The Holy See
back up
Search
riga

HL. MESSE MIT SELIGSPRECHUNG DER DIENER GOTTES:
CHARLES DE FOUCAULD,
MARIA PIA MASTENA
MARIA CROCIFISSA CURCIO

PREDIGT VON KARD. JOSÉ SARAIVA MARTINS

Konfessionsaltar, Petersdom
Sonntag, 13. November 2005

 

1. Der heutige Sonntag, der 33. im Jahreskreis, ist der vorletzte Sonntag des Kirchenjahres, das nun bald zu Ende geht. Der Jahreswechsel gibt immer Anlaß über das Geheimnis der verrinnenden Zeit nachzudenken, die unaufhaltsam abläuft, sowie über das Ende des Lebens. Vor diesem Hintergrund konfrontiert uns die Liturgie des heutigen Sonntags mit einer ganz konkreten Frage: »Wie sollen wir unser Leben gestalten in der Erwartung der Wiederkunft Jesu?« Die Antwort darauf gibt uns Jesus selbst im Gleichnis über die Talente, das wir soeben gehört haben. Aus ihm läßt sich folgende Schlußfolgerung ziehen: Alles, was wir sind und haben, müssen wir fruchtbringend einsetzen und in den Dienst des Herrn stellen, wir müssen es, mit einem Wort gesagt, in konkrete Nächstenliebe umsetzen! Es zeigt sich also, wie wahr doch die Aussage ist, daß vor Gott nur das zählen wird, was wir gegeben und nicht das, was wir angehäuft haben, denn alles, was wir geben, investieren wir in die Bank der Liebe. Aus diesem Grund preist Jesus die beiden Männer, die ihre Talente gut eingesetzt haben: Eben dies taten auch die Heiligen in der göttlichen Logik der Liebe und der vollkommenen Selbsthingabe. Und eben dies ist auch das gemeinsame Merkmal der großartigen Gestalten der drei neuen Seligen: Charles de Foucauld, Maria Pia Mastena und Maria Crocifissa Curcio. [Nach diesen Worten auf italienisch setzte der Kardinal seine Predigt auf französisch fort:]

2. Als Charles de Foucauld in Gegenwart des Jesuskindes in der Weihnachtszeit 1897/98 über die Stelle aus dem Matthäusevangelium meditierte, die an diesem Sonntag verkündet wurde, richtete er seine Aufmerksamkeit vor allem auf die Verpflichtung, die dem Diener auferlegt wurde, der Talente erhalten hatte, um sie gewinnbringend einzusetzen: »Man wird von uns Rechenschaft über alles fordern, was wir bekommen haben … Und da ich soviel bekommen habe, wird man viel von mir zurückfordern! Weil ich viel mehr bekommen habe als die meisten Menschen … die Bekehrung, die Ordensberufung, das Trappistenkloster, das Einsiedlerleben, Nazaret, den täglichen Kommunionsempfang und so viele andere Gnaden, wird man also von mir viel zurückfordern…« (1).

Die Seligsprechung von Charles de Foucauld ist für uns die Bestätigung dafür: Er war wirklich vom Geist Gottes geleitet, ihm gelang es, die vielen »Talente«, die er erhalten hatte, einzusetzen und fruchtbar werden zu lassen, und während er den göttlichen Eingebungen vortrefflich entsprach, folgte er einem wirklich evangeliumsgemäßen Weg, auf dem er Tausende von Schülern angezogen hat.

Der Heilige Vater Benedikt XVI. erinnerte kürzlich daran, daß »wir unseren Glauben in folgenden Worten zusammenfassen können: Iesus Caritas – Jesus Liebe« (2); das sind genau die Worte, die Charles de Foucauld als Wahlspruch gewählt hatte, der seine Spiritualität zum Ausdruck brachte.

Das abenteuerliche und faszinierende Leben des Charles de Foucauld bietet einen überzeugenden Beweis für die Wahrheit dieser Worte des Papstes. Man kann in der Tat unschwer so etwas wie einen roten Faden entdecken, der durch alle Veränderungen und Entwicklungen hindurch die Existenz von Frère Charles durchzieht; wie Abbé Huvelin im Jahr 1889 an den Abt von Solesmes schrieb: »Er macht aus der Religion eine Liebe.«

Charles selbst enthüllte einem Schulfreund, der Agnostiker geblieben war, das, was er »das Geheimnis meines Lebens« nannte, mit folgenden Worten: »Die Nachfolge ist untrennbar verbunden mit der Liebe … Ich habe mein Herz an diesen vor tausendneunhundert Jahren gekreuzigten Jesus von Nazaret verloren und verbringe mein Leben damit, zu versuchen, ihm nachzufolgen, soweit es meine Schwachheit fertigbringt« (3).

Aus dem Briefwechsel mit Louis Massignon wird die Freiheit deutlich, die sich Charles durch seine Art und Weise, lieben zu lernen, erworben hat: »Die Gottesliebe, die Nächstenliebe… Da ist die ganze Religion… Wie kann man dahin kommen? Nicht an einem Tag, denn sie ist die Vollendung selbst: Sie ist das Ziel, das wir immer anstreben müssen, dem wir uns unaufhörlich nähern müssen und das uns erst im Himmel erwarten wird« (4).

Bereits 1882 finden wir den berühmten Satz aus dem Matthäusevangelium, Kapitel 25, den er so oft zitiert und der ihn bis zu seiner letzten Meditation im Jahr 1916 begleitet, als er eine Parallele herstellt zwischen der eucharistischen Gegenwart und der Gegenwart in den Geringsten:

»Es gibt, so glaube ich, kein Wort des Evangeliums, das auf mich einen tieferen Eindruck gemacht und mein Leben mehr verändert hätte als dieses: ›Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. ‹Wenn man bedenkt, daß diese Worte jene der ungeschaffenen Wahrheit sind, jene aus dem Mund dessen, der gesagt hat: ›das ist mein Leib … das ist mein Blut‹, mit welcher Kraft wird man dann dazu gedrängt, in ›diesen Kleinen, diesen Sündern, diesen Armen‹ Jesus zu suchen und zu lieben« (5).

Charles de Foucauld hatte einen beachtlichen Einfluß auf die Spiritualität des 20. Jahrhunderts, und er bleibt am Beginn des dritten Jahrtausends ein fruchtbarer Bezugspunkt, eine Einladung zu einem radikal am Evangelium ausgerichteten Lebensstil, und das auch über alle jene hinaus, die den verschiedenen Gruppierungen angehören, aus denen seine große und vielgestaltige geistliche Familie gebildet wird.

Das Evangelium in seiner ganzen Einfachheit anzunehmen, zu evangelisieren, ohne etwas aufdrängen zu wollen, Zeugnis von Jesus zu geben unter Respekt vor anderen religiösen Erfahrungen, den Primat der in Brüderlichkeit gelebten Liebe immer wieder neu zu bekräftigen – das sind nur einige der wichtigsten Aspekte eines kostbaren Erbes, das uns so handeln läßt, daß unser Leben, wie jenes des sel. Charles, darin besteht, »das Evangelium über die Dächer zu rufen…, auszurufen, daß wir zu Jesus gehören« (6). [Der Kardinal setzte seine Predigt auf italienisch fort:]

3. In der Zweiten Lesung, die dem ersten Brief an die Thessalonicher entnommen ist, erinnert der hl. Paulus an die Notwendigkeit, wachsam zu sein, da wir nicht wissen, wann der Sohn Gottes kommen wird, um über unser Werk auf Grund der empfangenen Gaben zu richten. Das Leben des Christen ist in der Tat ein langes Wachen, eine Zeit des Wartens auf den Herrn. Aber wir sind, wie der Apostel ausdrücklich sagt, »alle Söhne des Lichts« (1 Thess 5,5), weil wir durch die Taufe in Christus, Licht der Welt, eingegliedert wurden. Dieses gut sichtbare und strahlende Licht war es, das die sel. Maria Pia Mastena zum Leuchten brachte; sie lebte ihren Stand als Ordensfrau in dem ständigen Bemühen, auf das Angesicht der Brüder und Schwestern wieder den Glanz des von ihr so sehr geliebten Heiligen Antlitzes zu bringen. Das Angesicht des Menschen, besonders wenn es von der Sünde und dem Elend dieser Welt entstellt ist, wird nur dann wieder strahlen können, wenn es dem Antlitz Christi gleichgestaltet ist, der am Kreuz gemartert und von der Herrlichkeit des Vaters verklärt wurde. Mutter Mastena spürte das starke missionarische Bestreben, »das Antlitz Jesu unter die Menschen der ganzen Welt, an die ärmsten und verlassensten Orte zu bringen«. Wenn man sich die Heiligkeit der seligen Mutter Mastena ansieht, ist es berechtigt, in ihr eine große Künstlerin zu erkennen, die sich selber das Antlitz Christi aufzuprägen vermochte, indem sie durch die Übung vieler Tugenden das »Antlitz der Antlitze« annahm, das schönste Antlitz, das es unter den Menschenkindern gibt. Es ist ihr gelungen, in den Werken der Barmherzigkeit, der Liebe, der Vergebung, des vollen Dienstes an den bedürftigsten Menschen in ihren persönlichen Gesichtszügen das Antlitz des Herrn durchscheinen zu lassen. Unter großen Opfern und Schwierigkeiten, voll Glaube und Hartnäckigkeit gründete Maria Pia Mastena 1936 die Kongregation der Schwestern vom Heiligen Antlitz und teilte ihren Mitschwestern ihren Lebensplan mit, den sie so zusammenfaßte: »Das Antlitz Christi in den Brüdern und Schwestern verbreiten, erneuern und wiederherstellen«. Mit wenigen, aber eindringlichen Worten erklärte sie den jungen Schwestern das Charisma der Ordensfrauen vom Heiligen Antlitz: »Wenn ein Bruder traurig ist und leidet, ist es unsere Aufgabe, das Lächeln auf sein Gesicht zurückzubringen… Das ist unser Auftrag: Das Antlitz des sanftmütigen Jesus auf dem Gesicht des Bruders lächeln zu lassen!« In einer Welt, in der viele Menschen gegenüber den ewigen Dingen gleichgültig sind, ist das leuchtende Beispiel der seligen Mutter Mastena von besonderer Aktualität. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich gleichsam wie ein Wasserzeichen das lächelnde Antlitz Christi ab. Die gesamte Persönlichkeit von Mutter Maria Pia war so reich erfüllt von der Gegenwart des gekreuzigten und auferstandenen Christus, daß sie sich dazu veranlaßt sah, ihm in jedem armen Menschen zu dienen und ihm in der Feier und Anbetung der Eucharistie gleichförmig zu werden. In der Ersten Lesung haben wir das bekannte alphabetische Lied (Akrostichon) gehört, das am Ende des Buches der Sprichwörter steht und so genannt wird, weil die Verse der Reihe nach mit den Buchstaben des hebräischen Alphabets beginnen. In den Weisheitsliedern wird eine Frau als Vorbild und Verkörperung des wichtigen Themas des heutigen Sonntags vorgestellt: des Einsatzes des Gläubigen in der Vielfalt seiner Gaben und in den verschiedenen Situationen seines Lebens. Doch über das Lob der Charaktermerkmale der tüchtigen Frau hinaus wird in diesem Lied der menschliche Reichtum gefeiert, der »alle Perlen an Wert übertrifft« und allen äußeren Tätigkeiten des Menschen Bestand verleiht; ein innerer Reichtum, der von der siebten Gabe des Heiligen Geistes enthüllt und aufgebaut wird: die Gottesfurcht, also jene Befähigung, dem göttlichen Willen zu folgen und das eigene Leben gemäß dem Heilsplan Gottes zu führen.

4. Ein positives Gegenbild zu dem trägen und selbstgefälligen Diener des Gleichnisses von den Talenten ist die Frauengestalt, die uns vom Buch der Sprüche vorgestellt wird. In diesen Rahmen fügt sich mit ihrem mütterlichen Charisma und weiblichen Genius die sel. Maria Crocifissa Curcio ein, eine tüchtige und gewandte Frau, die darauf bedacht war, sich um die Bedürfnisse ihres Nächsten zu kümmern, um ihn schließlich »zu ihrer Familie« werden zu lassen. Auch Mutter Maria Crocifissa verstand es, »sich Wolle und Flachs zu beschaffen« und sie gern »eigenhändig« zu bearbeiten, um die ihr von Gott anvertraute Familie wachsen zu lassen. Im Geist des Karmels, ganz konkret in dem kontemplativ-missionarischen Charisma der hl. Thérèse vom Kinde Jesu, fand sie den Ansporn, die Kongregation der Missionskarmelitinnen der hl. Thérèse vom Kinde Jesu zu gründen.

Die Liebe zu Jesus führte sie auf einen Weg, der oft beschwerlich und bitter war und sie erfahren ließ, was es bedeutet, »gekreuzigt« zu sein wie Jesus, aus Liebe zu den Brüdern und Schwestern, die immer, auch in den Augenblicken größter Vertrautheit mit Gott, in ihrer Aufmerksamkeit präsent waren. In ihrem geistlichen Tagebuch schrieb sie: »Schon allein der Gedanke, für meine Brüder zu leiden, erfüllte meine Seele mit Freude… Meine Zärtlichkeit wächst ständig…, und mit dieser Zärtlichkeit liebe ich die Töchter, die mir die Vorsehung anvertraut hat, liebe ich die ganze Welt, liebe ich die Natur mit all ihren Schönheiten« (4. April 1928).

Mutter Maria Crocifissa war eine einfache und starke Frau, die, von der Liebe Gottes ergriffen, ganz auf den Himmel gerichtet war, aber darauf achtete, sich über die Erde, im besonderen über die leidende und bedürftige Menschheit zu beugen. Aus ihrem tiefen Glauben und aus der leidenschaftlichen Liebe zur Eucharistie konnte sie Inspiration und dauernde Nahrung für ihre Suche nach Heiligkeit ziehen. Die selige Mutter Curcio konnte in den Alltäglichkeiten ihres Lebens Gebet und Tätigkeit miteinander verbinden; dabei verstand sie die Tätigkeit als »Auffangen« der Geringsten, genauer gesagt, als Aufnahme und Ausbildung der am meisten verlassenen Jugend. Gerade für diese ihre Normalität und Konkretheit ist sie ein Vorbild, an dem man sich heutzutage inspirieren kann, ist doch ihre Botschaft von großer Aktualität.

5. Liebe Brüder und Schwestern,

wenn wir die ursprüngliche Bedeutung des Gleichnisses von den Talenten betrachten, das auch für uns von großer Aktualität ist, kommen wir zu dem Schluß, daß Gott sein Wort unserer Obhut und Verantwortung anvertraut, damit wir in diesen Schatz investieren.

Das Wort Gottes werde zur inspirierenden Grundlage unseres Lebens: Dabei brauchen wir keine Angst zu haben, uns bloßzustellen, denn wir sollen uns nicht verhalten wie der Knecht, der aus falscher menschlicher Vorsicht heraus seine Talente vergraben hat. Diese Mahnung Jesu ist auch für uns von bleibender Gültigkeit. Wir müssen uns daher die Frage stellen: Wie könnten wir am Reichtum Gottes Anteil haben, ohne ihn der Welt weiterzuschenken? Eine Kirche – und das sind wir –, die ihr Erbe nicht gut verwendet, indem sie sich in der Stadt der Menschen mutig engagiert, würde nicht nur ihren Sendungsauftrag verraten, sondern sie würde alles verlieren.

Lernen wir von den neuen Seligen einen ansteckenden, mitteilsamen Glauben zu leben, denn ein »harmloser« Glaube, der niemandem etwas zu sagen hat, der sich nicht in das Zeugnis umsetzt, bleibt ein »unbenütztes« Geschenk.

Nach dem Beispiel dieser Zeugen des auferstandenen Christus dürfen auch wir nie aufhören, mit den Talenten, die wir empfangen haben, zu wirtschaften, bis wir jene wunderbaren Worte vernehmen werden, die als eine Art Seligsprechungsformel aus dem Evangelium angesehen werden können: »Sehr gut, du bist ein tüchtiger und treuer Diener … Komm, nimm teil an der Freude deines Herrn!« (Mt 25,21).


Anmerkungen:

1Meditation über Mt 25, 14, geschrieben in Nazareth im Februar 1898

2Angelus, 25. September 2005

3März 1902, Brief an einen Schulfreund  (Gabriel Tourdes).

41. November 1915 an Louis Massignon.

51. August 1916 an Louis Massignon.

6Nazareth 1898, Méditations sur les saints Évangiles (1), La bonté de Dieu, S. 285. [Meditationen über die heiligen Evangelien (1), Die Güte Gottes]

 

   

top