The Holy See
back up
Search
riga

PREDIGT VON KARD. ANGELO SODANO
BEIM PRIESTERTAG IN DER DIÖZESE HILDESHEIM

Donnerstag, 29. Juni 2000

Liebe Brüder im Bischofsamt und im priesterlichen Dienst!
Liebe Brüder und Schwestern!

Im Credo bekennen wir uns zur einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. Es ist der neunte Artikel im Apostolischen Glaubensbekenntnis, an das sich die Gemeinden gebunden wissen, seit die Kirche ihren Anfang nahm. Wenn wir heute das Hochfest der hll. Petrus und Paulus feiern, dann laden uns die beiden Apostelfürsten zu einer Betrachtung über die Kirche und ihre Eigenschaften ein. Petrus läßt uns an die Einheit der Kirche denken: jene Einheit, um derentwillen Jesus den Primat des Petrus gestiftet hat. Paulus, der Völkerapostel, ruft uns die katholische, d. h. allumfassende Sendung der Kirche in Erinnerung. Im gemeinsamen Martyrium der Apostelfürsten spiegelt sich sodann die Tatsache wider, daß die Kirche heilig ist und vom Blutzeugnis vieler Bekenner geheiligt wird. Und schließlich wird uns am heutigen Tag besonders bewußt, daß die Kirche apostolisch ist, gegründet auf der Autorität der Apostel und ihrer Nachfolger.

1. Die Liebe zur »Mutter Kirche«

So ist die Feier der Apostelfürsten auch ein Fest der Kirche. Alle Katholiken haben Grund, sich wie eine große Familie zu fühlen. Deshalb freue ich mich, heute mitten unter Euch zu sein. Wie Ihr wißt, besteht der Anlaß meiner Reise darin, den Pavillon des Hl. Stuhls bei der EXPO 2000 zu eröffnen. Doch habe ich auch die Einladung gern angenommen, die Euer geschätzter Herr Bischof Josef Homeyer an mich gerichtet hat. Es ist für mich eine große Freude, die Eucharistie in diesem ehrwürdigen Dom zu feiern und den Priestertag des Bistums Hildesheim zu gestalten . Liebe Mitbrüder im Priesteramt! Neben Euren Oberhirten und den Herren Weihbischöfen grüße ich jeden einzelnen von Euch, angefangen von den Kanonikern der Kathedrale bis hin zu den Kaplänen, die Älteren unter Euch ebenso wie die jüngsten, die erst vor kurzem ihre seelsorgerliche Arbeit aufgenommen haben. Euch allen entbiete ich den Gruß des Heiligen Vaters und seinen Segen als Vater und Hirte. Der Nachfolger des hl. Petrus weiß Euer Wirken zu schätzen und sagt Euch allen ein herzliches »Vergelt’s Gott!«

Dieser Gedanke gibt mir das Stichwort für die Überlegungen, die ich Euch heute ans Herz legen möchte. Der Heilige Vater vollzieht seinen Dienst der Einheit für die Mutter Kirche. Kann es ein schöneres Thema für einen Priestertag geben, als die Liebe zur Mutter Kirche und zum Heiligen Vater zu vertiefen?

2. Die Kirchenväter als Interpreten der »Mutter Kirche«

Liebe Mitbrüder! Der heutige Tag ist eine willkommene Gelegenheit, die Kirche als Mutter neu zu entdecken und für unseren pastoralen Dienst auszuleuchten. Wer einem rätselhaften Bild auf die Spur kommen will, muß seinen Ursprung freilegen. Das Bild der Mutter Kirche führt uns in die frühe Theologie zurück. Eine brennende Frage bewegte damals die Christen: Wie können wir das neue Leben, das wir in der Taufe empfangen, beschreiben? Wie sollen wir das innige Verhältnis zwischen den Getauften und ihrer Kirche treffend ausdrücken? Es war der hl. Augustinus, der zur Erklärung dieses tiefen Geheimnisses ein Symbol gewählt hat, das alle verstehen konnten: das Bild der Mutter (vgl. De moribus ecclesiae catholicae, 30,62–63).

Eine Frau ist ganz eng mit ihrem Kind verbunden und kann ihm so das Leben weitergeben. Was für das natürliche Leben gilt, trifft in analoger Weise auch auf das übernatürliche zu. Gott will uns Menschen sein göttliches Leben schenken. Dafür braucht er die Kirche, die er uns damit zur Mutter gibt. Mutter Kirche schenkt uns weiter, was sie selbst als Braut von Christus empfängt: Gottes Wort und Sakrament. Wie ein Kind über die Nabelschnur Anteil am natürlichen Leben hat, so soll uns durch die Mutter Kirche das übernatürliche Leben gleichsam in Fleisch und Blut übergehen. Schade, daß in unseren Tagen manche Christen im Namen der Freiheit von der Kirche Abstand nehmen wollen. Wer sich von der Mutter trennen will, läuft Gefahr, das Leben zu verlieren! Darauf hat schon der hl. Cyprian von Karthago hingewiesen, als er die Formel prägte: »Gott kann der nicht zum Vater haben, der die Kirche nicht zur Mutter hat« (De catholicae ecclesiae unitate, 6).

3. Der Priester hat eine Kirchenbiographie

Wenn Augustinus das Bild von der Kirche als Mutter gebrauchte, dann wollte er damit besonders die Rolle der Kirche im Dienste der Heilsvermittlung umschreiben. Was ist damit gemeint? Ich möchte es an einem Vergleich verdeutlichen: Es ist etwas anderes, mit einer Mutter zu leben oder nur zu wissen, daß man eine Mutter hat. Auf die Kirche übertragen heißt das: Was die Kirche als geistliche Mutter bedeutet, kann man nicht nur aus Büchern studieren, man muß schon eine lebendige Beziehung zu ihr aufbauen. Wie gut, daß es die Mutter Kirche gibt, die zu unseren Herzen spricht: »Ich nehme dich auf in meinen Schoß. Ich spreche dich los von deinen Sünden. Ich zeige dir den Weg der Wahrheit. Ich lege dir die Hände auf. Du bist ganz mein.«

Kommen wir noch einmal auf die Zeit des hl. Cyprian zurück. In Nordafrika gibt es Inschriften zur Mutter Kirche, besonders an zwei Stätten: in den Baptisterien und auf den Gräbern. In der Taufkapelle zeigt sich die Kirche als Mutter, weil sie dem Katechumenen das Leben schenkt. Und am Grab erweist sie sich wieder als Mutter, weil sie den Christen am Ende seines irdischen Pilgerwegs in ihre Arme nimmt.

Liebe Mitbrüder! Eure Biographie als Priester ist auf den Zeilen der Mutter Kirche geschrieben. Ihr seid von Christus in die Kirche eingeweiht, gleichsam als Geburtshelfer des göttlichen Lebens. Welch hoher und heiliger Dienst, welche Ehre und welche Pflicht! Seid dankbar dafür! Wenn wir im Leben auf Mutter Kirche bauen, dürfen wir auch im Sterben auf sie vertrauen.

4. Die »Mutter Kirche« im Dienst an der Einheit

Zwischen Anfang und Ende unserer Existenz auf dieser Erde liegt unser Pilgerweg. Mutter Kirche begleitet uns dabei. Eine Mutter schenkt ja ihrem Kind nicht bloß einmal das Leben. Sie geht den Weg ihres Kindes aufmerksam und liebevoll mit. Sie sorgt dafür, daß dieses Leben immer besser zur Entfaltung kommt. Entfaltung geschieht ja nicht allein, sondern wächst in der Gemeinschaft der Familie.

Mich erstaunt es immer wieder, wenn ich in bekannte Familien schaue: Wie verschieden können Kinder derselben Eltern sein – im Aussehen, in den Fähigkeiten und in ihrem Charakter! Da gibt es forsche und bedächtige, unauffällige und schwierige, anhängliche und eigenständige. Gerade diese Vielfalt macht den Reichtum einer Familie aus. Eine gute Mutter fördert die einzelnen und sorgt gleichzeitig für ein gutes Miteinander.

Die Kirche als Mutter steht für solche lebendige Vielfalt. Diese Vielfalt darf sich zeigen in den Gemeinden, in den Bistümern, in unserer katholischen Kirche, die eine ist. Zugleich muß es aber auch Grenzen der Vielfalt geben, wobei der Grundsatz gilt, der dem hl. Augustinus zugeschrieben wird: »Im Notwendigen Einheit, im Zweifelhaften Freiheit, in allem die Liebe.«

5. Wer die »Mutter Kirche« liebt, hat auch den Heiligen Vater gern

Der Dienst der Einheit ist heute wichtiger denn je. Wir dürfen Gott dafür danken, daß er der Mutter Kirche von Anfang an einen Heiligen Vater gegeben hat. Wie in der menschlichen Familie, so lassen sich auch in der Familie der Kinder Gottes Mutter und Vater nicht gegeneinander ausspielen. Wer vorgibt, die Mutter Kirche zu lieben, muß auch den Heiligen Vater gern haben. Die hl. Katharina von Siena hat ihn einmal als »den milden Christus auf Erden« bezeichnet. In den mehr als zwanzig Jahren seines bisherigen Pontifikates hat unser Heiliger Vater Papst Johannes Paul II. gezeigt, wie sehr er die Familie der Gottesfreunde auf der ganzen Erde fest in sein Herz geschlossen hat.

Wenn heute so viel von der Globalisierung die Rede ist, dann hat er diesem Wort eine spezielle Note aufgedrückt. Seine Reisen in alle Winkel der Welt, darunter schon dreimal in Euer Land, sind eine eindrucksvolle Visitenkarte dafür, wie er seinen Dienst der Einheit für die Mutter Kirche versteht.

Wer zu Christus und zur Mutter Kirche stehen will, muß die Nähe zum Heiligen Vater suchen, dem starken Fels in der Brandung und der festen Säule in den Stürmen der Zeit. Laßt Euch auch dann nicht verwirren, wenn man Euch einreden will: Die Kirche ist altmodisch.

Die Mutter Kirche muß nicht die attraktivste sein auf den Laufstegen dieser Welt. Da die Kirche das Evangelium nicht jeder neuesten Mode angleichen darf, so wird es verständlich, daß auch der Heilige Vater seine Lehre nicht dem Trend der jeweils gängigen Meinungen anpassen kann. Moden kommen und gehen, die Frohe Botschaft bleibt bestehen!

Liebe bischöflichen und priesterlichen Mitbrüder!
Liebe Brüder und Schwestern im Herrn!

Ich habe jetzt viel und lange gepredigt. Um was es mir im Grunde ging, ist das eine: Ich wollte Euch gegenüber ein wenig mein Herz öffnen. Meine Predigt sollte eine »Liebeserklärung« sein an meine Mutter Kirche, der ich alles verdanke in meinem Leben als Christ, als Priester und als Bischof. Denn sie ist das »Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott und für die Einheit der Menschen« (Lumen gentium, 1).

Darum liebe ich Sie, meine und unsere Mutter Kirche. Diese Liebe lasse ich mir von niemandem nehmen. Ich bin glücklich, daß ich in Christi Nachfolge der Mutter Kirche und dem Heiligen Vater dienen darf. Von dieser Freude wollte ich Euch ein wenig mitteilen.

6. Das Modell der »Mutter Kirche« ist die Mutter Gottes

Ich möchte diese Betrachtung nicht schließen, ohne noch auf zwei Beispiele hinzuweisen, die uns wie Flügel von den Worten ins Leben tragen können: Als junger Priester habe ich Werke einer Dichterin aus Eurem Land kennengelernt, die ihre Liebeserklärung an die Kirche in Hymnen gefaßt hat.

Es ist Gertrud von Le Fort, die uns eine Art Wahlspruch für unser Verhältnis zur Kirche mit auf den Weg gibt, wenn sie schreibt: »Mutter, ich lege mein Haupt in deine Hände.« Und dann denke ich voll Dankbarkeit an ein Motiv aus der Kunst, das in Eurem Land sehr verbreitet ist: die Schutzmantelmadonna.

Die Mutter Kirche hat ein Vorbild in der Mutter Gottes. »Ihr Mantel ist sehr weit und breit. Er deckt die ganze Christenheit« (Gotteslob, 595). Unter dem Mantel der Mutter Gottes und der Mutter Kirche ist auch Platz für jeden von uns. Unter diesem Mantel finden wir Wärme und Schutz, auch wenn es um uns herum kalt und stürmisch ist. »Unter deinen Schutz und Schirm fliehen wir«, hl. Mutter Gottes und Mutter der Kirche.

Amen.

 

                                 

top