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BOTSCHAFT VON JOHANNES PAUL II.
ZUM 8. WELTTAG DER KRANKEN

11. Februar 2000

 Ökumenische Zusammenarbeit im Dienst an den Kranken

1.Die christliche Gemeinschaft wird den 8. Welttag der Kranken, der am 11. Februar 2000 im Jahr des Großen Jubiläums in Rom stattfindet, begehen, um durch dieses außergewöhnliche Ereignis neues Licht auf die grundlegenden menschlichen Erfahrungen zu lenken. Sie ist gehalten, die Realität von Krankheit und Leid im Blick auf das Geheimnis der Menschwerdung des Gottessohnes wieder neu zu sehen.

Die Kirche stellt sich am Ende des zweiten Jahrtausends der christlichen Zeitrechnung den Fragen, die aus der Welt des Gesundheitswesens vorgebracht werden. Dabei schaut sie mit Bewunderung auf den von der Menschheit in der Sorge um das Leid und die Gesundheitsförderung zurückgelegten Weg. Sie macht damit besser ihre Präsenz in diesem Bereich deutlich und stellt sich in angemessener Weise den augenblicklichen, dringlichen Herausforderungen.

Im Lauf der Geschichte haben die Menschen die Fähigkeiten des Verstandes und des Herzens zur Überwindung der die eigene Lage betreffenden Grenzen genutzt. Sie haben große Erfolge in der Gesundheitssicherung erreicht. Es genügt, an die Möglichkeiten zu denken, das Leben zu verlängern, seine Qualität zu verbessern, die Leiden zu erleichtern und die menschlichen Leistungen durch die Anwendung von sicher wirkenden Arzneien und immer besser entwickelten Technologien hervorzuheben. Zu diesen Erfolgen kommen jene sozialen Leistungen hinzu, wie das verbreitete Bewußtsein des Rechts auf Behandlung und dessen Übertragung in juristische Fachausdrücke in den verschiedenen „Konventionen der Rechte des Kranken“. Außerdem ist die bedeutende Entwicklung nicht zu vergessen, die im Bereich des Pflegedienstes durch das Aufkommen neuer gesundheitlicher Behandlungsformen, eine immer qualifiziertere Krankenpflege und das Phänomen des Freiwilligendienstes erreicht wurde, der in der Gegenwart bedeutende Kompetenzebenen übernommen hat.

2.Am Ende des zweiten Jahrtausends kann man dennoch nicht sagen, daß die Menschheit alles Notwendige getan habe, um die gewaltige Last des Leidens für den einzelnen, für die Familien und für die ganze Gemeinschaft zu verringern.

Im Gegenteil, besonders in diesem letzten Jahrhundert scheint der Strom des menschlichen Leids - schon groß durch die Zerbrechlichkeit der menschlichen Natur und durch die Wunde der Erbsünde - mit der Zunahme der durch Fehlentscheidungen einzelner und der Staaten verhängten Qualen noch gewaltiger geworden zu sein: Ich denke an die Kriege, die dieses Jahrhundert mit Blut befleckt haben, vielleicht mehr als jedes andere der leidvollen Geschichte der Menschheit; ich denke an in der Gesellschaft weit verbreitete Krankheiten wie Drogenabhängigkeit, AIDS und an Krankheiten, die sich aus dem Zerfall der großen Städte und der Umwelt ergeben; ich denke an die Zunahme der Klein- und Schwerkriminalität und an die Vorschläge für die Euthanasie.

Vor mir sehe ich nicht nur die Krankenbetten, in denen so viele Kranke liegen, sondern auch die Leiden der Flüchtlinge, der verwaisten Kinder und der zahllosen Opfer von sozialen Übeln und Armut.

Gleichzeitig fügt sich vor allem in der säkularisierten Welt ein weiterer und schwerwiegender Grund des Leidens mit der Glaubensfinsternis an: nicht mehr den rettenden Sinn des Schmerzes und den Trost der eschatologischen Hoffnung erfassen zu können.

3.Die Kirche hat an den Freuden und Hoffnungen, an der Trauer und an den Ängsten der Menschen zu jeder Zeit Anteil genommen. Sie hat die Menschheit ständig begleitet und sie im Kampf gegen das Leid sowie bei ihrem Einsatz zur Gesundheitsförderung unterstützt. Gleichzeitig ist sie der Verpflichtung nachgekommen, den Menschen die Bedeutung des Leidens und den Reichtum der von Christus, dem Heiland, vollbrachten Erlösung zu offenbaren. Die Geschichte verzeichnet große Gestalten von Männern und Frauen, die vom Wunsch geleitet waren, dem Beispiel Christi durch eine tiefe Liebe zu den armen und leidenden Brüdern zu folgen. Sie haben unzählige Hilfsinitiativen ins Leben gerufen und die beiden letzten Jahrtausende mit guten Werken ausgestattet.

Wie könnte man neben den Bischöfen und den Gründern und Gründerinnen von Ordenseinrichtungen nicht mit bewunderndem Staunen an die unzähligen Menschen denken, die in Stille und in Demut ihr eigenes Leben für den kranken Nächsten geopfert haben und in vielen Fällen den Gipfel des Heroismus erreichten? (vgl. Vita consecrata, 83) Die tägliche Erfahrung zeigt, wie die Kirche, inspiriert vom Evangelium der Nächstenliebe, stets mit vielen Werken, Krankenhäusern, sanitären Einrichtungen und Freiwilligenorganisationen zur Pflege der Gesundheit und der Kranken ihren Beitrag leistet. Besondere Beachtung erfahren die am meisten Hilfsbedürftigen in allen Gegenden der Welt, was auch immer der Grund ihrer Leiden sei oder gewesen sei, ob selbst verursacht oder nicht.

Es geht um eine Präsenz, die zum Vorteil des kostbaren Wohls der menschlichen Gesundheit und mit aufmerksamem Blick auf alle sozialen Unterschiede und Widersprüche getragen und gefördert wird, die in der Welt des Gesundheitswesens bestehen bleiben.

4.Im Lauf der Jahrhunderte fehlten jedoch neben dem Licht nicht die Schatten, die das in vielerlei Hinsicht glänzende Bild der Gesundheitsförderung verdunkelt haben und immer noch verdunkeln. Besonders denke ich an die schweren sozialen Unterschiede beim Zugang zu sanitären Hilfsmitteln. Noch heute kann man in weiten Gebieten der Welt - vor allem in den südlichen Ländern der Erde - diese Ungleichheiten feststellen.

Ein derartig ungerechtes Mißverhältnis betrifft mit zunehmender Dramatik den Bereich der Grundrechte des Menschen: Ganze Völker haben nicht einmal die Möglichkeit, besonders wichtige und notwendige Arzneimittel zu nutzen, während andernorts mit teuren Arzneimitteln sogar Mißbrauch und Verschwendung betrieben wird. Und was soll man über die unzähligen Brüder und Schwestern sagen, denen das Nötige fehlt, um den Hunger zu stillen, und die Opfer von Krankheiten jeder Art sind? Von den vielen Kriegen nicht zu reden, welche die Menschheit mit Blut beflecken und die außer dem Tod körperliche und psychische Verletzungen jeder Art verursachen.

5. Angesichts solchen Geschehens muß man erkennen, daß in vielen Fällen der wirtschaftliche, wissenschaftliche und technologische Fortschritt leider nicht von echtem Fortschritt begleitet wurde, der den Menschen und die unverletzliche Würde eines jeden im Blick hat. Die gleichen Erfolge auf dem Gebiet der Genetik, die grundlegend für die Sorge um die Gesundheit und vor allem für den Schutz des entstehenden Lebens sind, bieten Gelegenheit zu unzulässiger Auswahl, zu unbesonnenen Manipulationen und zu - gegen jede Ethik gerichtete - Zielsetzungen für eine wirkliche Entwicklung mit häufig verheerenden Folgen.

Auf der einen Seite nimmt man gewaltige Anstrengungen wahr, um das Leben zu verlängern und sogar künstlich zu erzeugen; auf der anderen Seite läßt man aber nicht zu, daß das Leben zur Welt kommt, das schon empfangen wurde, und beschleunigt den Tod dessen, der nicht mehr als sehr nützlich gesehen wird. Und schließlich: Während zu Recht die Gesundheit hervorgehoben wird und die Initiativen ihrer Förderung vermehrt werden, gelangt man bisweilen zu einer Art von Körperkult und zu einem hedonistischen Streben nach körperlicher Leistungsfähigkeit. Gleichzeitig beschränkt man sich darauf, das Leben als einfachen Konsumwert zu betrachten. Dabei werden neue Ausgrenzungen für Behinderte, ältere Menschen und Sterbende geschaffen.

Alle diese Widersprüche und paradoxen Zustände sind auf den fehlenden Ausgleich zwischen der Logik des Wohlstandes und dem Streben nach technologischem Fortschritt einerseits und andererseits der Logik der in der Würde eines jeden Menschen begründeten ethischen Werte zurückzuführen.

6. An der Schwelle des neuen Jahrtausends ist es wünschenswert, daß man auch in der Welt des Leidens und der Gesundheit „eine Reinigung des Gedächtnisses“ fördert, die dazu führt, „die Verfehlungen zuzugeben, die von denen begangen wurden, die den Namen Christen trugen und tragen“ (Incarnationis mysterium, 11; vgl. auch Tertio millennio adveniente, 33, 37 und 51). Die kirchliche Gemeinschaft ist aufgerufen, auch in diesem Bereich die Einladung zur Umkehr anzunehmen, die mit der Feier des Heiligen Jahres verbunden ist.

Der Prozeß der Umkehr und der Erneuerung wird erleichtert, wenn man stets den Blick auf den richtet, „der vor zweitausend Jahren im Schoß Mariens Mensch geworden ist und sich weiterhin der Menschheit als Quelle göttlichen Lebens darbietet“ (Tertio millennio adveniente, 55).

Das Geheimnis der Menschwerdung beinhaltet, daß das Leben als Geschenk Gottes verstanden wird, um es mit Verantwortung zu erhalten und für das Gute einzusetzen: Die Gesundheit ist also ein positives Lebensmerkmal, das es für das Wohl des Menschen und des Nächsten zu erhalten gilt. Dennoch ist die Gesundheit in der Wertehierarchie ein „vorletztes“ Gut, das es im Blick auf das Gesamtwohl und folglich auch auf das geistliche Wohl des Menschen zu pflegen und zu bedenken gilt.

7. Unser Blick ist unter diesen Umständen vor allem auf den leidenden und auferstandenen Christus gerichtet. Der Sohn Gottes hat die Menschennatur angenommen und akzeptierte, sie mit all ihren Aspekten zu leben, einschließlich von Leid und Tod. Er erfüllte in seiner Person die Worte beim Letzten Abendmahl: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt“ (Joh 15,13). Wenn die Christen die Eucharistie feiern, verkünden und erneuern sie das Opfer Christi, „durch dessen Wunden wir geheilt worden sind“ (vgl. 1 Petr 2,25). Wer sich mit ihm vereint, „bewahrt in seinen Leiden einen ganz besonderen Teil des unendlichen Schatzes der Erlösung der Welt und kann ihn mit den anderen teilen“ (Salvifici Doloris, 27).

Die Nachfolge Jesu, des leidenden Knechts, hat viele Heilige und einfache Gläubige veranlaßt, ihre Krankheit und ihr Leid zu einer Quelle der Reinigung und der Rettung für sich und für andere zu machen. Diese großartigen Aussichten der persönlichen Heiligung und der Mitarbeit am Heil der Welt eröffnet den kranken Brüdern und Schwestern der vorgezeichnete Weg zu Christus und zu seinen vielen Jüngern! Es geht um einen schwierigen Weg, weil der Mensch nicht von sich aus den Sinn des Leidens und des Todes findet, aber es ist ein Wegstück, das auch immer mit der Hilfe Gottes, des Meisters und inneren Führers, möglich ist (vgl. Salvifici Doloris, 26-27).

Wie die Auferstehung die Wunden Christi in eine Quelle der Heilung und der Rettung umgewandelt hat, so ist heute für jeden Kranken das Licht des auferstandenen Christus Bestätigung, daß der Pfad der Treue zu Gott im Geschenk seiner selbst bis zum Kreuz siegreich ist. Er birgt die Möglichkeit, diese Krankheit in eine Quelle der Freude und der Auferstehung zu wandeln. Ist es nicht etwa diese Ankündigung, die im Herz jeder Eucharistiefeier wiedererklingt, wenn die Gemeinschaft ruft: „Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, Deine Auferstehung preisen wir, bis Du kommst in Herrlichkeit“? Auch die Kranken, die als Arbeiter in den Weinberg des Herrn geschickt wurden (vgl. Christifideles Laici, 53), können durch ihr Beispiel einen wertvollen Beitrag zur Evangelisierung einer Kultur leisten, die danach strebt, die Leiderfahrung zu beseitigen. Dadurch verhindert sie, den tiefen Sinn mit den darin begründeten Anstößen zu einem menschlichen und christlichen Reifen zu erfassen.

8. Das Jubiläum lädt uns auch dazu ein, das Antlitz Jesu, des göttlichen Samariters von Leib und Seele, zu betrachten. Die Kirche folgt dem Beispiel ihres göttlichen Gründers und „hat von Jahrhundert zu Jahrhundert […] das Gleichnis des guten Samariters aus dem Evangelium neu geschrieben. Sie hat die heilende und tröstende Liebe Jesu geoffenbart und weitergegeben durch das Zeugnis des gottgeweihten Lebens, das sich dem Dienst der Kranken widmet, und durch den unermüdlichen Einsatz aller, die im Gesundheitswesen arbeiten“ (vgl. Christifideles Laici, 53). Dieser Beitrag ergibt sich weder aus besonderen gesellschaftlichen Umständen noch wird er als eine freiwillige oder gelegentliche Handlung verstanden, sondern er stellt eine unumgängliche Antwort auf den Auftrag Christi dar: „Dann rief er seine zwölf Jünger zu sich und gab ihnen die Vollmacht, die unreinen Geister auszutreiben und alle Krankheiten und Leiden zu heilen“ (Mt 10,1).

Durch die Eucharistie erhält der Dienst am an Leib und Seele leidenden Menschen seinen Sinn, da er in ihr nicht nur den Ursprung, sondern auch die Norm findet. Nicht zufällig hat Jesus die Eucharistie mit dem Dienst eng verbunden (vgl. Joh 13, 2-6), als er die Jünger aufforderte, immer wieder zur Erinnerung an ihn nicht nur das „Brechen des Brotes“, sondern auch den Dienst der „Fußwaschung“ zu vollziehen.

9. Das Beispiel Christi, des guten Samariters, soll die Haltung des Gläubigen inspirieren und ihn anleiten, den leidenden Brüdern und Schwestern durch Achtung, Verständnis, Annahme, Feinfühligkeit, Mitleid und Entgegenkommen „Nächster“ zu werden. Es geht darum, die Gleichgültigkeit zu bekämpfen, welche einzelne und Gruppen veranlaßt, sich eigennützig in sich selbst zu verschließen. Deshalb „[müssen] Familie und Schule sowie die anderen Erziehungseinrichtungen, schon allein aus humanitären Gründen, beharrlich auf die Weckung und die Schärfung jener Feinfühligkeit gegenüber dem Nächsten und seinem Leiden hinwirken“ (Salvifici Doloris, 29). Für den Gläubigen ist diese menschliche Empfindsamkeit in die „Agape“ einbezogen, das heißt in der übernatürlichen Liebe, die dazu führt, den Nächsten in der Liebe Christi zu lieben. Die vom Glauben geleitete Kirche umfängt wirklich jene mit Fürsorge, die von menschlichem Leid niedergeschlagen sind, und erkennt in ihnen das Bild ihres armen und leidenden Gründers. Sie bemüht sich, das Elend zu lindern eingedenk seiner Worte: „Ich war krank, und ihr habt mich besucht“ (Mt 25,36).

Das Beispiel Jesu, des guten Samariters, leitet nicht nur dazu an, dem Kranken beizustehen, sondern auch alles nur Mögliche zu tun, um ihn wieder in die Gemeinschaft einzubeziehen. Tatsächlich bedeutet für Christus Heilen gleichzeitig Wiedereingliedern: Wie die Krankheit aus der Gemeinschaft ausschließt, so muß die Heilung den Menschen dahin führen, wieder seinen Platz in der Familie, in der Kirche und in der Gesellschaft zu finden.

An die, die sich beruflich oder freiwillig in der Welt des Gesundheitswesens engagieren, richte ich eine herzliche Einladung, den Blick auf den göttlichen Samariter zu richten, damit ihr Dienst Vorwegnahme des endgültigen Heils und Ankündigung des neuen Himmels und der neuen Erde werden kann, „in denen die Gerechtigkeit wohnt“ (2 Petr 3,13).

10.Jesus hat nicht nur die Kranken behandelt und geheilt, sondern er ist auch durch seine heilbringende Gegenwart, durch seine Lehre und durch sein Wirken ein unermüdlicher Förderer der Gesundheit gewesen. Seine Liebe zum Menschen zeigte sich in den Beziehungen voller Menschlichkeit, die ihn dahin führten, Verständnis anzubringen, Mitleid zu zeigen und Trost zu spenden, indem er auf harmonische Weise Milde und Kraft vereinigte. Er war von der Schönheit der Natur angetan, empfindsam gegenüber dem Leiden der Menschen und bekämpfte das Böse und die Ungerechtigkeit. Er stellte sich kraftvoll den negativen Aspekten der Erfahrung, ohne deren Wichtigkeit zu verkennen, und vermittelte die Sicherheit einer neuen Welt. In ihm zeigte die Menschennatur das erlöste Antlitz, und in ihm fanden die tiefsten menschlichen Wünsche Verwirklichung.

Diese harmonische Fülle des Lebens will er den Menschen von heute vermitteln. Sein Heilswirken ist nicht nur darauf ausgerichtet, das Leid des Menschen, der Opfer der eigenen Grenzen und Fehler ist, zu überwinden. Er will das Streben nach erfüllter Selbstverwirklichung unterstützen. Er eröffnet dem Menschen eine Aussicht auf göttliches Leben selbst: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10,10).

Berufen, den Sendungsauftrag Jesu fortzuführen, muß die Kirche Förderin eines geordneten Lebens werden, das erfüllt für alle ist.

11. Im Bereich der Gesundheitsförderung und einer recht verstandenen Lebensqualität verdienen zwei Verpflichtungen die besondere Aufmerksamkeit des Christen.

Vor allem die Verteidigung des Lebens. In der heutigen Welt kämpfen viele Männer und Frauen für eine bessere Lebensqualität in der Achtung des Lebens selbst. Sie machen sich Gedanken über die Ethik des Lebens, um die Unordnung der Werte zu beseitigen, die bisweilen in der heutigen Kultur herrscht. Wie ich in der Enzyklika Evangelium vitae erwähnte, „ist besonders das Erwachen bzw. Wiederaufleben einer ethischen Reflexion über das Leben bedeutsam: durch das Aufkommen der Bioethik und ihre immer mehr intensivierte Entwicklung und Ausweitung werden - unter Gläubigen und Nichtgläubigen wie auch zwischen den Gläubigen verschiedener Religionen - die Reflexion und der Dialog über grundlegende ethische Probleme gefördert, die das Leben des Menschen betreffen“ (Nr. 27). Dennoch fehlen neben diesen nicht jene, die leider durch das Verbreiten einer von Egoismus und hedonistischem Materialismus durchdrungenen Mentalität und durch eine soziale und gesetzliche Mithilfe beim Beseitigen des Lebens zur Bildung einer besorgniserregenden Kultur des Todes beitragen.

Am Anfang dieser Kultur steht oft eine prometheische Haltung des Menschen, der sich der Illusion hingibt, „Herr über Leben und Tod werden zu können, daß er über sie entscheidet, während er in Wirklichkeit von einem Tod überwunden und erdrückt wird, der sich jeder Sinnperspektive und jeder Hoffnung unrettbar verschließt“ (Evangelium vitae, 15). Wenn die Wissenschaft und die ärztliche Kunst das Risiko eingehen, ihre von Natur aus gegebene ethische Dimension zu verlieren, können die gleichen Menschen, die in der Welt des Gesundheitswesens tätig sind, „bisweilen stark versucht sein, zu Urhebern der Manipulation des Lebens oder gar zu Todesvollstreckern zu werden“ (ebd., 89).

12. In diesem Zusammenhang sind die Gläubigen aufgerufen, einen Blick des Glaubens für den hohen und mysteriösen Wert des Lebens zu entwickeln, auch wenn es sich als zerbrechlich und verwundbar erweist. „Diese Sicht kapituliert nicht mutlos angesichts derer, die sich in Krankheit, in Leid, am Rande der Gesellschaft und an der Schwelle des Todes befinden; sondern sie läßt sich von allen diesen Situationen befragen, um nach einem Sinn zu suchen, und beginnt gerade unter diesen Gegebenheiten, auf dem Antlitz jedes Menschen einen Aufruf zu Gegenüberstellung, zu Dialog, zu Solidarität zu entdecken“ (ebd., 67).

Das ist eine Aufgabe, die vor allem diejenigen betrifft, die im Gesundheitswesen tätig sind: Ärzte, Apotheker, Krankenpfleger, Priester, Ordensbrüder und Ordensschwestern, Verwalter und Freiwillige, die auf Grund ihrer Tätigkeit in besonderer Weise berufen sind, Beschützer des menschlichen Lebens zu sein.

Aber es ist eine Aufgabe, die jeden anderen Menschen in die Verantwortung nimmt, angefangen bei den Angehörigen des Kranken. Sie wissen, „daß die Bitte, die bei der äußersten Konfrontation mit dem Leid und dem Tod besonders dann aus dem Herzen des Menschen kommt, wenn er versucht ist, sich in seine Verzweiflung zurückzuziehen und in ihr unterzugehen, vor allem Bitte um Begleitung, um Solidarität und um Beistand in der Prüfung [ist]. Sie ist flehentliche Bitte um Hilfe, um weiter hoffen zu können, wenn alle menschlichen Hoffnungen zerrinnen“ (ebd., 67).

13. Die zweite Pflicht, der sich die Christen nicht entziehen können, betrifft die Förderung einer menschenwürdigen Gesundheit. In unserer Gesellschaft besteht die Gefahr, die Gesundheit zu einem Ideal zu machen, dem jeder andere Wert unterworfen ist. Die christliche Vorstellung vom Menschen widerspricht jenem Gesundheitsbegriff, der auf eine reine, überreich vorhandene Lebenskraft reduziert wird. Er ist zufrieden mit der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit und jeder positiven Betrachtung des Leidens gegenüber ganz unzugänglich. Eine derartige Vorstellung übergeht die geistigen und sozialen Dimensionen des Menschen und schadet schließlich dem wahren Wohl. Weil sich nämlich die Gesundheit tatsächlich nicht auf die biologische Vollkommenheit beschränkt, bietet auch das im Leid erfahrene Leben Raum zum Reifen und zur Selbstverwirklichung und öffnet den Weg für die Entdeckung neuer Werte.

Diese Vorstellung von Gesundheit, begründet in einer den Menschen und seine Gesamtheit achtenden Anthropologie, ist weit davon entfernt, sich mit dem einfachen Fehlen von Krankheiten zu identifizieren, und stellt sich als eine Haltung zu erfüllterem Gleichklang und zu gesundem Ausgeglichensein im körperlichen, psychischen, geistlichen und sozialen Bereich dar. In dieser Sichtweise ist der Mensch selbst aufgefordert, alle verfügbaren Kräfte freizusetzen, um seine eigene Berufung und auch das Wohl des anderen zu verwirklichen.

14. Dieses Gesundheitsmodell verpflichtet die Kirche und die Gesellschaft, eine dem Menschen würdige Umwelt zu schaffen. Die Umgebung hat tatsächlich eine Beziehung zur Gesundheit des Menschen und der Völker: Sie stellt das „Haus“ des menschlichen Daseins und die Gesamtheit der Reichtümer dar, die seinem Schutz und seiner Leitung anvertraut sind, „einen Garten zum Schützen und ein Feld zum Bebauen“. Mit der äußeren Umweltlehre über den Menschen muß sich jedoch eine innere und moralische Ökologie verbinden, die allein einer zutreffenden Konzeption von Gesundheit angepaßt ist.

Betrachtet man sie in ihrer Ganzheitlichkeit, wird die Gesundheit des Menschen so Attribut des Lebens, Möglichkeit für den Dienst am Nächsten und Öffnung zur Aufnahme des Heils.

15. Im Gnadenjahr des Jubiläums - „ein Jahr des Erlasses der Sünden und der Strafen für die Sünden, ein Jahr der Versöhnung zwischen den Gegnern, ein Jahr vielfältiger Bekehrungen und sakramentaler und außersakramentaler Buße“ (Tertio Millennio adveniente, 14) - lade ich Bischöfe, Priester, Ordensmänner und Ordensfrauen, Gläubige und Menschen guten Willens ein, sich beherzt den Herausforderungen zu stellen, die in der Welt des Leidens und der Gesundheit auftreten. Der „Internationale Eucharistische Kongreß“, der im Jahr 2000 in Rom gefeiert wird, soll das ideale Zentrum werden, von dem aus sich Gebete und Anregungen verbreiten, um die Gegenwart des göttlichen Samariters in der Welt des Gesundheitswesens lebendig und wirksam zu machen.

Ich wünsche von Herzen, daß die Jubiläumsfeier des Jahres 2000 durch den Beitrag der Brüder und Schwestern aller christlichen Kirchen die Entwicklung einer ökumenischen Zusammenarbeit beim liebevollen Dienst an den Kranken aufzeigen kann. Dadurch soll in verständnisvoller Weise allen das Streben nach Einheit auf den konkreten Wegen der Nächstenliebe bezeugt werden.

Einen besonderen Aufruf richte ich an die internationalen politischen, sozialen und im Gesundheitswesen tätigen Institutionen, sich in allen Gegenden der Welt zu überzeugenden Förderern konkreter Pläne zu machen im Kampf gegen alles, was gegen die Achtung der Würde und der Gesundheit des Menschen gerichtet ist.

Auf dem Weg der tätigen Anteilnahme an den Erfahrungen der kranken Brüder und Schwestern möge uns die Jungfrau Maria begleiten, die unter dem Kreuz (vgl. Joh 19,25) die Leiden des Sohnes geteilt und „Expertin“ im Leid ist. Sie begleite stetig und liebevoll alle die, die an Leib und Seele und im Geist die Grenzen und Verwundungen des menschlichen Daseins erfahren.

Ihr, dem Heil der Kranken und der Königin des Friedens, vertraue ich die Kranken und die ihnen Nahestehenden an: Sie möge ihnen durch ihre mütterliche Fürsprache helfen, Verbreiter der Zivilisation der Liebe zu sein.

Mit diesen Wünschen erteile ich allen einen besonderen Apostolischen Segen.

Castelgandolfo, am 6. August 1999, Fest der Verklärung des Herrn.



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