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 Pontifical Council for the Pastoral Care of Migrants and Itinerant People

People on the Move

N° 97 (Suppl.), April 2005 

 

Ökumenische Aspekte eines Marienwallfahrtsortes  im Grenzland

 

 Prälat Richard SCHULTE STAADE

Wallfahrtsrektor Kevelaer

Deutschland

 

Der Marienwallfahrtsort Kevelaer ist durch seine geographische Lage und seine Entstehungszeit ökumenisch geprägt.

Kevelaer liegt unmittelbar auf der Grenze zwischen dem Herzogtum Kleve, dem Herzogtum Geldern und den benachbarten Niederlanden. Zunächst gehörte es durch das Herzogtum Geldern zu Burgund und hatte daher enge Beziehungen zu den Habsburgischen Erblanden, die bis 1802/1815 zu Österreich gehörten. In den Niederlanden, hatten sich im Jahr 1642 die reformierten Generalstaaten so stark entwickelt, dass sich dort für einige Jahrhunderte der katholische Glaube nur schwer halten konnte und sich kaum entfaltete. Der Herzog von Kleve hatte als einziger Fürst den Friedensschluss von Münster 1648, Cuius regio eus religio, nicht durchgeführt, so dass sich im Kreis Kleve von den Tagen der Reformation an protestantische Gemeinden bildeten und auch durchhalten konnten. So sind noch im heutigen Dekanat Goch, zu dem Kevelaer jetzt gehört, drei Gemeinden ohne katholische Kirche.

Sehr früh starb dann das Herzogtum Geldern aus und fiel bereits 1702 an Preußen. Diese Tatsache macht verständlich, dass die Wallfahrt in Kevelaer von Beginn an gemessen wurde an dem kritischen Verständnis für Wallfahrt, wie es die Reformatoren zum Ausdruck brachten. Das wurde besonders daran deutlich, dass bei der Wallfahrt in Kevelaer das Hauptaugenmerk auf die Feier der Eucharistie, den Empfang des Bußsakramentes und die Katechese gelegt wurde. Sakramentsprozessionen wurden und werden bis auf den heutigen Tag nur von einzelnen Prozessionen in Eigeninitiative gehalten. Hier spielt auch der Einfluss des heiligen Petrus Canisius, dessen Vater Bürgermeister von Nimwegen war, das damals noch zu Geldern gehörte, eine große Rolle. Die kürzeste Verbindung der beiden Orte zueinander führt durch die Kevelaerer Heide. Tatsache ist, dass die Anrufung Consolatrix Afflictorum der lauretanischen Litanei zum ersten Mal in der Fassung von Petrus Canisius vorkommt. Sein Grundsatz „Gott kennen ist die erste Pflicht – wer Gott nicht kennt, der liebt ihn nicht“, hat Kevelaer mit geprägt.

Durch die Zugehörigkeit zu Preußen als reformiertes Fürstentum, war Kevelaer auch in der äußeren Entfaltung und dem Wallfahrtbrauchtum sehr nüchtern ausgestattet, wie sich überhaupt der Barock als gegenreformatorische Lebensart im Norden sehr schwer tat.

Die Oratorianer der école française neigten selber stark dem Jansenismus zu (Jansenius war Erzbischof von Ipern im heutigen Belgien). Dem Himmel sei Dank, dass die Verbindung zu Flandern, Limburg und Brabant, dem Gebiet in Verbindung mit Habsburg und davor Spanien, seinen Einfluss so stark geltend machte, dass Kevelaer als so etwas wie die letzte katholische Hochburg dem alten Glauben erhalten blieb.

Die Zeit unter Bismarck, der wir in Deutschland den Namen „Kulturkampf“ geben, ließ auch Kevelaer nicht ungeschoren. So wurde zum Beispiel das Priesterhaus zwanghaft geräumt und die Brüder und Geistlichen mussten im Dorf wohnen. Diese Tatsache verfestigte jedoch das Bewusstsein des katholischen Glaubens. So lebten im Ort selber bis zum ersten Weltkrieg kaum evangelische Christen. Erst durch die Flüchtlinge und die Vertriebenen des Ostens 1945/46 kamen evangelische Christen in größerer Zahl nach Kevelaer. In dieser Zeit gab die katholische Gemeinde im heutigen Don-Bosco-Saal den glaubensverwandten Brüdern und Schwestern einen ersten Sakralraum. Etwa 15 Jahre später wurde eine erste evangelisch reformierte Kirche an der Brunnenstraße gebaut, bei deren Einweihung der Landespräses der rheinischen Kirche noch sagte: „Damit es wenigstens in dieser Stadt einen Ort gibt, an dem das wahre Evangelium verkündet wird.“

Die Zeit geht weiter. Seit 30 Jahren verbindet das Evangelium bewusst und gezielt die drei Kirchen miteinander: die katholische Kirchengemeinde, die rheinische Landeskirche und die freikirchliche Gemeinde. So finden z. B. in Kevelaer monatlich ökumenische Bibelgespräche statt und jährlich ist um den Buß- und Bettag im November eine gemeinsame Bibelwoche mit gemeinsamem ökumenischem Gottesdienst im Wechsel der Gemeinden.

Am 30 Jahre alten Pilgerportal der Basilika unter dem Thema „ Die Kirche auf dem Weg durch die Zeit“ ist dann auch ein lateinischer Bischof, ein griechisch-orthodoxer Metropolit und ein apostolischer Geistlicher zu sehen. Dieses Portal, feierlich jährlich am 1. Mai geöffnet, wurde 1987 durch Papst Johannes Paul II persönlich geöffnet. Im Nachhinein wurde es dann von dem armenischen Patriarchen von Konstantinopel Mesrob Mutafian (2000) und ein anderes Mal vom anglikanischen Bischof von St. Edmundsbury/Ipswich, Richard Lewis (2003), jeweils gemeinsam mit einem katholischen Bischof geöffnet.

In der gemeinsamen Verehrung und Dankbarkeit gegenüber der allerseligsten Jungfrau Maria, kamen immer schon orthodoxe Christen nach Kevelaer, weil – wie mir einmal ein orthodoxer Geistlicher sagte – in Kevelaer Maria verehrt werden kann, ohne dass eine lateinische Kirche betreten werden muss.

Seit 1992 wurde in Kevelaer eine orthodoxe Kapelle eingerichtet, die zum Ende des Jubiläumsjahres „350 Jahre Kevelaer-Wallfahrt“ in einer Pan-orthodoxen Vesper den orthodoxen Christen zur Verfügung gestellt wurde. Damit haben hier in Kevelaer alle orthodoxen Christen einen Sakralraum, in dem sie ihrer Gewohnheit entsprechend die göttliche Liturgie unseres Vaters Chrysostomus feiern und nach je eigenem Ritus, die Sakramente spenden können.

In der großen Zahl der Pilger sind zunehmend evangelische Christen vertreten und als ich einmal mir bekannte evangelische Christen aus Wesel beim Kerzenopfer sah, sagten sie mir spontan: „Die Kerzen, von evangelischen Christen aufgestellt, helfen besser, als die von den Katholen“.

Immer wieder gibt es auch Wallfahrtsgruppen aus nicht katholischen Pfarrgemeinden der Niederlande und Deutschlands, die hierher kommen, um Gottesdienste zu feiern. Wir weisen diese Gottesdienste bewusst nicht als ökumenische „Ereignisse“ aus, sonder wir begrüßen die Wallfahrer wie gewohnt und stellen ihnen die Kirchen und Kapellen in Kevelaer zur Verfügung. Dies gilt z. B. für die große Motorradfahrerwallfahrt, in der sicher ein Drittel der Teilnehmer nicht katholisch ist, bis hin zur Tamilenwallfahrt, deren Teilnehmer zu einem Viertel Hindus sind.

Mit den orthodoxen kirchlichen Autoritäten unterhalten wir ebenso freundschaftliche Beziehungen wie mit den Gemeinden reformatorischer Orientierung, und die Zusammenarbeit vor Ort ist mit beiden ausgesprochen gut.

 

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