APOSTOLISCHE REISE VON PAPST FRANZISKUS
IN DIE REPUBLIK KOREA AUS ANLASS DES
6. ASIATISCHEN JUGENDTAGES
(13.-18. AUGUST 2014)
BEGEGNUNG
MIT DEN BISCHÖFEN KOREAS
ANSPRACHE
VON PAPST FRANZISKUS
Koreanische Bischofskonferenz
(Seoul)
Donnerstag, 14. August 2014
Video
Ich danke Bischof Peter U-il Kang für seinen brüderlichen
Willkommensgruß in eurem Namen. Es ist ein Segen für mich,
hier zu sein und das dynamische Leben der Kirche in Korea
aus erster Hand mitzuerleben. Als Hirten habt ihr die Verantwortung,
die Herde des Herrn zu hüten. Ihr seid Hüter der wunderbaren
Taten, die er in seinem Volk vollbringt. Hüten ist eine
der Aufgaben, die speziell dem Bischof übertragen sind,
nämlich sich um das Volk Gottes zu kümmern. Heute möchte
ich als Bruder im Bischofsamt mit euch über zwei zentrale
Aspekte der Aufgabe, in diesem Land das Gottesvolk zu hüten,
nachdenken: Hüter des Gedächtnisses und Hüter der Hoffnung
zu sein.
Hüter des Gedächtnisses sein. Die Seligsprechung
von Paul Yun Ji-chung und seiner Gefährten ist für uns eine
Gelegenheit, dem Herrn zu danken, der aus dem von den Märtyrern
ausgestreuten Samen in diesem Land eine reiche Ernte der
Gnade hat hervorgehen lassen. Ihr seid die Kinder der Märtyrer,
Erben ihres heroischen Glaubenszeugnisses für Christus.
Ihr seid auch Erben einer eindrucksvollen Tradition, die
in der Treue, der Ausdauer und der Arbeit von Generationen
von Laien ihren Anfang nahm und sich beträchtlich ausbreitete.
Diese waren nicht der Versuchung des Klerikalismus ausgesetzt:
Sie waren Laien und gingen allein voran! Es ist bedeutsam,
dass die Geschichte der Kirche in Korea mit einer direkten
Begegnung mit dem Wort Gottes begann. Es war die der christlichen
Botschaft innewohnende Schönheit und Lauterkeit – das Evangelium
und seine Aufrufe zu Umkehr, innerer Erneuerung und einem
Leben der Nächstenliebe – die Yi Byeok und die ehrwürdigen
Ahnen der ersten Generation ansprach; und auf diese Botschaft
in ihrer Reinheit schaut die Kirche in Korea wie in einen
Spiegel, um ihr innerstes Wesen zu finden.
Die Fruchtbarkeit des Evangeliums auf koreanischem Boden
und das reiche Erbe, das eure Vorfahren im Glauben weitergegeben
haben, zeigt sich heute in der Blüte aktiver Pfarreien und
kirchlicher Bewegungen, in soliden Programmen für Katechese
und Jugendarbeit sowie in den katholischen Schulen, Seminaren
und Universitäten. Die Kirche in Korea genießt hohes Ansehen
aufgrund ihrer Rolle im geistigen und kulturellen Leben
der Nation und ihres starken missionarischen Impulses. Von
einem Missionsland ist euer Land nun zu einem Land der Missionare
geworden; und die Weltkirche profitiert von den vielen Priestern
und Ordensleuten, die ihr ausgesandt habt.
Hüter des Gedächtnisses zu sein bedeutet mehr,
als die Gnadenerweise der Vergangenheit in Erinnerung zu
bewahren und zu schätzen; es bedeutet auch, aus ihnen das
geistliche Kapital zu ziehen, um mit Weitblick und Entschiedenheit
den Hoffnungen, den Erwartungen und den Herausforderungen
der Zukunft zu begegnen. Wie ihr selbst festgestellt habt,
liegt der Maßstab für das Leben und die Mission der Kirche
in Korea letztlich nicht in äußeren, quantitativen und institutionellen
Bedingungen; sie müssen vielmehr im klaren Licht des Evangeliums
und seinem Ruf zur Umkehr zur Person Jesu Christi beurteilt
werden. Hüter des Gedächtnisses sein bedeutet einzusehen,
dass das Wachstum zwar von Gott kommt (vgl. 1 Kor
3,6), zugleich aber Frucht ruhiger und ausdauernder vergangener
wie gegenwärtiger Arbeit ist. Unsere Erinnerung an die Märtyrer
und die vergangenen Generationen der Christen muss eine
realistische, nicht eine idealisierende und nicht eine
„triumphalistische“ sein. In die Vergangenheit zu schauen,
ohne auf Gottes Ruf zur Umkehr in der Gegenwart zu hören,
wird uns nicht voranbringen; es wird uns stattdessen nur
zurückhalten und sogar unseren geistlichen Fortschritt blockieren.
Außer Hüter des Gedächtnisses zu sein, seid ihr, liebe
Brüder, auch berufen, Hüter der Hoffnung zu sein:
Hoffnung, die aus dem Evangelium von Gottes Gnade und Barmherzigkeit
in Jesus Christus hervorgeht, die Hoffnung, welche die Märtyrer
beseelte. Diese Hoffnung einer Welt zu verkünden, die bei
all ihrem materiellen Wohlstand etwas sucht, das mehr ist,
etwas Größeres, etwas Echtes und Erfüllendes: Das ist unsere
Herausforderung. Ihr und eure Mitbrüder im priesterlichen
Dienst bietet diese Hoffnung durch euren Dienst der Heiligung,
der die Gläubigen nicht nur zu den Quellen der Gnade in
der Liturgie und den Sakramenten führt, sondern sie auch
ständig antreibt, vorwärts zu drängen als Antwort auf die
himmlische Berufung, die Gott uns schenkt (vgl. Phil
3,14). Ihr hütet diese Hoffnung, indem ihr die Flamme der
Heiligkeit, der Bruderliebe und des missionarischen Eifers
in der kirchlichen Gemeinschaft am Leben erhaltet. Aus diesem
Grund bitte ich euch, euren Priestern immer nahe zu sein,
sie zu ermutigen in ihren täglichen Mühen, ihrem Streben
nach Heiligkeit und ihrer Verkündigung der Frohen Botschaft
vom Heil. Ich bitte euch, ihnen meine herzlichen Grüße und
meinen Dank zu überbringen für ihren engagierten Dienst
am Volk Gottes. Seid euren Priestern nahe, bitte! Nähe,
es braucht Nähe zu den Priestern, dass sie ihren Bischof
treffen können. Diese brüderliche und auch väterliche Nähe
des Bischofs – die Priester brauchen sie in vielen Augenblicken
ihres Lebens als Seelsorger. Nicht Bischöfe, die fern sind,
oder schlimmer noch, die sich von ihren Priestern entfernen.
Es ist mir schmerzlich, das zu sagen. In meinem Land habe
ich oft Priester gehört, die zu mir sagten: „Ich habe den
Bischof angerufen und um Audienz gebeten; drei Monate sind
vergangen, und ich habe noch keine Antwort.“ – Aber hör
einmal, Bruder, wenn ein Priester dich heute anruft, um
dich um eine Audienz zu bitten, dann rufe sofort zurück,
heute noch oder morgen. Und wenn du keine Zeit hast, ihn
zu empfangen, sag ihm: „Ich kann nicht, weil ich das und
das und das zu tun habe. Aber ich wollte dich hören und
stehe dir zur Verfügung.“ Dass sie doch die Antwort des
Vaters hören, und zwar sofort. Bitte, entfernt euch nicht
von euren Priestern!
Wenn wir die Herausforderung annehmen, eine missionarische
Kirche zu sein, eine Kirche, die ständig hinausgeht in die
Welt und besonders an die Peripherien der heutigen Gesellschaft,
müssen wir jenes „geistliche Wohlgefallen“ fördern, das
uns fähig macht, jedes Glied des Leibes Christi zu umarmen
und uns mit ihm zu identifizieren (vgl. Evangelii gaudium,
268). Hier gilt es, den Kindern und den älteren Menschen
in unseren Gemeinden besondere Zuwendung und Aufmerksamkeit
entgegenzubringen. Wie können wir Hüter der Hoffnung sein,
wenn wir das Gedächtnis, die Weisheit und die Erfahrung
der alten Menschen und die Sehnsüchte unserer Jugendlichen
ignorieren? In diesem Zusammenhang möchte ich euch bitten,
euch in besonderer Weise um die Erziehung der Kinder zu
kümmern, indem ihr die unverzichtbare Aufgabe nicht nur
der Universitäten – die wichtig sind –, sondern auch katholischer
Schulen auf allen Stufen unterstützt, angefangen von den
Grundschulen, wo Geist und Herz der Kinder in der Liebe
zum Herrn und seiner Kirche, im Guten, Wahren und Schönen
geformt werden und wo Kinder lernen, gute Christen und rechtschaffene
Bürger zu sein.
Hüter der Hoffnung zu sein bedingt auch, dafür zu sorgen,
dass das prophetische Zeugnis der Kirche in Korea deutlich
sichtbar bleibt in ihrer Sorge um die Armen und in ihren
Hilfsprogrammen besonders für Flüchtlinge und Migranten
sowie für die, die am Rande der Gesellschaft leben. Dieses
Anliegen sollte sich nicht nur in konkreten karitativen
Initiativen zeigen, die notwendig sind, sondern auch im
fortlaufenden Einsatz bei der Förderung auf sozialer und
beruflicher Ebene sowie im Bildungswesen. Wir können Gefahr
laufen, unsere Arbeit mit den Notleidenden allein auf ihre
institutionelle Dimension zu reduzieren und dabei über die
individuellen Bedürfnisse jedes Einzelnen, als Person zu
wachsen, über das Recht, das er hat, als Person zu wachsen
und auf würdige Weise die eigene Persönlichkeit, Kreativität
und Kultur zum Ausdruck zu bringen, hinwegzusehen. Die Solidarität
mit den Armen steht im Zentrum des Evangeliums; sie muss
als ein wesentliches Element des christlichen Lebens gesehen
werden; durch Predigt und Katechese auf der Grundlage des
reichen Erbes der Soziallehre der Kirche muss sie in Herz
und Verstand der Gläubigen eindringen und sich in allen
Aspekten kirchlichen Lebens widerspiegeln. Das apostolische
Ideal einer Kirche der Armen und für die Armen – einer armen
Kirche für die Armen – kam in den ersten christlichen Gemeinden
eures Landes deutlich zum Ausdruck. Ich bete, dass dieses
Ideal den Pilgerweg der Kirche in Korea in ihrem Blick auf
die Zukunft weiterhin prägen möge. Ich bin überzeugt: Wenn
das Gesicht der Kirche zuerst und vor allem ein Gesicht
der Liebe ist, werden immer mehr junge Menschen zum stets
von göttlicher Liebe brennenden Herzen Jesu in der Gemeinschaft
seines mystischen Leibes hingezogen werden.
Ich habe gesagt, dass die Armen im Zentrum des Evangeliums
stehen; sie stehen auch am Anfang und am Ende. Zu Beginn
seines apostolischen Lebens spricht Jesus in der Synagoge
von Nazareth deutliche Worte. Und als über den Letzten Tag
redet und uns jenes „Protokoll“ bekannt macht, nach dem
wir alle gerichtet werden – Matthäus 25 –, sind dort
ebenfalls di Armen. Es besteht eine Gefahr, es gibt eine
Versuchung, die in Zeiten des Aufschwungs auftaucht: Es
ist die Gefahr, dass die christliche Gemeinde sich „sozialisiert“,
das heißt, dass ihr jene mystische Dimension abhandenkommt,
dass sie die Fähigkeit verliert, das Mysterium zu feiern,
und sich in eine geistliche, christliche Organisation verwandelt,
mit christlichen Werten, aber ohne prophetischen Sauerteig.
Dort ist die Funktion verloren gegangen, die die Armen in
der Kirche haben. Das ist eine Versuchung, unter der die
Teilkirchen, die christlichen Gemeinden in der Geschichte
sehr gelitten haben. Und das bis zu dem Punkt, sich in eine
Mittelklasse-Gemeinde zu verwandeln, in der die Armen sich
schließlich sogar schämen: Sie schämen sich einzutreten.
Das ist die Versuchung des geistlichen Wohlstands, des pastoralen
Wohlstands. Es ist nicht eine arme Kirche für die Armen,
sondern eine reiche Kirche für die Reichen oder eine Mittelklasse-Kirche
für die Wohlhabenden. Und das ist nichts Neues: Es begann
gleich zu Anfang. Paulus muss den Korinthern in seinem ersten
Brief an sie – im 11. Kapitel, Vers 17 – Vorwürfe machen;
und noch stärker und deutlicher der Apostel Jakobus in den
Versen 1 bis 7 im zweiten Kapitel seines Briefes: Er muss
diese wohlhabenden Gemeinden, diese wohlhabenden Kirchen
für die Wohlhabenden rügen. Man jagt die Armen nicht fort,
aber man lebt so, dass sie nicht wagen einzutreten, dass
sie sich nicht zu Hause fühlen. Das ist eine Versuchung
der Prosperität. Ich mache euch keine Vorwürfe, denn ich
weiß, dass ihr gute Arbeit leistet. Doch als Bruder, der
seine Brüder im Glauben stärken muss, sage ich euch: Passt
auf, denn eure Kirche ist eine Kirche im Aufschwung, es
ist eine große missionarische Kirche, es ist eine große
Kirche. Möge der Teufel nicht dieses Unkraut säen, diese
Versuchung, die Armen aus der prophetischen Struktur der
Kirche zu entfernen, und euch zu einer wohlhabenden Kirche
für die Wohlhabenden werden lassen, zu einer Wohlstandskirche…
ich sage nicht: bis hin zu einer „Theologie der Prosperität“,
nein, aber bis zur Mittelmäßigkeit.
Liebe Brüder, ein prophetisches Zeugnis für das Evangelium
stellt für die Kirche in Korea eine besondere Herausforderung
dar, da sie ihr Leben und ihren Dienst mitten in einer wohlhabenden,
dabei zunehmend säkularisierten und materialistischen Gesellschaft
vollzieht. Unter solchen Umständen ist es für die im pastoralen
Dienst Tätigen eine Versuchung, nicht nur wirksame Modelle
des Managements, der Planung und der Organisation aus der
Geschäftswelt zu übernehmen, sondern auch einen Lebensstil
und eine Mentalität, die mehr von weltlichen Kriterien des
Erfolgs – und tatsächlich der Macht – geleitet sind, als
von den Kriterien, die Jesus im Evangelium aufstellt. Weh
uns, wenn das Kreuz um seine Kraft gebracht wird, über die
Weisheit dieser Welt zu urteilen (vgl.1 Kor 1,17)!
Ich bitte euch und eure Brüder im priesterlichen Dienst
dringend, dieser Versuchung in all ihren Formen zu widerstehen.
Mögen wir vor jener geistlichen und pastoralen Verweltlichung
bewahrt werden, die den Heiligen Geist unterdrückt, Umkehr
durch Selbstgefälligkeit ersetzt und dabei jeden missionarischen
Eifer zerstreut (vgl. Evangelii gaudium, 93-97)!
Liebe Mitbrüder im Bischofsamt, danke für alles, was
ihr tut: Danke! Mit diesen Gedanken über eure Rolle als
Hüter des Gedächtnisses und der Hoffnung wollte ich euch
in euren Bemühungen ermutigen, die Gläubigen in Korea in
Einheit, Heiligkeit und Eifer aufzubauen. Gedächtnis
und Hoffnung inspirieren uns und führen uns in die Zukunft.
Ich gedenke euer aller in meinen Gebeten, und ich bitte
euch inständig, auf die Kraft der Gnade Gottes zu vertrauen.
Vergesst nicht: „Der Herr ist treu.“ Wir sind nicht treu,
doch er ist treu! „Er wird euch Kraft geben und euch vor
dem Bösen bewahren“ (2 Thess 3,3). Möge die Fürsprache
Marias, der Mutter der Kirche, in diesem Land die Samen
zu voller Blüte bringen, die von den Märtyrern ausgesät,
von Generationen gläubiger Katholiken begossen und euch
übergeben wurden als ein Pfand für die Zukunft eures Landes
und unserer Welt. Euch und allen, die sich eurer pastoralen
Sorge und Obhut anvertraut haben, erteile ich von Herzen
meinen Segen und bitte euch, für mich zu beten. Danke..
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