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Gedanken zum 40. Jahrestag der Veröffentlichung der 
Konstitution »Sacrosanctum Concilium« über die heilige Liturgie

 

I. Einführung

Anläßlich des 40. Jahrestages der Veröffentlichung der Konstitution Sacrosanctum Concilium (SC) des Zweiten Vatikanischen Konzils werden fast überall in der katholischen Welt Treffen und Tagungen veranstaltet und Neuausgaben des Konzilsdokuments veröffentlicht, um dieses Ereignisses zu gedenken. 

Bedeutung der Gedenkfeiern

Diese Initiativen haben eine weitüber das einfache formelle Gedenken hinausreichende Bedeutung. Es handelt sich vielmehr, meiner Meinung nach, um eine Einladung, die Leitgrundsätze der Konstitution in Erinnerung zu rufen und ihre Aufnahme und Anwendung in den einzelnen Teilkirchen zu prüfen. Die Angaben zur Vorgehensweise wurden in den Weisungen des Lehramtes klar dargelegt, und wir finden sie gut beschrieben im Apostolischen Schreiben Vicesimus quintus annus (VQA) sowie in anderen Dokumenten und Aussagen des Papstes und des Heiligen Stuhls. Das Gedächtnis des 40. Jubiläums von Sacrosanctum Concilium ist also vor allem als Einladung an das Volk Gottes zu betrachten, die Vergangenheit nicht aus dem Gedächtnis zu verlieren, sich der Gegenwart bewußt zu werden und einen offenen Sinn für die Zukunft zu haben. Der Heilige Geist, der die liturgische Bewegung erweckt, die Konzilsväter inspiriert und die Umsetzung der Liturgiereform begleitet hat, handelt weiter in der Kirche durch das Wort und die sakramentalen Zeichen, um das Fortschreiten zum Reich Gottes zu unterstützen. 

Erfahrung der Freude

Die Konstitution Sacrosanctum Concilium wurde am 4. Dezember 1963 approbiert, am Ende der von Papst Paul VI. geleiteten zweiten Sitzungsperiode und mit beinahe einstimmigem Entscheid der Konzilsväter (2.147 Ja- und vier Gegenstimmen). Damals geschah etwas, was es in der Kirchengeschichte bisher noch nie gegeben hatte. Kein Konzil hatte der Liturgie bislang ein gesondertes Dokument gewidmet. Es war wirklich das erste Mal, daß eine ökumenische Versammlung die Liturgie in ihrer Gesamtheit, das heißt ihre theologisch‑biblischen Prinzipien sowie ihre konkreten Aspekte der feierlichen Gestaltung und der Pastoral, behandelte. Anzuerkennen ist auch der Entschluß, die Liturgie an die erste Stelle zu setzen, so daß Sacrosanctum Concilium das erste vom Konzil erlassene Dokument wurde. Papst Paul VI. war sich des Wertes und der Bedeutung dieses Umstandes bewußt und machte sich zum Sprachrohr der Freude der ganzen Kirche: »Unsere Herzen frohlocken über dieses Ergebnis. Wir sehen darin die hohe Achtung für die Skala der Werte und Pflichten: Der erste Platz gebührt Gott, und unsere erste Pflicht ist das Gebet; die Liturgie ist die erste uns mitgeteilte göttliche Quelle, die erste Schule des geistlichen Lebens, das erste Geschenk, das wir dem christlichen Volk machen können, das mit uns glaubt und mit uns betet, und sie ist die erste Einladung an die Welt, daß sie ihre stumme Zunge löst zum seligen und wahren Gebet und die unvergleichliche erneuernde Kraft spürt, wenn sie mit uns Gott lobsingt und die menschlichen Hoffnungen preist, durch Christus unsern Herrn in der Einheit des Heiligen Geistes« (Ansprache zum Abschluß der zweiten Sitzungsperiode des Konzils, 4. Dezember 1963).

40 Jahre nach der Promulgation der Konstitution Sacrosanctum Concilium ist es gut daran zu erinnern, mit welch tiefer Überzeugung P. Yves Congar das Ereignis begrüßte: »Etwas Unumkehrbares hat sich in der Kirche ereignet und behauptet« (Information Catholiques Internationales 183). Ich bin im Innersten überzeugt, daß diese »Unumkehrbarkeit« ganz in dem besteht, was der Heilige Geist den Kirchen durch die Konzilskonstitution über die Liturgie hat sagen wollen (vgl. Offb 2,7). Hier liegt der tiefste, immerwährende Kern, der - insofern er Werk des Geistes in der Kirche ist - dem Evangelium entsprechende Kern unseres Textes.

Deshalb ist die neue Veröffentlichung nichts anderes als eine Einladung, dieses Wort erneut zu hören und die Freude und den Jubel über das Geschenk des Geistes an seine Kirche erneut zu erleben. 

Erbe der Vergangenheit

Sacrosanctum Concilium ist der Zielpunkt der durch die liturgische Bewegung in Gang gesetzten Erneuerung der Liturgie, die von der Konstitution als »ein Zeichen für die Fügungen der göttlichen Vorsehung über unserer Zeit, als ein Hindurchgehen des Heiligen Geistes durch seine Kirche« bezeichnet wird (SC 43). Sich auf die Konstitution Sacrosanctum Concilium zurückbesinnen bedeutet also heute, das Erbe der Vergangenheit, das Interesse, das Studium und die Liebe zur Liturgie nicht zu vergessen, die den Weg der liturgischen Bewegung begleitet und das Dokument ermöglicht haben, in dem das Interesse und die Zustimmung beinahe aller Konzilsväter übereinstimmten.

 

II. Die großen Linien der Theologie und des Lebens in »Sacrosanctum Concilium«

Die Konstitution ist in sieben Kapitel gegliedert, denen ein allgemeines Vorwort vorausgeht und die mit einem Anhang schließen. Das Konzilsdokument enthält nicht nur einige Grundsätze der Glaubenslehre von höchster Bedeutung und die Grundlinien der liturgischen Erneuerung, sondern auch konkrete Hinweise in bezug auf den rituellen Verlauf. 

Die Quellen von »Sacrosanctum Concilium«

Um die Konstitution zu verstehen, ist es notwendig, die Quellen zu kennen, aus denen sie ihren wahren Geist geschöpft hat, das heißt das Verständnis des christlichen Geheimnisses, des gemeinschaftlichen Bildes der Kirche, der Liturgie als ritueller Feier des Heilsgeheimnisses. Denn die Konstitution ist ganz von den biblischen und patristischen Quellen geformt, aus denen sie geschöpft hat. In der Konstitution Sacrosanctum Concilium wurde die Heilige Schrift als Norm und Urteil genommen, um die Liturgie zu verstehen und ihre Praxis zu erneuern. »Um daher Erneuerung, Fortschritt und Anpassung der heiligen Liturgie voranzutreiben, muß jenes innige und lebendige Ergriffensein von der Heiligen Schrift gefördert werden« (SC 24). Es besteht also eine enge Verbindung zwischen der Vertiefung der Heiligen Schrift und der liturgischen Erneuerung. Schon die frühesten mystagogischen Texte beweisen, daß die Kenntnis der Liturgie nichts anderes als die Kenntnis der Heiligen Schrift ist. Die Beziehung zwischen Schrift und Liturgie wird von der Konstitution klar ausgedrückt: Aus der Heiligen Schrift »empfangen Handlungen und Zeichen ihren Sinn« (24).

Wenn die Heilige Schrift die Quelle ist, aus der die Erneuerung der Liturgie schöpfen muß, ist die einfache liturgische Praxis der Kirchen der Väter, das heißt die »pristina Sanctorum Patrum norma«, als Norm und inspirierende Regel der Reform zu betrachten. Die liturgische Praxis der Kirchen der Väter wird ursprüngliche Form der christlichen Liturgie, an der sich das liturgische Leben der Kirche aller Zeiten messen und prüfen kann. Eben deshalb soll die Liturgie zur ursprünglichen Einfachheit zurückfinden. »Die Riten mögen den Glanz edler Einfachheit an sich tragen und knapp, durchschaubar und frei von unnötigen Wiederholungen sein...« (SC 34). Und weiter: »Deshalb sollen die Riten unter treulicher Wahrung ihrer Substanz einfacher werden. Was im Lauf der Zeit verdoppelt oder weniger glücklich eingefügt wurde, soll wegfallen. Einiges dagegen, was durch die Ungunst der Zeit verlorengegangen ist, soll, soweit es angebracht oder nötig erscheint, nach der altehrwürdigen Norm der Väter wiederhergestellt werden« (SC 50).

Natur der Liturgie

Der Rückgriff auf die biblischen und patristischen Quellen betrifft nicht nur die rituellen Formen, sondern verhilft zum Verständnis des Wesens der Liturgie selbst. Die Konstitution Sacrosanctum Concilium legt zunächst kein liturgisches Konzept fest, sondern zeigt das, was durch sie verwirklicht wird: »In der Liturgie ... vollzieht sich das Werk unserer Erlösung« (SC 2). Durch die Liturgie erleben die Gläubigen das Ostergeheimnis Christi als ganzes. Die Konstitution verweist dann auf die Wirkungen der Liturgie: »Dabei baut die Liturgie täglich die, welche drinnen (in der Kirche) sind, zum heiligen Tempel im Herrn auf, zur Wohnung Gottes im Geist bis zum Maß des Vollalters Christi« (SC 2).

Neben dem Grundkonzept der Liturgie als Verwirklichung unserer Erlösung in der Sicht der großen patristischen Tradition stellt die Konstitution einige zum Teil neue grundlegende Weisungen vor zum besseren Verständnis der Theologie und des Verlaufs der liturgischen Feiern. Unter diesen sind hervorzuheben die unauflösbare Einheit zwischen der absteigenden Bewegung der Heiligung und der aufsteigenden des Kultes (SC 5-7), die Zentralität des »Paschamysteriums« (SC 5-6), die Bedeutung der Gegenwart Christi in der Kirche und insbesondere in der Liturgie: »Christus Ecclesiae suae semper adest, praesertim in actionibus liturgicis« (SC 7). Christi Gegenwart in der feiernden Gemeinde ist sicher eines der wichtigsten Themen der Konstitution.

Höhepunkt und Quelle

Aus der Reflexion über die Natur und die Wirkungen der Liturgie erwächst der vielleicht bekannteste Passus der Konstitution, der buchstäblich ein theologisches »Sprichwort« geworden ist: »Die Liturgie ist der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle, aus der all ihre Kraft strömt« (SC 10). Mit anderen Worten: Hauptziel der Kirche ist es - gemäß Sacrosanctum Concilium -, die Gläubigen am Ostergeheimnis teilhaben zu lassen, an dem Geheimnis, das offenbar und volle Wirklichkeit wird, wenn die Kirche zur liturgischen Versammlung gerufen ist, besonders zur eucharistischen Synaxis am Tag des Herrn. Die ersten Beiträge der Ekklesiologie des II. Vatikanums, die später in der dogmatischen Konstitution Lumen gentium angeboten wurden, finden sich in einigen grundlegenden Texten der liturgischen Konstitution über die Beziehung zwischen liturgischer Feier und Kirche. In diesen Feiern wird »die Kirche auf eine vorzügliche Weise sichtbar«, und »sie stellen auf eine gewisse Weise die über den ganzen Erdkreis hin verbreitete sichtbare Kirche dar« (SC 41-42; vgl. 2,5-7).

Förderung der liturgischen Bildung

Wenn dies das Wesen der Liturgie und ihre Bedeutung im Leben der Kirche ist, so daß ihrer Wirksamkeit »kein anderes Tun der Kirche an Rang und Maß« gleichkommt (SC 7), dann versteht man die dringende Einladung der Konstitution, die liturgische Bildung der Christen zu fördern. Zum Verständnis der Liturgie anleiten bedeutet, den Gläubigen zu ermöglichen, mit dem Wesen des christlichen Geheimnisses selbst in Berührung zu kommen. Deshalb wird bekräftigt: Die Liturgie ist »die erste und unentbehrliche Quelle, aus der die Christen wahrhaft christlichen Geist schöpfen sollen« (SC 14). Die Liturgie als »erste und unentbehrliche Quelle« bezeichnen, aus der die Christen ihren Glaubensgeist schöpfen können, heißt, das wesentliche Band zu bekräftigen, welches das Leben des Christen und die Liturgie vereint. Die Liturgie ist keine Lehre, die man verstehen muß, sondern eine unerschöpfliche Quelle des Lebens und des Lichtes für die Einsicht und die Erfahrung des christlichen Geheimnisses. 

Gemäß der Konstitution muß die Kirche jedem Christen ein echtes liturgisches Leben gewährleisten. Denn für die Qualität seines Glaubenslebens ist eine tiefe Übereinstimmung zwischen dem, was die Liturgie vermittelt, und dem, was er lebt, notwendig, nach der liturgischen Formel der Konstitution: »... daß sie im Leben festhalten, was sie im Glauben empfangen haben« (SC 10).

Die Teilhabe an der Liturgie

Auf dieses Ziel richtet sich der Wunsch der Kirche, den die Konstitution zum Ausdruck bringt: »Die Mutter Kirche wünscht sehr, alle Gläubigen möchten zu der vollen, bewußten und tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern geführt werden« (SC 14). Der Wille zu einer »plena et actuosa participatio« der Gläubigen an der Liturgie ist eines der großen Themen des Dokuments. Vor allem die Seelsorger sollen sich um »die innere und die äußere tätige Teilnahme der Gläubigen« bemühen (SC 19). Diese Einladung drückt die Sorge der Kirche dafür aus, daß die Gläubigen »die heilige Handlung bewußt, fromm und tätig mitfeiern« (SC 48,11). Indem sie auf der Qualität der Teilnahme an der Liturgiefeier besteht, betont die Konstitution nachdrücklich, daß in der Liturgie des Neuen Bundes jeder Christ in vollem Sinn »leiturgos« ist, weil die Opfergabe seines Lebens in Gemeinschaft mit dem ein für allemal vollbrachten Opfer Christi der Gott wohlgefällige geistliche Kult ist. Das existentielle Opfer erfordert also die bewußte, volle, aktive, innere und äußere Teilnahme am sakramentalen Opfer. Der Christ, der seinen Glauben feiert, soll deshalb der Verinnerlichung den Vorzug geben, das heißt der persönlichen Aneignung dessen, was er in der Liturgie hört und vollzieht. Nur eine wahre Aneignung sichert eine Veräußerlichung, die fähig ist, das auszudrücken, was im Innersten gelebt wurde. Das ist die volle tätige Weise, die von Sacrosanctum Concilium gewünschte Liturgie zu leben.

»Die Botschaft des Zweiten Vatikanischen Konzils ist von vielen vor allem durch die Liturgiereform wahrgenommen worden«, bekräftigt Johannes Paul II. in Vicesimus quintus annus (Nr. 12).

In der Tat durchdringt die Botschaft des Konzils auch heute noch eine Liturgie, die im Geist von Sacrosanctum Concilium verstanden und gelebt wird, sowie das Leben der Kirche. Darum ist die Konstitution über die Liturgie auch 40 Jahre nach ihrer Veröffentlichung noch Bezugspunkt für den Weg der Kirche.

Die Reform der Riten und der Texte

Die Konzilsväter beschränkten sich nicht darauf, die »altiora principia« der Liturgie festzulegen, sondern sie wurden durch die unlösliche Beziehung zwischen dem theoretischen Prinzip und dem rituellen Verlauf gedrängt, auch die liturgische Handlung in ihrer Konkretheit zu behandeln, weil im Ritus der Heilige Geist und die Kirche, die Braut, durch die spürbaren Zeichen gemeinsam handeln.

Kein liturgisches Problem wurde vergessen. Alle Aspekte der Liturgie wurden mit Mut und Weitsicht angegangen, und für jeden von ihnen wurde die Lösung aufgezeigt in der ursprünglichen kirchlichen Tradition und auf den biblischen patristischen Grundlagen, um den neuen Anforderungen der Pastoralarbeit entgegenzukommen und zu dem Zweck, die Bildung des Volkes Gottes und seine fromme, tätige, bewußte und gemeinschaftliche Teilnahme an der Liturgie zu fördern.

III. Die liturgische Pastoral als ständige Aufgabe

Die Richtlinien von Sacrosanctum Concilium wurden durch die Publikation der liturgischen Bücher und durch angemessene Hinweise verwirklicht. Man kann wahrhaftig sagen, daß die »die Hirten und das christliche Volk in ihrer großen Mehrheit die Liturgiereform in einem Geist des Gehorsams und sogar freudigen Eifers aufgenommen haben. Darum müssen wir Gott für das Hindurchgehen seines Geistes durch die Kirche danken, welches in der liturgischen Reform geschehen ist« (VQA 12).

Wenn auch »die Liturgiereform, die das Zweite Vatikanische Konzil gewollt hat, nunmehr als verwirklicht angesehen werden kann, stellt die Sakramentenpastoral doch ein ständiges Bemühen dar, um aus dem Reichtum der Liturgie immer voller jene Lebenskraft zu schöpfen, die von Christus auf die Glieder seines Leibes überströmt, der die Kirche ist« (VQA 10).

Das Bild der Kirche

Die Liturgie ist der vollkommenste Ausdruck des Geheimnisses der Kirche, so daß man sagen kann: In der Weise, wie sie die Liturgie lebt, bringt die christliche Gemeinschaft ihre gelebte Erfahrung von Kirche zum Ausdruck und tut sie kund. Deshalb soll das ständige Bemühen in der liturgischen Pastoral fortgesetzt werden und ihre höchsten Ziele anstreben: die aktive Teilnahme, die geistliche Bildung, die Mitverantwortung im Dienstamt. Sie bleiben die Perspektiven der Liturgie auch für die Zukunft. Es geht darum, ein Bild der Kirche - des Volkes Gottes, welches das Geheimnis feiert - zum Ausdruck zu bringen und aufzubauen: das Bild von Kirche, die sich in der wirklichen und täglichen Gemeinschaft offenbart, die den Sonntag feiert, die den Rhythmus des liturgischen Jahres lebt, die sich für ihre besonderen Feste und Traditionen engagiert, die auf die Armen achtet, die in ihr leben. Denn das Volk Gottes ist in seiner Gesamtheit, abgesehen von der Unterschiedlichkeit der geweihten Amtsträger, ein priesterliches Volk, und alle Laien, Männer und Frauen, sind liturgische Subjekte, in vielerlei Form zum liturgischen Dienst fähig und berechtigt. 

Wer Sacrosanctum Concilium mit geistlichem Verständnis liest, erfaßt die tiefe Intuition, die die Konstitution durchströmt: Aus der Liturgiereform des Konzils erwächst nicht nur die Erneuerung der Riten, sondern die Erneuerung der Kirche insgesamt. Deshalb steht mit der konkreten Aufnahme der Liturgiereform nicht nur die Erneuerung der Liturgie, sondern mehr noch die Treue der Kirche zum Evangelium auf dem Spiel. Nur in dieser Weise wird das Gesetz des Gebetes nicht nur das Gesetz des Glaubens, sondern auch das Gesetz des Lebens und Handelns der Kirche sein.

Die aktive Teilnahme

In der ersten Anwendungsphase der Reform hatte die Teilnahme notwendigerweise einen hauptsächlich äußeren und didaktischen Aspekt, der dann oft in eine Art »Teilnahme um jeden Preis und in allen Formen« ausartete. Das mag natürlich verhindert haben und verhindert noch, daß man die tiefen Werte und das Verhalten des göttlichen Geheimnisses entdeckt und sie sich zu eigen macht. Aufgrund einer übermäßigen Reaktion auf die Bedingung äußerster Passivität, zu der die Gläubigen in der Teilnahme an der sogenannten »tridentinischen Messe» verkümmert waren, hat man in der Liturgie vielleicht zu viel Wert auf das Sich-Äußern gelegt. Die Notwendigkeit, die Gefühle auszudrücken, Empfindungen zu bekunden in der Absicht, der Liturgie meist eine festliche und frohe Atmosphäre zu geben, hat sich gefestigt. Aber die christliche Liturgie ist nicht einfach die Summe der Empfindungen einer Gruppe, ebensowenig das Sammelbecken von persönlichen und kollektiven Gefühlen. Die Liturgie ist die Zeit und der Raum, wo man die Worte, die man in ihr vernimmt, und die Klänge, die man hört, verinnerlicht, sich die ausgeführten Gesten aneignet, die gesprochenen und gesungenen Texte aufnimmt und sich von den gesehenen Bildern und eingeatmeten Wohlgerüchen durchdringen läßt. 

Eine der Hauptpflichten der liturgischen Pastoral wird also sein, dem in vielfacher Weise, manchmal auch unausgesprochen, zum Ausdruck gebrachten Wunsch zu entsprechen, eine Liturgie wiederzuentdecken, die eine meditative Zeit zur Aufnahme und Verinnerlichung des gehörten, meditierten und gebeteten Gotteswortes ist. Eine Liturgie, die betender Raum ist, wo Begegnung und Versöhnung mit Gott, mit sich selbst und mit der zugehörigen christlichen Gemeinde wirklich erfahren wird. Eine Liturgie, die der Ort ist, wo jeder Gläubige vom Geheimnis, das er feiert, und vom Glauben, den er bekennt, fortschreitend geformt wird. Nur auf diese Weise wird die liturgische Versammlung wahrhaftig der Mutterschoß der Kirche werden, wie sie die heiligen Väter und die Liturgie selbst von den Anfängen an verstanden haben; jener Mutterschoß der Kirche, in den der Christ hineingeboren wird, aufwächst, vom Wort und vom Brot genährt wird, um die Statur des vollkommenen Menschen zu erreichen.

Deshalb ist es jetzt notwendig, daß die liturgische Pastoral das Augenmerk auf das Sein anstatt nur auf das »Machen« in der Feier richtet und darauf abzielt, die Liturgie wieder als die »Lebenskraft« zu entdecken, »die von Christus auf die Glieder seines Leibes überströmt, der die Kirche ist« (VQA 10), und als Erfahrung des Heiligen Geistes. Kurz gesagt, es ist ein Qualitätssprung notwendig, um zum authentischen Geist der Liturgie zu gelangen.

Die Qualität der Zeichen

Damit die feiernde Gemeinde immer besser Bild der Kirche sein kann, ist es notwendig, heute mehr denn je neben der aktiven Teilnahme und der dienstlichen Mitverantwortung die geistliche Bildung und die Qualität der Zeichen zu fördern: das Zeichen der Versammlung, »die Christus und den Menschen, die er liebt, gleichsam Gastfreundschaft bietet« (Ansprache an die Bischöfe der Provence-Mèditerranée, 5), das Zeichen des Wortes Gottes, der Gesang, die Musik, die Stille.

Das erfordert auch die Erschließung der Orte der Feier wie des Taufbeckens, des Ambos und des Altars, des Sitzes des Zelebranten. Sie drücken den Schoß aus, in dem der Christ aus dem Heiligen Geist wiedergeboren wird; der Bereich, in dem der Christ lebt und erwachsen wird; der Raum, in dem der Christ die Gemeinschaft mit Christus und mit den Brüdern lebt. Das heißt, sie sind Ausdruck der Kirche.

Zu diesem Zweck wird sich die ordentliche liturgische Pastoral mit dem »Analphabetentum« der Männer und Frauen unserer Zeit geduldig auseinandersetzen müssen hinsichtlich dessen, was die grundlegenden Inhalte des christlichen Glaubens betrifft; auch oft mit einem Analphabetentum der Christen, die häufig an der eucharistischen Gemeinschaft teilnehmen. Ich bin tief überzeugt, daß die liturgische Pastoral und mit ihr die Katechese der nächsten Jahrzehnte immer mehr die Züge einer authentischen Mystagogik annehmen und sich deren Ziele, Natur und Methode zu eigen machen muß. Denn die Verständlichkeit des Zeichens ist von der Qualität des Zeichens nicht zu trennen, weil sie ein Bestandteil von ihr ist. 

Im Schlußdokument der außerordentlichen Bischofssynode von 1985 anläßlich des 20. Jahrestages des Abschlusses des II. Vatikanischen Konzils bezeichnen die Synodenväter die Mystagogik als einen der Schwerpunkte für die Erneuerung der Liturgie, indem sie bekräftigen: »Die Katechesen müssen, wie es am Anfang der Kirche geschah, wieder ein Weg sein, der zum liturgischen Leben hinführt (mystagogische Katechesen).«

Der liturgische Vorsitz 

Die Qualität der Zeichen erfordert vor allem Qualität im Vorsitz der Feier. Wer den Vorsitz der Versammlung innehat, wird nicht nur beachtet, sondern auch akzeptiert und beurteilt in der Ausführung seiner Rolle, die »in persona Christi« abläuft. Aber dieser Vorsitz kann nicht durchgeführt werden, ohne daß man die Qualität der Versammlung berücksichtigt und ohne daß man fähig ist, den Erwartungen des Volkes Gottes zu entsprechen. Denn wer den Vorsitz führt, hat ihn in gewisser Weise auch »in persona Ecclesiae« inne.

Der vom echten Geist der Liturgie geformte Priester wird jede Form von Geltungsdrang vermeiden und die Synaxis leiten »wie der, der bedient« (Lk 22,27), nach dem Bild dessen, von dem er ein armseliges Zeichen ist. Die Qualität des liturgischen Vorsitzes wird deshalb in ihrer höchsten und fruchtbringendsten Form weit über die einfache Kunst des Vorsitzens, eines reinen »savoir faire«, hinausgehen, um Prinzip der Gemeinschaft zu werden in dem tiefen Bewußtsein, daß die Gesamtheit der Gaben des Heiligen Geistes allein in der Gesamtheit der Kirche zu finden ist.

Schönheit und Würde des Kultes

Zu Beginn des dritten Jahrtausends ist es notwendig, das Bild einer Kirche zu vermitteln, die das Geheimnis Christi feiert, betet und lebt in der Schönheit und Würde des Gottesdienstes. Eine Schönheit, die nicht nur ästhetische Form ist, sondern auf der »edlen Einfachheit« gründet, die imstande ist, die Beziehung zwischen dem Menschlichen und dem Göttlichen der Liturgie zu offenbaren. Es handelt sich um die Dynamik der Inkarnation: Was der Eingeborene voll Gnade und Wahrheit sichtbar getan hat, ist in die Sakramente der Kirche eingegangen. Die Schönheit muß die Gegenwart Christi im Zentrum der Liturgie aufscheinen lassen. Er wird um so augenscheinlicher gegenwärtig sein, je mehr man in der Feier die Kontemplation, die Anbetung, die Unentgeltlichkeit und die Danksagung spüren kann.

»Hoheit und Pracht sind vor seinem Angesicht, Macht und Glanz in seinem Heiligtum« (96,6): Der Psalmist besingt nicht nur die Schönheit, in der die Wohnung des Herrn glänzt, sondern bekennt an anderer Stelle: »Er waltet in Hoheit und Pracht« (111,3). Welch andere Wirklichkeit der Kirche ist so wie der liturgische Raum und die liturgische Handlung berufen, sich mit der Schönheit zu verbinden und sie auszudrücken, insofern sie Christi Geste selbst ist.

So wird die Liturgie auch dank ihrer Schönheit weiterhin Quelle und Höhepunkt, Schule und Norm des christlichen Lebens sein.

IV. Ein Auftrag

»Unser Auftrag ist dieser«, sagte Papst Paul VI. am 1. März 1965 am Vorabend der ersten Verwirklichung der Liturgiereform: »Widmet ... der Kenntnis, der Erklärung, der Anwendung der Normen, mit denen die Kirche den Gottesdienst feiern will, größte Sorgfalt. Es ist keine leichte Sache; es ist eine anspruchsvolle Angelegenheit, die direktes und methodisches Interesse erfordert; sie erfordert euren persönlichen, geduldigen, liebevollen, wirklich pastoralen Beistand. Es geht darum, viele Gewohnheit zu verändern, es geht darum, eine aktivere Schule der Anbetung und des Kultes in jeder Versammlung der Gläubigen aufzubauen, [...] mit einem Wort, es geht darum, das Volk Gottes mit der priesterlichen liturgischen Handlung zu vereinigen. Wir wiederholen: Es ist eine schwierige und anspruchsvolle, von der Vorsehung gewollte, erneuernde - und so hoffen wir - auch tröstliche Sache [...] Es wird Jahre dauern ..., aber man muß anfangen, immer wieder anfangen, darauf beharren, damit es gelingt, der Versammlung ihre volle, einmütige, sanfte und erhabene Stimme zu geben.«

Das ist ein ständig aktueller »Auftrag« für die liturgische Pastoral, der mit neuem Eifer übernommen wird wie derjenige des antiken Volkes Gottes in der Wüste des Auszugs, in dem es nicht an nostalgischen Augenblicken, an Widersprüchen und Widerständen gefehlt hat. Und doch ist das Volk Gottes immer unterwegs, und wir alle sollen voll Jubel fortschreiten, denn wir sind sicher, daß der Geist uns als Wolke einhüllt und uns als Feuersäule führt. Ja, die Liturgie des Konzils sei für uns die Feuersäule des Heiligen Geistes, der das Herz der Kirche bei ihrem Auszug in das Reich ständig erneuert und es mit immer neuer Schönheit, Freude und Hoffnung erfüllt.

  

 

† Piero Marini
Erzbischof tit. von Martirano
Zeremonienmeister der Liturgischen Feiern des Papstes

  

(Der Artikel ist entnommen aus dem Geleitwort geschrieben von Erzbischof Piero Marini für den Band Renouveau liturgique - Documents fondateurs, Centre national de pastoral liturgique, éditions du Cerf, Collection Liturgie n. 14, Paris 2004.)

  

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