The Holy See
back up
Search
riga

  REDE VON KARD. ANGELO SODANO
AUF DEM INTERNATIONALEN KONGRESS
"IUS ECCLESIARUM - VEHICULUM CARITATIS"

Donnerstag, 22. November 2001

 

10. Jahrestag der Inkraftsetzung des
Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium

Hochwürdigste Herren Kardinäle und Patriarchen,
liebe Brüder im Bischofs- und Priesteramt,
sehr geehrte Professoren des kanonischen Rechts!

Es freut mich, vor diesem bedeutenden Kongreß sprechen zu können, der den 10. Jahrestag des Inkrafttretens des »Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium« feierlich begehen will.

Im Namen des Heiligen Vaters entbiete ich jedem Anwesenden und vor allem dem Kardinalpräfekten der Kongregation für die Orientalischen Kirchen, Seiner Seligkeit Ignace Moussa I. Daoud, meinen ergebensten und herzlichen Gruß. Ich grüße auch die beiden Vizepräsidenten des Symposions, Erzbischof Julián Herranz, Präsident des Päpstlichen Rates für die Interpretation von Gesetzestexten, und Erzbischof Emilio Eid, Alt-Vizepräsident der Kommission, die den Codex erstellt hat, sowie alle Mitglieder des wissenschaftlichen Komitees und des organisatorischtechnischen Komitees.

1. Ein zehn Jahre dauernder Weg

Ich habe den Werdegang des »Codex Ecclesiarum Orientalium« immer mit großem Interesse verfolgt, denn er wurde im selben Jahr promulgiert, in dem ich in den Dienst des Staatssekretariats gerufen wurde. Wir sind sozusagen miteinander aufgewachsen! In diesem Dezennium konnte ich die tiefe Zuneigung kennenlernen, die der Papst für die orientalischen Kirchen hegt. Darum gebe ich gerne Zeugnis von der väterlichen Sorge, mit der er ihre aktive pastorale Präsenz in der Welt von heute fördert. Die Promulgation des neuen Codex vor elf Jahren hat ihn deshalb ganz besonders gefreut, weil er darin ein bevorzugtes Instrument für ein wachsendes harmonisches und reges Einvernehmen zwischen den einzelnen Gliedern aller orientalischen Kirchen sah und sieht. Gerne hat der Papst also das als Leitspruch gewählte Thema dieses Symposions hervorgehoben: »Ius Ecclesiarum – vehiculum caritatis

In der Tat, wenn jeder Christ gerufen ist, persönlich zum Wachstum dieser Liebe in der kirchlichen Gemeinschaft beizutragen, ist es klar, daß von den Verantwortlichen der Gemeinschaft zu Recht ein ganz besonderer Beitrag zu erwarten ist. Weil ich also diesen Gedanken des Heiligen Vaters gut kenne, möchte ich hier über die zentrale Rolle sprechen, die in dieser »Dynamik der Liebe« der Hirt dieses bestimmten Teiles des Volkes Gottes spielt, das die »Eparchie« ist.

2. Göttlicher Ursprung des Episkopats

Das II. Vatikanische Konzil erklärt, daß der Bischof die Eparchie als Stellvertreter und Gesandter Christi mit eigener, ordentlicher und unmittelbarer Gewalt leitet. Nur die höchste kirchliche Autorität kann die Ausübung dieser Gewalt im Hinblick auf den Nutzen der Kirche oder der Gläubigen mit bestimmten Grenzen umschreiben (vgl. Lumen gentium, 27).

Es handelt sich um eine äußerst wichtige Lehraussage, die das Konzil in bezug auf alle »Ecclesiae particulares«, die orientalischen Eparchien und die Diözesen der lateinischen Kirche, formuliert hat. Es ist aber bedeutsam, daß sie als eigenständiger Canon (vgl. can. 178) nur in den »Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium« aufgenommen wurde, und zwar aufgrund der für den Osten bezeichnenden »forma regiminis traditionalis«, die von den Patriarchalkirchen gebildet wird (vgl. Orientalium Ecclesiarium, 11): Denn in ihnen muß der Bischof, bevor er geweiht wird, nicht nur dem Bischof von Rom, sondern auch dem Patriarchen Gehorsam versprechen in den Angelegenheiten, in denen er ihm nach der Rechtsnorm untergeordnet ist (vgl. can. 187, § 2).

3. Der Primat des Petrus

Das ist ein Punkt, der meiner Meinung nach eingehender behandelt werden sollte: Denn in der Kirche Christi gibt es keine die Bischöfe und noch weniger die Patriarchen übersteigende Gewalt als jene höchste Vollmacht, die Christus dem Petrus und seinen Nachfolgern übertragen hat. Wenn die Bischöfe der orientalischen Kirchen den Patriarchen in den Angelegenheiten, in denen sie ihnen untergeordnet sind, Gehorsam leisten oder die Beschlüsse der Patriarchalkirchen befolgen, wissen sie, daß das von ihnen gefordert wird, weil die Patriarchen und die Patriarchalsynoden »iure canonico« an der höchsten kirchlichen Autorität teilhaben, die als einzige von Christus gestiftete Autorität die Ausübung der bischöflichen Gewalt umschreiben kann.

Die höchste kirchliche Autorität kann außerdem diese Teilhabe ausdehnen und ihre Dimensionen erweitern. Das geschieht im »Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium« entsprechend dem Wunsch des II. Vatikanischen Konzils, die Patriarchalkirchen im Glanz des ersten Jahrtausends wiederherzustellen (vgl. Orientalium Ecclesiarum, 9). Mit dieser absichtlich sehr ausgedehnten »norma iuris« wird der Umfang der Teilhabe der Patriarchen und der Patriarchalsynoden an der höchsten Autorität bestimmt, die Christus in der Kirche festgelegt hat. Im Licht dieser Norm kann die hohe Persönlichkeit des Patriarchen als »Pater et Caput« seiner Kirche in angemessener Weise erfaßt werden. Das gilt natürlich für alle Patriarchen ohne Unterschied: für diejenigen, die die ältesten errichteten Patriarchate leiten, aber auch die der Kirchen »sui iuris«, die die höchste kirchliche Autorität erhoben hat oder dem ausdrücklichen Wunsch des II. Vatikanischen Konzils entsprechend (vgl. Orientalium Ecclesiarum, 11) in den Rang von Patriarchalkirchen erheben will. In dieser Hinsicht ist der von den Konzilsvätern im bekannten Dekret über die katholischen Ostkirchen ausgesprochene Wunsch weiterhin gültig: »Da die Einrichtung des Patriarchats in den Ostkirchen die überlieferte Form der Kirchenregierung ist, wünscht dieses Heilige Ökumenische Konzil, daß, wo es nötig ist, neue Patriarchate gegründet werden. Ihre Errichtung ist dem Ökumenischen Konzil oder dem Bischof von Rom vorbehalten« (ebd., 11).

4. Die Ausübung des Primats

Der Wunsch des Nachfolgers Petri ist es – wie ihr euch denken könnt –, das Möglichste zu tun, damit alle Patriarchalkirchen in hellem Glanz erstrahlen. Denn es ist notwendig, daß sie die Sendung, die ihnen innerhalb der universalen Kirche für das ewige Heil der Seelen anvertraut wurde, mit frischer apostolischer Kraft erfüllen (vgl. Orientalium Ecclesiarum, 1).

Sehr umfangreich ist in der Tat die soeben beschriebene Teilhabe der Patriarchen und der Patriarchalsynoden an der höchsten kirchlichen Autorität, wie sie in der von dieser Autorität festgesetzten »norma iuris« enthalten ist. Sie entspricht im wesentlichen der in den Canones der einzelnen Konzilien festgelegten Norm, angefangen vom Konzil von Nizäa des Jahres 325. Die vom II. Vatikanischen Konzil gewünschten notwendigen Anpassungen dieser »norma iuris« an das heutige Leben der Kirche (vgl. Orientalium Ecclesiarum, 9) haben es nicht geschwächt, sondern gekräftigt, vor allem auf Grund der zunehmenden Kommunikationsmöglichkeit mit dem Bischof von Rom, dem Haupt des Bischofskollegiums, dem die Hirtenführung der Kirchen im Osten wie der Kirchen im Westen in gleicher Weise anvertraut ist (vgl. Orientalium Ecclesiarum, 3).

5. Das Prinzip der Territorialität

Hier ist ein Hinweis auf das sogenannte »Prinzip der Territorialität« nützlich, das von allen ökumenischen Konzilien einschließlich des II. Vatikanischen Konzils (vgl. Orientalium Ecclesiarum, 7) beibehalten wurde. Der Heilige Vater wollte, daß der »Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium« nach diesem Prinzip erstellt wird. Das hatten die Mitglieder der Kommission, die den Codex vorbereitete, voll verstanden – unter ihnen sechs herausragende orientalische Patriarchen –, als sie in ihrer Vollversammlung vom November 1988 auf eine Mahnung des Heiligen Vaters hin einen von 15 Mitgliedern unterzeichneten Antrag zurückzogen, der zum Ziel hatte, die Ausdehnung der Patriarchaljurisdiktion auf die ganze Welt auszuweiten. Denn der Papst hatte darum gebeten, ihm einen Codex-Entwurf vorzulegen, der in allem den orientalischen Traditionen und den Konzilsbeschlüssen entsprechen sollte, darunter auch den Beschlüssen des II. Vatikanischen Konzils, das den Antrag, diese Jurisdiktion über die legitim festgesetzten Grenzen der Patriarchalkirche hinaus auszudehnen, nicht angenommen hatte. Von da an nahmen die Arbeiten der Vollversammlung einen ruhigen und nutzbringenden Verlauf. In der Tat war allen klar, daß der Entwurf des Codex, der auf dem Tisch der Vollversammlung lag, Frucht einer beinahe zwanzig Jahre währenden intensiven Arbeit war, die durch die Zusammenarbeit des ganzen orientalischen Episkopats entstanden war und auch im Hinblick auf das Thema der Territorialität den orientalischen Traditionen und Konzilsbeschlüssen entsprach.

Der Papst fügte aber bei dieser Gelegenheit hinzu, daß er im Hinblick auf die Kirchen mit Gläubigen außerhalb des eigenen Territoriums »gern nach der Promulgation des Codex die Anträge, die in den Synoden mit klarer Bezugnahme auf die Normen des Codex gestellt worden waren, berücksichtigen würde und sie, wenn es angemessen scheint, mit einem ›ius speciale und ad tempus‹ bezeichnen würde« (vgl. Nunzia, Nr. 29, S. 27). Er bekräftigte diese Bereitschaft auch anläßlich der Promulgation des Codex, als er der Bischofssynode den neuen Rechtstext vorstellte (vgl. Nr. 12: AAS 83, 1991, 492).

Wie ihr wißt, ist im Codex auch die Möglichkeit einer Revision der territorialen Grenzen einer Patriarchalkirche vorgesehen. Can. 146, § 2 zeigt klar, wie in einem solchen Fall vorzugehen ist: Nach Anhörung der oberen administrativen Autorität jeder beteiligten Kirche »sui iuris« obliegt es der Bischofssynode der Patriarchalkirche, die Frage zu untersuchen. Dann muß die Synode an den Bischof von Rom den dokumentierten Antrag stellen. Natürlich wird vorausgesetzt, daß die Anträge nicht auf eine Umkehrung des von den ökumenischen Konzilien bekräftigten Prinzips der Territorialität abzielt, sondern nur auf Grenzänderungen, die aus besonderen Gründen erforderlich sind.

6. Vertrauen in die Zukunft

Abschließend möchte ich an die Worte der Apostolischen Konstitution Sacri canones erinnern, mit der der »Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium« promulgiert wurde. In diesem bedeutsamen Dokument lud der Papst alle ein, den Codex »frohen Herzens und in dem Vertrauen anzunehmen, daß seine Beobachtung jene himmlischen Gnaden für alle orientalischen Kirchen erwirken wird, durch die diese auf der ganzen Welt immer mehr aufblühen werden« (AAS 82, 1990, 1044).

Im Hinblick auf die Begrenzung der Territorialjurisdiktion betonte der Papst in der bereits genannten Ansprache vor der VIII. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode, daß die Normen für diese Jurisdiktion »wiederholt im Zentrum meiner Aufmerksamkeit standen und schließlich so, wie sie im Codex stehen, beschlossen wurden, weil der Papst sie für notwendig hält für das Wohl der Gesamtkirche und um ihre rechte Ordnung und die fundamentalsten und unverzichtbarsten Rechte des von Christus erlösten Menschen zu wahren« (Nr. 11: AAS 83, 1991, 492). »Glaubt daran, daß der ›Herr der Herren‹ und der ›König der Könige‹ es niemals gestatten wird, daß die eifrige Beobachtung dieser Gesetze dem Wohl der orientalischen Kirchen schade« (ebd., Nr. 12, S. 492).

Mir scheint, daß dieser damals vom Papst geforderte Glaubensakt immer notwendiger ist. So kann der bereits zehn Jahre lang bestehende Codex mit Gottes Hilfe und dank des hochherzigen Einsatzes aller immer mehr ein »vehiculum caritatis « für alle werden. Es bewahrheitet sich das, was schon vor 1600 Jahren der große Patriarch von Konstantinopel, der hl. Johannes Chrysostomus, gesagt hat: »Wer Kirche sagt, meint nicht Spaltung, sondern Einheit und Eintracht« (In 1 Cor, PG 61,13).

           

top