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 Pontifical Council for the Pastoral Care of Migrants and Itinerant People

People on the Move

N° 97 (Suppl.), April 2005 

 

Der Ökumenismus der Heiligkeit

(Erfahrungen  aus Trondheim/Nidaros) 

 

S.Exz. Msgr. Georg MÜLLER

Bischofsprälat von Trondheim, Norwegen

 

Die ökumenische Erfahrung der Wallfahrt in Trondheim heute um das Fest des heiligen Olav mit dem Nidarosdom und Stiklestad, dem Ort des Todes des heiligen Olav, ist eingebettet in einen historischen Zusammenhang. Diesen Zusammenhang möchte ich zunächst kurz darstellen, bevor ich auf die Durchführung der Wallfahrt eingehe und eine Schlussfolgerung ziehe.

1. Der geschichtliche Hintergrund

1.1. Die Olavsverehrung im Mittelalter

Die Geschichte der katholischen Kirche in Norwegen geht zurück in die Zeit der Staatsbildung um 900. Christliche Könige gab es ab 930, aber erst nach dem Tode Königs Olav des Heiligen 1030 kann man von Norwegen als einer christlichen Nation reden. Der heilige Olav vollendete die Christianisierung mit Hilfe englischer Glaubensboten und führte eine christliche Gesetzgebung ein. Die heidnischen Gegner vertrieben den König im Jahre 1028 mit Hilfe des dänischen Königs Knut. Beim Versuch, sein Land wieder zu gewinnen, fiel Olav am 29.07.1030 im Kampf bei Stiklestad. Die Niederlage für ihn wurde zum Sieg, da das Volk sich nach seinem Tod einte und die Sieger die Heiligkeit des Getöteten bezeugten.

Im folgenden wurden seine Gebeine zunächst in der Klemenskirche in Trondheim beigesetzt, dann an den Ort der heutigen Ruhestätte überführt. Ein Jahr nach dem Tod des Heiligen wurden dessen Gebeine zur Ehre der Altäre erhoben. Die Unverwestheit seines Körpers und zahlreiche Wunderberichte über Heilungen auf seine Fürsprache hin trugen dazu bei. Erzbischof Øystein Erlendsson (+1188) erbaute den neuen gotischen Dom über dem Grab des heiligen Olav. Der Schrein des heiligen Olav wurde das Ziel unzähliger Pilger im Mittelalter. Sie kommen zum Grab des „rex perpetuus Norvegiae“.

Die norwegische Kirchenprovinz, die sich über den ganzen Norden Europas und Grönlands erstreckte, wurde 1153 durch Kardinal Nikolaus Breakespeare mit dem Sitz des Erzbischofs in Nidaros (Trondheim) errichtet. Im Hochmittelalter erlebte sowohl die Kirche als auch das Land eine Blütezeit. In dieser Periode gab es zahlreiche Klostergründungen. Literatur, Volkslieder, Kunst und Architektur bezeugen die starke Position der Kirche im Volk. Der nationale Niedergang Norwegens im Spätmittelalter hat auch die Kirche beeinträchtigt, doch kam es zu keinem nennenswerten allgemeinen religiösen Verfall.

1.2. Die Auswirkung der Reformation

1537 wurde die lutherische Lehre auf Befehl des Königs in Kopenhagen eingeführt und der Erzbischof des Landes vertrieben. Das Volk war auf die Reformation unvorbereitet. Noch lange Zeit wirkten katholische Priester im Verborgenen, und kleine katholische Gruppen gab es bis etwa 1700. Es war unter Androhung der Todesstrafe verboten, katholisch zu sein. Der Schrein des heiligen Olav wurde aus der Kathedrale entfernt und in Kopenhagen eingeschmolzen. Über den Verbleib der Gebeine des Heiligen gibt es heute keine sicheren Erkenntnisse.

1.3. Der katholische Neubeginn im 19. Jahrhundert

Um 1790 gab es in Christiania (Oslo) kurze Zeit eine katholische Gemeinde, und 1843 erlaubte der König dort die Errichtung der Pfarrei St. Olav. Bald wurden Missionen in Alta (Finnmark), Tromsø sowie in Bergen errichtet. Damit konnte die katholische Kirche in Norwegen wieder Fuss fassen. 1843 waren alle Katholiken Ausländer, und bis nach dem 2. Weltkrieg haben viele Norweger den Katholizismus als etwas Fremdes empfunden. Der Einsatz der Ordensschwestern in Spitälern und Schulen samt der klaren Haltung der Kirche gegen den Nationalsozialismus während des Krieges trugen sehr viel dazu bei, die antikatholische Haltung abzubauen. (Auch katholische Schriftsteller wie Sigrid Undset haben dazu beigetragen.)

Ende des 19. Jahrhunderts beginnt man im Zuge einer nationalen Bewegung, die 1905 zur Auflösung der Union mit Schweden führt, mit dem Wiederaufbau des zerstörten Westteiles des Nidarosdoms. Auch Stiklestad rückt in den Blickpunkt des Interesses, aus dem Jahre 1916 wird die erste Wallfahrt von Katholiken nach Stiklestad berichtet.

2. Das Hervorwachsen der heutigen Situation

2.1. Die Olavsfeier und die Ökumene

Erster Höhepunkt bei der Wiederentdeckung der Bedeutung Stiklestads und damit des heiligen Olav ist die 900-Jahrfeier des Todes des heiligen Olav im Jahre 1930. Auch die lutherische Staatskirche markiert dieses Fest. Für die katholische Kirche in Trondheim wird in diesem Jahr die Hierarchie wiedererichtet. (Kirchlicher Distrikt sui iuris). Mit dem Bau der katholischen Kapelle in Stiklestad 1930 setzt man ein Zeichen der Wertschätzung für diesen Ort. Jährlich führt die katholische Gemeinde Wallfahrten zu diesem Ort durch.

Das Jahr 1953 schlägt eine neue Seite der Olavsverehrung und der Wallfahrten auf. Man feiert das 800jährige Jubiläum der Errichtung des Erzbischofssitzes in Trondheim. Sowohl die katholische Kirche als auch die evangelisch-lutherische Staatskirche feiern das Jubiläum, aber getrennt. Allerdings ist der lutherische Bischof beim katholischen Pontifikalamt in der Aula der Technischen Hochschule anwesend. Kard. Griffin aus London ist päpstlicher Legat und Ehrengast der katholischen Kirche. Die katholische Kirche erhält im Jahr 1953 ihren ersten Bischof in Trondheim nach der Reformation.

Im Jahre 1980 wird in Trondheim der 950. Jahrestag des Todes des heiligen Olavs gefeiert. Diese Feier ist sehr lokal geprägt. In Stiklestad fand ein Studienseminar statt, bei dem sowohl katholische als auch lutherische Persönlichkeiten Vorträge über die Bedeutung des christlichen Glaubens für Kirche und Volk in Norwegen halten. Zum ersten Mal seit der Reformation hält der katholische Bischof die Predigt während eines Gottesdienstes im Nidarosdom. Die Predigt gerät in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses dadurch, dass der König seine Anwesenheit bei diesem Gottesdienst ankündigt.

2.2. Bedeutsame Ereignisse und Jubiläumsfeiern in Trondheim

Von besonderer Bedeutung für die ökumenische Entwicklung in Trondheim war der Besuch von Papst Johannes Paul II in Trondheim am 02.06.1989. In Zusammenarbeit mit dem lutherischen Bischof konnten wir einen ökumenischen Gottesdienst im Nidarosdom vorbereiten, der im Fernsehen direkt übertragen wurde. Bei diesem Gottesdienst begrüsste der lutherische Bischof den Papst in bemerkenswerter Weise. Er sprach davon, dass bei der Flucht des letzten Erzbischofs von Trondheim bei der Reformation nicht nur zahlreiche Kunstschätze verloren gegangen, sondern auch die geschwisterliche Gemeinschaft zerbrochen sei. Und jetzt sind wir wieder für einige Stunden zusammen, sagte er. Der Papst antwortete mit einer Umarmung und mit den Worten: „Mein Bruder“. Der Besuch des Papstes hat in der norwegischen Bevölkerung das Fenster geöffnet für ein vertieftes gegenseitiges Verständnis zwischen der lutherischen und katholischen Kirche, das sich nicht mehr nur an den Vorurteilen orientiert.

Als die katholische Kirche im Jahre 1993 das 150jährige Jubiläum ihrer Wiedererichtung in Norwegen feierte, fand die Hauptfeier wieder am Olavsfest in Trondheim statt. Unter den Gästen waren die Mitglieder der Nordischen Bischofskonferenz und Bischöfe aus den angrenzenden Bistümern im Norden. Der Hauptgottesdienst war die Eucharistiefeier im Nidarosdom, zu der wir zum ersten Mal seit der Reformation die Erlaubnis erhalten hatten. Seit diesem Jahr feiern wir jedes Jahr die heilige Messe im Nidarosdom, zunächst am Nachmittag und seit 1995 am Morgen. Am Nachmittag feiern wir seither einen ökumenischen Gottesdienst, an dem neben der lutherischen Kirche auch andere freikirchliche Gemeinschaften teilnehmen.

Im Jahre 1997, als die 1000-Jahrfeier der Gründung der Stadt Trondheim gefeiert wurde, fand die Hauptfeier auch am Olavsfest statt. Kardinal Cassidy, damaliger Präsident des Päpstlichen Rates für die Einheit der Christen, war anwesend und hielt die Predigt im ökumenischen Gottesdienst auf dem Platz vor dem Nidarosdom. Zur Vorbereitung für dieses Jubiläum gehörte auch die Suche nach den alten Pilgerwegen und deren Markierung. Viele Personen innerhalb und ausserhalb der Kirche beteiligten sich an diesen Arbeiten. Man wollte das Unterwegssein im Glauben in Verbindung mit der Wallfahrt nach Trondheim neu erfahrbar machen. Seit dieser Zeit gibt es in der lutherischen Diözese Priester, die die Betreuung von Pilgern zur Hauptaufgabe haben.

Und im vergangenen Jahr feierten wir in Trondheim das 850jährige Jubiläum der Errichtung des Erzbischofssitzes in Trondheim. Die Einladung, die vom katholischen und lutherischen Bischof in Trondheim ausging, richtete sich an katholische, lutherische, anglikanische Bischöfe und Kirchenvertreter aus dem Bereich der ehemaligen Kirchenprovinz Nidaros. Über 100 Gäste folgten der Einladung. Aus Rom kam Kardinal Kasper vom Päpstlichen Rat für die Einheit der Christen, der die Predigt beim Hauptgottesdienst im Nidarosdom hielt.

3. Die Gestaltung der Olavsfeier heute

Wie gestaltet sich die Olavsfeier heute? In den Tagen um das Fest des heiligen Olav (29. Juli) und dem nächstgelegenen Sonntag findet in Trondheim eine 10tägige Veranstaltung statt: die Olavsfesttage. Es sind Tage mit kulturellen Veranstaltungen, Konzerten, Freilufttheater mit historischen Themen, historischer Jahrmarkt, Angebote für Kinder... usw. Die kirchlichen Feiern werden im Programmheft der Olavsfesttage veröffentlicht. Zur Eröffnungsveranstaltung werden kirchliche Vertreter, auch die katholische Kirche, eingeladen.

Die Olavsfeiern in der lutherischen Kirche bestehen aus vielerlei Gebetsgottesdiensten, insbesondere aus einer Sternwallfahrt aus allen Gemeinden Trondheim zum Nidarosdom am Vorabend des Festes. Zu diesem Vigilgottesdienst, der sich durch die ganze Nacht erstreckt, kommen auch andere Gruppen zu Fuss. Am Olavstage feiert die luthersiche Gemeinde Hochamt als Hauptgottesdienst.

In der katholischen Kirche wird das Olavsfest eröffnet mit der I. Vesper in der St. Olav Kirche und mit der Frühmesse am 29. im Nidarosdom. Am Tage und an den Tagen bis zum nächstgelegenen Sonntag ist in der St. Olavkirche von 11-13Uhr stille Anbetung und Beichtgelegenheit. Zu dem Fest lädt der katholische Bischof jedes Jahr auch den einen oder anderen Mitbruder aus dem Ausland ein.

Am Sonntag unternimmt die katholische Gemeinde eine Wallfahrt nach Stiklestad, wo am frühen Nachmittag in der katholischen St. Olav Kapelle das Festhochamt stattfindet. Neben den örtlichen Katholiken nehmen viele Touristen und auch Mitglieder anderer Kirchen teil. Anschliessend besuchen die Wallfahrer das „Spiel über den heiligen Olav“, ein Freilufttheater, das den letzten Tag des Heiligen vor der Schlacht darstellt. 

Neben den Gottesdiensten in Regie der jeweiligen Kirche, die für alle offen sind (ausser der Abendmahlgemeinschaft) findet am Nachmittag des Olavsfestes ein ökumenischer Vespergottesdienst statt, meistens vorbereitet unter der Federführung der lutherischen Kirche und mit Inhalten aus dem Gebetsschatz anderer Kirchen.

4. Schlussfolgerung

Die Geschichte der ökumenischen Entwicklung, wie sie oben dargestellt ist, zeigt dass in Norwegen und in Trondheim im besonderen die Geschichte verknüpft ist mit einem Namen: dem heiligen Olav. Nicht nur für das Mittelalter ist er eine entscheidende Figur, sondern auch für Kirchengeschichte in neuerer Zeit. Die Entwicklung in der Ökumene ist verknüpft mit den Jubiläumsfeiern des Heiligen, der Kirchenprovinz und mit dem Phänomen der Wallfahrten. Die lutherische Kirche hat sich mehr und mehr für die Feier des Heiligen geöffnet, wenn auch die Feier theologisch in ihren Konsequenzen kaum bedacht wird.

Auch wenn es nicht thematisiert wird, gibt es verschiedene Auffassungen über die Heiligen und wie wir uns in der Liturgie ihnen gegenüber verhalten. Das Fürbittgebet der Heiligen stösst bei den Lutheranern auf Kritik. Ein an den Heiligen gerichtetes Gebet in einem ökumenischen Gottesdienst stösst auf Unverständnis, auch wenn es von einem Katholiken vorgetragen wird. Hier ist Fingerspitzengefühl erfordert. Den Unterschied im Wallfahrtsverständnis der lutherischen und katholischen Kirche zeigt auf einfache Weise folgendes Zitat des lutherischen Wallfahrtspfarrers in Trondheim:„Selbstverständlich ist es nicht notwendig zu Fuss zu gehen. Aber wie schön ist es, zu gehen! Ausserdem ist es so biblisch! Überall in der Bibel findest du Leute, die wandern. In diesem Buch geschieht nicht viel drinnen im Haus. Im katholischen Zusammenhang ist man oft mehr mit dem Ziel beschäftigt als mit dem Weg dorthin. Die meisten von uns Lutheranern erfahren eine begrenzte Freude, wenn sie an Heiligengräbern oder Ähnlichem beten“[1].

Die Erfahrung zeigt, dass die Menschen im Allgemeinen der ökumenischen Feier des Festes positiv gegenüberstehen. Eine getrennte Feier wird als Skandal aufgefasst. Und im Rahmen einer gemeinsamen ökumenischen Feier geschieht Verkündigung und Evangelisierung. Freilich sind wir nicht ganz eins im Glauben. Und daher sind der konkreten Form der Feiern Grenzen gesetzt, zum Beispiel bezüglich der Interkommunion. Doch gemeinsam das tun, was wir können, ist wichtig.

Aber auch dabei ist es oft nicht leicht, in rechter Weise aufeinander zuzugehen. Die Majoritätskirche verhält sich oft unbedacht gegenüber den kleinen Kirchen. Sie legt den Rahmen von Gottesdiensten fest, ohne sich des Einverständnisses der kleinen Kirche zu vergewissern. Oder sie streicht einen viele Jahre bewährten ökumenischen Gottesdienst aus dem Programm ohne vorherigen Kontakt mit den anderen. Dann ist einfach Kreativität gefordert, die Initiative zu ergreifen für eine eigene Einladung für einen ökumenischen Gottesdienst. Dabei haben wir in der katholischen Kirche den Vorteil, dass wir auf eine geordnete und strukturierte Feier der Liturgie zurückgreifen können. Das Pulver muss nicht jedes mal neu erfunden werden.

Alles in allem erweist sich der heilige Olav in Geschichte und Wirkungsgeschichte als die einigende Kraft in Norwegen, bis auf den heutigen Tag. Wenn aus der Schlacht von Stiklestad durch den Tod des Heiligen das Wunder der Einheit des Volkes hervorging, die bis heute nicht wieder verloren wurde, warum sollte dann der heilige Olav aus seiner Gegenwart bei Gott her nicht zur Einheit der Christen in Norwegen und damit zu Evangelisierung in unserem Land beitragen? Es ist meine feste Überzeugung, dass wir hier einen mächtigen Fürsprecher haben, der seinem Volk und den Kirchen in seinem Land auch heute in liebe- und hingebungsvoller Weise beisteht.

5. Gebet

Heiliger Olav,

König von Norwegen für alle Zeiten,

du hast den christlichen Glauben im Lande

gefestigt und Gesetze im Geiste Jesu gegeben.

Dein Tod in Stiklestad hat das norwegische Volk geeint.

Die Grösse des allmächtigen Gottes erwies

sich in Deinem Leben.

 

Jahrhunderte hindurch warst du für ganz Norwegen

Zuflucht und Helfer in der Not.

Vielen Menschen warst Du Ratgeber

und Begleiter durch das Leben.

 

Wir bitten Dich, zeige Dich auch heute als unser Helfer.

Sei uns Vorbild auf unserem Weg durch das Leben.

Zeige uns, wie wir uns mit ganzem Herzen für Christus entscheiden

und eine Gesellschaft mitgestalten können,

in deren Mittelpunkt Gott steht.

 

Heiliger Olav, bitte für uns beim Herrn,

der lebt und herrscht von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Amen.



[1]Rolf Synnes, Wallfahrtspfarrer in Nidaros, in VårtLand am 19.07.04

 

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