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Nikolaus Gross

 

Nikolaus Gross, ein Mensch wie wir von Herkunft und Stand, am 30.09.1898 als Sohn eines Zechenschmiedes in Niederwenigern — nahe der Stadt Essen — geboren, ging von 1905-1912 in die örtliche katholische Volksschule, arbeitete dann zunächst in einem Blechwalzwerk und dann als Schlepper, später als Hauer in einer Kohlengrube. 5 Jahre lang arbeitete er unter Tage.

In seiner knappen Freizeit war er um intensive Weiterbildung bemüht. Er trat 1917 dem Gewerkverein christlicher Bergarbeiter bei, 1918 in die Zentrumspartei ein und schloss sich 1919 dem Antonius-Knappenverein (KAB) Niederwenigern an. Schon mit 22 Jahren wurde er Jugendsekretär in der christlichen Bergarbeitergewerkschaft, bereits ein Jahr später Hilfsredakteur der Zeitung »Bergknappe«. Seine weitere Gewerkschaftstätigkeit führte ihn nach Waldenburg in Schlesien und über Zwickau wieder zurück an die Ruhr nach Bottrop. In der Zwischenzeit hatte er Elisabeth Koch aus Niederwenigern geheiratet, die ihm im Verlauf einer glücklichen Ehe sieben Kinder schenkte. Seine Familie liebte er über alles und war ein vorbildlicher Vater in seiner Verantwortung für die Erziehung und die Vermittlung des Glaubens. Wie ernst er diese Aufgabe nahm, erfahren wir aus seiner Feder. So schreibt er in seinem Büchlein »Sieben um einen Tisch«: »Die tiefen Sorgen kreisen unablässig um die Sieben, aus denen tüchtige, aufrechte und seelenstarke Menschen werden sollen«. Bei seiner ganzen Familienliebe kennt Groß keinen Rückzug in die Familienidylle. Er bleibt wach für die großen gesellschaftlichen Probleme gerade auch in der Verantwortung für die Familie. Arbeit und gesellschaftliche Verpflichtungen sind für ihn der Ort, an dem er seinen christlichen Auftrag verwirklicht. In seiner 1943 verfassten Glaubenslehre schreibt er: »Die meisten großen Leistungen entstehen aus der täglichen Pflichterfüllung in den kleinen Dingen des Alltags. Dabei gilt unsere besondere Liebe immer den Armen und Kranken«.

Zu Beginn des Jahres 1927 wird er Hilfsredakteur bei der Westdeutschen Arbeiterzeitung, dem Organ der KAB, und schon bald ihr Chefredakteur. Hier kann er den katholischen Arbeitern Orientierung in vielen Fragen der Gesellschaft und der Arbeitswelt geben. Dabei wird immer wieder deutlich, dass für ihn die politischen Herausforderungen einen sittlichen Anspruch enthalten und dass ohne geistliche Bemühungen die sozialen Aufgaben nicht zu lösen sind. Der Redakteur wird zu einem Boten, der auch hier seinen Glauben bezeugt. Als er in dieser Eigenschaft ins Kölner Ketteler-Haus übersiedelt, das ist 1929, ist er bereits mit einem klaren Urteil über den heraufziehenden Nationalsozialismus behaftet. Ausgehend von der Leitidee Bischof Kettelers, dass Zuständereform in der Gesellschaft nur durch Gesinnungsreform erreicht werden kann, sieht er in den Erfolgen der NS bei der Gesellschaft: »politische Unreife« und »mangelnde Urteilsfähigkeit«. Er betitelt schon damals die Nazis als »Todfeinde des heutigen Staates«. Als Redakteur des KAB-Organs schreibt er am 14. September 1930: »Wir lehnen als katholische Arbeiter den Nationalsozialismus nicht nur aus politischen und wirtschaftlichen Gründen, sondern entscheidend auch aus unserer religiösen und kulturellen Haltung entschieden und eindeutig ab«.

Schon einige Monate nach Hitlers Machtergreifung 1933 nannte der Führer der Deutschen Arbeiterfront, Robert Ley, die Westdeutsche Arbeiterzeitung der KAB »staatsfeindlich«. Groß versuchte in der Folgezeit, die Zeitung vor der Vernichtung zu bewahren, ohne inhaltliche Zugeständnisse zu machen. Er verstand es fortan, zwischen den Zeilen zu schreiben, so dass Eingeweihte es verstanden. Im November 1938 erfolgte das endgültige Verbot der inzwischen in »Kettelerwacht« umbenannten Arbeiterzeitung.

Groß, der seine Qualifikation sehr hart hatte erarbeiten müssen, war kein großer Redner. Doch er sprach eindringlich, warmherzig und mit Überzeugungskraft. Dass Nikolaus Groß sich dem Widerstand in Deutschland anschloss, erwuchs aus seiner katholischen Glaubensüberzeugung. Für ihn galt, »daß man Gott mehr gehorchen muß als den Menschen«. »Wenn von uns etwas verlangt wird, was gegen Gott oder den Glauben geht, dann dürfen wir nicht nur, sondern müssen den Gehorsam (gegen Menschen) ablehnen« — So schrieb Nikolaus Groß 1943 in seiner Glaubenslehre. — Ihm wurde immer deutlicher, dass dieser Zustand in Deutschland unter dem Hitler-Regime erreicht war.

Die gemeinsamen Überlegungen hielt Groß in zwei Aufzeichnungen fest, die später der Gestapo in die Hände fielen: »Die großen Aufgaben« und »Ist Deutschland verloren?«. Sie führten mit zu seiner Verurteilung.

Groß musste ab 1940 Verhöre und Hausdurchsuchungen über sich ergehen lassen. Nach dem Verbot der Verbandszeitung gab er eine Reihe Kleinschriften heraus, die helfen sollten, Glaubens- und Wertbewußtsein bei den Arbeitern zu stärken.

Für die Beweggründe, die Männer wie Nikolaus Groß motivierten, finden wir eine Antwort in den Memoiren des bekannten verstorbenen Männerseelsorgers, Prälat Caspar Schulte von Paderborn. Dort heißt es: »In meinen vielen Gesprächen, zumal mit Nikolaus Groß und dem Verbandspräses Otto Müller, habe ich die sittliche Größe dieser Männer kennen und bewundern gelernt. Sie stolperten nicht in den Tod hinein«. Sie gingen ihren Weg auch in der Bereitschaft, einen qualvollen Tod um der Freiheit willen auf sich zu nehmen. Ich sagte Nikolaus Groß am Tag vor dem Attentat: »Herr Groß, denken Sie daran, daß Sie sieben Kinder haben. Ich habe keine Familie, für die ich verantwortlich bin. Es geht um Ihr Leben«. Darauf gab mir Groß das wirklich große Wort zur Antwort: »Wenn wir heute nicht unser Leben einsetzen, wie wollen wir dann vor Gott und unserem Volk einmal bestehen«. 1943 schreibt Groß in einem Büchlein fast wie eine Prophetie: »Manchmal will mir das Herz schwer werden und die Aufgabe unlösbar erscheinen, wenn ich die eigene menschliche Unvollkommenheit und Unzulänglichkeit an der Größe der Verpflichtung und dem Gewicht der Verantwortung messe. Wenn eine Generation ihr kurzes Leben mit dem höchsten Preis, dem Tod, bezahlen muß, suchen wir die Antwort bei uns selbst vergebens. Wir finden sie nur bei dem, in dessen Hand wir im Leben und im Tod geborgen sind. Wir wissen nie, welche Probleme auf die Kraft und Stärke unserer Seelen uns erwarten.... Die Wege der Menschen liegen im Dunkeln. Aber auch die Finsternis ist nicht ohne Licht. Hoffnung und Glaube, die uns immer vorauseilen, ahnen über dem Dunkel bereits den Anbruch einer neuen Morgenröte. Wissen wir, daß das Beste in uns, die Seele, unsterblich ist, dann wissen wir auch, daß wir uns wiedersehen werden«. Welch ein Zeugnis von Verantwortungsbewusstsein, Realitätssinn und Glaubenszuversicht! Leuchtzeichen für unseren Weg in einer Zeit, in der alle drei verlorenzugehen scheinen.

Für Groß war das Vertrauen auf Gott das Fundament, auf dem er nicht wankte.

Nach dem fehlgeschlagenen Attentat vom 20. Juli 1944 überschlugen sich die Ereignisse. Groß, nicht selbst an Vorbereitung und Ausführung beteiligt, wurde am 12. August 1944 gegen Mittag in seiner Wohnung verhaftet und zunächst ins Gefängnis Ravensbrück und dann ins Zuchthaus nach Berlin-Tegel gebracht. Seine Frau Elisabeth kam zweimal nach Berlin, um ihn zu besuchen. Sie berichtete über deutliche Folterspuren an seinen Händen und Armen. Seine Briefe aus dem Gefängnis bezeugen eindrucksvoll, dass für Nikolaus Groß das beständige Gebet der Kraftquell in seiner schwierigen und am Ende aussichtslosen Lage ist. Er versäumt fast in keinem Brief, seine Frau und seine Kinder um das beständige Gebet zu bitten, wie er selbst auch Tag für Tag für seine Familie betet.

So weiß er sich im Gebet mit seiner Familie verbunden, zugleich aber auch in einem lebendigen Austausch mit Gott. In seinen Briefen zeigt Nikolaus Groß immer wieder, dass er sein und das Schicksal seiner Familie ganz in der Hand Gottes weiß.

Am 15. Januar 1945 erging das Todesurteil durch den Volksgerichtshofvorsitzenden Roland Freisler. Seine protokollierte Schlußbemerkung und eigentlich einzige Urteilsbegründung: Er schwamm mit im Verrat, muß folglich auch darin ertrinken! Die Nazis machten keine Märtyrer. Ein Grab gönnten sie den Erhängten nicht. Für die Anhänger von Lüge und Hass gab es nur die brutale Vernichtung.

Das Zeugnis der Wahrheit und des Glaubens aber ist nicht auszulöschen! Es lebt weiter in denen, die uns leuchtend vorangegangen sind. Gefängnispfarrer Buchholz, der den Todeskandidaten aus einem Versteck heraus für seinen letzten Gang segnete, berichtete nachher: »Groß neigte beim Segen still das Haupt. Sein Gesicht scheint schon erleuchtet von der Herrlichkeit, in die einzugehen er sich anschickt«.

Ein christliches Begräbnis verwehrten ihm die damaligen Machthaber. Seine Leiche wurde verbrannt und die Asche über die Rieselfelder verstreut.

 

  

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