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Ostermeditation für Radio Vatikan
Ostern 2008

Liebe Hörerinnen und Hörer,

      Von dem deutschen Klassiker Friedrich Schiller stammt der Satz: „Das Leben ist der Güter höchstes nicht…“. Der Dichter brachte diese Behauptung vor 200 Jahren auf die Bretter der Bühne. Sie wird noch heute gelegentlich zitiert. Wird sie auch noch für wahr gehalten – „das Leben ist der Güter höchstes nicht“?

      Der Mensch von heute klammert sich wohl noch stärker an das Leben als unsere Vorfahren. Was tun wir nicht alles, um das Leben zu pflegen, zu verlängern? „Hauptsache Gesundheit!“ ist der gängige Glückwunsch bei Jubiläen. Schönheitschirurgen sind gefragt. Gymnastiksendungen im Fernsehen haben hohe Einschaltquoten. Das Städte-Marathon soll der Körperertüchtigung dienen. Regierungen treten mit Rauchverbot und anderen Lebensanweisungen hervor. Wem gälte mehr Sorge als dem intensiven, abwechslungsreichen, langen Leben? Die Zahl deutscher Fitness-Studios wuchs von etwa 100 000 im Jahr 1982 auf 4,5 Millionen im Jahr 2000 an –von den Beauty-Shops nicht zu reden. „Young for ever – Für immer jung“ lautet der Titel eines kürzlich herausgegebenen Gesundheitskatechismus.

      Friedrich Schiller würde wohl in einer Talk-Schau Schiffbruch erleiden, wenn er bei seiner Güterabwägung dem „Leben“ nur den zweiten Platz gäbe. So gehört seine These denn auf die Predigtkanzel oder in die kirchliche Katechese, wo alles Gestrige nur allzu gern abgelegt wird? Nein. Auch dort erweist sie sich als falsch. Freilich nicht nur, weil der moderne Tanz um das goldene Kalb des Lebens gläubigen Menschen nicht zukommt und nach Götzendienst riecht. Sondern weil die beschränkten Maßstäbe des Diesseits für verlässliche Lebensfreude schlicht nicht hinreichen. Es stellt sich ja das Problem, was es heißt, ohne Minderung und Abstriche „zu leben“. Da gibt der Augenschein die Lösung nicht her. Wird der „Schnitter Tod“ nicht eines Tages alle irdischen Mühen zunichte machen? Es gilt, tiefer zu loten. Der Christ wird mit  der Wahrheit der Offenbarung konfrontiert. Was folgt aus der Botschaft, dass erst der lebendige Gott uns das „Leben in Fülle“ anbietet?

      Papst Benedikt XVI. fragt in seiner Enzyklika über die Hoffnung: „Was ist das eigentlich ‚Leben’?“ Dann hält er fest, dass es für uns Augenblicke gibt, die uns dieses Leben spüren lassen. Wir sagen uns dann: „Ja, das wäre es eigentlich – das wahre ‚Leben’ – so müsste es sein“. Damit wächst mindestens unser Hunger auf das eigentliche Leben, das wir nicht kennen und auf das hin es uns drängt (vgl. Nr. 11).

Wir begegnen Momenten der Gnade, die wir im Glauben durchkosten. Besonders wenn uns die Liebe begegnet, mag uns der Alltag dies Geschenk anbieten. Papst Benedikt wörtlich: „Wer von der Liebe berührt wird, fängt an zu ahnen, was dies eigentlich wäre: ‚Leben’“ (Nr. 27).

      Ende Februar, vor einem Monat, musste ich dienstlich nach Indien. Ich flog auch nach Kalkutta und besuchte die Sterbenden, die seit den Tagen der seligen Mutter Teresa im Tempel der indischen Göttin Kali nicht weniger werden. Ihre Körper sind verfallen. Sie hoffen nicht mehr auf strahlende Gesundheit; etwas vom Leben zu haben. Dennoch grüßen manche von ihnen den Besucher mit Ehrfurcht und leuchtenden Augen. Denn die Leidenden haben sich nicht der Lethargie oder der Verzweiflung ausgeliefert. Sie erwarten noch etwas: „Einzutauchen“ – wie Papst Benedikt in seiner zweiten Enzyklika schreibt – „einzutauchen in den Ozean der unendlichen Liebe“, dem das Wort „’ewiges Leben’ einen Namen zu geben versucht“ (Nr. 12).

      Christus hat uns geliebt bis zum Tod am Kreuz, damit wir in ihm dies ewige Leben gewinnen. Philosophen sagen (Franzose Gabriel Marcel): „Aimer un etre, c’est dire: toi tu ne mourras pas – Jemanden lieben, heißt zu sagen: Du, du wirst nicht sterben.“ Liebe verträgt in ihrer Bejahung keine Einschränkung; sie gilt endlos. In ihr verheißt sich Ewigkeit, sofern sie ihren Namen verdient. Wenn das schon unter Menschen gilt, um wie viel gewisser dürfen wir dieser Ahnung sein, wenn der Sohn Gottes sie uns zusagt. Er hat zu Ostern, im Pascha eine Liebe geoffenbart, die stärker ist als der Tod.

      Sein Kreuz erwies ihr Übermaß, denn es gibt keine „größere Liebe, als wenn einer sein Leben hingibt für seine Freunde“ (Joh 15,13). Seine Auferstehung zeigt: Diese Liebe war nicht Schwäche, sondern Kraft, die jede Macht gebrochen hat. Ein für allemal. Er hat sie bewiesen in der Vergangenheit. Aber sie gilt heute und für alle Zukunft. Jeden Tag tritt der Auferstandene neu vor mich hin, besiegt alle Widrigkeiten des Todes in mir und in meinem Dasein und fordert mich auf wie den Apostel Thomas: „Streck diene Hand aus und leg sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig“. Wie dem Herrn nicht mit Thomas antworten: „Mein Herr und mein Gott“ (Joh 20,27f)?

      Christus ist Sieger. Aber nicht im Wettlauf der Gesundheitsindustrie. Wir jubeln ihm zu, weil sein Sieg definitiv und allumfassend ist. Er ist unsere Seligkeit, im Glauben und ist es schon jetzt. Der Mann aus Nazaret hat den Zutritt zu Gottes ewigem Leben geöffnet. Jetzt gibt es einen Ort für den Menschen im Kreislauf der dreifaltigen Bewegung. Der „Himmel“ ist nicht länger eine bloße Idee.

      Doch wird dieser Himmel nicht enttäuschen? Werden wir nicht einmal mit dem deutschen Denker Ernst Bloch bedauern: „Der Traum war schöner“, weil die Ewigkeit eine fade „Melancholie der Erfüllung“ durchzieht?

      Die Begegnungen mit dem Auferstandenen belehren uns eines Besseren. Gottes Leben ist gekennzeichnet von überspringender Freude. „Brannte nicht unser Herz…“ fragen sich die Jünger, die dem Auferstandenen begegnet sind (Lk 24,32); „Freude und Staunen“ bewegt sie, berichtet die Heilige Schrift, als er in ihre Mitte tritt (ebd. 41; vgl. Jo 20,20); und Gottes Wort hält fest, dass diese Freude sie nicht wieder verlässt (ebd. 52). Dieselbe Freude weckt der erhöhte Herr im gefangenen Apostel Paulus, der mit ihr auch seine Gemeinde in Philippi anstecken möchte: „Freut euch im Herrn zu jeder Zeit! Noch einmal sage ich: Freut euch!“ (Phil 4,4). „Gott geht es gut, Gott geht es sehr gut, Gott geht es ausgezeichnet“, sagte der verstorbene Bischof von Mainz Kardinal Volk.

      Weil Jesus das Leben Gottes selbst lebt, ist das ihm entströmende Leben anderes als „Zeitvertreib“ oder „Alltagsbanalität“. Es ist das Verkosten der liebenden Zuwendung, die Gott in sich ist und die das Leben Gottes ausmacht. Freilich wird es nur dem geschenkt, der das Antlitz des Herrn unbeirrt sucht – im Gebet und im Nächsten.

      Kreuze stehen an unseren Wegen, hängen in unseren Wohnungen. Erfahrung hat sie angebracht. Doch dürfen nicht sie allein unser Gottesbild prägen. Es gibt auch Ostern. Jeder Sonntag soll es ausdrücklich künden: Sterben ist nicht das Ende. Bindung an Christus wirkt ewiges Leben für dich, für mich, für uns alle.

      Es ist daher Zeit zu feiern und im Fest der gläubigen Gemeinschaft schon jetzt Gottes seliges Leben zu schmecken. 

 

 

 

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