The Holy See
back up
Search
riga

GRUSSADRESSE DES DEUTSCHEN BUNDESKANZLERS
WILLY BRANDT AN DEN HEILIGEN VATER*

Montag, 13. Juli 1970

 

Eure Heiligkeit,

ich betrachte es als eine große Ehre, heute dem Heiligen Stuhl als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland einen offiziellen Besuch abzustatten. Damit möchte ich zugleich der Dankbarkeit Ausdruck geben, die meine Landsleute und meine Regierung für Ihr Friedenswerk empfinden.

Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hat ihre Tätigkeit bewusst unter das Zeichen der aktiven Friedenssicherung gestellt.

Dem Frieden dient der Zusammenschluss der westeuropäischen Staaten und Völker, um den wir uns nachdrücklich bemühen.

Die Leistungsfähigkeit der sich entwickelnden und gewiss auch erweiternden Europäischen Gemeinschaft soll dem sozialen Fortschritt zugute kommen. Gleichzeitig verstehen wir die Gemeinschaft als eine beispielhafte Ordnung, die auch als Bauelement für eine ausgewogene gesamteuropäische Friedensordnung dienen kann.

Hier berühren sich unsere Bemühungen um die Integration in Westeuropa mit unserem Bestreben, mit den osteuropäischen Völkern einen Ausgleich zu finden.

Über alles Trennende hinweg teilen die europäischen Völker in Ost und West ein gemeinsames Schicksal. Dieses Schicksal kann nur dadurch zum Guten gewendet werden, dass Spannungen abgebaut und Möglichkeiten der Zusammenarbeit genutzt werden.

Es geht um die Menschen und um den Frieden. Aus Gründen, die ich hier nicht näher darzulegen brauche, spielt diese Einsicht für uns Deutsche eine besondere Rolle.

Wir sind uns bewusst, dass große Hindernisse zu überwinden sein werden; wir vertrauen aber darauf, dass die Vorteile einer Politik des sachlichen Ausgleichs und des praktischen Miteinander schließlich von allen Seiten erkannt werden.

Ein in Frieden und Sicherheit geordnetes Europa könnte nach unserer Überzeugung auch wirksam dazu beitragen, dass die menschenunwürdige Kluft zwischen Nord und Süd, zwischen reichen und armen Völkern schneller überwunden wird.

Ein Europa, das seine besten Energien nicht mehr in Kämpfen gegeneinander verzettelt, könnte hierin — über die Notwendigkeiten dieser Jahre hinaus — die große Aufgabe für sein 21. Jahrhundert finden.

Mir liegt daran, an dieser Stelle zu betonen, dass es die Bundesregierung als eine ihrer vornehmsten Pflichten betrachtet, durch eigene Hilfeleistungen zur "Solidarität zwischen allen Menschen guten Willens" beizutragen.

Die Friedens- und Konfliktforschung, deren Wichtigkeit wir erkannt haben, soll ebenfalls dazu dienen, Mittel und Wege zu finden, um Spannungen zwischen Menschen und Völkern zu überwinden.

Wir wollen den Frieden nach außen und im Innern. Deshalb bemühen wir uns um eine Gesellschaft, die von mehr Mitverantwortung getragen wird und die sich dem Mitmenschen, dem Nächsten stark verpflichtet weiß.

Im Dienst am Menschen begegnet sich das Wirken kirchlicher und gesellschaftlicher Kräfte mit dem Handeln derer, die unmittelbare politische Verantwortung tragen.

Wir haben selbst vieles lernen müssen. Ich wäre froh, wenn nun unsere eigenen Bemühungen um den sozialen Bundesstaat vielleicht auch anderen bei ihren Überlegungen nützlich sein können.

Ein Thema, mit dem wir uns intensiv befassen, ist die Vermögensbildung für Arbeitnehmer. Ein anderes Thema, das bei uns in der Debatte ist, gilt einer modernen Betriebsverfassung und verschiedenen Modellen, die für die Mitbestimmung im wirtschaftlichen Bereich angeboten werden.

Die Mahnungen Eurer Heiligkeit zum Frieden, zum sozialen Ausgleich, zur Unterstützung der in der Entwicklung befindlichen Völker sind ständiger Ansporn auch für uns in Deutschland. Auf zahlreichen Gebieten, innerhalb und außerhalb seiner Grenzen, arbeitet unser Volk an den großen Werken der Kirche mit.

Es ist mein aufrichtiger Wunsch, dass das Wirken Eurer Heiligkeit im Dienst des Friedens zum Segen der Menschheit auch weiterhin von Erfolg gekrönt sein möge.


*Insegnamenti di Paolo VI, Bd. VIII, S.721-722.

L’Attività della Santa Sede 1970, S.322-323.

L’Osservatore Romano, 13-14.7.1970.

 

 

top