Pontifical Council for the Pastoral Care of Migrants and Itinerant People People on the MoveN° 99, December 2005
Seelsorge für Katholiken anderer Muttersprache Erfahrungsaustausch und Entwicklungsperspektiven*
S.Exz. Msgr. Joseph Voβ Vorsitzender der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz
1. Am 13.03.2003 wurden durch die Vollversammlung Leitlinien für die Seelsorge an Katholiken anderer Muttersprache (LL) verabschiedet, die das Konzept der Ausländerseelsorge auf die Grundlage der veränderten Situation der Migranten in Deutschland einstellen. Die Vollversammlung hat den Diözesen empfohlen, diese Leitlinien künftig für die Gestaltung der diözesanen Ausländerseelsorge zugrunde zu legen (Prot. Nr.28). 2. Unter dem Datum vom 01.05.2004 hat der Päpstliche Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs die Instruktion Erga migrantes caritas Christi" (EMCC) veröffentlicht, welche die Migrantenseelsorge unter Berücksichtigung der neuen Migrationsströme und ihrer Besonderheit der heutigen Situation anpassen und die immer aktuelle Bedeutung einer spezifischen Seelsorge für die Migranten in Erinnerung rufen möchte (Vorwort). 3. Beide Dokumente betonen, dass die Seelsorge für die Migranten kein Randbereich der Pastoral ist, sondern wesentlich zur ordentlichen Seelsorge gehört. Da Migration in unserer Zeit ein Dauerphänomen geworden ist, muss Migrantenseelsorge als Daueraufgabe betrachtet und gesichert werden. Dies wird auch durch die Tatsache unterstrichen, dass in Deutschland immer neue Migranten der 1. Generation (jährlicher Austausch: 0,3 0,5 Mio. Katholiken) einwandern und außerdem ca. 500.000 Katholiken ohne gültige Aufenthaltspapiere (Illegale) hier leben. Sie alle brauchen die muttersprachlichen Gemeinden als Anlaufstelle für ihre religiösen und sozialen Anliegen. 4. Aufgrund dieser Daueraufgabe ist die klassische Organisationsform der Migrantenseelsorge die missiones cum cura animarum kein Übergangsmodell bis zu einem irgendwann zu vermutenden Abschluss des Integrationsprozesses. Sie wird auch in Zukunftvor allem in den Ballungszentren notwendig bleiben. Allerdings müssen unter den veränderten Bedingungen der Pastoral und im Blick auf die anstehenden Umstrukturierungen in den Bistümern neue Kooperationsmodelle zwischen Pfarrei und muttersprachlicher Gemeinde entwickelt und realisiert werden, die auch der jeweiligen diözesanen Situation angepasst sind (vgl. EMCC Nr.91- 95 und LLS. 32 ff). 5. Erzbischof Muszynski, Mitvorsitzender der Kontaktgruppe der Deutschen und der Polnischen Bischofskonferenz, hat am 18.01.2005 anlässlich der Jahrestagung der Ausländerseelsorge nachdrücklich darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Seelsorge für polnische Katholiken in Deutschland eigene, von den Vorsitzenden der beiden Bischofskonferenzen am 17.09.2001 unterzeichnete Richtlinien vorliegen, die nun ihre Bewährungsprobe bestehen müssen. Für den Bereich der Seelsorge an den Unierten (Ukrainer der Apostolischen Exarchie München) liegt eine Pastoral- und Personalstellenplanung vor, die von der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 26.09.2002 zustimmend zur Kenntnis genommen und deren Berücksichtigung den (Erz-)Diözesen empfohlen wurde. 6. Es ist selbstverständlich, dass bei den in den Diözesen anstehenden Sparmaßnahmen und Umstrukturierungen die Ausländerseelsorge nicht ausgenommen werden kann. Es herrscht allerdings bei den muttersprachlichen Katholiken die ausgeprägte Sorge vor, dass sie bei der Artikulierung ihrer Bedürfnisse und Erwartungen nur eine sehr schwache Position einnehmen und allzu schnell als willkommene Manövriermasse betrachtet werden.Sie haben vielfach den Eindruck gewonnen, dass in ihrem Bereich überproportional gekürzt wird. Dies empfinden sie im Hinblick auf ihre bisher erbrachte Seelsorge- und Integrationsleistung als ungerecht. 7. Auch die muttersprachlichen Katholiken der zahlenmäßig kleineren Sprachgruppen brauchen nach wie vor eine spezifische Seelsorge, die auch weiterhin durch eigene Gemeinden und Anlaufstellen gesichert werden muss. Unter dem dringenden Sparzwang scheint ihr Bestehen am meisten gefährdet. 8. Es wird empfohlen, dass bei notwendig werdenden Änderungen und Finanzkürzungen im Bereich der muttersprachlichen Gemeinden zuvor das Gespräch mit den Delegaten und Sprechern der betroffenen Sprachgruppen gesucht wird, um möglichst zu einvernehmlichen Lösungen zu kommen. Auch sollte vor dem etwaigen Rückzug einer Diözese aus der Finanzierung von muttersprachlichen Gemeinden, die von mehreren Bistümern unterstützt werden, die Absprache mit dem jeweils federführenden Bistum gesucht werden. 9. Die Schließung einer muttersprachlichen Gemeinde kann bei allem Spardruck immer nur die ultima ratio sein. Es sollten zuvor alle anderen Einsparungsmaßnahmen und Kooperationsmodelle geprüft werden.Wenn die Schließung dennoch notwendig wird, sollten die betroffenen muttersprachlichen Katholiken wie auch die deutschen Ortsgemeinden rechtzeitig vorbereitet sein und Vereinbarungen darüber getroffen werden, wie die mutter-sprachlichen Katholiken weiterhin gewisse Eigenaktivitäten (eigene Bibel- oder Gebetskreise, eigene religiöse Sing- und Brauchtumsgruppen etc.) entfalten und im Leben der deutschen Ortsgemeinde mit eigenen Angeboten berücksichtigt werden können. 10. Der Vorsitzende der Migrationskommission hat die Delegaten und Sprecher der muttersprachlichen Gemeinden beauftragt, zusammen mit dem Nationaldirektor für die Ausländerseelsorge und den diözesanen Ausländerreferenten ein Planungsraster mit Blick auf das Jahr 2020 zu entwickeln. Darin sollen je nach Sprachgruppe die Zahl der aufgrund ihres Alters ausscheidenden Missionare (75 Jahre) und pastoralen Mitarbeiter (65Jahre) und die entsprechenden Nachfolgeerfordernisse aufgeführt werden. Daneben sollen auch (unbeschadet der Zuständigkeit und Planungshoheit der jeweiligenDiözesen) mögliche Prioritäten für das Weiterbestehen von muttersprachlichen Gemeinden aufgezeigt werden- insbesondere im Hinblick auf die Fragestellung, welche Missionen auf Dauer mit Stellen besetzt bleiben müssen. 11. Der Vorsitzende der Migrationskommission legt eine ausführliche Argumentationshilfe vor, die Perspektiven für eine Weiterentwicklung der Seelsorge für Katholiken anderer Muttersprache angesichts von Umstrukturierungs- und Einsparerfordernissen in den Diözesen skizziert. Dabei wird vor allem auf neue Modelle der Kooperation zwischen Pfarreien und muttersprachlichen Gemeinden eingegangen (Anlage). Beschlussvorschlag: Die Vollversammlung berät über die Perspektiven der Seelsorge für Katholiken anderer Muttersprache. Der Vorsitzende der Migrationskommission (XIV),Weihbischof Dr.Voß (Münster), stellt eine Argumentationshilfe (Eine Kirche in vielen Sprachen und Völkern) vor, in der Möglichkeiten der Weiterentwicklung beschrieben sind. Neue Modelle der Kooperation von Pfarreien und muttersprachlichen Gemeinden sollen der Aufrechterhaltung fremdsprachiger Pastoral unter erschwerten Bedingungen dienen. Die Vollversammlung empfiehlt den Diözesen, diese Vorschläge zu prüfen und sie angepasst an die unterschiedlichen Situationen in den Bistümern in ihrer Pastoralplanung zu berücksichtigen. Bei Änderungen und notwendig werdenden finanziellen Kürzungen im Bereich der muttersprachlichen Seelsorge sollen zuvor Gespräche mit den Delegaten und Sprechern betroffener Sprachgruppen geführt werdеn. DieVollversammlung empfiehlt darüberhinaus, dass vor dem etwaigen Rückzug einer Diözese aus der Finanzierung von muttersprachlichen Gemeinden, die von mehreren Bistümern gemeinsam unterstützt werden, die Absprache mit dem jeweiligen Belegenheitsbistum gesucht wird. Eine Kirche in vielen Sprachen und Völkern Weiterentwicklung der Seelsorge für Katholiken anderer Muttersprache trotz erforderlicher Umstrukturierungen in der Pastoral, beim Personal, in der Finanzierung
Eine Argumentationshilfe der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz
Inhaltsverzeichnis
A) Migration eine der großen Herausforderungen unserer Zeit
B) Katholiken anderer Muttersprache in Deutschland Zahlen, Daten, Fakten C) Weitere theologisch-pastorale Überlegungen
D) Möglichkeiten der Weiterentwicklung
E) Alternativen zu den rigorosen Sparmaßnahmen bei den muttersprachlichen
4. Das Rottenburg-Stuttgarter Modell Alle Diözesen wenn auch in unterschiedlicher Weise stehen vor der Notwendigkeit, die Strukturen in der Seelsorge auf die veränderten Bedingungen auszurichten und sie dadurch zukunftsfähig zu machen. Der Rückgang des Kirchensteueraufkommens bringt dabei die Diözesen empfindlich unter Druck. Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass angesichts der notwendigen Umstrukturierungsbemühungen die Position der Seelsorge für Katholiken anderer Muttersprache (Ausländerseelsorge) in manchen Diözesen relativ schwach erscheint und sogar zunehmend zur Disposition gestellt wird bis dahin, dass sie als verzichtbare Sonderseelsorge aufgelöst bzw. als integriert erklärt wird. Solche radikalen Schritte würden der pastoralen Situation indes nicht gerecht; sie widersprächen auch den Beschlüssen von Bistümern und Bischofskonferenz. Dass die diözesanen Restrukturierungs- und Sparmaßnahmen die Ausländerseelsorge einbeziehen müssen, steht außer Frage. Aber es gibt Alternativen zur ultima ratio. Dazu soll die vorliegende Argumentationshilfe Möglichkeiten aufzeigen. A) Migration eine der großen Herausforderungen unserer Zeit Die rasante Zunahme der Migration im Weltmaßstab ist zu einem der prägenden Merkmale der letzten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts und des nunmehr begonnenen 21. Jahrhunderts geworden. Noch immer sind es in erster Linie Bürgerkriege, zwischenstaatliche Kriege und Verletzungen der Menschenrechte, welche die großen Wanderungsprobleme nach dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst haben. Dazu kommt, dass die wirtschaftliche Expansion in manchen Ländern, der weltweite Bevölkerungszuwachs und die durch die immensen Möglichkeiten von Audiovision und Telekommunikation gegebene grenzüberschreitende Verfügbarkeit von Informationen Bedürfnisse nach einem gesicherten und besseren Leben wecken. Häufig zwingt die Globalisierung der Wirtschafts- und Finanzmärkte zur Arbeitsmigration. 1. Migrationsarbeit als Aufgabe für die Kirche Das Phänomen Migration ist nicht nur eine Herausforderung an Politik und Gesellschaft, sondern insbesondere auch an die Kirche, zumal viele Migranten Katholiken sind. Katholische Migrationsarbeit hat immer eine doppelte Aufgabe zu erfüllen: eine diakonisch-advokatorische und eine seelsorglich-missionarische.
In der Errichtung ausländischer Missionen, die inzwischen in den meisten Diözesen muttersprachliche Gemeinden genannt werden, sowie in der großzügigen Unterstützung von Migrationsberatungsstellen der Caritas oder anderer kirchlicher Verbände und Initiativen hat die Katholische Kirche in Deutschland stärker und früher als der Staat und andere gesellschaftliche Kräfte in den letzten 50 Jahren hervorragende Pionierarbeit geleistet, die es auch unter erschwerten Bedingungen fortzusetzen und weiterzuentwickeln gilt. Wegweisung dabei sind die Instruktion des Päpstlichen Rates für die Seelsorge der Migranten und Menschen unterwegs Erga migrantes caritas Christi (EMCC) vom 01.05.2004 (vor allem die Nummern 24, 26, 49, 50, 51 + Art. 16) und die Leitlinien für die Seelsorge an Katholiken anderer Muttersprache (LL) der Deutschen Bischofskonferenz (vor allem die Seiten 31 39). Sie legen u. a. eindringlich dar, dass die besondere Seelsorge für die Migranten kein Randbereich der Pastoral ist, den man je nach Situation oder Belieben auch entfallen lassen könnte, sondern wesentlich zur Ordentlichen Seelsorge gehört. 2. Entwicklungen und Veränderungen bei den muttersprachlichen Gemeinden In den muttersprachlichen Gemeinden haben sich im Verlauf der letzten Jahrzehnte verschiedene Veränderungen ergeben: Neben den Migranten der 1. Generation, für die trotz andersartiger Ausgangsüberlegungen die Migration faktisch zu einer Lebensentscheidung wurde und die mit ihren Familienangehörigen nach wie vor einen gewissen Stamm der muttersprachlichen Gemeinden bilden, haben sich inzwischen vielfältige beweglichere Biografien ausgeprägt: EU-Bürger profitieren von den Möglichkeiten der Freizügigkeit und Flexibilität, die sich bei den muttersprachlichen Gemeinden in einem zunehmenden Wechsel der Zusammensetzung auswirkt. Regelmäßig kommen auch Zuwanderer der 1. Generation und Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus (Illegale) hinzu, die besonderer pastoraler und sozialer Betreuung bedürfen. Außerdem fühlen sich auch eine ganze Reihe von Spätaussiedlern aus Mittel-/OstEuropa den entsprechenden muttersprachlichen Gemeinden verbunden und schließen sich eher ihnen als den deutschen Ortsgemeinden an. Eine besondere Herausforderung sowohl für die muttersprachlichen wie für die deutschen Gemeinden stellen zunehmend die Migranten der 2. und 3. Generation dar, die häufig gleichsam wie Wanderer zwischen den Kulturen eine Art Mischidentität ausgeprägt haben. Auch die sozialen Schichtungen innerhalb der muttersprachlichen Gemeinden sind differenzierter geworden: Neben den einfachen Arbeitnehmern ohne anerkannte Qualifikation gibt es zunehmend auch hochqualifizierte Fachleute, die nur vorübergehend in Deutschland arbeiten. Junge Menschen kommen als Studenten hierher; im Gegenzug entdecken in Deutschland geborene Jugendliche zunehmend den Arbeitsmarkt der Herkunftsländer ihrer Eltern, wo sie ihre interkulturelle Kompetenz einbringen können. Binationale Ehen und Familien sind keine Seltenheit mehr, sie werden zunehmend als besondere Chance für den Erwerb von Zweisprachigkeit und interkultureller Kompetenz wahrgenommen. Menschen im Seniorenalter bilden in den muttersprachlichen Gemeinden eine Zielgruppe, die besondere pastorale Angebote braucht. Gerade an den Hochfesten des Kirchenjahres kommen eine ganze Reihe von zurückgekehrten Migranten zu ihren Kindern und Enkeln in Deutschland auf Besuch. Verstand sich der Missionar ursprünglich als Gesandter der Kirche seines Heimatlandes, der seine Landsleute sammeln und seelsorglich betreuen sollte, so entstand inzwischen weithin das Bewusstsein, Mitglied der Ortskirche zu sein mit dem Ziel, besondere Angebote für die jeweilige Sprachgruppe zu machen und die Kooperation mit den Ortsgemeinden zu fördern. Viele Missionare aus traditionellen Herkunftsländern sind alt geworden und finden nur schwer einen Nachfolger. Die muttersprachlichen Gemeinden verstehen sich inzwischen nicht mehr als Filialen der Kirchen der Herkunftsländer, sondern als Teil der Ortskirchen in Deutschland. Mit Dankbarkeit ist festzustellen, dass es viele gute Erfahrungen gelungenen Miteinanders von muttersprachlichen Gemeinden und Ortsgemeinden gibt. Leider gibt es jedoch auch Defizite im Zusammenwirken, die zu einem Nebeneinander geführt haben. Nach wie vor bilden Gottesdienste, Katechese und Jugendarbeit die Schwerpunkte der Pastoral in den muttersprachlichen Gemeinden, allerdings ist zunehmend wie in deutschen Ortsgemeinden auch eine gewisse Lockerung der Bindung zur Kirche zu bemerken. Die Erfordernisse der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft (Flexibilität, Mobilität, Schichtarbeit, ) erschweren bisweilen die gewohnten Formen des Gemeindelebens. Dennoch wird die Begleitung durch die Kirche an den besonderen Lebenswenden (Taufe, Erstkommunion, Firmung, Eheschließung, ) hochgeschätzt und ihre Präsenz in schwierigen Lebenskrisen (Krankheit, Not, Tod, ) als unersetzbar erwartet. Die muttersprachliche Gemeinde, die in der klassischen Form der missio cum cura animarum organisiert wird, wird nach wie vor gebraucht, muss sich allerdings der veränderten Situation der Menschen und den Erfordernissen der Kooperation in der Ortskirche stellen. Dieser Prozess müsste allerdings durch strukturelle Verbindlichkeiten angebahnt und begleitet werden und nicht nur vom guten Willen der Beteiligten abhängig sein. Die muttersprachlichen Gemeinden erlebten und erleben die vielfältigen Veränderungen in den Migrationsformen als Meistbetroffene hautnah mit. Sie stellen gleichzeitig fest, dass sich dadurch auch ihr Profil und ihre Aufgabenstellung weiterentwickelt haben. Nur ein paar Stichworte: Zuwanderungen aus Osteuropa und Lateinamerika; Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge; Asylsuchende; Kettenduldungen; illegale Migranten; Rotation und Pendelbewegung bei EU-Angehörigen; hochqualifizierte Migranten; neue mobile und transnationale Formen der Arbeitsmigration; Jugendliche, die besser Deutsch als ihre Muttersprache sprechen; Zunahme der Migranten, die im Alter nicht mehr in die Heimat zurückgehen; Zunahme der Wanderungsbewegungen infolge der Globalisierung in Forschung, Wirtschaft und Arbeitswelt u. v. a. m. Zunehmend werden die Mitglieder der muttersprachlichen Gemeinden aber auch durch die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Diskussionen um die Ausländer- und Zuwanderungsgesetzgebung verunsichert. Sie registrieren aufmerksam, wenn von der Überfremdung Deutschlands und von Ausländern, die den Deutschen nützen bzw. sie ausnützen, die Rede ist. Sie vertrauen darauf, dass die Kirche in diesem Diskussionsprozess deutlich ihre Stimme erhebt und die im Evangelium begründete Option für die Schwachen wahrnimmt. Und sie sind größtenteils auch gerne zu weitreichenden Anstrengungen für die Erreichung gesellschaftlicher Integration und Partizipation bereit, sofern dabei vonseiten der Gesellschaft in Deutschland nicht eine menschenunwürdige Aufgabe der eigenen ethnischen, kulturellen und religiösen Identität (= Assimilation) erwartet wird. Gleichzeitig mit diesen gesellschaftlichen Entwicklungen ist ein starker Einbruch bei den kirchlichen Ressourcen zu verzeichnen. Er macht sich bemerkbar
Es wäre fatal, wenn die deutschen Diözesen ihre vorbildliche Pionierarbeit im Bereich der Integration von Migranten durch vorschnelle, allein unter finanziellen Gesichtspunkten entschiedene ersatzlose Streichung von muttersprachlichen Gemeinden selbst zerstören würden. Entscheidende Zukunftsfrage wird vielmehr sein, ob die kommenden Jahre angesichts der Herausforderungen im kirchlichen wie im gesellschaftlichen Bereich wirklich zu Jahren des Miteinander werden. B) Katholiken anderer Muttersprache in Deutschland Zahlen, Daten, Fakten
Die Katholiken anderer Muttersprache sind keine Gäste in den jeweiligen Ortskirchen, sondern im Blick auf das Pfingstgeschehen (Apg 2) und nach Gal 3,28 gleichberechtigte Mitglieder durch Taufe und Firmung, die einen besonderen Seelsorgeauftrag begründen. Die muttersprachlichen Gemeinden leisten für ihre Landsleute den Dienst des Brückenschlags hin zu den Ortskirchen und ermöglichen zugleich den deutschen Katholiken die unmittelbare Erfahrung der Buntheit und Mannigfaltigkeit der Kirche. Letztlich repräsentiert der alltägliche Umgang aller miteinander die Universalität und Katholizität der einen Kirche Jesu Christi.
C) Weitere theologisch-pastorale Überlegungen 1. Was bedeutet eine Kirche in vielen Völkern und Sprachen?
2. Welche berechtigten Bedürfnisse haben Katholiken anderer Muttersprache?
3. Was oft gesagt wird: Die sind schon so lange da die müssen schon integriert sein.
D) Möglichkeiten der Weiterentwicklung 1. Flankierende Maßnahmen für bessere Kooperationen zwischen muttersprachlichen Gemeinden und Ortsgemeinden
Für die muttersprachliche Seite:
Für die deutsche Seite:
Für beide Seiten:
2. Welche Gefahren bestehen bei radikaler und unvorbereiteter Schließung von muttersprachlichen Gemeinden?
E) Alternativen zu rigorosen Sparmaßnahmen bzw. Schließungen von muttersprachlichen Gemeinden 1. Vorbemerkungen Es ist selbstverständlich, dass es angesichts der in allen deutschen Diözesen anstehenden Sparmaßnahmen keine grundsätzliche Ausnahme für die muttersprachlichen Gemeinden geben kann. Soweit erkennbar, ist dies allen muttersprachlichen Gemeinden bewusst, und es besteht auch die selbstverständliche Bereitschaft zum solidarischen Mittragen der Einsparungen. Originalton eines Delegaten: "Wir haben in den guten Zeiten von der Großzügigkeit der deutschen Kirche profitiert; es ist selbstverständlich, dass wir auch die weniger guten Zeiten solidarisch mittragen. Allerdings müssen die Einsparungen gerecht verteilt werden. Vor der Schließung stehen aber beispielsweise noch folgende Möglichkeiten offen:
Außerdem sollten auch folgende Forderungen der Leitlinien nicht übersehen werden:
2. Einsparungsmaßnahmen ohne Schließungen a) Zusammenlegung bzw. Kooperationen von Mission und Ortsgemeinde und damit bessere Ausnutzung der Ressourcen Personelle Einsparungen Verwaltungspersonal (Buchhaltung und Sekretariat) - hier ist aber eine höhere Sprachqualifizierung erforderlich (Deutsch und eine Fremdsprache). Pastorales Personal (Pfarrer, Pastoral- und Gemeindereferenten). Hierbei sind Einsparungen abhängig von der Gemeindegröße beider Einheiten. Mesner, Hausmeister und Organisten. Einsparungen bei Raumkosten Werden die Räumlichkeiten gemeinsam genutzt, können weitere Einsparungen erreicht werden. Die Nutzung muss aber nach klaren Absprachen erfolgen. Durch diese Zusammenlegung wird auch die Verantwortung zur Erhaltung von Kirche und Pfarrräumen erweitert und verbessert. Einsparungen bei Sachkosten Hier könnte an eine Deckelung bzw. Pauschalierung der Reisekosten (Kilometergeld) gedacht werden; ansonsten müssten Einzelprüfungen stattfinden. b) Ehrenamtlichkeit als Teilersatz für Hauptamtlichkeit Manche bisher hauptamtlich geleisteten Tätigkeiten aus den Bereichen Mesner, Organist, Chorleiter, Reinigungskräfte könnten wenigstens teilweise in ehrenamtliche Zuständigkeiten umgeschichtet werden. Dabei muss allerdings die Gleichbehandlung mit den Ortsgemeinden beachtet werden. c) Stellenplan Bei Planstellen und Besoldungsgruppen ist eine Überprüfung der Eingruppierung nach Tätigkeit möglich und somit eine niedrigere freiwillige Zuordnung durchführbar. Bei den Priestern und Ordengemeinschaften ist teilweise als besonderer Solidaritätseffekt auch eine gewisse Bereitschaft zu Lohnverzicht oder zur Modifizierung der Gestellungsgelder feststellbar, wenn dadurch Kündigungen vermieden werden können. Bei allen Sparmaßnahmen im Bereich der Katholiken anderer Muttersprache ist die nicht unerhebliche weitere negative Verschiebung der demografischen Werte bei den deutschen Ortsgemeinden (Überalterung, Geburtenrückgang, ...) zu beachten. Damit kommt es auch zu einer Veränderung bei den Kirchensteuereinnahmen (proportional weniger deutsche Kirchensteuerzahler als bei den muttersprachlichen Katholiken). Eine Schließung der Missionen würde den Diözesen wenn überhaupt nur geringe Sparmöglichkeiten eröffnen, demgegenüber aber zu einem großen Verlust bei den muttersprachlichen Gemeinden führen. 3. Modelle kooperativer und interkultureller Pastoral a) Grundsätzliche Erwägungen Angesichts der in allen deutschen Diözesen anstehenden Sparmaßnahmen ist es für die muttersprachlichen Gemeinden selbstverständlich, dass sie ihren Beitrag leisten müssen und auch leisten wollen. Vor der Schließung bzw. Fusion von muttersprachlichen Gemeinden sind jedoch alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um den verschiedenen Sprachgruppen zur Wahrung ihrer kulturellen und religiösen Identität ihre je eigene Gemeindebildung und Gemeindeentwicklung zu ermöglichen. Die folgenden Modelle wollen skizzenhaft unterschiedliche Möglichkeiten der Weiterentwicklung von Missionen beschreiben, wobei diese Modelle an die jeweiligen diözesanen und örtlichen Gegebenheiten angepasst, verändert und auch miteinander vermischt werden können. Eine wichtige Voraussetzung für eine gute Weiterentwicklung dürfte in jedem Fall darin bestehen, dass eine klare strukturelle Verbindlichkeit geschaffen wird, mit deren Hilfe Kooperation und Vernetzung zwischen deutschen und muttersprachlichen Gemeinden angestoßen und gefördert werden. Dazu gehört ein zumindest kleiner pastoraler Auftrag der muttersprachlichen Pfarrer auch in den deutschen Pfarreien ebenso wie ein gewähltes Beratungsgremium für jede Mission (z.B. Pastoralrat). Ziel müsste sein, in jeder muttersprachlichen Gemeinde eine Bezugsperson als Ansprechpartner für die deutschen Pfarreien zu erhalten sowie die Finanzverantwortung für das Budget dieser Mission im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten an dieses gewählte Laiengremium anzubinden. b) Vier Strukturmodelle zur Stärkung der Kooperation zwischen Gemeinden für Katholiken anderer Muttersprache und den Ortspfarreien Modell A Eine Mission übernimmt eine frei werdende Pfarrkirche und die dazugehörigen Gemeinderäume. Eine solche Lösung ist sinnvoll, wenn
Zu Kooperation und Einsparung siehe unten bei Modell B. Modell B Eine Mission erhält Räumlichkeiten einer Pfarrei mit zeitlich abgesprochenen Nutzungsrechten. Hier könnte alternativ
Eine Kooperation zwischen Mission und Pfarrei(en) im Lebensraum wird bei den Modellen A und B strukturell verankert, indem
Unterstützend für die Zusammenarbeit könnte sein, wenn die Seelsorge von einer oder mehrerer dieser Pfarreien an eine geeignete Ordensgemeinschaften (Scalabriniani, SC u.ä.), deren Mitbrüder mehrsprachig sind, übertragen werden könnte. Eine Einsparung entsteht dadurch, dass in beiden Modellen die bisherigen Räumlichkeiten der Missionen aufgegeben und die vorhandenen Räumlichkeiten in den Pfarreien intensiver genutzt sowie ein effektiverer Einsatz des pastoralen Personals und eine bessere Aufgabenteilung entsprechend den jeweiligen Charismen ermöglicht werden. Modell C Eine Mission bleibt wie bisher in ihren jeweiligen Räumlichkeiten bestehen. Dies ist insbesondere bei größeren Sprachgruppen denkbar. Eine minimale Anbindung und ein Auftrag zur Kooperation werden dadurch gewährleistet, dass der Leiter der Mission einen pastoralen Auftrag in der Pfarrei übernimmt. Entsprechend könnte auch der deutsche Pfarrer beispielsweise Urlaubsvertretung oder Beichtaushilfe in der Mission anbieten. Auch bei diesem Modell ist ein gewählter Pastoralrat nötig, um die Begegnung zwischen Mission und Pfarrei (z.B. bei einem jährlichen Treffen der Beratungsgremien) zu unterstützen. Dieses Modell erbringt kurzfristig keine Einsparungen. Jedoch bedeutet es einen ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer stärkeren Zusammenarbeit, die dem Ziel, vermehrt Begegnungsräume zwischen deutschen und muttersprachlichen Katholiken zu schaffen (gemeinsamer Gottesdienst u.a. an Fronleichnam; gemeinsames Fest am Patrozinium) verpflichtet ist. Modell D Eine kleinere Mission ohne eigenen Priester wird aufgelöst und in die Pfarrei als eigene muttersprachliche Gemeinschaft integriert. Diese hat entsprechend den deutschen Gruppen ein Belegungsrecht der Gemeinderäume und einen eigenen Haushaltstitel im Etat der Pfarrei. Ein bisher nur deutschsprachiger Sonntagsgottesdienst wird jetzt verstärkt mit Gebeten, Liedern, Fürbitten, Lesung, Evangelium auch in dieser Muttersprache gestaltet. Entsprechend ihrer Mitgliederzahl erhält die muttersprachliche Gemeinschaft mehrere Sitze im Pfarrgemeinderat. c) Weitere Initiativen und Aktionen zur Unterstützung von Kooperation In den Diözesen haben sich an vielen Orten Initiativen und Projekte entwickelt, mit deren Hilfe die Begegnung zwischen deutschen und muttersprachlichen Gemeinden gefördert wird. Zu nennen sind hier:
4. Das Rottenburg-Stuttgarter Modell Die Diözese Rottenburg-Stuttgart hat in Anlehnung an die Leitlinien der Seelsorge für Katholiken anderer Muttersprache (13.03.2003) ein Gesamtkonzept vorgelegt, das die Gleichberechtigung der deutschen und der muttersprachlichen Katholiken strukturell verankert. Damit können die Befürchtungen einer einseitigen Bevorzugung der deutschen Ortsgemeinden abgebaut, die finanzielle Gleichbehandlung bei notwendigen Sparmaßnahmen garantiert und die notwendigen Kooperationen zwischen deutschen und muttersprachlichen Gemeinden verpflichtend gemacht werden. Dieses Modell ist nicht einfach auf andere Diözesen übertragbar; außerdem muss es seine Bewährungsprobe erst bestehen.
Abschließend seien zwei grundlegende Zitate aus dem Wort der deutschen Bischöfe Integration fördern Zusammenleben gestalten (22.09.2004) angefügt:
*Bonn, den 3. Februar 2005
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