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JUBILÄUM DER STAATSVERANTWORTLICHEN

BITTSCHRIFT AN JOHANNES PAUL II. ZUR ERNENNUNG 
DES HL. THOMAS MORUS ALS SCHUTZPATRON DER POLITIKER

 

Heiliger Vater!

Die Person des Märtyrers Thomas Morus inspiriert seit Jahrhunderten das Christenvolk zu aufrichtiger Verehrung. Doch ist er auch einer der Heiligen, dessen Leben und Werk in ihren vielgestaltigen Aspekten Menschen der Kultur und der Politik immer wieder zu neuen wissenschaftlichen und menschlichen Forschungen und Studien anregen. Die ständig wachsende Bibliografie weist einige bezeichnende Charakteristika auf. Insbesondere beschäftigen sich mit ihm Schriftsteller verschiedener christlicher Kirchen und Gemeinschaften (Sir Thomas More ist auch im liturgischen Kalender der anglikanischen Kirche in England als "Martyr" verzeichnet), unterschiedlichen Glaubens und sogar Agnostiker, alles Zeichen und Zeugnis eines wahrhaft universalen Interesses. Wir erkennen aber auch die Bewunderung, die sich auf den Menschen als solchen konzentriert, jenseits der Beiträge, die Thomas Morus in den Bereichen leistete, in denen er, der Humanist, der Apologet, der Rechtsgelehrte und Gesetzgeber, der Diplomat und Staatsmann, tätig war. Wenn Heiligkeit als solche auch Fülle des Menschlichen ist, so ist sie in diesem Fall geradezu greifbar.

Bereits der Vorgänger Eurer Heiligkeit auf dem Stuhl Petri, Papst Pius XI., stellte ihn in der Kanonisierungsbulle als Vorbild der wahrhaften sittlichen Integrität für alle Christen dar und bezeichnete ihn als "laicorum hominum decus et ornamentum". Und gerade die wachsende Anziehungskraft, die diese außerordentliche Gestalt auf die Laien ausübt, enthüllt uns einen Menschen, der im Laufe der Zeit immer lebendiger, klarer und immer aktueller wirkt.

Er erscheint uns als vollendetes Beispiel jener Einheit des Lebens, die Eure Heiligkeit gerade für Laien als Ausdruck der Heiligkeit bezeichnet hat: "Die Einheit des Lebens der Laien ist von entscheidender Bedeutung: Sie müssen sich in ihrem alltäglichen beruflichen und gesellschaftlichen Leben heiligen. Um ihre Berufung zu erfüllen, müssen die Laien ihr Tun im Alltag als Möglichkeit der Vereinigung mit Gott und der Erfüllung seines Willens sowie als Dienst an den anderen Menschen betrachten." (Ap. Schr. Christifideles Laici, Nr. 17). An ihm waren keine Anzeichen jener Spaltung zwischen Glauben und Kultur, zwischen Prinzipien und Alltagsleben zu erkennen, die das Zweite Vatikanische Konzil als eine der "schweren Verirrungen unserer Zeit" (Past. Konst. Gaudium et Spes, Nr. 43) beklagt.

Als Humanist wechselte er zwischen Englisch, Latein und Griechisch, zwischen Philosophie, insbesondere der politischen Philosophie und der Theologie hin und her, wusste im harten, und dennoch freudigen inneren Kampf Studium und Frömmigkeit miteinander zu vereinigen, Kultur mit Askese, Streben nach der Wahrheit mit der unermüdlichen Suche nach der Tugend. Als Rechtsgelehrter und Richter war er bei der Interpretation und der Formulierung der Gesetze (er gilt zu Recht als einer der Begründer der Lehre des englischen common law) stets bemüht, die wahre soziale Gerechtigkeit zu schützen und Frieden unter den Menschen und den Nationen aufzubauen. Mehr darauf bedacht, die Gründe für Gewaltanwendung zu beseitigen als sie zu unterdrücken, trennte er die leidenschaftliche und umsichtige Förderung des Gemeinwohls nicht von der steten Ausübung der Barmherzigkeit. Seine Mitbürger nannten ihn den "Schutzpatron der Armen". Verbindlich und bedingungslos widmete er sich der Gerechtigkeit unter Achtung der Freiheit und der menschlichen Person. Dies war der Leitfaden seines Handelns als Magistrat. Im Dienst jedes einzelnen Menschen stehen, - so verstand Thomas Morus seinen Dienst für den König, d.h. also für den Staat, doch wollte er vor allem Gott dienen.

Dieses Streben nach Gott durchdrang all sein Handeln. Seine Familie, in der er auf Bildung von höchstem moralischem Niveau bedacht war, wurde von den Zeitgenossen als "accademia cristiana" bezeichnet. Als Staatsmann erwies er sich als bedingungsloser Feind aller Bevorzugungen und Privilegien der Macht, stand Ehren und Würden fern und übte in aller Bescheidenheit und Demut sein Amt als höchster Diener seines Königs aus.

Er blieb seinen bürgerlichen Pflichten bis zuletzt treu und um seinem Land zu dienen, setzte er sich selbst extremen Gefahren aus. Er konnte der perfekte Diener des Staates werden, denn er kämpfte, um ein perfekter Christ zu sein.

"So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist" (Mt. 22,21). Er verstand, dass diese Worte Christi einerseits dem Zeitlichen eine gewisse Unabhängigkeit vom Geistigen gewähren, andererseits - da sie ja von Gott selbst ausgesprochen wurden - das Gewissen des Christen dazu verpflichten, die Werte des Evangeliums in das bürgerliche Leben hineinzutragen, wobei jedoch jeglicher Kompromiss zurückzuweisen ist, und zwar bis zum Heldentum des Märtyrertodes, dem er in voller Demut entgegentrat.

Sein Martyrium ist, bei aller Rücksichtnahme auf die unvollkommene Geschichte aller Menschen, der höchste Beweis dieser Einheit der Werte - die hervorgeht aus der unermüdlichen Suche nach der Wahrheit und aus dem nicht minder beharrlichen inneren Kampf -, auf die Thomas Morus alles Streben seiner Existenz ausrichtete. Er war ein außerordentlich gut gelaunter Mensch, stets gelassen, immer achtete er Gegenargumente, aufrichtig verzieh er demjenigen, der ihn verurteilte. All das bezeugt seine Fähigkeit, die innere Kohärenz mit der wahren Achtung der Freiheit der Anderen zu vereinbaren.

Gerade dieses zeitnahe Konvergieren des politischen Engagements mit der moralischen Kohärenz, diese Harmonie zwischen Übernatürlichem und Menschlichem, diese Einheit des Lebens ohne Rest hat zahlreiche Vertreter des öffentlichen Lebens aus vielen Ländern der Erde dazu veranlasst, dem Komitee für die Ernennung von Sir Thomas More, dem Heiligen und Märtyrer, zum Schutzpatron der Regierenden beizutreten. Unter den Unterzeichnern dieses Antrags befinden sich Katholiken und Nicht-Katholiken, Staatsmänner, die nicht nur politisch, sondern in den unterschiedlichsten Sphären auch kulturell tätig sind, alle jedoch sind sich der fruchtbaren Anregungen bewusst, die von diesem vorbildlichen Mann ausgehen. Ein Beispiel, das weit über die reine Kunst des Regierens hinaus die unerlässlichen Tugenden des guten Regierens umschließt.

Politik war für ihn nicht ein Beruf im eigenen Interesse, sie war ein oftmals harter Dienst, auf den er sich gewissenhaft vorbereitet hatte. Er hatte nicht nur die Geschichte, die Gesetze, und die Kultur seines Landes studiert, vor allem hatte er mit großer Geduld das Wesen des Menschen erforscht, seine Größe und seine Schwächen, die stets der Verbesserung bedürftigen Konditionen des gesellschaftlichen Lebens. Dieses intensive Engagement, diese scharfsinnigen Einsichten mündeten zuletzt in die Politik. Daraus konnte er eine rechte Priorität der von den Regierenden zu verfolgenden Ziele aufstellen, wo die Wahrheit den Vorrang vor der Macht hat und das Gute den Vorrang vor dem Nutzen. Im Handeln hatte er immer das höchste Ziel vor Augen, das Ziel, das das Auf und Ab der Geschichte niemals zunichte machen konnte.

Hieraus schöpfte er die Kraft, mit der er dem Märtyrertod begegnete. Er war Märtyrer der Freiheit im modernsten Sinn des Wortes, denn er widersetzte sich der Forderung der Macht, über das Gewissen befehlen zu wollen, der ständigen Versuchung - die in der Geschichte des 20. Jh.s tragische Bestätigung fand - der politischen Ordnung, die keine Macht über sich anerkennen will. Thomas blieb den Institutionen seines Volkes treu (in der Magna Charta steht: Ecclesia anglicana libera sit), las mit großer Aufmerksamkeit die Geschichte, die ihm bewies, dass gerade der Primat Petri Gewährleistung der Freiheit besonderer Kirchen sei. Und Thomas Morus opferte sein Leben für die Unabhängigkeit der Kirche vom Staat. So, verteidigte er auch die Freiheit und den Vorrang des Gewissens der Bürger vor der zivilen Macht.

Märtyrer der Freiheit, Märtyrer für den Vorrang des Gewissens, das sich auf der Suche nach der Wahrheit bildet und festigt und uns dadurch die volle Verantwortung für unsere Entscheidungen auferlegt, denn wir sind Herr über uns selbst und somit frei von jeglichem Band, außer demjenigen, das uns, wie alle Kreaturen, mit Gott verbindet.

Eure Heiligkeit hat uns daran erinnert, dass das sittliche Gewissen, will man es recht verstehen, "Zeugnis von Gott selbst ist, dessen Stimme und dessen Urteil das Innerste des Menschen bis an die Wurzeln seiner Seele durchdringen" (Enz. Veritatis splendor, Nr. 58). Dies halten wir für die fundamentale Botschaft von Thomas Morus an die Politiker: die Lehre von der Flucht vor dem Erfolg und dem leicht zu erringenden Konsens, im Namen der Treue gegenüber den unverzichtbaren Prinzipien, denn hiervon hängt die Würde des Menschen ab und auch die Gerechtigkeit jeder Zivilordnung, eine Lehre, die für all diejenigen richtungsweisend wirken soll, die an der Schwelle zum neuen Jahrtausend dazu aufgerufen sind, die immer wiederkehrenden Gefahren neuer und getarnter Gewaltherrschaft zu bannen.

Deshalb bitten wir in der Überzeugung, für das Wohl der zukünftigen Gesellschaft zu handeln und im Vertrauen, dass unsere Bittschrift von Eurer Heiligkeit mit Wohlwollen entgegengenommen wird, dass Sir Thomas More, der Heilige und Märtyrer, der treue Diener seines Königs, vor allem jedoch Gottes, zum "Schutzpatron der Politiker" ernannt werde.

             

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