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ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.
AN DEN NEUEN BOTSCHAFTER DES FÜRSTENTUMS ANDORRA
BEIM HL. STUHL, ANTONI MORELL MORA*

Donnerstag, 1. Dezember 2005

 

Herr Botschafter!

Ich freue mich, das Schreiben entgegenzunehmen, durch das Sie als Botschafter beim Heiligen Stuhl akkreditiert werden. Seien Sie willkommen! Ihr gern gesehener Besuch gibt mir die Gelegenheit, dem ganzen andorranischen Volk, das seit jeher ein lebendiger Teil der Weltkirche ist und in Gemeinschaft mit dem Nachfolger Petri steht, einen herzlichen Gruß zu senden.

Ein Blick auf die schönen Täler Ihres Landes bezeugt, daß der christliche Glaube auch sichtbar unter denen wohnt, die dort leben. Wie sollte man sich nicht daran erinnern, daß die Pfarrgemeinden über Jahrhunderte hinweg die Strukturelemente seiner selbständigen Regierung waren? Man kann sagen, daß im Laufe der Geschichte die Identität und Unabhängigkeit der Bürger Andorras durch ihr kirchliches Leben gewahrt blieben, was eine harmonische Entwicklung des Fürstentums gefördert hat, die 1993 zur ersten Verfassung geführt hat.

Die Kirche ist daher immer an der Seite des andorranischen Volkes gewesen und hat ihm einen Sinn vermittelt für den Wert der Verteidigung seiner authentischen Eigenart, damit es auf friedliche Weise zu den umliegenden Völkern in Beziehung treten konnte, getreu dem Leitspruch seiner Verfassung »virtus unita, fortior«, im Geist der Freiheit, der Gleichheit, der Gerechtigkeit, unter Verteidigung der Rechte und Würde des Menschen, wie Sie betont haben. Die Einwohner des Fürstentums Andorra sind stolz auf ihre engen Bande zwischen Kirche und Volk und identifizieren sich mit ihnen.

Durch seine reiche christliche Tradition gehört das Fürstentum Andorra zu den Völkern, die im Evangelium viele Quellen ihrer Kultur, ihrer Gesetzgebung und ihrer menschlichen und sittlichen Errungenschaften gefunden haben.

Andorra kann daher nicht auf diese Wurzeln verzichten, die ihre Nahrung und Kraft im sittlichen und im zivilen Bereich aus der Frohen Botschaft ziehen. Es ist mein inniger Wunsch, daß das christliche Erbe auch weiterhin das Leitmotiv der ganzen andorranischen Gemeinschaft bleiben möge, damit eine Gesellschaftsordnung gefördert wird, die auf den Werten der Gerechtigkeit, der Wahrheit, der Freiheit und der Liebe basiert.

Auch in wechselseitiger Unabhängigkeit und Souveränität sollten Kirche und Staat eine gemeinsame Sprache finden, die durch herzliche und aufrichtige Beziehungen das geistliche und materielle Wohl der Menschen fördert, denen gegenüber beide Verpflichtungen haben, mit Rücksichtnahme auf die jeweiligen, voneinander getrennten Bereiche und jeder nach seiner eigenen Vorgehensweise.

Da die Kirche keine Privilegien zu verteidigen oder Vorrechte zu erbitten hat, will sie ihrerseits stets für das Gemeinwohl der ganzen Menschheitsfamilie arbeiten und versuchen, durch einen strukturierten Dialog mit den zivilen Autoritäten zum Fortschritt von Gerechtigkeit und Frieden unter allen Völkern und in der ganzen Menschheit beizutragen (vgl. Kompendium der Soziallehre der Kirche, 445). Eventuelle Übereinkommen zwischen Kirche und Staat, die in voller Freiheit von den Vertragspartnern vereinbart werden, haben den Endzweck, gemeinsame Unternehmungen zum Dienst am Gemeinwohl zu fördern, wobei keine andere Absicht dahintersteht als die, allen Bürgern Nutzen zu bringen.

Die Kirche, die von Natur aus universal ist, stellt sich über Einzel- oder Regionalinteressen, um sich jedem Volk – sei es klein oder groß – zuzuwenden, damit der Mensch, jeder Mensch, anerkannt wird in seiner unveräußerlichen Würde. Im Dialog mit den zivilen Autoritäten »will sie lediglich einen humanen Staat fördern. Einen Staat, der die Verteidigung der Grundrechte der menschlichen Person, besonders der schwächsten, als seine vorrangige Pflicht anerkennt« (Evangelium Vitae, 101).

Eine Demokratie ohne Werte führt nämlich zur Tyrannei des Relativismus, zu einem Verlust der eigenen Identität, und auf lange Sicht kann sie zum offenen oder versteckten Totalitarismus ausarten, wie die Geschichte mehrmals gezeigt hat.

Wie sollte man in diesem Zusammenhang nicht in Erinnerung rufen, daß – in Treue zu seinen menschlichen und geistlichen Traditionen – im andorranischen Volk der Wert der Familie, der Ehe gemäß dem Willen des Schöpfers und der Verteidigung des Lebens vom Anfang bis zu seinem natürlichen Ende in hohem Ansehen steht? Ich wünsche mir, daß Andorra auch weiterhin dieses wichtige Erbe bewahren möge, das eine Gewährleistung für wahren Fortschritt ist.

Herr Botschafter, Ihre Gegenwart bringt ein Volk, für das mein tiefes und dankbares Gebet zum Herrn emporsteigt, meinem Herzen noch näher. Indem ich meine herzlichen Wünsche ausspreche für die hohe Mission, die Ihnen durch Ihr Land anvertraut worden ist, möchte ich Ihnen die volle und loyale Zusammenarbeit derer zusichern, die dem Papst helfen, seinen Apostolischen Dienst zu tun. In ihnen können Sie, Herr Botschafter, geeignete Gesprächspartner für die Fragen finden, die beide Seiten betreffen, und, allgemeiner gesprochen, beständige Mitarbeit am Wohl der internationalen Gemeinschaft.

Ich vertraue die Regierenden und die Bevölkerung Andorras dem Schutz der heiligen Jungfrau von Meritxell, der himmlischen Schutzpatronin des Co-Fürstentums, an und bete, daß sie Ihnen beistehe, ebenso wie den zivilen Autoritäten und allen, die dem Wohl des Volkes von Andorra dienen, das dem Herzen des Papstes immer nahe ist. Allen erteile ich meinen Segen.


*L'Osservatore Romano. Wochenausgabe in deutscher Sprache 2006 n. 8 p. 11.

© Copyright 2005 - Libreria Editrice Vaticana



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