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SELIGSPRECHUNG DES DIENERS GOTTES
ANTONIO ROSMINI

PREDIGT VON KARDINAL JOSÉ SARAIVA MARTINS

Sport-Palast, Novara
Sonntag, 18. November 2007

 

»Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaubt, daß du mich gesandt hast.«

1. Unser Herz ist von geistlicher Freude erfüllt, weil wir die Kirche in ihrer ganzen strahlenden Schönheit sehen, die in dieser Eucharistiefeier heute am liturgischen Fest der Ortskirche, das man in Piemont feiert, offenbar wird. Es ist mir eine große Freude, als Vertreter des Heiligen Vaters dem Ritus der Seligsprechung von Antonio Rosmini vorzustehen. Die Freude der Kirche von Trient, wo er geboren wurde, und der Kirche von Novara, wo er gewirkt und seine Seele ausgehaucht hat, breitet sich weit über die Grenzen dieser Diözesen aus.

Welche großartige Wahrheit offenbart sich – aber mehr noch –, verbirgt sich in den bedeutsamen Worten, die der Sohn Gottes in seinem letzten Gebet an den Vater gemäß dem Johannesevangelium gesprochen hat: »Aber ich bitte dich nicht nur für diese hier, sondern auch für alle, die durch ihr Wort an mich glauben« – auch für uns! »Alle sollen eins sein: Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir bin, sollen auch sie in uns sein.« Die Kirche lebt nicht »außerhalb«, sondern »in« der Dreifaltigkeit, und wird mit derselben Liebe geliebt, mit der sich Vater, Sohn und Heiliger Geist lieben. Angesichts einer so unaussprechlichen Wirklichkeit kann der Apostel Petrus in der zweiten Lesung heute das neue Volk der Getauften »lebendige Steine eines geistigen Hauses« nennen, »auserwähltes Geschlecht«, »königliche Priesterschaft«, »heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde, damit ihr die großen Taten dessen verkündet, der euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat

2. Der feierliche Gottesdienst des heutigen Tages vermittelt den Sinn dieses unlösbaren Bandes, das zwischen der Kirche und der Heiligkeit besteht. Denn unsere Kirche ist »die Kirche der Heiligen«, wie Georges Bernanos sie nennt, und nicht »eine Art geistiger Gendarmerie«. Die Heiligkeit »ist ein Abenteuer, ja, das einzig mögliche Abenteuer«.[1]

Und gerade weil er die Kraft hatte, dieses wunderbare Abenteuer der Heiligkeit in erhabener Weise zu unternehmen, wird heute Abt Rosmini von der Kirche in das Buch der Seligen eingeschrieben. Es ist keine nur erklärte, sondern eine in ihrer ganzen Tragweite gelebte Heiligkeit.

Am Beginn seiner berühmten Maximen der christlichen Vollkommenheit, die zu Recht als Kern seiner evangeliumsgemäßen Spiritualität betrachtet werden, schreibt Rosmini: »Der erste Wunsch im Herzen des Christen wird von dem dringenden Verlangen nach Gerechtigkeit [Heiligkeit] erweckt, es ist der Wunsch nach dem Wachstum und der Ehre der Kirche Jesu Christi…«.[2]

Das Lebensziel aller Christen ist der eine und grenzenlose Wunsch, Gott zu gefallen. Aus diesem Wunsch erwächst die Entscheidung, das eigene Denken und Handeln auf das Wachstum und die Ehre der Kirche Jesu Christi auszurichten. Dieser intensive und unablässige Blick auf Christus und seine Kirche erfordert eine sehr eindringliche Vision von ihr, die Rosmini in der Nachfolge vieler anderer christlicher Denker hatte, unter ihnen der hl. Augustinus, der schrieb: »Laßt uns also jubeln und Dank sagen, daß wir nicht bloß Christen geworden sind, sondern Christus selbst. Brüder, seid ihr euch der Gnade bewußt, die Gott uns schenkte, als er uns Christus zum Haupt gab? Staunt, freut euch, Christus sind wir geworden. Denn wenn er das Haupt ist, wir die Glieder, dann ist der ganze Mensch er und wir … Die Fülle Christi also sind Haupt und Glieder. Was heißt: Haupt und Glieder? Christus und die Kirche.«[3]

Für den ausschließlichen Dienst dieser Kirche, die mit Christus den »ganzen Christus« (Christus totus) bildet, gründete Rosmini das Institut der Liebe (Rosminianer) und die Schwestern der göttlichen Vorsehung (Rosminianerinnen). Diesen Instituten setzte er das einzige Ziel, das der Hauptzweck des Ordenslebens ist: die unaufhörliche Suche nach dem Heil und der Heiligkeit. Alles für die Kirche. Es handelt sich um eine Eigenschaft, die Rosmini viel abverlangt hat und die im Leben des Seligen äußerst bedeutsam und vorbildhaft aufscheint: eben seine unverbrüchliche und anhaltende Liebe zur Kirche.

In den Konstitutionen verwendet er ganz klare Worte: »Wir denken nicht an dieses Institut, sondern immer an die Kirche Christi, indem wir in der Freude unseres Herzens die Verheißungen in Erinnerung rufen, die uns als Erbe überliefert wurden im Hinblick auf das Reich Christi und auf die Unumstößlichkeit des göttlichen Ratschlusses«[4]; »…solange [unsere Ordensfamilie] für die Kirche Nutzen bringen kann, wird [Gott] sie bewahren und schützen; wenn sie dann anfängt nutzlos und schädlich zu sein, wird er dem gerechten Urteil entsprechend den morschen Baum umhauen und den Flammen übergeben.«[5] Die Ordensmänner und Ordensfrauen sollten auf dem Weg zur Heiligkeit, dem einzigen Ziel, für jedes Werk der Nächstenliebe offen sein, das der Herr vor allem durch die Hirten der Kirche und die zeitlichen und örtlichen Umstände anbietet:

- für die Werke der »geistlichen Liebe«, die sich unmittelbar auf das ewige Heil des Menschen beziehen (Glaubensverkündigung, Sakramente);
- für die Werke der »intellektuellen Liebe«, mit denen der menschliche Geist von der finsteren Unwissenheit befreit und mit dem Licht der Wahrheit erleuchtet werden soll;
- und für die Werke der »weltlichen Liebe«, die auf die leiblichen Bedürfnisse abzielen, wie der Hunger und die Gesundheit.

3. Neben der Leitung der von ihm gegründeten Ordensfamilie widmete der sel. Antonio Rosmini seine Kräfte der kulturellen Arbeit, besonders auf dem Gebiet der Philosophie, der Pädagogik und der Theologie. Er tat es als Antwort auf den Ruf der Päpste seiner Zeit, die in Rosminis intellektuellen Fähigkeiten den klaren Hinweis sahen, daß er der Kirche und dem Menschen dienen sollte, indem er ein Gedankensystem entwickelte, das die Grundlage des Glaubens bildete. Es handelte sich darum – wie er schrieb –, den Menschen zu Gott zurückzuführen, von dem er sich durch eine falsche Anwendung der Vernunft entfernt hatte, und den echten Weg der Vernunft zu zeigen. Diese äußerst schwierige Aufgabe, die Antonio Rosmini große Mühe und schmerzliches Unverständnis einbrachte, hat in jüngster Vergangenheit das maßgebliche Siegel der Kirche erhalten, vor allem in der Enzyklika Fides et Ratio Johannes Pauls II. Sie beginnt mit dem schönen Vergleich der zwei Flügel: »Glaube und Vernunft sind wie die beiden Flügel, mit denen sich der menschliche Geist zur Betrachtung der Wahrheit erhebt.«[6] Damit bekräftigt der verstorbene Papst, nachdem er hervorgehoben hat, daß die Trennung zwischen Vernunft und Glauben eine Tragik ist, durch ein Zitat von Augustinus: »Die Tiefe und Unverfälschtheit des Glaubens wird gefördert, wenn er sich mit dem Denken verbindet und nicht darauf verzichtet. Und wieder ist es die Lehre der Kirchenväter, die uns zu dieser Überzeugung führt: ›Dasselbe glauben ist nichts anderes als zustimmend denken […] Jeder, der glaubt, denkt; wenn er glaubt, denkt er, und wenn er denkt, glaubt er […] Wenn der Glaube nicht gedacht wird, ist er nichts.‹ Und an anderer Stelle heißt es: ›Wenn einer die Zustimmung aufgibt, gibt er den Glauben auf, denn ohne Zustimmung glaubt man überhaupt nichts‹«.[7] Und in derselben Enzyklika wird Rosmini als einer der neuzeitlichen Vertreter dieser Linie des Dialogs genannt: »Die fruchtbare Beziehung zwischen der Philosophie und dem Wort Gottes schlägt sich auch in der mutigen Forschung nieder, die von einigen jüngeren Denkern geleistet wurde. Unter ihnen möchte ich für den westlichen Bereich Persönlichkeiten nennen wie John Henry Newman, Antonio Rosmini, Jacques Maritain, Etienne Gilson und Edith Stein«.[8]

Rosminis Stimme ist ein moderner Widerhall der Stimme der großen Kirchenväter, mit der sie ruhigen Gewissens Seite an Seite gestellt werden kann auf Grund des Scharfsinns und der Weite der theoretischen Interessen, die mit dem evangeliumsgemäßen Eifer des Seelsorgers eng verbunden sind. Man kann ihn in vielfacher und unterschiedlicher Weise beschreiben, aber man trifft immer nur einen Teil der vielfältigen Facetten des Prismas seiner außergewöhnlichen Identität. In Antonio Rosmini findet man den Philosophen, den Pädagogen, den Politiktheoretiker, den Glaubensapostel, den Propheten, den Giganten der Kultur. Das alles bekräftigt seine Bedeutung und Aktualität, aber unser Interpretationsschlüssel ist die Heiligkeit Rosminis, die sicher helfen wird, die enge Beziehung zwischen Vernunft und Glaube, zwischen Religion, ethischem Verhalten und Dienst der Christen an der Gesellschaft neu zu entdecken.

4. Die Kirche spricht diesen Priester heute selig, weil sie Zeichen der Tugenden in seinem arbeitsamen Leben erkannte, die er auf heroische Weise praktiziert hat. Als junger Priester hatte er für sich selbst eine »Verhaltensregel« aufgestellt, die auf dem Evangelium beruhte und zwei Grundprinzipien hatte: »Erstens: Ernsthaft danach trachten, daß ich mich meiner Sünden wegen bessere und meine Seele von dem Bösen reinige, mit dem sie von Geburt an belastet ist, ohne daß ich nach anderen Tätigkeiten oder Werken zugunsten des Nächsten suche, denn ich bin völlig unfähig, von mir aus etwas für ihn tun zu können; Zweitens: dem Nächsten den Liebesdienst nicht verweigern, wenn ihn mir die göttliche Vorsehung anbietet und zuweist, denn Gott hat die Macht, sich eines jeden und auch meiner für seine Werke zu bedienen; in diesem Fall ist eine vollständige Gleichgültigkeit gegenüber den Liebesdiensten zu bewahren, aber jenen, der mir angeboten wird, ist mit dem gleichen Eifer zu tun, wie ich jeden anderen aus freiem Willen tun würde.« Wer ihn gekannt hat – seien es berühmte Persönlichkeiten seiner Zeit, zu denen er Kontakt pflegte, seien es einfache Gläubige –, bezeugte, daß Rosmini nach dieser Regel gelebt hat, die ihren Widerhall in Jesu Worten findet: »… getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen« (Joh 15,5), und in dem Brief des Paulus an die Philipper: »Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt« (Phil 4,13).

In dem neuen Seligen findet sich ein einheitlicher Leitfaden, der sein Denken, seinen Glauben und seinen täglichen Lebensvollzug verbindet. Daraus ergibt sich ein Lebenszeugnis im Zeichen dieser Einheit, die Askese, Mystik, Heiligkeit ist. Abt Rosmini lebte ein theologisches Leben, in dem der Glaube die Hoffnung und die Liebe einschloß, durch jenen Dialog der Liebe, die auf die göttliche Vorsehung vertraute, so daß er nichts unternahm, ob wichtig oder unwichtig, »solange wir nicht von der Vorsehung gleichsam gezogen werden«.

Indem die Kirche ihn zur Ehre der Altäre erhebt, zeigt sie diesen Priester als Fürsprecher und Vorbild auch für uns, die Menschen von heute. Das Leben und die Weisungen des Gründers des Instituts der Liebe fordern uns auf, Gott ganz in die Mitte unseres Lebens zu stellen und ihm im Menschen zu dienen, der sein Sakrament ist, ihm in allen Bereichen zu dienen, in die der Herr uns ruft. Dabei sollen wir uns einzig und allein freuen, daß wir, die Reben, in Christus, den Weinstock, eingebunden sind, und in einer Haltung des Dialogs und nicht des Widerspruchs zu den vielen und oft trügerischen Denkströmungen von heute verharren.

Aus unserer heiligen Versammlung steige ein Danklied an den Herrn auf, der in seiner wunderbaren Vorsehung alles führt. Und die Worte soll uns wieder unser Seliger eingeben, der im Jahr 1849, in einer Stunde schwerer Prüfung an einen Mitbruder geschrieben hat: »Wenn ich die göttliche Vorsehung betrachte, bewundere ich sie: Wenn ich sie bewundere, liebe ich sie; wenn ich sie liebe, rühme ich sie; wenn ich sie rühme, danke ich ihr; wenn ich ihr danke, freue ich mich. Was könnte ich sonst tun, wenn ich durch Vernunft und durch Glauben weiß und im Innersten fühle, daß alles, was man tut, von Gott entweder gewollt oder erlaubt wird, und von einer ewigen, unendlichen, lebendigen Liebe gemacht ist? Und wer könnte angesichts der Liebe traurig werden?«[9]

Amen.


Anmerkungen

1 G. Bernanos, I predestinati, Gribaudi, Torino, 1995, S. 42–43.

2 Rosmini A., Massime di perfezione cristiana, a cura di M.M. Riva, Trento 2003, S.17.

3 Augustinus, In Evangelium Iohannis tractatus, 21,8.

4 Rosmini A., Costituzioni dell’Istituto della Carità, Trento 1974, S. 377, Nr. 468.

5 Ebd., S. 375, Nr. 465.

6 Fides et ratio, Einleitung.

7 Ebd., Nr. 79.

8 Ebd., Nr. 74.

9 Rosmini A., Epistolario ascetico, III, S. 508, lett. 1124.

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