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 Pontifical Council for the Pastoral Care of Migrants and Itinerant People

People on the Move

N° 97 (Suppl.), April 2005 

 

Wiederbelebung des Pilgerns 

im Geist der Ökumene

 

Domvikar Reinhard KÜRZINGER

Leiter des Diözesanen Pilgerbüros in Eichstätt,

Deutschland

Faszination Jakobusweg

"Der Jakobusweg ist eine Chance für suchende Menschen, Gott unterwegs zu begegnen. Er lädt ein zu unvergesslichen und einmaligen Erfahrungen. Er ist europäisch. Er ist ökumenisch" (Helmut Völkel, Regionalbischof der Evangelisch-Lutherisch Landeskirche in Bayern).

Dieser alte Pilgerpfad weckt ein neues Interesse und übt eine ungeahnte Faszination aus. Aus unterschiedlichsten Motiven machen sich Menschen auf den Weg: Bewältigung einer persönlichen Lebenskrise, Wunsch nach einer spirituellen Erfahrung, Begegnung und Gemeinschaft mit Gleichgesinnten, körperliche Fitness und sportlicher Ehrgeiz, Naturerlebnis...

Fernsehsendungen zeigen Bilder von den Wegstrecken, Landschaften und Städte, durch die der mittelalterliche Pilger zog oder lassen die, die ihnen heutzutage nacheifern mit ihren Erfahrungen zu Wort kommen. Buchhandlungen dekorieren eigene Schaufenster mit Pilgerberichten und Reiseliteratur. Eine große deutsche Tageszeitung wies kürzlich in einer Rubrik „Für Sie im Netz unterwegs“ auf Informationen im Internet hin: www.jakobusweg-info.de.

Findige Hobbyforscher und engagierte Mitglieder von Jakobusgesellschaften rekonstruieren das mittelalterliche Wegenetz nach Santiago de Compostela. Immer neue Wegabschnitte werden mit großem öffentlichen Interesse feierlich eröffnet. Schilder mit der gelben Muschel auf blauem Grund weisen die Richtung. Der Jakobsweg vor der Haustür – ideal für die ökumenische Begegnung.

So kreierten evangelische Pfarrer aus spirituellen Überlegungen heraus und weil sich Jakobuskirche an Jakobuskirche reihte, einen Fränkischen Camino von Nürnberg nach Rothenburg ob der Tauber. Ihr Wortführer Pfarrer Paul Geisendörfer begründet das so: "Unsere Jakobswege die wir beleben und schaffen, können eine Hilfe sein geistliche Orientierung aus den Quellen des Christentums zu schöpfen".

Das Informationsblatt, das wegen der großen Nachfrage jährlich in einer Auflage von 10.000 Exemplaren gedruckt wird, lädt zur Pilgerschaft ein: "Die etwa 80 km lange Strecke soll Anreiz sein, im Urlaub oder an Wochenenden allein, mit der Familie oder in der Gruppe etappenweise zu wandern und dabei bewährte Wanderwege zu benutzen oder selber Pfade zu finden. Möge uns dabei immer tiefer ins Bewusstsein kommen, dass wir hier keine ‚bleibende Stadt’ haben, sondern die ‚zukünftige’ suchen (Hebr. 13,14)... Um diesen Gedanken zu vertiefen laden wir ein zum Betrachten unserer Kirchen, zum Besuch der Gottesdienste oder kirchenmusikalischen Veranstaltungen. Vielleicht setzt sich der Weg... fort, um so eine Möglichkeit zur Begegnung zwischen Menschen und Gemeinden zu werden. Das Pilgern auf ihm ist gemeinde-, völkerverbindend und ökumenisch".

Pilgern als Zeichen ökumenischer Gastfreundschaft (Positionspapiere)

1. Evangelische Stellungnahme zu Chancen und Schwierigkeiten ökumenischen Pilgerns

Dürfen Protestanten an einer katholischen Wallfahrt teilnehmen? Diese Frage stellte sich im Vorfeld der Bistumswallfahrt 1996 zum Heiligen Rock in Trier. Erstmalig wurde zur Teilnahme an dieser traditionsreichen Heiltumsschau unter evangelischen Christen geworben. Die Einladung forderte darüber hinaus die evangelischen Gemeinden auf, „sich an den Vorbereitungen zu beteiligen und dabei die reformatorische Tradition einzubringen“. Eine beachtenswerte, fundierte Antwort nach fast einjähriger Beratung auf dieses Ansinnen des Trierer Bischofs Spital formulierte der Ausschuss für Innerdeutsche Ökumene und Catholica der Evangelischen Kirche im Rheinland. In der Stellungnahme zur angekündigten Wallfahrt zum Heiligen Rock in Trier listete das Gremium zunächst Bedenken auf: Aus theologischen Erwägungen heraus werden Wallfahrten verbunden mit Heiligen- und Reliquienverehrung grundsätzlich in Frage gestellt. Es gilt der protestantische Grundsatz: Neben Christus existieren keine Mittler des Heiles und nur durch den Glauben an ihn werden die Menschen gerettet.

Tief sitzt bei evangelischen Christen auch die Angst „durch die Beteiligung an einer Wallfahrt im Zeichen der Ökumene von katholischer Seite vereinnahmt zu werden“.

Kritische Stimmen zu einer Wallfahrt mit übertriebener Volksfrömmigkeit oder Zweifel an der Echtheit von Reliquien finde man auch unter gläubigen Katholiken. Entscheidend aber, so argumentierten die Ausschussmitglieder, sei die neue Zielsetzung dieser Heilig-Rock-Wallfahrt: Der ungenähte Rock Christi wird als Symbol für die Einheit hervorgehoben (vergl. Joh 19,23). Zudem fühlten sich die Vertreter der evangelischen Kirche dem christozentrischen Motto der Wallfahrt nach Trier verpflichtet: „Mit Christus auf dem Weg“.

Das abschließende Fazit nach fast einjähriger Beratung: „Darum werten diese Mitglieder unseres Ausschusses die Einladung zu dieser Wallfahrt als Zeichen einer ökumenischer Gastfreundschaft, die deutlich machen kann, dass alle Christen zu dem Ziel der in Christus vorgegebenen Einheit unterwegs sind. Dieser gemeinsame Weg bietet für sie zeitgleich nun aber auch die Chance, dass wir uns dabei in der unterschiedlichen Praxis unserer Frömmigkeit kennen lernen und möglicherweise auch näher kommen können, ohne verpflichtet zu sein, die Praxis der anderen einfach übernehmen und nachvollziehen zu müssen. Dabei sind sie sich durchaus darüber im klaren, dass ein solcher gemeinsamer Pilgerweg beiden Seiten die Bereitschaft zum Risiko abverlangt, und man darum auch erst im Nachhinein wird sagen können, ob wir auf diesem Weg nicht nur einander, sondern auch Christus näher gekommen sind“.

Beschwerdebriefe, die einen Aktenordner füllen, dokumentieren das Befremden und den Widerstand vieler evangelischer Gemeindemitglieder.

2. Katholische Wallfahrtsorte laden Christen anderer Konfessionen ein

Bei der Jahrestagung in Mariazell in Österreich im Februar 1999 stand auf der Tagesordnung der Arbeitsgemeinschaft der Wallfahrtsrektoren im deutschsprachigen Raum die inhaltliche Auseinandersetzung und Diskussion über die ökumenische Pilgerinitiative Pilgrimage 2000 plus.

Pfarrer Paul Martin Clotz wird über Pilgrimage 2000 plus noch nähere Auskünfte geben.

In einem Grußwort wandte sich die Arbeitsgemeinschaft an alle, "die an der Schwelle zum 3. Jahrtausend den alten Pilgergedanken aufgreifen und ihn in zahlreichen Initiativen und Projekten aktualisieren und verwirklichen." Zudem fordern die Wallfahrtsrektoren dazu auf, "sich an dieser ökumenischen Bewegung zu beteiligen."

In dem Schreiben wird kurz erläutert, worin die Bedeutung Heiliger Stätten liegt und wozu sie einladen. Wörtlich: "Auf dem Pilgerweg mit Christus zum Haus des Vaters sind Wallfahrtsorte Stationen, die zum Nachdenken der eigenen Lebenssituation und zum Hören und Meditieren der Heiligen Schrift einladen. Zugleich werden an vielen dieser Orte Leitbilder geglückter christlicher Lebensentwürfe vorgestellt, an denen man sich auch heute orientieren kann." An dieser bemerkenswerten Umschreibung von Heiligen Stätten dürften Protestanten theologisch kaum Anstoß nehmen.

Ausdrücklich laden die Verantwortlichen an den Wallfahrtsorten auch Christen anderer Konfessionen zu den Heiligen Stätten ein. Die Ausführungen der Wallfahrtsrektoren bringen allerdings keine Vorschläge für die Wallfahrtspraxis. Konkrete Modelle wie so eine ökumenische Begegnung mit evangelischen Christen an den Hochburgen katholischer Volksfrömmigkeit verantwortbar gestaltet werden könnte, müssten noch entwickelt werden. Die Wallfahrtsrektoren sollten sich über evtl. Erfahrungen mit Pilgern anderer Konfessionen an den von ihnen betreuten Wallfahrtsstätten austauschen und den ökumenischen Dialog in dieser Frage anknüpfen. Dieser Kongress könnte dazu Gelegenheit bieten.

Weiter unten äußern sich die Verantwortlichen der Wallfahrtsorte noch zu den großen Chancen ökumenischen Miteinanders gerade beim Pilgern: "Sich auf Pilgerschaft zu begeben ist eine Möglichkeit zur Annäherung christlicher Bekenntnisse, des Kennenlernens verschiedener Frömmigkeitsformen, des Gewährens gegenseitiger Gastfreundschaft sowie des Einübens eines geschwisterlichen Umgangs miteinander."

Moderne Formen des Pilgerns und ökumenische Pilgerwege

Es gibt inzwischen eine Vielzahl ökumenischer Pilgerinitiativen. Im Blick auf Motivation, Zielsetzung und Durchführung lassen sich unterschiedliche Formen des Pilgerns herauskristallisieren:

1. Pilgern als spiritueller Weg zu Heiligen Orten. 

Diese klassische Wallfahrt zu Fuß an einen Gnadenort in der Region ist in katholischen Gebieten bis heute üblich. Sie erfreut sich sogar des Zulaufs vieler Jugendlicher und junger Familien. Bei vielen scheint inzwischen das Unterwegssein draußen in der Natur in der Gemeinschaft Gleichgesinnter wichtiger, als der Aufenthalt an Heiliger Stätte. Spätestens nach dem festlichen Hochamt für die Wallfahrer geht es mit dem Auto zurück. Wallfahrtsleitung, Gastronomie und Devotionalienhandel klagen über die kurze Verweildauer der Wallfahrer. Mit attraktiven Programmen und Veranstaltungen versuchen gerade die örtlichen Kultur- oder Touristikämter zusätzliche Gäste in die Wallfahrtsorte zu locken. Konzerte und Freilichtaufführungen, Weihnachtsmärkte und Ausstellung sorgen für Zulauf auch außerhalb der Wallfahrtssaison. Unter den kultur- und kunstgeschichtlich interessierten Besuchern ist die Konfession zweitrangig.

2. Pilgern als spiritueller Weg nach Innen 

Zu Fuß, auf dem Mountainbike oder auf dem Pferderücken geht es Richtung Santiago. Studenten, Berufstätige, Pensionisten, Frauen aller Altersschichten schinden sich Wegetappe für Wegetappe. Und es werden immer mehr. "Der Camino ist überlaufen“ und "Santiago ist einfach nur laut" klagen die echten Pilger. Am Wallfahrtsziel treffen sie zusammen mit unzähligen Fremden, die mit Bussen oder Flugzeugen zum Grab des Apostels angereist sind. "Die Destination Santiago boomt", so die Insider des Bayerischen Pilgerbüros aus der Touristikbranche. Für den wahrten Jakobspilger ist der Weg das Ziel. Glaube und Konfession scheinen eher unwichtig. Eine Pilgerin notiert in ihrem Tagebuch:

"Ich gehe auf den Jakobsweg,

um Gott selbst zu erfahren...
weil alle andern Pfade nicht
die wahren Wege waren."

"Und ich will endlich unterwegs
mein Ich, mich selber finden...
denn wo und was ich auch gesucht,
es war nicht zu ergründen."

So macht euch auf, geht einfach mit
und lernt auf Pilgerwegen:

"Wer in die eigne Seele blickt,
dem kommt Gott selbst entgegen...            (Elisabeth Alferink)

3. Pilgern als spiritueller Weg zur Solidarität mit Mensch und Umwelt

"Unsere Wallfahrt ist eine Demonstration für die Solidarität mit den Armen in der Dritten Welt", so äußerte sich eine Teilnehmerin an der Hungertuchwallfahrt 1997 vor einer Schulklasse. Sie wolle auf den Hunger in der Welt aufmerksam machen und natürlich auch das kirchliche Hilfswerk ‚Misereor’ vorstellen. "Uns bringt das natürlich auch etwas...", fügte sie an. Man könne bei dieser einwöchigen Wanderung hervorragend abschalten vom Alltagstrott.

Seit 1986 ist die Hungertuchwallfahrt der Fastenaktion des kirchlichen Hilfswerk "Misereor" vorgeschaltet. Bis zum ersten Fastensonntag wird das jeweils neu gestaltete Transparent von Wallfahrern in Tag- und Nachtmärschen und bei Wind und Wetter binnen einer Woche vom letztjährigen Veranstaltungsort zur Eröffnungsfeier in eine andere Bischofsstadt befördert. Kleine Gruppen von Wallfahrern tragen das Hungertuch und übergeben es nach einigen Stunden in einer Art Staffellauf an die Nächste. Meist findet die Übergabe mit Gebet und Gesang im Beisein örtlicher Gemeindevertreter in einer Kirche entlang der Route statt. Bei größeren Distanzen fährt die Wallfahrergruppe zwischendurch mit dem Kleinbus, um im Zeitplan zu bleiben. Unterwegs wird gesungen, gebetet und meditiert. Das Hungertuch, häufig von einem Künstler der Dritten Welt zum Jahresthema der Fastenaktion entworfen, bietet den Diskussionsstoff. Die Gemeinden am Weg nehmen die Hungertuchwallfahrer voller Gastfreundschaft auf, feiern Andachten und Gottesdienste miteinander, führen Gespräche über die Problematik. Wallfahrt fungiert hier anstelle von Bildungsarbeit und provoziert einen Bewusstseinswandel. Viele Gemeindemitglieder schließen sich spontan den Hungertuchwallfahrern an und gehen ein Stück des Weges mit ihnen. Die Hungertücher schmücken auch zahlreiche evangelische Gotteshäuser und Gemeindezentren.

4. Pilgern als spiritueller Weg zu einem Event. 

Beim ökumenischen Kirchentag in Berlin gab es zahlreiche Stände, die über verschiedene Pilgerinitiativen informierten. Von zahlreichen Besuchern umlagert waren vor allem die Jakobusgesellschaften. Überhaupt zeigten sie ein großes Interesse an den Pilgerwegen, ihre Beachtung fanden weniger die Wallfahrtsorte.

Der Pilgergedanke bildete den thematischen Schwerpunkt im geistlichen Zentrum. Im Programmheft konnte man nachlesen: "Das Pilgern ist bis heute Ausdrucksform des christlichen Glaubens, die in allen Kirchen beheimatet ist". Zu den Angeboten gehörten Pilgergebete zu festgesetzten Zeiten, Kurzvorträge von Pilgergruppen und Wallfahrtsorten, Möglichkeiten zum Gespräch mit Mitgliedern von Pilgergruppen und Vertretern von Wallfahrtsorten, Infostände über Wallfahrts- und Pilgerinitiativen und eine Ausstellung über den Jakobsweg, Möglichkeiten zur Fußwaschung und Erholung in der Pilgerherberge.

Auch ein gemeinsamer Pilgerweg durch die Stadt Berlin unter der Überschrift „Geh deinen Weg und sei ganz“ fand sich unter den geistlichen Angeboten.

Von einzelnen Orten hatten sich Pilger zu Fuß auf dem Weg zum ökumenischen Kirchentag gemacht. Ihre Zielsetzung: "Sie wollen Osten und Westen von Mensch zu Mensch verbinden und Europa eine lebendige Gestalt geben". In Berlin angekommen veranstalteten sie ein "Liturgisches Fest zur Pilgerschaft" mit den Elementen: „ankommen – singen – erzählen – beten – segnen". Zu diesem Fest wurden bewusst auch Nichtpilger eingeladen.

Protestantische Tradition oder Pilgern im Alltag

Der evangelische Pfarrer Paul Geisendörfer fasst noch einmal, von den Reformatoren und ihrer Kritik am Wallfahrtswesen ausgehend, grundsätzliche Überlegungen zum Pilgergedanken zusammen: "Im evangelischen Bereich galt immer die Richtlinie: Christliche Wallfahrt findet zu Hause statt, besteht im Halten der Gebote, im Lesen der Heiligen Schrift. Es ist immer der Weg nach innen zu sich selbst. Aber auch der Weg nach außen zum Kranken nebenan, zu dem, der Trost und Hilfe braucht in meiner nächsten Umgebung, zu meinen Nachbarn, zu Eltern und Kindern, zu meiner Verwandtschaft – das ist mein Pilgerweg und da merken wir auf einmal, wie schwierig er ist. Man pilgert oft leichter zu einem fernen Ort als zu den Menschen in meiner nächsten Umgebung".

 

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