gemeinden. Gerne werden wir aufgenommen. Man stellt uns für unsere Gruppe mit ca. 50 Personen das Gemeindehaus für die Übernachtung zur Verfügung, die Kirche für die Andacht und organisiert eine einfache Verpflegung – und ich will es nicht verschweigen: Katholische Gemeinden sind bei unseren Pilgergruppen sehr beliebt, weil uns dort meistens eine ganz besonders herzliche (und auch nahrhafte) Gastfreundschaft begegnet.

3. Aber dieser Hoffnung auf ökumenische Geschwisterlichkeit werden wir nur gerecht, wenn im Leitungsteam jeweils auch Katholiken mitwirken, vor allem auch Geistliche. Bisher finden sich dafür genug Pfarrer und vor allem Ordenspater. Dankbar sind wir für diese liebevolle Unterstützung und Wegbegleitung.

Doch kommen die Kontakte zu katholischen Geistlichen bisher eher nur auf privater Basis zustande, selten im Rahmen der ACK, noch gar nicht durch Verabredungen zwischen verschiedenen Kirchenleitungen. Sicher handelt es sich bei diesen „Ökumenischen Pilgerwegen“ zahlenmäßig um kleine unscheinbare Unternehmungen, die in dieser Hinsicht fast nichts sind gegenüber den jährlichen Wallfahrten z.B. nach Walldürn mit jeweils hunderten oder mehreren Tausend Teilnehmern. Und doch wäre es wünschenswert, dass unsere „ökumenischen“ Gehversuche auch von den Kirchenleitungen auf beiden Seiten besser wahrgenommen, befürwortet und unterstützt werden.

Ökumenisch pilgernd unterwegs zu sein hat sicher mit dem Auftrag und der Verheißung unseres Herrn zu tun im Sinne von Johannes 13 und 14, wo die Fußwaschung (eine wichtige Pilgerübung) mit dem Liebesgebot verbunden ist und dem Hinweis, wohin der Weg rechter Jüngerschaft führt: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen, und ich gehe jetzt hin, um dort einen Platz für euch bereitzumachen... Den Weg zu dem Ort, an den ich gehe, kennt ihr ja. Thomas sagte zu ihm: Herr, wir wissen nicht einmal, wohin du gehst. Wie sollen wir dann den Weg dorthin kennen? Jesus antwortete: Ich bin der Weg, denn ich bin die Wahrheit und das Leben.“ (Joh. 14,2-6 i.A. Übersetzung: „Gute Nachricht“).

 

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