Predigt von Paul Josef Kardinal Cordes zum 25jährigen Kardinalsjubiläum
von Erzbischof Joachim Kardinal Meisner
im Hohen Dom zu Köln
am 10. Februar 2008
Eminenz, lieber Mitbruder Joachim,
du hast mich zwar gebeten, ich möchte bei meiner Homilie von dir absehen. Aber was Glauben ist, lernen wir nun einmal von Personen, von ihrem Leben, von ihren Entscheidungen. So wirst du mir verzeihen, dass du in meinen Worten nicht ganz unbeachtet bleibst.
Im Konsistorium des 2. Februar 1983 wurdest du zum Kardinal kreiert. Bei der Eucharistiefeier und ersten Konzelebration überreichte dir Papst Johannes Paul II. einen neuen Ring - ein „Zeichen des pastoralen Eifers“, wie der Papst sagte, den die Eingliederung ins Kardinalskollegium nach sich zieht.
Solcher Eifer ist dem Jubilar von heute, liebe Schwestern und Brüder im Glauben, vielleicht schon in die Wiege gelegt. Sicher wurde er seit dem Empfang des Weihesakraments zu einem kennzeichnenden Kriterium. Und gerade dieser Eifer ist es, der den Jubilar den Seelsorgern zum Vorbild empfiehlt. Denn Eifer ist von hoher Aktualität in einer Zeit, die Anstrengung ständig zu reduzieren versucht; die möglichst nur die halbe Kraft einsetzen will; die nach Freizeit und Pensionierung schielt. Solches Engagement im Schongang erscheint verständlich. Mechanisch-technische Arbeit tut ja gut daran, es fortwährend anzuzielen. Die helfende Begleitung des Menschen aber muß bei Dienst nach Vorschrift misslingen. Apostolat der Selbstbewahrung schließlich ist ein Widerspruch in sich; die Verbreitung des Evangeliums von der Erlösung wird ohne Eifer zur Farce.
Ein Vergleich mag uns das wohl vor Augen führen. Zum Experimentieren mit atomaren Brennstäben baut man Laboratorien mit einer besonderen Versuchsanordnung; die Wissenschaftler können sich bei ihren Forschungen bekanntlich nicht in dem Raum aufhalten, in dem Strahlungsprozesse ablaufen. So nehmen sie auf das Geschehen in der sogenannten „heißen Zelle“ Einfluss, indem sie in einer Kammer für Fernbedienung hinter einer Strahlenschutzscheibe vom mindestens einem Meter Dicke verbleiben. Von hier aus beobachten sie und hantieren mit langen künstlichen Armen. Diese „Manipulatorarme“ transportieren die Handgriffe der Forscher in die Gefahrenzone, während sie selbst am sicheren Ort verbleiben.
Keine Frage: Das Atomlaboratorium ist ein Anti-Modell des pastoralen Dienstes und der Evangelisierung. Würde es zunehmend den Geist der Amtsträger prägen, so könnte möglicherweise das kirchliche System erhalten bleiben, aber das „Feuer“, das auf die Erde zu werfen der Herr Jesus gekommen ist (vgl. Lk 12,49), würde bald verlöschen.
Worte und Taten unseres Jubilars entsprechen dem bei seiner Kreierung nahe gelegten Eifer. Wir danken Gott für sein unbeirrbares Zeugnis. Wichtiger noch: Die erwartete apostolische Glut ist biblisch gedeckt, Wenn einer Eifer zeigt, dann lässt ihm die Sache Gottes keine Ruhe. Das Feuer des Geistes steckt andere an. Gut für uns alle, dass es auch in unserer Zeit geisterfüllte und hingebungsvolle Hirten gibt! Denn wen von uns hält in unserm Christsein nicht stärker der Drang der Selbstschonung gefangen, als dass Selbsthingabe und Begeisterung uns trieben? Eine verwaltete Kirche färbt auf uns ab.
Anderseits aber geht Gottes Offenbarung mit Halbherzigen und Lustlosen gnadenlos ins Gericht. Die Apokalypse schreibt an die Gemeinde von Laodizea: „Du bist weder kalt noch heiß. Wärest Du doch kalt oder heiß. Weil Du aber lau bist, weder heiß noch kalt, will ich Dich aus meinem Mund ausspeien“ (3,15). Das Evangelium verträgt keine Lässigkeit. Sie ist für den Evangelisten Johannes schlimmer als Christusferne oder offene Gegnerschaft. Der Völkerapostel Paulus äußert Gleiches – in positiver Weise. Er schreibt an die Römer: „Lasst nicht nach im Eifer, brennt im Geist und dient dem Herrn“ (12,11). In dieser Weise sollen die Jünger auf das Erbarmen Gottes antworten, das ihnen geschenkt wurde.
Freilich stören Glut und Leidenschaft. Stoiker und Mainstream-Christen sind verträglicher, pflegeleichter. Deshalb werden sie auch kaum zur innerkirchlichen oder gesellschaftlichen Zielscheibe. Sie sind klug genug, sich das zu ersparen. Wer Eifer zeigt, eckt an. Erst recht, wenn er eine Gemeinde, eine Diözese führt. Er kann kaum von allen Beifall erwarten. Eher passt in seinen Mund, was ich bei einem weisen Juden, einem der Chassidim fand. Er formuliert die drückende Last, die der Leiter einer Glaubensgemeinschaft zu tragen hat und macht gleichzeitig denen ihre Bosheit oder Gedankenlosigkeit bewusst, die ihm diese Last aufladen. Er tut es mit dem sprichwörtlichen jüdischen Humor, wenn er sagt: Ein ehrwürdiger Wanderprediger klagte vor seinen Zuhörern: „Es ist schwer, ein Zaddik – der spirituelle Führer einer Gemeinde – zu sein. Sein Herz wird von Leid und Sorge überflutet.“ Und dann – so geht die Anekdote weiter – lachte er plötzlich und reif: „Ich gönne allen Bösewichtern, dass sie Zaddikim werden.“ Mir scheint, Kardinal Meisner könnte Ähnliches äußern.
Neben dem Eifer muss ich noch eine zweite Wahrheit erwähnen, die mit der Ernennung zum Kardinal verbunden ist. Auch auf sie weist ein Papst bei der Kreierung von Kardinälen hin. Er macht sie fest an der Übergabe des Biretts. Ich möchte die Aufmerksamkeit darauf richten, dass der Kandidat sich erneut und feierlich zur communio mit der katholischen Kirche verpflichtet. Dieser Geist glaubender Gemeinschaft ist gleichsam ein Korrektiv eines überstürzten Eifers. Der Einzelgänger wird so auf die Einheit hingewiesen, der Sonderling in die Gesamtheit eingebunden. Zwar ist jedes einzelnen Weg vor Gott einmalig, aber sein Glaube ist immer verwiesen auf andere.
Zu Anfang meines Dienstes war ich Weihbischof in der Erzdiözese Paderborn. Damals verließen viele Schlesier die ehemals deutschen Ostgebiete und siedelten sich auch in unserer Diözese an. Ich hatte in Polen bei Besuchen und Wallfahrten den Eifer der Katholiken erlebt und hoffte durch den Zustrom auf einen Glaubensimpuls für den Westen. Doch nach ihrer Umsiedlung sah man manche Spätaussiedler noch zwei oder drei Monate in den Kirchengemeinden, und dann tauchten sie nicht mehr auf. Eines Tages sprach ich mit einigen Mitbrüdern über dies Phänomen, das sie auch beobachtet hatten. Wir kamen auf viele Gründe für die eingerissene Abständigkeit: etwa Sprache, Liturgie, Kultur. Aber wir entdeckten auch eine Wahrheit, die sicher nicht nur für Spätaussiedler gilt: „Niemand glaubt allein.“
Es könnte ja sein, dass diese Immigranten nicht wie früher in Polen mitgetragen wurden in ihrer Glaubenspraxis.„Niemand glaubt allein.“
Dieser Satz ist nun nicht nur eine soziologische Feststellung. Er verrät auch etwas von moderner Apostolatsmethode. Wodurch wächst heute – in einer Zeit, die bei aller Kirchenstatistik immer ein „noch“ hinzufügt, weil die Zahlen geschrumpft sind – wodurch wächst die Anzahl der Gläubigen? Durch die intensive Gemeinschaft in einer Pfarrei, die als dynamische Bruderschaft wirklich um Christus kreist und nicht nur Club ist. Durch die neuen geistlichen Bewegungen wie Schönstadt, Neukatechumenat, Charismatiker und Focolare; sie alle wecken in vielen Ländern große Hoffnung, und ohne sie – das kann ich authentisch versichern - gäbe es keine Weltjugendtage.
„Niemand glaubt allein.“ Das ist auch ein Appell an alle, die das Herz zur Evangelisierung drängt – an wache Christen, an die geweihten Hirten, an die Kardinäle. Denn es nötigt sie aufzubrechen. Da brechen spanische und italienische Familien auf, um in Chemnitz Kirche gegenwärtig zu machen, bereiten sich junge Männer aus den Philippinen und aus Kolumbien gewiss nicht ohne große Mühen darauf vor, sich für eine deutsche Diözese weihen zu lassen. Wohlbestallte Pfarrer werden sensibel für die Seelsorgsnot im Nachbardekanat; sie schauen über den Horizont des eigenen Kirchturms hinaus. Sie lassen sich bewegen von der theologischen Wahrheit des Presbyteriums, die ihnen das Mittragen der Last auch der andern priesterlichen Mitbrüder zumutet (Priesterdekret des Vat. II nr. 8).
Sie tun es den Bischöfen gleich, die sich ja auch nicht in ihrer eigenen Diözese vergraben dürfen, zeigt doch die Weihe zum Bischof wie kaum ein anderer sakramentaler Akt, dass die Kirche eine Gemeinschaft ist und in Gemeinschaft glaubt: Schließlich werden dem Consecrandus nicht nur von einem, sondern von drei Repräsentanten des Episkopats die Hände aufgelegt.
„Niemand glaubt allein.“ Dieser Satz wird nochmals greifbar bei der Eingliederung ins Kardinalskollegium. Einmal benennt der Papst nicht nur die Stadt Rom als Aufgabenfeld des Kandidaten, sondern ausdrücklich alle Zonen der Weltkirche, „auch die ganz weit entfern liegenden“. Er wehrt also mit klaren Worten jedem „Campanilismus“. Und der Erwählte verspricht vor dem Empfang des Biretts dem Papst feierlich, die Communio mit der katholischen Kirche zu wahren in Wort und Tat, wobei Communio sowohl die Glaubensübereinstimmung wie das brüderliche Interesse menschlicher Begegnung und effektiven Helfens meint. Gerade an dieser Stelle muß darum eines Kölner Kardinals gedacht werden, der dies Versprechen in beispielhafter Weise umgesetzt hat, Joseph Frings: Er wurde durch seine Stiftung des Hilfswerks „Misereor“ für viele Ortskirche in der ganzen Welt zu einem Vorreiter kirchlichen Engagements gegen die Not. Heute noch ist die Kirche von Köln bekannt für ihre weltweite Hilfe und Kardinal Meisner für sein Engagement.
Brüder und Schwestern,
Wir haben wirklich einen besonderen Grund, Eucharistie zu feiern, Gott zu danken: Für seinen Bischof Joachim, der 25 Jahre lang das gelebt hat, was er bei seiner Kardinalskreierung versprach; für seine Bereitschaft, trotz der Last seines Amtes nicht zu resignieren, für seinen Dienst, uns zu leiten und mitzureißen. Ihm selbst aber gilt unsere Zusage, ihn mit unserem Gebet weiter zu begleiten.
Wer wäre so naiv zu glauben, ein Bischof sei fähig zu seinem Dienst ohne Gottes besondere Kraft! Wer von uns, der einen Bischof kennt, wird nicht von ihm lernen, dass der Christ gezeichnet ist vom Geheimnis des Kreuzes? Doch das Kreuz war schon für Jesus Christus nur Durchgang; er blieb nicht im Tod.
Wir wollen uns scharen um den auferstandenen Herrn, und neu erfahren, Brüder und Schwestern einer glaubenden Gemeinschaft zu sein, Glieder der katholischen Kirche. So werden wir vielleicht noch ein Phon lauter singen als gewöhnlich.