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Päpstlicher Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs

Auszüge aus den Ansprachen des Heiligen Vaters 

und Stellungnahmen des Heiligen Stuhls, 

Vertriebene und Inlandsflüchtlinge betreffend

In der Zeit vom 1. Februar 2002 bis 31. Januar 2003

AUDIENZ FÜR DIE TEILNEHMER AN DER
VOLLVERSAMMLUNG DER
PÄPSTLICHEN AKADEMIE DER SOZIALWISSENSCHAFTEN
 

Donnerstag, 11. April 2002 

Herr Präsident,
Exzellenz,
verehrte Damen und Herren Akademiker!
 

 2. ...

Die zunehmende wechselseitige Abhängigkeit zwischen Personen, Familien, Unternehmen und Nationen sowie zwischen Wirtschaftsgebieten und Märkten – was man als Globalisierung bezeichnet – hat das System der Interaktion und der sozialen Beziehungen durcheinandergebracht. Einerseits bringt sie positive Entwicklungen mit sich, andererseits birgt sie auch besorgniserregende Gefahren, insbesondere die Verschärfung von Ungleichheiten zwischen den starken und den abhängigen Wirtschaftssystemen sowie zwischen den Menschen, die von neuen Möglichkeiten profititeren können, und jenen, denen der Zugang zu ihnen verweigert wird. All dies lädt also dazu ein, die Frage der Solidarität neu zu überdenken. 

3. Vor diesem Hintergrund und angesichts der immer längeren Lebenserwartung des Menschen muß die Solidarität zwischen den Generationen besonders gründlich untersucht werden mit besonderer Aufmerksamkeit für die schwächsten Mitglieder, die Kinder und die älteren Menschen. ...Vor diesem Hintergrund ist es in erster Linie Aufgabe all jener, die in Politik und Wirtschaft Verantwortung tragen, alles dafür zu tun, daß sich die Globalisierung nicht zum Nachteil der Bedürftigsten und Schwächsten vollzieht und die Kluft zwischen armen und reichen Menschen sowie zwischen armen Ländern und reichen Ländern sich nicht noch weiter vertieft. ...

5. Die Verantwortlichen im bürgerlichen Leben handeln getreu ihrem Auftrag, wenn sie sich – in vollem Respekt der Menschenwürde – vor allem um das Gemeinwohl bemühen. Die Wichtigkeit der Fragen, mit denen unsere Gesellschaften konfrontiert ist, und die Ausmaße des Einsatzes für die Zukunft sollten einen kollektiven Willen zur Suche nach diesem Gemeinwohl anregen für ein harmonisches und friedliches Wachstum der Gesellschaft und für das Wohlergehen aller Menschen. .... Auf diese Weise werden die Bedingungen für eine nicht auferlegte, sondern kontrollierte Globalisierung Schritt für Schritt sichergestellt. 

In der Tat ist es Aufgabe der Politik, die Märkte zu regulieren und die Gesetze des Marktes den Gesetzen der Solidarität unterzuordnen, damit Personen und Gesellschaften nicht den verschiedenen Formen wirtschaftlicher Veränderungen preisgegeben und vor den Erschütterungen geschützt sind, die mit der Deregulierung der Märkte zusammenhängen.

 

ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AUS ANLAß DES "AD-LIMINA"-BESUCHES
DER ZWEITEN GRUPPE DER BISCHÖFE AUS NIGERIA 

Dienstag, 30. April 2002 

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! 

... 

Denn, wenn es durch Verkündigung und Katechese gelingt, die Kirche als Familie aufzubauen, wird dies der gesamten Gesellschaft zugute kommen: Die harmonischen Beziehungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen erhalten eine feste Grundlage, und der Ethnozentrismus wird vermieden. Zudem werden die Versöhnung, eine größere Solidarität sowie die gerechte Aufteilung der Ressourcen unter der Bevölkerung gefördert, und das gesellschaftliche Leben wird mehr und mehr vom Wissen um jene Verpflichtungen geprägt, die die Achtung für die gottgegebene Würde jedes menschlichen Wesens erfordert. ...

4. Überdies sind die Evangelisierung und die ganzheitliche menschliche Entwicklung – die Entwicklung jeder Person und der gesamten Person – eng miteinander verbunden

...Da die Menschen also mit dieser unvergleichlichen Würde ausgestattet sind, sollten sie nicht gezwungen sein, unter menschenunwürdigen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen oder politischen Bedingungen zu leben. Dies ist die theologische Grundlage des Kampfes für die Verteidigung von Gerechtigkeit und sozialem Frieden, für die Förderung, Befreiung und ganzheitliche Entwicklung der Menschen und jedes einzelnen Menschen. ...

5. Diese Verbindung zwischen Evangelisierung und menschlicher Entwicklung erklärt die Präsenz der Kirche im gesellschaftlichen Bereich, dem Schauplatz des öffentlichen und sozialen Lebens. Dem Beispiel des Herrn folgend, übt sie ihre prophetische Funktion zum Wohl aller Menschen aus, insbesondere der Armen, Leidenden und Schutzlosen. 

Sie macht sich zur Stimme derer, die keine Stimme haben, und beharrt auf dem Standpunkt, daß die Würde der menschlichen Person stets Mittelpunkt lokaler, nationaler und internationaler Programme sein soll....

 

SCHREIBEN AN DEN BISCHOF VON KIBUNGO, FREDERIC RUBWEJANG, ANLÄßLICH DER AUßERORDENTLICHEN VERSAMMLUNG DER "ASSOZIATION DER BISCHOFSKONFERENZEN ZENTRALAFRIKAS" 

An den Hochwürdigsten Herrn
Bischof Frédéric Rubwejanga,
Präsident der »Assoziation der Bischofskonferenzen Zentralafrikas« 

1. ...

Man kann das Drama nicht vergessen, das seit so vielen Jahren unaufhörlich das Afrika der Großen Seen heimsucht. Die begangenen Gewalttaten bedeuten nicht nur eine ständige Verneinung des göttlichen Planes, der alle zerstreuten Kinder in der Einheit sammeln will. Sie verneinen auch die Berufung des Menschen, dem der Schöpfer die Verantwortung übertragen hat, an seinem Werk mitzuwirken, indem er sich unablässig für die unbedingte Achtung des Lebens und der Würde jedes menschlichen Wesens einsetzt. Eure Länder haben einen hohen Tribut gezahlt aufgrund dieser Spirale der Gewalt und der Ausgrenzung, die zu immer mehr Armut und Unsicherheit führt und die Vertreibung weiter Teile der Bevölkerung zur Folge hat. Diese Logik des Hasses und der Verachtung gegenüber dem Nächsten hat besonders das Fundament der menschlichen Werte angegriffen, die für die Schaffung einer solidarischen Welt und die Aufnahme von geschwisterlichen und friedlichen Beziehungen zwischen den Menschen notwendig sind. Heute möchte ich zusammen mit Euch wiederholen: Nie wieder Krieg, der den Wunsch der Völker, in Frieden und brüderlichem Einverständnis zu leben, zerstört. Mögen sich im Afrika der Großen Seen mutige Zeugen einer neuen Hoffnung für die ganze Region erheben! ...

4. Um die Achtung der fundamentalen Rechte von Einzelpersonen und Gruppen im Hinblick auf ihre ganzheitliche Entwicklung zu fördern, ist die katholische Kirche dazu aufgerufen, sich an der Seite aller Menschen guten Willens dafür einzusetzen, eine neue Ära des Friedens, der Gerechtigkeit und der wahren Solidarität in der Region der Großen Seen herbeizuführen. Weil sie in der Menchlichkeit Erfahrung hat, muß sie weiterhin wachsam die derzeitigen Entwicklungen beobachten und alle katholischen Gemeinschaften zusammen mit ihren Hirten einladen, mutig die moralischen und geistlichen Werte aufzuzeigen, die für eine echte Veränderung der Geisteshaltung und des Herzens notwendig sind. ...

Aus dem Vatikan, 2. Mai 2002

 

SCHREIBEN VON PAPST JOHANNES PAUL II.
AN ERZBISCHOF JEAN-LOUIS TAURAN
ANLÄßLICH DER INTERNATIONALEN KONFERENZ
ZUM THEMA: "SKLAVEREI IM 21. JAHRHUNDERT -
DIE DIMENISION DER MENSCHENRECHTE
IM HINBLICK AUF DEN MENSCHENHANDEL"
 

Hochwürdigsten Herrn Erzbischof Jean–Louis Tauran,
Sekretär der Zweiten Sektion des Staatssekretariats für die Beziehungen mit den Staaten 

...

Der Handel mit menschlichen Personen ist ein erschütternder Verstoß gegen die Würde des Menschen und eine schwere Verletzung der fundamentalen Menschenrechte. Bereits das II. Vatikanische Konzil hatte »Sklaverei, Prostitution, Mädchenhandel und Handel mit Jugendlichen, sodann auch unwürdige Arbeitsbedingungen, bei denen der Arbeiter als bloßes Erwerbsmittel und nicht als freie und verantwortliche Person behandelt wird«, als »Schande« bezeichnet, »die die menschliche Gesellschaft zersetzt, jene entwürdigt, die das Unrecht tun, und in höchstem Maße ein Widerspruch gegen die Ehre des Schöpfers ist« (vgl.Gaudium et spes, 27). Solche Situationen sind eine Beleidigung jener Grundwerte, die alle Kulturen und Völker miteinander teilen, Werte, die im Wesen der menschlichen Person selbst verwurzelt sind. 

Die besorgniserregende Zunahme des Menschenhandels ist eines jener dringenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Probleme, die mit dem Globalisierungsprozeß zusammenhängen. Sie stellt eine ernste Gefahr dar für die Sicherheit einzelner Nationen und ist eine internationale Rechtsfrage, die nicht länger ignoriert werden kann. Die gegenwärtige Konferenz berät über den wachsenden internationalen Konsens, demzufolge das Problem des Menschenhandels durch die Förderung wirksamer Rechtsmittel bekämpft werden muß, um diesen schändlichen Handel zu unterbinden, diejenigen zu bestrafen, die von ihm profitieren, und die Wiedereingliederung der Opfer zu unterstützen. Gleichzeitig bietet die Konferenz eine wichtige Gelegenheit zur eingehenden Reflexion über die durch diesen Handel aufgeworfenen komplexen Menschenrechtsfragen. Wer könnte bestreiten, daß die Opfer dieses Verbrechens häufig die ärmsten und schutzlosesten Mitglieder der Menschenfamilie, die »geringsten« unserer Brüder und Schwestern, sind? 

Vor allem die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern ist ein besonders abstoßender Aspekt dieses Handels und muß als tiefe Verletzung der menschlichen Würde und Rechte betrachtet werden. Die beunruhigende Tendenz, Prostitution als Geschäft oder Gewerbe anzusehen, trägt nicht nur zum Menschenhandel bei, sondern ist auch ein Beweis für die zunehmende Tendenz, Freiheit und Sittengesetz zu trennen und das tiefe Geheimnis der menschlichen Sexualität auf eine reine Ware zu verkürzen. 

Daher bin ich voller Zuversicht, daß die Konferenz bei der Erörterung der wichtigen politischen und rechtlichen Fragen zur Bekämpfung dieser modernen Plage auch die durch den Menschenhandel aufgeworfenen tiefgreifenden ethischen Probleme untersucht. Auch müssen die tieferen Gründe für die wachsende »Nachfrage« ergründet werden, die den Markt menschlicher Sklaverei antreibt und den menschlichen Preis duldet, der hierfür zu zahlen ist. Eine vernünftige Einstellung gegenüber den behandelten Themen wird auch – insbesondere im Hinblick auf den Stellenwert der Frau – die Untersuchung jener Lebens- und Verhaltensweisen zur Folge haben, die zu all dem führen, was in entwickelten Ländern zu einer regelrechten Industrie sexueller Ausbeutung geworden ist. In ähnlicher Weise müssen die unterentwickelten Länder, aus denen die Mehrheit der Opfer kommen, unbedingt wirksamere Mechanismen zur Verhinderung von Menschenhandel und zur Wiedereingliederung der Opfer entwickeln....

Aus dem Vatikan, am 15. Mai 2002

 

ANGELUS 

Castelgandolfo
Sonntag, 11. August 2002

1. ... Wann wird man endlich verstehen, daß das Zusammenleben des israelischen und des palästinensischen Volkes nicht aus Waffengewalt hervorgehen kann? Weder Attentate noch Trennungsmauern oder Repressalien werden jemals zu einer gerechten Lösung der bestehenden Konflikte führen. ...

2. Von 1967 bis heute kam es zu einer grauenvollen Aufeinanderfolge unsäglichen Leids: das Leid der Palästinenser, die aus ihrem Land vertrieben worden sind oder – in letzter Zeit – gezwungenermaßen in einem ständigen Belagerungszustand leben, gleichsam als Objekt einer Kollektivstrafe; das Leid des israelischen Volkes, das in der täglichen Angst lebt, selbst zur Zielscheibe namenloser Attentäter zu werden. ...

3. Angesichts dieses humanitären Dramas, bei dem sich keine Hoffnungsschimmer abzuzeichnen scheinen, darf niemand teilnahmslos bleiben. Deshalb appelliere ich noch einmal an die israelischen und palästinensischen politischen Verantwortungsträger, sie mögen auf den Weg der aufrichtigen Verhandlungen zurückfinden. Die internationale Gemeinschaft bitte ich, sich mit größerer Entschlossenheit dafür einzusetzen, vor Ort präsent zu sein und ihre Vermittlung anzubieten im Hinblick auf die Schaffung der nötigen Voraussetzungen für einen fruchtbringenden Dialog zwischen den Parteien, der den Friedensprozeß zu beschleunigen vermag. Die Christen in allen Teilen der Welt lade ich ein, sich meinem inständigen und vertrauensvollen Gebet anzuschließen. ...

 

ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE BISCHÖFE DER REGION SÜD II IN BRASILIEN
ANLÄßLICH IHRES "AD-LIMINA"-BESUCHES
 

Samstag, 31. August 2002

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt! 

5. ...

Ich konnte auch feststellen, daß in den verschiedenen Pastoralplänen Themen wie Jugend, Familie, Katechese, Berufungen und soziale Kommunikationsmittel als Schwerpunkte hervorgehoben werden. Ich hoffe, daß auch die Bemühungen um eine angemessene Begleitung der Kinderpastoral fortgesetzt werden. ...

Es ist auch zu berücksichtigen, daß das euch gewiß seit Generationen bekannte Immigrationsphänomen heute ständig zunimmt, da die lateinamerikanische Bevölkerung aus den Grenzgebieten in eurem Land einen besseren Lebensstandard sucht. Ich danke Gott für eure ständigen Bemühungen um gegenseitige Kontakte mit den Bischofskonferenzen der Nachbarländer zur Harmonisierung der verschiedenen Pastoralprogramme und für die hochherzige und würdige Aufnahme der Bedürftigen. Den Hirten und Priestern übertrage ich auch die Aufgabe, diesseits und jenseits der Grenze über den negativen Einfluß der Sekten zu wachen. Das gute und gastfreundliche Wesen eurer Bevölkerung darf sich nicht von der konformistischen und utilitaristischen Tendenz verleiten lassen, auf kurzfristige Lösungen zurückzugreifen. Es kann hier nicht oft genug betont werden, daß es »notwendig ist, die angewandten pastoralen Methoden zu überprüfen, damit jede Teilkirche den Gläubigen eine der Person angemessenere religiöse Aufmerksamkeit schenken, die gemeinschaftlichen und missionarischen Strukturen festigen und jene Evangelisierungsmöglichkeiten einsetzen kann, die eine gereinigte Volksfrömmigkeit bietet, um den Glauben aller Katholiken an Jesus Christus zu stärken« (vgl. Ecclesia in America, Nr. 3). ...

 

ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE BOTSCHAFTERIN GROßBRITANNIENS BEIM HL. STUHL, KATHRYN COLVIN, BEI DER ÜBERGABE DES BEGLAUBIGUNGSSCHREIBENS

Samstag, 7. September 2002

Euer Exzellenz! 

...

Nach den terroristischen Attentaten im September vergangenen Jahres hat die internationale Gemeinschaft die dringende Notwendigkeit erkannt, das Phänomen des gut finanzierten und hochorganisierten internationalen Terrorismus zu bekämpfen, der eine äußerst gefährliche unmittelbare Bedrohung für den Weltfrieden darstellt. Angestiftet durch Haß, Isolation und Mißtrauen, häuft der Terrorismus Gewalt auf Gewalt in einer tragischen Spirale, die die nachfolgenden Generationen verbittert und vergiftet. Im letzten »basiert der Terrorismus auf der Verachtung des Lebens des Menschen. Deshalb bildet er nicht allein den Grund für unerträgliche Verbrechen, sondern stellt selbst ein wirkliches Verbrechen gegen die Menschheit dar, insofern er auf den Terror als politische und wirtschaftliche Strategie zurückgreift« (Botschaft zum Weltfriedenstag 2002, 4). 

Die internationale Gemeinschaft ist aufgerufen, als einen wesentlichen Bestandteil ihres Kampfes gegen alle Formen des Terrorismus neue und kreative politische, diplomatische und ökonomische Initiativen zu unternehmen mit dem Ziel, die skandalösen Bedingungen des schweren Unrechts, der Unterdrückung und Ausgrenzung zu beseitigen, die weiterhin zahllose Mitglieder der Menschheitsfamilie bedrücken. Die Geschichte zeigt in der Tat, daß die Rekrutierung von Terroristen in jenen Gebieten einfacher ist, in denen die Menschenrechte mißachtet werden und Unrecht ein Bestandteil des täglichen Lebens ist. Das heißt nicht, daß die in der Welt bestehenden Ungleichheiten und Mißbräuche terroristische Akte entschuldigen: Selbstverständlich kann es nie irgendeine Rechtfertigung für Gewalt und Mißachtung des menschlichen Lebens geben. Wie auch immer, die internationale Gemeinschaft kann die tieferliegenden Gründe nicht länger übersehen, die besonders junge Leute dazu führen, an der Menschheit, dem Leben selbst und der Zukunft zu verzweifeln und eine Beute der Versuchungen zu Gewalt, Haß und Rache um jeden Preis zu werden. 

...Die Schaffung einer solchen globalen Kultur der Solidarität ist vielleicht die größte moralische Aufgabe, die der Menschheit heute gestellt ist. Sie bildet eine besondere geistige und kulturelle Herausforderung für die hochentwickelten Länder des Westens, wo die Prinzipien und Werte des Christentums lange mit dem Gefüge der Gesellschaft selbst verwoben waren. Jetzt aber sind diese Werte in Frage gestellt von alternativen kulturellen Modellen, die in einem übertriebenen Individualismus gründen, der nur zu oft zu Indifferentismus, Hedonismus, Konsumismus und praktischem Materialismus führt, der die Grundlagen des sozialen Lebens zersetzen und auch untergraben kann. ...

 

GENERALAUDIENZ

Mittwoch, 11. September 2002

Liebe Brüder und Schwestern!

1. ...

 Ein Jahr nach dem 11. September 2001 wiederholen wir, daß keine Situation von Ungerechtigkeit, kein Gefühl von Frustration, keine Philosophie oder Religion eine solche Abirrung rechtfertigen können. Jede menschliche Person hat das Recht auf Achtung des eigenen Lebens und der eigenen Würde, weil sie unantastbare Güter sind. Das sagt Gott, das ist vom internationalen Recht festgelegt, das wird vom menschlichen Gewissen verkündet, das wird vom bürgerlichen Zusammenleben gefordert. 

2. Der Terrorismus ist und wird immer Ausdruck der unmenschlichen Grausamkeit sein, die gerade als solche nie die Konflikte unter den Menschen wird lösen können. Unterdrückung, bewaffnete Gewalt und Krieg sind Entscheidungen, die nur Haß und Tod säen und gebären. Nur die Vernunft und die Liebe sind gültige Mittel, um die Auseinandersetzungen zwischen den Personen und Völkern zu überwinden und zu lösen. 

Deshalb ist eine einmütige und entschlossene Anstrengung dringend erforderlich, um neue politische und ökonomische Initiativen in Gang zu setzen, die imstande sind, die skandalösen Situationen von Unrecht und Unterdrückung zu beheben, die so viele Glieder der Menschheitsfamilie belasten und die Voraussetzungen für einen unkontrollierbaren Wutausbruch schaffen. Wenn die Grundrechte verletzt werden, kann man den Versuchungen zu Haß und Gewalt leichter nachgeben. Es ist notwendig, gemeinsam eine globale Kultur der Solidarität aufzubauen, die den jungen Menschen die Hoffnung auf die Zukunft wiedergibt. ...

 

BOTSCHAFT VON PAPST JOHANNES PAUL II.
ZUM 89. WELTTAG DER
MIGRANTEN UND FLÜCHTLINGE (2003)

Für einen Einsatz zur Überwindung jeder Art von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit
und übertriebenem Nationalismus

1. In der heutigen Welt ist Migration zu einem weitverbreiteten Phänomen geworden, das alle Nationen entweder als Herkunfts-, Durchgangs- oder Aufnahmeland berührt. Es betrifft Millionen von Menschen und stellt eine Herausforderung dar, der sich die pilgernde Kirche im Dienst an der gesamten menschlichen Familie stellen und der sie im evangeliumsgemäßen Geist umfassender Nächstenliebe begegnen muß. Auch der diesjährige Welttag der Migranten und Flüchtlinge soll eine Gelegenheit des besonderen Gebets in den Anliegen all jener sein, die aus verschiedensten Gründen von ihrer Heimat und ihrer Familie entfernt leben; es soll ein Tag des ernsthaften Nachdenkens über die Verpflichtungen der Katholiken gegenüber diesen Brüdern und Schwestern sein.

Ganz besonders betroffen sind die verwundbarsten unter den Fremden: Migranten ohne Dokumente, Flüchtlinge, Asylsuchende, die Vertriebenen der in vielen Teilen der Welt anhaltenden blutigen Konflikte, und die Opfer – vor allem Frauen und Kinder – des verbrecherischen Menschenhandels. Auch in jüngster Vergangenheit wurden wir zu Zeugen tragischer Deportationen aufgrund ethnischer und nationalistischer Ansprüche, die unbeschreibliches Leid in das Leben der betroffenen Gruppen gebracht haben. Ursache dieser Situationen sind jene sündhaften Absichten und Handlungen, die im Widerspruch zum Evangelium stehen und die Christen weltweit auffordern, das Böse durch das Gute zu überwinden.

2. Entscheidend für die Zugehörigkeit zur katholischen Gemeinschaft ist nicht die Nationalität oder die gesellschaftliche oder ethnische Abstammung, sondern vor allem der Glaube an Jesus Christus und die Taufe im Namen der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Die »kosmopolitische« Natur des Volkes Gottes ist heute in praktisch jeder Teilkirche sichtbar, denn durch die Migration haben sich selbst kleine und ehemals isolierte Gemeinden in pluralistische und interkulturelle Realitäten verwandelt. Orte, an denen bislang nur selten Fremde zu sehen waren, sind nun die Heimat von Menschen aus den verschiedensten Teilen der Welt ...

Die Kirche ist der Überzeugung, daß das Eingrenzen der Mitglieder einer Ortsgemeinschaft aufgrund ethnischer oder anderer äußerer Eigenschaften eine Verarmung für alle Beteiligten bedeuten und dem fundamentalen Recht der Getauften widersprechen würde, Gott anzubeten und am Leben der Gemeinschaft teilzunehmen. Ferner werden Zuwanderer, die sich in einer bestimmten Pfarrgemeinde unerwünscht fühlen, weil sie die örtliche Sprache nicht beherrschen oder den lokalen Traditionen nicht folgen, leicht zu »verlorenen Schafen«. Der auch durch latente Diskriminierung verursachte Verlust dieser »Kleinen« sollte sowohl für die Hirten als auch für die Gläubigen Anlaß zu tiefer Sorge sein.

3. Das führt uns zurück zu einem Thema, das ich oft in meinen Botschaften zum Welttag für die Migranten und Flüchtlinge angeschnitten habe, nämlich die christliche Pflicht, jeden Bedürftigen aufzunehmen, der an unsere Tür klopft. Diese Offenheit bewirkt den Aufbau kraftvoller, lebendiger christlicher Gemeinschaften, die vom Geist bereichert werden mit jenen Gaben, die die neuen Jünger anderer Kulturen ihnen schenken. Dieser grundlegende Ausdruck evangeliumsgemäßer Liebe ist es, der auch unzählige Solidaritätsprogramme für Migranten und Flüchtlinge in allen Teilen der Welt beseelt. ...

Solidarisch handeln ist oft nicht leicht. Es erfordert Übung und die Abkehr von einer Haltung der Verschlossenheit, die in vielen heutigen Gesellschaften noch subtiler und durchdringender geworden ist. Um diesem Phänomen zu begegnen, verfügt die Kirche über umfassende Erziehungs- und Bildungsmöglichkeiten auf allen Ebenen. Daher rufe ich die Eltern und Lehrer auf, durch die Verbreitung positiver in der katholischen Soziallehre gründender Einstellungen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vorzugehen.

4. Stets tiefer in Christus verwurzelt, müssen die Christen alle Tendenzen überwinden, sich in sich selbst zu verschließen und sie müssen lernen, Menschen anderer Kulturen als Geschöpfe Gottes zu betrachten. Allein die wahre im Evangelium wurzelnde Liebe ist stark genug, den Gemeinschaften zu helfen, bloße Toleranz anderen gegenüber in wahre Achtung ihrer Unterschiede zu verwandeln. ....

Während ich die Katholiken auffordere, sich gegenüber den unter ihnen lebenden Fremden durch den Geist der Solidarität auszuzeichnen, bestärke ich die Immigranten in ihrer Pflicht, die sie aufnehmenden Länder wertzuschätzen und die Gesetze, Kulturen und Traditionen der Menschen, die sie freundlich empfangen haben, zu achten. Nur so wird sich soziale Harmonie durchsetzen können.

Der Weg zu wahrer Anerkennung der Immigranten in ihrer kulturellen Verschiedenheit ist in der Tat beschwerlich, in einigen Fällen ist es ein wahrer Kreuzweg. ...

5.Es braucht wohl kaum betont zu werden, daß kulturell gemischte Gemeinschaften einzigartige Möglichkeiten bieten, das Geschenk der Einheit mit anderen christlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften zu vertiefen. Viele von ihnen haben sich innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaften und zusammen mit der katholischen Kirche tatkräftig darum bemüht, Gesellschaften aufzubauen, in denen die Kulturen der Migranten und ihre besonderen Gaben aufrichtig geschätzt werden, und in denen Anzeichen von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und übersteigertem Nationalismus auf prophetische Weise entgegengewirkt wird. ...

Gottes reicher Segen möge mit all jenen sein, die die Fremden im Namen Christi herzlich aufnehmen.

Aus dem Vatikan, am 24. Oktober 2002

 

ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE TEILNEHMER DER VOLLVERSAMMLUNG DER
PÄPSTLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN
 

Montag, 11. November 2002 

Liebe Mitglieder der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften! 

...

Ich denke auch an den großen Nutzen, den die Wissenschaft den Völkern der Welt durch die Grundlagenforschung und durch technologische Anwendungen bringen kann. Wenn sie ihre berechtigte Unabhängigkeit vor dem wirtschaftlichen und politischen Druck schützt, wenn sie den Kräften des Konsenses und dem Profitstreben nicht erliegt, wenn sie sich um eine hochherzige, auf die Wahrheit und das Gemeinwohl ausgerichtete Forschung bemüht, kann die wissenschaftliche Gemeinschaft den Völkern der Welt helfen und ihnen auf verschiedene Weisen dienen, die anderen Strukturen nicht zugänglich sind. 

Zu Beginn dieses neuen Jahrhunderts sollen sich die Wissenschaftler fragen, ob sie nicht imstande sind, in dieser Richtung mehr zu tun. Können sie in einer immer stärker globalisierten Welt nicht noch mehr tun, um das Bildungsniveau zu heben und die Gesundheitsbedingungen zu bessern, um Strategien für eine ausgewogenere Verteilung der Ressourcen zu entwerfen, um den freien Informationsaustausch und den Zugang aller zum Wissen zu erleichtern, wodurch die Lebensqualität verbessert und die Lebenserwartung erhöht wird? Können sie nicht ihre Stimme deutlicher und mit mehr Autorität für den Frieden in der Welt erheben? ...

Auf diese Weise wird die Wissenschaft dazu beitragen, daß Gesinnung und Herz sich vereinen, indem der Dialog nicht nur zwischen den einzelnen Forschern in verschiedenen Teil der Welt, sondern auch zwischen den Nationen und Kulturen gefördert und ein unschätzbarer Beitrag zum Frieden und zur Harmonie unter den Völkern geleistet wird....

 

BESUCH DER ÖFFENTLICHEN SITZUNG IM ITALIENISCHEN PARLAMENT (PALAZZO MONTECITORIO)

ANSPRACHE SEINER HEILIGKEIT JOHANNES PAUL II.

Donnerstag, 14. November 2002

Herr Präsident der Italienischen Republik,
sehr geehrte Herren Präsidenten der Abgeordnetenkammer und des Senats,
Herr Ministerpräsident,
sehr geehrte Abgeordnete und Senatoren! 

....

8. Der wahrhaft humane Charakter eines Sozialwesens äußert sich besonders in der Aufmerksamkeit, die es seinen schwächsten Gliedern zuwendet. Blickt man auf den Weg, den Italien in den fast 60 Jahren nach den Zerstörungen des II. Weltkriegs zurückgelegt hat, kann man nicht umhin, die immensen vollbrachten Fortschritte zu bewundern, die auf eine Gesellschaft abzielen, in der allen Menschen annehmbare Lebensbedingungen sichergestellt werden. Aber genauso unvermeidlich ist die immer noch schwere Krise auf dem Arbeitsmarkt, vor allem für die jungen Menschen. sowie die vielen alten und neuen Formen der Armut, Not und Ausgrenzung, die viele italienische oder in dieses Land eingewanderte Personen und Familien bedrücken. Es bedarf also dringend einer spontanen und engmaschigen Solidarität, zu der die Kirche von Herzen ihren Beitrag leisten und die sie in jeder Weise unterstützen will. 

Dennoch kann eine solche Solidarität nicht umhin, vor allem auf die ständige Sorge der öffentlichen Institutionen zu zählen. ...

 

ANGELUS

 Sonntag, 17. November 2002

Liebe Brüder und Schwestern!

1. Heute wird in Italien der Tag der Migrationen begangen, ein alljährlicher Termin, der die kirchliche und die bürgerliche Gemeinschaft einlädt, über dieses wichtige und komplexe soziale Phänomen nachzudenken. 

Als Thema für den diesjährigen Tag haben die italienischen Bischöfe ein Wort des Apostels Paulus ausgesucht: »Nehmt einander an, wie auch Christus uns angenommen hat« (Röm 15, 7). Gott machte sich in Christus, durch die Annahme jedes Menschen, zum »Migranten« auf den Pfaden der Zeit, um das Evangelium der Liebe und des Friedens allen Menschen zu überbringen. Wie könnte man sich bei der Betrachtung dieses Geheimnisses nicht der Aufnahmebereitschaft öffnen und erkennen, daß jeder Menschen ein Kind des einzigen himmlischen Vaters und daher unser Bruder ist? 

2. Wir leben in einem Zeitalter tiefer Veränderungen, die Personen, ethnische Gruppen und Völker betreffen. Auch heute sind schwere Ungleichheiten, insbesondere zwischen der nördlichen und südlichen Erdhalbkugel, festzustellen. Das führt dazu, daß die Welt, die immer mehr zum »globalen Dorf« geworden ist, für die einen bedauerlicherweise ein Ort der Armut und Entbehrungen wird, während sich in den Händen anderer große Reichtümer konzentrieren. In diesem Zusammenhang besteht oft die Gefahr, daß der »andere« als Konkurrent angesehen wird, vor allem wenn seine Sprache, Nationalität und Kultur »anders« ist. 

Deshalb ist es wichtig, daß sich ein Geist der Annahme verbreitet, der in soziale Verhaltensweisen der besonderen Aufmerksamkeit gegenüber den Bedürftigen umgesetzt werden muß. Jeder ist aufgerufen, seinen Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten – angefangen beim jeweiligen Lebensumfeld und Tätigkeitsbereich. Von Herzen wünsche ich, daß die Familien, die Vereinigungen und die kirchlichen und weltlichen Gemeinschaften immer mehr zu Schulen der Aufnahmebereitschaft, des friedlichen Miteinanders und des fruchtbringenden Dialogs werden. Die Einwanderer sollen ihrerseits die Gesetze des Gastlandes achten und auf diese Weise zu ihrer besseren Integration in ihr neues soziales Umfeld beitragen. ...

 

ANSPRACHE VON JOHANNES PAUL II.
AN DIE NEUEN BOTSCHAFTER BEIM HL. STUHL

Freitag, 13. Dezember 2002

Exzellenzen! 

...

2. Der Friede ist eines der kostbarsten Güter für Menschen, Völker und Staaten. Da Sie das internationale Leben mit großer Aufmerksamkeit verfolgen, wissen Sie auch, daß alle Menschen sich sehnlichst diesen Frieden wünschen. Ohne Frieden kann es keine echte Entwicklung der Einzelpersonen, der Familien, der Gesellschaft und der Wirtschaft geben. Der Friede ist eine Pflicht für alle. Den Frieden anzustreben ist nicht ein Zeichen der Schwäche, sondern der Stärke. Er verwirklicht sich in der wachsamen Achtung der internationalen Ordnung und des Völkerrechts; diese müssen die Hauptanliegen aller Menschen sein, die für das Schicksal der Nationen Verantwortung tragen. Ebenso wichtig ist es, den vorrangigen Wert gemeinsamer und multilateraler Aktionen zur Lösung der Konflikte in den verschiedenen Erdteilen zu berücksichtigen. 

3. Elend und Ungerechtigkeiten sind Quellen der Gewalt und tragen zum Fortbestehen und zur Ausweitung gewisser lokaler und regionaler Auseinandersetzungen bei. Ich denke besonders an die Länder, in denen die Hungersnot sich zum Dauerzustand entwickelt. Die internationale Gemeinschaft ist aufgerufen, alles zu tun, damit diese Übel schrittweise bekämpft werden können, vor allem durch materielle und menschliche Ressourcen, die den bedürftigsten Völkern zugute kommen. Eine stärkere Unterstützung für die Organisation der einheimischen Wirtschaften würde es der autochthonen Bevölkerung ohne Zweifel er öglichen, ihre Zukunft immer besser in die Hand zu nehmen. 

Die Armut lastet heute in beunruhigender Weise auf der Welt, und sie gefährdet das politische, wirtschaftliche und soziale Gleichgewicht. Im Geist der 1993 abgehaltenen »Internationalen Konferenz von Wien« über die Menschenrechte ist die Armut ein Angriff gegen die Würde der Menschen und Völker. Das Recht jedes Menschen auf das Lebensnotwendige und darauf, einen Teil des nationalen Vermögens nutzen zu können, muß anerkannt werden. Durch Sie, verehrte Botschafter, möchte ich noch einmal einen eindringlichen Appell an die internationale Gemeinschaft richten, damit die doppelte Frage der Aufteilung der Reichtümer unseres Planeten und einer angemessenen technischen und wissenschaftlichen Unterstützung für die armen Länder so bald wie möglich überdacht werde, denn es handelt sich hierbei um Verpflichtungen für die reichen Länder. Die Entwicklungshilfe vollzieht sich in der Tat in allen Bereichen durch die Ausbildung lokaler Führungskräfte, die in Zukunft das Schicksal ihrer Völker in die Hand nehmen werden, damit die Rohstoffe und die Reichtümer aus dem Boden und unter dem Boden diesen Völkern direkt zugute kommen. 

In dieser Richtung möchte die katholische Kirche ihre Tätigkeit fortsetzen, sowohl auf diplomatischem Gebiet als auch durch ihre Präsenz und Nähe in den verschiedenen Ländern der Welt, indem sie sich für die Achtung der einzelnen und der Völker und für die Entwicklung aller Menschen einsetzt, insbesondere durch eine ganzheitliche Erziehung und durch soziale Werke. ...

 

BOTSCHAFT SEINER HEILIGKEIT
PAPST JOHANNES PAUL II.
ZUR FEIER DES
WELTFRIEDENSTAGES 

1. Januar 2003

PACEM IN TERRIS:
EINE BLEIBENDE AUFGABE

 ...

3. .... erkannte Johannes XXIII. die entscheidenden Voraussetzungen für den Frieden in vier klaren Erfordernissen des menschlichen Geistes: Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit (vgl. ibid., 265-266). Die Wahrheit - sagte er - wird die Grundlage des Friedens sein, wenn jeder einzelne außer seinen Rechten auch seine Pflichten gegenüber den anderen ehrlich anerkennt. Die Gerechtigkeit wird den Frieden aufbauen, wenn jeder die Rechte der anderen konkret respektiert und sich bemüht, seine Pflichten gegenüber den anderen voll zu erfüllen. Die Liebe wird der Sauerteig des Friedens sein, wenn die Menschen die Nöte und Bedürfnisse der anderen als ihre eigenen empfinden und ihren Besitz, angefangen bei den geistigen Werten, mit den anderen teilen. Die Freiheit schließlich wird den Frieden nähren und Früchte tragen lassen, wenn die einzelnen bei der Wahl der Mittel zu seiner Erreichung der Vernunft folgen und mutig die Verantwortung für das eigene Handelnübernehmen. ...

5. ...Nicht nur hat sich die vorausschauende Vision von Papst Johannes XXIII., das heißt die Aussicht auf eine völkerrechtlich verankerteöffentliche Autorität im Dienste der Menschenrechte, der Freiheit und des Friedens, noch nicht zur Gänze verwirklicht. Man mußleider auch ein häufiges Zögern der internationalen Gemeinschaft bei der Pflicht, die Menschenrechte zu achten und umzusetzen, feststellen. Diese Verpflichtung betrifft alle Grundrechte und duldet keine willkürlichen Auswahlentscheidungen, die Formen der Diskriminierung und Ungerechtigkeit mit sich bringen würden. Zugleich sind wir Zeugen davon, daßsich eine besorgniserregende Schere zwischen einer Reihe neuer»Rechte«, die in den hochtechnisierten Gesellschaften gefördert werden, und den elementaren Menschenrechten auftut, denen vor allem in unterentwickelten Gebieten immer noch nicht voll Genüge geleistet wird. Ich denke beispielsweise an das Recht auf Nahrung, auf Trinkwasser, auf Unterkunft, auf Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Der Friede verlangt, daßdieser Abstand Schritt für Schritt abgebaut und schließlichüberwunden wird. ...

6. ...aus diesem Blickwinkel ergibt sich das Gewißheit, daßdie Friedensproblematik nicht von der Frage der Würde und der Rechte des Menschen abgetrennt werden kann. Genau dies ist eine der immerwährenden Wahrheiten, welche Pacem in terris lehrt. Wir werden gut daran tun, am vierzigsten Jahrestag der Enzyklika daran zu erinnern und darüber nachzudenken.

Ist dies etwa nicht der Zeitpunkt, zu dem alle am Aufbau einer neuen Organisationsstruktur der gesamten Menschheitsfamilie mitarbeiten müssen, um Frieden und Eintracht unter den Völkern sicherzustellen und gemeinsam ihren ganzheitlichen Fortschritt zu fördern? 

... Man will vielmehr die Dringlichkeit unterstreichen, die bereits in Gang befindlichen Prozesse zu beschleunigen. Dabei soll auf die beinah universale Frage nach demokratischen Formen der Ausübung politischer Autorität sowohl auf nationalem wie internationalem Niveauebenso geantwortet werden, wie auf die Forderung nach Transparenz und Glaubwürdigkeit auf allen Ebenen desöffentlichen Lebens.  ...

8. Zwischen dem Einsatz für den Friedenund der Achtung vor der Wahrheit besteht eine untrennbare Verbindung. Ehrlichkeit bei der Erteilung von Auskünften, Gerechtigkeit in der Rechtsprechung, Transparenz der demokratischen Vorgänge geben den Bürgern jenes Gefühl von Sicherheit, jene Bereitschaft, Streitfälle mit friedlichen Mitteln beizulegen, und jenen Willen zu einem fairen und konstruktiven Einvernehmen, welche die wirklichen Voraussetzungen für einen dauerhaften Friedenbilden. Die Politikertreffen auf nationaler und internationaler Ebene dienen dem Anliegen des Friedens nur dann, wenn die gemeinsameÜbernahme der Verpflichtungen danach von jeder Seite respektiert wird. ...

Pacta sunt servandalautet ein antikes Sprichwort. Wenn alleübernommenen Verpflichtungen eingehalten werden müssen, ist mit besonderer Sorge auf die Erfüllung der gegenüber den Armenübernommenen VerpflichtungenWert zu legen. Denn ihnen gegenüber wäre die unterlassene Erfüllung von Versprechungen, die von ihnen als lebenswichtig empfunden werden, besonders frustrierend. So gesehen stellt die unterlassene Erfüllung der Verpflichtungen zugunsten der Entwicklungsländer ein ernstes moralisches Problem dar und rückt die Ungerechtigkeit der in der Welt bestehenden Ungleichheiten noch stärker ins Licht. Die von der Armut verursachten Leiden erfahren durch den Vertrauensverlust eine dramatische Steigerung. In letzter Konsequenz geht jegliche Hoffnung verloren. Bestehendes Vertrauen ist in den internationalen Beziehungen ein soziales Kapital von fundamentalem Wert.

9. Bei einer gründlicheren Betrachtung der Dinge ist zu erkennen, daßder Friede weniger eine Frage der Strukturen, als vielmehr der Personen ist. ...

Friedensgestenerwachsen aus dem Leben von Menschen, die eine dauerhafte Haltung des Friedens in ihrem Herzen hegen. Sie sind das Werk des Verstandes und des Herzens der»Friedensstifter«(Mt 5, 9). Friedensgesten sind möglich, wenn die Menschen die Gemeinschaftsdimension des Lebens voll zu schätzen wissen, so daßsie die Bedeutung und die Folgen begreifen, die bestimmte Ereignisse auf ihre Gemeinschaft und auf die Welt insgesamt haben. Friedensgesten erzeugen eine Tradition und eine Kultur des Friedens. ...

 

NEUJAHRSANSPRACHE VON JOHANNES PAULII.
AN DAS BEIM HL. STUHL AKKREDITIERTE
DIPLOMATISCHE KORPS

Montag, 13. Januar 2003

Exzellenzen, meine Damen und Herren! 

...

2. Ich bin persönlich beeindruckt von dem Gefühl der Angst, das oft in den Herzen unserer Mitmenschen wohnt. Der heimtückische Terrorismus, der jederzeit undüberall zuschlagen kann; das ungelöste Problem des Nahen Ostens mit dem Hl. Land und dem Irak; die Unruhen, die Südamerika und insbesondere Argentinien, Kolumbien und Venezuela erschüttern; die Konflikte, die zahlreiche afrikanische Länder davon abhalten, sich ihrer Entwicklung zu widmen; Krankheiten, die Ansteckung und Tod verbreiten; das schwere Problem des Hungers, vor allem in Afrika; unverantwortliche Verhaltensweisen, die zum Versiegen der Ressourcen unseres Planeten beitragen: Dies alles sind Geißeln, die dasÜberleben der Menschheit, die innere Ruhe des einzelnen und die Sicherheit der Gesellschaften gefährden. 

3. All dies kann sich jedochändern. Das hängt von jedem einzelnen von uns ab. Jeder kann in sich selbst sein Potential an Glauben, Redlichkeit, gegenseitigem Respekt und an Hingabe im Dienst an den anderen entfalten. 

Das hängt natürlich auch von den politisch Verantwortlichen ab, die dazu aufgerufen sind, dem Gemeinwohl zu dienen .... 

Zunächst ein»Ja zum Leben«!Die Achtung vor dem Leben an sich und vor dem Leben jedes einzelnen: Dies ist der Ausgangspunkt für alles weitere, denn das fundamentalste aller Menschenrechte ist gewißdas Recht auf Leben. Abtreibung, Euthanasie und das Klonen von Menschen beispielsweise bergen das Risiko in sich, die menschliche Person auf ein bloßes Objekt zu reduzieren: gleichsam Leben und Tod auf Bestellung! Wenn der wissenschaftlichen Forschung, die sich mit dem Ursprung des Lebens befaßt, jegliches moralische Kriterium fehlt, wird sie zu einer Verneinung des Wesens und der Würde des Menschen. Auch der Krieg ist ein Angriff auf das menschliche Leben, weil er Leid und Tod mit sich bringt. Der Kampf für den Frieden ist immer auch ein Kampf für das Leben! 

Dann die Einhaltung des Rechts. Das gesellschaftliche Leben - insbesondere auf internationaler Ebene - setzt gemeinsame, unantastbare Prinzipien voraus, deren Ziel es ist, die Sicherheit und Freiheit von Bürgern und Nationen zu garantieren. Diese Verhaltensnormen sind die Grundlage der nationalen und internationalen Stabilität. Heute verfügen die Verantwortlichen in der Politiküberäußerst zweckmäßige Texte und Institutionen. Es genügt, sie in die Tat umzusetzen. Die Welt wäre ganz anders, wenn man damit anfinge, die unterzeichneten Abkommen aufrichtig anzuwenden!

Schließlich die Pflicht zur Solidarität. In einer mit Informationenüberfrachteten Welt, der jedoch paradoxerweise die Kommunikation so schwer fällt und in der die Lebensbedingungen so skandalös ungleich sind, ist es wichtig, nichts unversucht zu lassen, damit sich alle für das Wachstum und das Wohlergehen aller verantwortlich fühlen. Es geht dabei um unsere Zukunft. Junge Menschen ohne Arbeit, ausgegrenzte Behinderte, allein gelasseneältere Menschen, Länder, die in Hunger und Elend gefangen sind: All dies führt viel zu oft dazu, daßder Mensch verzweifelt und der Versuchung erliegt, sich in sich selbst zu verschließen oder Gewalt zu gebrauchen. 

4. Aus diesem Grund müssen Entscheidungen getroffen werden, damit der Mensch noch eine Zukunft hat. Dazu müssen die Völker der Erde und ihre Verantwortlichen manchmal den Mut haben,»Nein«zu sagen. 

»Nein zum Tod«!Das bedeutet Nein zu allem, was die unvergleichliche Würde aller Menschen zu verletzen droht, angefangen bei der Würde der ungeborenen Kinder. Wenn das Leben wirklich ein Schatz ist, mußman es zu erhalten wissen und es Früchte bringen lassen, ohne es zu verfälschen. Nein zu allem, was die Familie, diese Keimzelle der Gesellschaft, schwächt. Nein zu allem, was beim Kind das Gefühl von Tatendrang, die Achtung vor sich selbst und den anderen und das Pflichtbewußtsein zerstört. 

»Nein zum Egoismus«!, also zu all dem, was den Menschen dazu bringt, sich in der Nische einer privilegierten sozialen Klasse oder einer kulturellen Behaglichkeit, die andere ausschließt, abzukapseln. Der Lebensstil derer, die im Wohlstand leben, und ihre Konsumgewohnheiten müssen im Licht der Auswirkungen auf die anderen Länderüberprüft werden. Man denke beispielsweise an das Wasserproblem, das die Organisation der Vereinten Nationen im Jahr 2003 in das Bewußtsein aller Menschen rücken möchte. Egoismus ist auch die Gleichgültigkeit der wohlhabenden Länder gegenüber den Nationen, die sich selbstüberlassen sind. Alle Völker haben das Recht, einen angemessenen Anteil an den Gütern dieser Welt und am Know-how der entwickelten Länder zu erhalten. ...

»Nein zum Krieg«!Er ist nie ein unabwendbares Schicksal. Er ist immer eine Niederlage der Menschheit. Das Völkerrecht, der aufrichtige Dialog, die Solidarität zwischen den Staaten und die ehrenvolle Ausübung der Diplomatie sind jene Mittel zur Lösung von Streitigkeiten, die des Menschen und der Nationen würdig sind. Ich sage dies mit Blick auf jene, die ihr Vertrauen noch immer in Atomwaffen setzen, und auf die allzu zahlreichen Konflikte, die unsere Mitmenschen noch immer gefangenhalten. ...

Der Krieg ist nie ein Mittel wie andere, das man zur Beilegung von Auseinandersetzungen zwischen Nationen einsetzen kann. Die Charta der Vereinten Nationen und das Völkerrecht erinnern daran, daßder Krieg, auch wenn es um die Sicherung des Gemeinwohls geht, nur imäußersten Fall und unter sehr strengen Bedingungen gewählt werden darf, ohne dabei die Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung während und nach den Kampfhandlungen zu vergessen.

5. Es ist daher durchaus möglich, den Lauf der Ereignisse zuändern, sobald der gute Wille und das Vertrauen in den anderen vorherrschen und die Umsetzung derübernommenen Verpflichtungen und die Zusammenarbeit zwischen verantwortungsbewußten Partnern an erster Stelle stehen. ...

6. Exzellenzen, meine Damen und Herren, es drängt sich hier eine Feststellung auf: Die Unabhängigkeit der Staaten ist nur noch in einer gegenseitigen Abhängigkeit voneinander denkbar. Alle sind im Guten wie im Schlechten miteinander verbunden. Deshalb ist es richtigerweise erforderlich, das Gute vom Schlechten unterscheiden zu können und beide beim Namen zu nennen. Wenn sich diesbezüglich Zweifel oder Verwirrung einstellen, sind die größtenÜbel zu befürchten, wie uns die Geschichte schon viele Male gelehrt hat. 

Es scheint mir, daßzwei Anforderungen unabdingbar sind, wenn man vermeiden will, ins Chaos zu stürzen. Zunächst mußinnerhalb der Staaten und zwischen den Staaten der fundamentale Wert des Naturrechts wiederentdeckt werden, das in vergangener Zeit das Völkerrecht und die ersten Denker des internationalen Rechts inspiriert hat. ...

Zudem bedarf es des beharrlichen Wirkens rechtschaffener und selbstloser Staatsmänner. In der Tat kann die unabdingbare berufliche Eignung der politisch Verantwortlichen nur durch ihr Festhalten an starken ethischenÜberzeugungen legitimiert werden.

 

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