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BOTSCHAFT VON JOHANNES PAUL II.
ZUM 89. DEUTSCHEN KATHOLIKENTAG

Mittwoch, 10. September 1986

 

Meinem verehrten Bruder Klaus Hemmerle
Bischof von Aachen

1. ”Gnade sei Euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn, Jesus Christus“. Mit diesem Segenswunsch grüße ich zur Eröffnungsfeier des 89. Deutschen Katholikentages in Aachen zusammen mit dem Oberhirten der gastgebenden Stadt und Diözese meine Mitbrüder im Bischofs- und Priesteramt, die Ordensleute sowie alle Brüder und Schwestern, die hier zusammengekommen sind, um für unseren gemeinsamen Glauben in aller Öffentlichkeit Zeugnis abzulegen.

”Dein Reich komme!“ – Diese Vaterunser-Bitte habt Ihr Euch gewählt als Ausdruck dessen, was Euer Gebet und Eure Besinnung, Eure Gespräche und Begegnungen beseelen und bestimmen soll. In der Tat, die Suche nach Zukunft, die Sehnsucht nach Frieden, der Schrei nach Gerechtigkeit, die milliardenfach aus den Herzen der Menschen aufsteigen, finden keinen wirksameren Weg zu ihrer Erfüllung als diese demütige Bitte. In der Stadt Aachen, die so tief mit der Geschichte der irdischen Suche nach einem Reich verbunden ist, das Frieden, Einheit und Gerechtigkeit fördert, vor dem Hintergrund Eures Domes, der das himmlische Jerusalem widerspiegelt, gewinnt diese Bitte an den Vater aller Menschen und Herrn der Geschichte besondere Eindringlichkeit.

2. ”Dein Reich komme!“ – Ich möchte in meinem Grußwort zu diesem Leitwort Eures Katholikentages drei Gedanken hervorheben, die mir heute besonders wichtig erscheinen. Diese Vaterunser-Bitte gibt als erstes dem menschlichen Bemühen um die Gestaltung der Zukunft Maß und Orientierung. Unser Jahrhundert ist von Ideologien erfüllt, die dem Menschen vormachen, er könne aus eigener Kraft ein unzerstörbares und vollkommenes Reich des Glücks und des Friedens herbeiführen; Blut und Tränen, Streit und Tod waren die Folgen. Säkularisierte Formen der Erwartung des Gottesreiches, die es zum Reich menschlicher Allmacht werden lassen wollten, haben dem berechtigten menschlichen Streben nach Fortschritt und Entwicklung schwere Rückschläge gebracht. In der Folge davon machen sich heute, gerade in der Welt hochentwickelter industrieller Zivilisation, Enttäuschung und Angst, Resignation und ein verbittertes Nein zur Zukunft überhaupt breit.

Im Grunde gibt es nur eine Alternative zum blinden Glauben des Menschen an seine eigene unbegrenzte Zukunftsmacht wie auch zu seiner Verweigerung und Verzweiflung gegenüber der Zukunft: den Glauben an jene Zukunft, die über alle menschlichen Möglichkeiten, aber auch über alle menschlichen Gefahren hinaus Gott selber uns in Jesus Christus ein für allemal erschlossen und verheißen hat, die Hoffnung auf die Zukunft Gottes, auf sein kommendes Reich. Was der heilige Augustinus vom einzelnen Menschen sagt, gilt auch für die Gesellschaft und die Menschheit im ganzen. Unruhig ist das Herz der Menschheit, bis es Ruhe findet in der Hoffnung und Zuversicht auf Gottes Reich, das kommt und sich einmal vollenden wird.

3. ”Dein Reich komme!“ – Diese Vaterunser-Bitte lenkt unseren Blick aber nicht nur in die Zukunft, sondern auch zurück auf das, was vor bald 2000 Jahren schon geschehen ist, als der Sohn Gottes im Fleische geboren wurde, als er die Frohe Botschaft verkündete, als er am Kreuz und in der Auferstehung das Werk der Erlösung vollbrachte. Verborgen, keimhaft, aber doch wirklich ist damals Gottes Reich schon zu uns gekommen. Gottes Reich lebt schon mitten unter uns, wo der Herr in unserer Mitte lebt. Warum bitten wir dann aber noch um dieses Reich? Die ein für allemal in Jesus Christus eröffnete machtvolle Nähe Gottes ist ein immer neues Geschenk für jeden Tag, für jede Epoche. Der Herr lasse uns das immer neu entdecken und ergreifen, was er uns bereits geschenkt hat! Eine Neuevangelisierung tut not, vor allem in den Ländern mit einer langen, christlich geprägten Tradition und Kultur. Man stellt hier vielerorts eine tiefe und zum Teil wachsende Entfremdung zwischen der christlichen Botschaft und dem allgemeinen Bewußtsein der Menschen fest. Die sittlichen Verhaltensweisen sind nicht mehr bestimmt von den Maßstäben des Evangeliums; die Teilnahme am gottesdienstlichen und Sakramenten Leben der Kirche nimmt ab; es gibt einen Mangel an geistlichen Berufen; in vielen Familien wird christliches Glaubensgut nicht mehr an die kommende Generation weitergegeben. Möge der Aachener Katholikentag mit seinem Leitwort ”Dein Reich komme“ zu einem Fanfarenstoß für eine Neuevangelisierung werden!

Von tiefer Bedeutung ist der Umstand, daß sich dieser Katholikentag mit der ehrwürdigen Aachener Heiligtumsfahrt verbindet, die seit vielen Jahrhunderten alle sieben Jahre ungezählte Menschen in der Verehrung der Geheimnisse der Menschwerdung Gottes vereint. Möge diese zusammen mit den anderen Heiligtumsfahrten desselben Jahres im Bistum Aachen zum Ausdruck des gesamten pilgernden Gottesvolkes werden, das sich aufmacht zu den Quellen, um aus den Geheimnissen der Erlösung durch Jesus Christus sein Leben zu gestalten.

4. Schließlich möchte ich noch einen dritten Gedanken unterstreichen. Wer Gott bittet, daß sein Reich komme, der muß bereit sein, diesem Reich auch selber die Wege zu bereiten. Gebet nimmt uns in Pflicht, das Unsere zu tun. Es ist eine gute Tradition des deutschen Katholikentages, sich aus dem Geist des Glaubens den Gestaltungsaufgaben in Gesellschaft und Kirche zu stellen. Dies hat sich auch der Aachener Katholikentag vorgenommen. Aachen ist die Stadt großer weltkirchlicher Werke der deutschen Katholiken: Mission, Misereor und Päpstliches Missionswerk der Kinder. Erkennt neu den Auftrag, weltkirchliche Verantwortung und Gemeinschaft zu stärken und zu vertiefen. Aachen ist eine Stadt an den Quellen europäischer Geschichte, eine Stadt an Grenzen, die mehr verbinden sollen, als daß sie trennen. Verantwortung für Europa, für sein gemeinsames Erbe und seine Zukunft sei ein Anliegen dieses Euren Katholikentages. Stadt und Bistum Aachen sind eng verknüpft mit der Geschichte des sozialen Katholizismus in Deutschland. Seht auch darin einen Anruf für heute. In Aachen sind viele Orden und geistliche Gemeinschaften beheimatet. Stellt Euch der Frage, wie heute Berufungen geweckt und gefördert werden können Aachen hat eine bedeutende Technische Hochschule. Richtet daher Euer Augenmerk auch auf den Zusammenhang zwischen technischer Entwicklung und Verantwortung für die Zukunft der Menschheit.

5. So hoffe und bete ich mit Euch, daß auch der Aachener Katholikentag einen fruchtbaren Beitrag zu jener Zivilisation der Liebe erbringt, die der verbreiteten Angst vor der Zukunft entgegenwirkt und Menschen, gerade auch junge Menschen, dazu ermutigt, ja zu sagen zum Leben und sich für die Zukunft des Lebens einzusetzen.

”Dein Reich komme!“: eine Botschaft der Hoffnung, die hinausgreift über diese Welt – Botschaft des Glaubens, der unser Leben, unsere Gesellschaft, unsere Kirche erneuert aus dem Evangelium – Botschaft der Liebe, die uns hilft, eine Zivilisation der Liebe hier und jetzt zu verwirklichen. Dies ist der Auftrag des Aachener Katholikentages, den ich mit großer Anteilnahme und betendem Gedenken begleite. Euch allen, die daran mitwirken und teilnehmen, erteile ich von Herzen meinen besonderen Apostolischen Segen: Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Aus dem Vatikan, den 15. August 1986.  

IOANNES PAULUS PP. II

 

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