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STUDIENKONGRESS “DIE WISSENSCHAFT 400 JAHRE NACH GALILEO GALILEI”
DES ITALIENISCHEN KONZERNS "FINMECCANICA"

BEITRAG VON KARD. TARCISIO BERTONE,
S
TAATSSEKRETÄR

Mittwoch, 26. November 2008

 

Die Veranstaltung dieses Studienkongresses hat zwei Gründe: zum einen die Tatsache, daß die Vollversammlung der Vereinten Nationen das Jahr 2009 zum Internationalen Jahr der Astronomie ausgerufen hat, in Erinnerung an die erste Verwendung des astronomischen Fernrohrs durch Galileo Galilei vor 400 Jahren (1609); zum anderen den Wunsch von »Finmeccanica«, den 60. Jahrestag ihres Bestehens durch ein internationales Ereignis von hoher kultureller Bedeutung auszuzeichnen, welches das Jahr der Astronomie feierlich begeht. Meine Anwesenheit soll eine Ermutigung sein, diese Anlässe intensiv zu nutzen, um die gemeinsame Reflexion über die außerordentlichen Entwicklungen der zeitgenössischen Wissenschaft zu erweitern. Eine solche Reflexion profitiert nicht nur von den wissenschaftlichen und technischen Fortschritten im engeren Sinn, sondern auch vom Beitrag der philosophischen Reflexion und der Aufmerksamkeit für die ethisch-moralischen, religiösen, politischen und sozialen Kehrseiten und Implikationen, die die Forschung mit sich bringt. Diese Notwendigkeit wird in unserer Zeit bei den enormen Potentialitäten, welche die Technik den Wissenschaftlern bietet, immer mehr wahrgenommen: Man denke zum Beispiel an die Entdeckungen und Experimente auf dem Gebiet der genetischen Biotechnologie sowie die Resultate, die erzielt wurden durch die in den Bereichen Bio-Mechanik, Ökonomie, Finanzwesen und Erkundung des Weltraums angewendete Telematik; man denke an die enormen Möglichkeiten der Kommunikationsmittel, die es erlauben, Ziele zu erreichen, die noch vor kurzer Zeit unvorstellbar waren.

Dieser Kongreß richtet seine besondere Aufmerksamkeit auf Galileo Galilei, der als einer der Väter der modernen Wissenschaft betrachtet wird. Ihm schreiben viele auch jene Veränderung in der Natur des Erkennens zu, die als »wissenschaftliche Revolution« bekannt geworden ist, bei der die Vernunft auf neue Grundlagen gestellt und als mathematisches Denken aufgefaßt wird. Die Naturwissenschaft hört auf, ein Werk der Kontemplation zu sein, als das sie jahrhundertelang aufgefaßt worden war, und wird zu einer sorgfältigen Entzifferungsarbeit. Die Vernunft wird, wie ich bereits gesagt habe, auf mathematische Grundlagen gestellt, indem die wirkliche Welt der täglichen Erfahrung durch eine geometrisch abstrakte Welt ersetzt wird. Es handelt sich um ein Wissen, das auf experimentelle Wahrheit gegründet ist und in Gegensatz tritt zu einem Wahrheitsbegriff, der auf überlieferten Gewißheiten basiert. Es entsteht eine neue Mentalität, eine neue Logik und ein verändertes Verhalten des Menschen gegenüber der Natur und der Art und Weise, sie zu interpretieren, zu beschreiben und zu verstehen.

Dies alles hat zu den Entwicklungen der zeitgenössischen Wissenschaften geführt, begleitet von nicht wenigen und häufig komplexen Fragestellungen und Problemen unterschiedlicher Natur: Mit der technisch-wissenschaftlichen Forschung traten aufgrund ihrer wachsenden anthropologischen und sozialen Auswirkungen ethische und philosophische Problematiken auf. Deshalb ist heute eine aufmerksame und tiefgehende Reflexion über die Natur, die Ziele und die Grenzen der technischen und wissenschaftlichen Forschung nötig.

Es wird intensiv diskutiert, und immer wieder hat das kirchliche Lehramt seinen Beitrag geleistet – und es tut dies auch weiterhin – um ein erhellendes Wort anzubieten, indem es sich auf die ihm eigene Sendung beruft, nämlich dem wahren Wohl des Menschen zu dienen, da die Kirche »erfahren ist in den Fragen, die den Menschen betreffen«, wie es Paul VI. in seiner denkwürdigen Ansprache an die Vereinten Nationen am 4. Oktober 1965 ausgedrückt hat. Das Thema der Grenzen der Wissenschaft kann nur angegangen werden, indem man die wissenschaftlichen Kenntnisse im Gesamtkontext des vom Menschen erarbeiteten Wissens betrachtet, das heißt im praktischen Sinn, indem man dessen Beweggründe und ethisch-soziale Konsequenzen bewertet. Das erinnert mich an die Worte, die Johannes Paul II. vor 25 Jahren zu einer Gruppe von Wissenschaftlern und Forschern gesagt hat: »Sie wissen, daß eine moralische Anstrengung erforderlich ist, wenn die wissenschaftlichen und technischen Errungenschaften, über die die Welt heute verfügt, wirklich im Dienst des Menschen stehen sollen.« Und er fuhr fort: »Bald wird der Augenblick kommen, in dem es darum geht, eine neue Bestimmung der Prioritäten vorzunehmen« (Ansprache an eine Gruppe internationaler Wissenschaftler, 9. Mai 1983; in O.R. dt., Nr. 21, 27.5.1983, S. 9).

Das weite Feld, in dem das Thema dieses Kongresses angesiedelt ist, muß mit Mut und Umsicht erforscht werden, mit geistiger Offenheit und in der Achtung der Kompetenzen jedes Zweigs des menschlichen Wissens. Wir merken es alle: Wir stehen vor einer inneren Komplexität, von der das zeitgenössische technisch-wissenschaftliche Handeln gekennzeichnet ist wie auch die Rolle, die es im Bereich der menschlichen Erwartungen, Hoffnungen und Ängste einnimmt. Es gibt ein Dilemma, dem man nicht ausweichen kann: Einerseits nimmt man das Auftreten von komplexen und neuartigen ethischen Problematiken wahr – aufgrund eines immer stärkeren Auseinanderdriftens der schnellen Entwicklungen der wissenschaftlichen Forschung und der Verfügbarkeit von Maßstäben und Methoden einer angemessenen ethischen Bewertung; andererseits ist man gezwungen, den Verlust des Sinns für die moralischen, von der Tradition ererbten sittlichen Gesetze festzustellen, und dies artet leicht in Gesetzlosigkeit aus. Hier kehrt die Verbindung von Glaube und Vernunft wieder, eine unauflösliche und notwendige Verbindung. Darauf wies Johannes Paul II. bereits in der Enzyklika Fides et ratio hin, in der er Glaube und Vernunft, Wissenschaft und Religion als die beiden Flügel bezeichnete, die – ohne sich dabei zu gegenseitig auszuschalten oder zu bekämpfen – dem Menschen erlauben, zur Wahrheit zu gelangen.

Das Zweite Vatikanische Konzil bekräftigt, daß der Mensch »mit den Mitteln der Wissenschaft und der Technik, seine Herrschaft über beinahe die gesamte Natur ausgebreitet hat und sie beständig weiter ausbreitet« und daß »sich der Mensch heute viele Güter, die er einst vor allem von höheren Mächten erwartete, durch seine eigene Tat beschafft« (Gaudium et spes, 33). Benedikt XVI. bemerkt aber, indem er seinen Vorgänger Johannes Paul II. zitiert, daß »die Wissenschaftler gerade weil sie ›mehr wissen‹, berufen sind, ›mehr zu dienen‹. Weil die Forschungsfreiheit, die sie genießen, ihnen den Zutritt zum Fachwissen gibt, haben sie die Verantwortung, dieses weise zum Wohl der ganzen Menschheitsfamilie zu nutzen« (Ansprache an die Teilnehmer an der Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften, 6. November 2006; in O.R. dt., Nr. 46, 17.11.2006, S. 12).

Zum Abschluß kehren die Gedanken noch einmal zu Galileo Galilei zurück. Das hier ist nicht der geeignete Ort, um Fragestellungen wieder aufzunehmen, von denen die Gestalt dieses großen Wissenschaftlers in seinen Beziehungen zur Kirche begleitet wurde. In den letzten Jahren gab es einige klärende Beiträge, die – während sie mit großer Aufrichtigkeit Mängel verschiedener Kirchenmänner ins Licht rückten, die der Mentalität jener Zeit verhaftet waren – zugleich erlaubten, die reiche Persönlichkeit dieses Wissenschaftlers hervortreten zu lassen, der mit Hilfe des astronomischen Fernrohrs entdeckt hat, daß die Erde nicht das Zentrum aller Himmelsbewegungen ist. Was meiner Meinung nach betont werden muß, ist, daß Galileo als Mann der Wissenschaft zugleich mit Liebe seinen Glauben und seine tiefen religiösen Überzeugungen gepflegt hat. Galileo Galilei ist ein Mann des Glaubens, der die Natur als ein Buch ansah, dessen Autor Gott ist.

Ich möchte abschließend zwei seiner Bemerkungen aus dem Brief an Christina von Lothringen vorlesen, die mir sehr schön und weise zu sein scheinen.

Galilei schreibt:
»Mir scheint, daß man beim Disput über Fragen der Natur nicht von der Autorität der Schriftstellen ausgehen sollte, sondern von der Sinneserfahrung und von notwendigen Beweisführungen […] Denn die Heilige Schrift und die Natur gehen ja gleicherweise aus dem göttlichen Wort hervor, die eine als Diktat des Heiligen Geistes, die andere als gehorsamste Vollstreckerin von Gottes Befehlen

Und weiter:
»Hier möchte ich das anfügen, was ein sehr angesehner Geistlicher gesagt hat, daß es nämlich die Absicht des Heiligen Geistes ist, uns zu lehren, wie man in den Himmel kommt, nicht wie der Himmel sich bewegt

 

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