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Bemerkungen zur
»Allgemeinen Erklärung über das menschliche Genom und
Menschenrechte«
(Paris, 11. November 1997)

Der Heilige Stuhl hält dieses internationale Dokument über das menschliche Genom und die Menschenrechte für wichtig. Angesichts der raschen Fortschritte in Wissenschaft und Technik mit ihren Verheißungen und ihren Gefahren wollte die UNESCO bekräftigen, daß dieser Bereich Regeln bedarf, und gab erstmals in einer feierlichen Erklärung die Dringlichkeit bekannt, das menschliche Genom auch für das Wohl der zukünftigen Generationen zusammen mit den Menschenrechten und der Menschenwürde, der Forschungsfreiheit und den Erfordernissen der Solidarität zu schützen.

Viele Punkte scheinen in der Tat Wertschätzung zu verdienen: So unter anderem die Verweigerung jeder genetischen Reduzierung (Art. 2b und 3), die Bekräftigung des Vorrangs der Achtung der menschlichen Person vor der Forschung (Art. 10), die Absage an Diskriminierungen (Art. 6), die Vertraulichkeit der Daten (Art. 7), die Förderung von unabhängigen Ethikausschüssen (Art. 16), die Verpflichtung der Staaten, die Erziehung in der Bioethik und eine Diskussion zu fördern, die auch den religiösen Strömungen offensteht (Art. 20 und 21). Interessant ist schließlich, daß auch Folgemaßnahmen zur Anwendung der Erklärung vorgesehen sind (Art. 24).

Gerade wegen der Bedeutung dieses Dokumentes fühlt sich der Heilige Stuhl verpflichtet, einige Bemerkungen in bezug auf die grundlegenden Aussagen dieser Erklärung vortragen zu müssen, welche die Staaten auffordert, die darin genannten Prinzipien umzusetzen (Art. 22).

Beziehung zwischen Menschenwürde und menschlichem Genom

Im Artikel 1 wird bekräftigt, daß »das menschliche Genom der grundlegenden Einheit aller Mitglieder der menschlichen Gesellschaft sowie der Anerkennung der ihnen innewohnenden Würde und Vielfalt zugrundeliegt«. So wie der Text formuliert ist, scheint er auszusagen, daß der Mensch die eigene Würde im Genom findet. In Wahrheit ist es die Menschenwürde und die Einheit der menschlichen Gesellschaft, die dem menschlichen Genom seinen Wert verleihen und fordern, daß es besonders geschützt wird.

Bezeichnung des menschlichen Genom als » Erbe der Menschheit «

Der zweite Teil von Artikel 1 lautet: »In einem symbolischen Sinne ist es (= das Genom) das Erbe der Menschheit. «Gemäß der explikativen Note (Nr. 20) soll diese Formel die Verantwortung der ganzen Gesellschaft bedeuten und eine unannehmbare kollektive Aneignung ausschließen. Der Satz ist jedoch vage und unklar; es wäre besser, Bezeichnungen wie »Erbe der Menschheit« zu unterlassen und zu bekräftigen, daß »die ganze Menschheit die besondere Verpflichtung hat, das menschliche Genom zu schützen«.

Das Genom hat außerdem zwei Dimensionen: eine allgemeine, weil es ein allen Mitgliedern der menschlichen Gesellschaft eigenes Charakteristikum ist; und eine individuelle, weil es bei jedem Menschen verschieden ist, der es von seinen Eltern im Augenblick der Empfängnis erhält. In diesem letzteren Sinn ist gemeinhin von einem »genetischen Erbe« des Menschen die Rede. Damit wird klar, daß man dieses »Erbe« unter einen grundlegenden Rechtsschutz stellen muß, weil dieses »Erbe« jedem Menschen konkret und einmalig gehört.

Freie und bewußte Einwilligung

Artikel 5a behandelt die Rechte dessen, welcher der »Forschung, Behandlung und Diagnose« am eigenen Genom unterzogen wird. Bei der Aufstellung von konkreten Normen dürfte es angebracht sein, zwischen Forschung, Behandlung und Diagnose zu unterscheiden, weil sie einen unterschiedlichen Eingriff erfordern.

Artikel 5e gibt Hinweise für eine Forschung am Genom einer Person, die unfähig ist, ihre Einwilligung zu erteilen. Für den Fall, daß diese Forschung ohne unmittelbaren gesundheitlichen Nutzen für diese Person, aber zum Vorteil von Dritten durchgeführt wird, ist vorgesehen, daß diese Forschung nur »in Ausnahmefällen« und »unter allergrößter Zurückhaltung« durchgeführt wird. In Anbetracht dessen, daß es sich um Forschung, also um einen sehr begrenzten Eingriff beim Patienten handelt, kann dies erlaubt sein unter der Bedingung, daß es »nicht anders möglich ist«; wenn die Person unfähig ist, ihre Einwilligung zu erteilen, sollen weitere Bedingungen vorgesehen sein: minimales Risiko, gesetzlich vorgeschriebene Ermächtigung, sicherer gesundheitlicher Nutzen für Personen derselben Kategorie, Fehlen von anderen Mitteln und Möglichkeiten zur Forschung.

Mitteilung von Ergebnissen einer genetischen Untersuchung

Art. 5c bekräftigt die Achtung des Rechtes jedes einzelnen, darüber zu entscheiden, ob er von den Ergebnissen der genetischen Untersuchung und den sich daraus ergebenden Folgen unterrichtet werden will oder nicht. Es ist festzuhalten, daß das Recht des einzelnen Betroffenen in dieser Hinsicht nicht absolut sein kann. Zu berücksichtigen sind jene Fälle, in denen diese Unterrichtung gesundheitliche Folgen für andere Personen mit sich bringen kann (zum Beispiel der Angehörigen).

Außerdem wäre es angebracht, die Dringlichkeit zu bekräftigen, daß die Unterrichtung über die Untersuchungsergebnisse von einer professionellen "genetischen Beratung" begleitet wird.

Verweigerung aus Gewissensgründen für Forscher und medizinisches Personal

Artikel 10 ist durchaus angemessen: »Forschung oder deren Anwendung betreffend das menschliche Genom . . . soll nicht Vorrang vor der Achtung der Menschenrechte, Grundfreiheiten und Menschenwürde einzelner Personen oder gegebenenfalls von Personengruppen haben«. Wünschenswert wäre, die Achtung der eventuellen Verweigerung aus Gewissensgründen von seiten der Forscher und Mediziner hinzuzufügen, so daß den Personen, die in diesen Bereichen tätig sind, das Recht zuerkannt wird, aus Gewissensgründen sich zu weigern, Eingriffe am menschlichen Genom vorzunehmen.

Absage auf Klonen von Menschen

Artikel 11 bekräftigt, daß reproduktives Klonen von Menschen eine der Menschenwürde widersprechende Praxis ist und nicht erlaubt werden darf. Leider schließt diese Formulierung das ebenfalls unannehmbare Klonen von Menschen für andere Zwecke, etwa zu Forschung und Therapie nicht aus.

Freiheit der Forschung

Artikel 12b bestätigt zu Recht: »Die Freiheit der Forschung . . . ist Teil der Gedankenfreiheit«. Das ist eine notwendige, aber unzureichende Bedingung, da zur Durchführung einer wirklich freien Forschung auch die Gewissens- und die Religionsfreiheit gewährleistet sein müssen. Andererseits stellen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Art. 18) und der internationale Vertrag über bürgerliche und politische Rechte (Art. 18) die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit auf dieselbe Ebene. Deshalb wäre es wünschenswert, daß dort, wo von Gedankenfreiheit in bezug auf die Forschungsfreiheit die Rede ist, auch namentlich die »Gewissens- und Religionsfreiheit« hinzugefügt werde.

Forschungen zur Vorbeugung von genetischen Krankheiten

Artikel 17 ermutigt die Staaten, Forschungen zu fördern, die unter anderem die »Vorbeugung« von genetischen Krankheiten zum Ziel haben. Man muß gegenwärtig halten, daß die »Vorbeugung« unterschiedlich ausgelegt werden kann. Der Heilige Stuhl ist gegen die planmäßige Suche von Anomalien des Fötus, die eine Selektion von Ungeborenen aufgrund genetischer Kriterien zum Ziel hat.

Keine Erwähnung von Embryo und Fötus

Die Erklärung beschränkt sich bewußt auf das menschliche Genom. So nennt sie nicht die Träger der Rechte, die sie verkündet; sie bekräftigt nicht, daß diese jedem Menschen von dem Augenblick an zukommen, in dem er ein eigenes genetisches Erbe entwickelt hat. Es fehlen außerdem Hinweise auf den Embryo und den Fötus. Das ist eine sehr delikate Frage, besonders in bezug auf den Embryo in den ersten 6 bis 7 Lebenstagen. Die Tatsache, daß die ungeborenen menschlichen Wesen und die menschlichen Embryonen nicht ausdrücklich geschützt werden, öffnet besonders im Bereich der genetischen Eingriffe Diskriminierungen und Verletzungen der Menschenwürde Tor und Tür. Gerade solche Diskriminierungen und Verletzungen will aber die Erklärung unterbinden.

24. Mai 1998

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