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ANSPRACHE VON KARD. ANGELO SODANO 
ANLÄSSLICH DER FEIERLICHKEITEN ZUM
JAHRTAUSENDJUBILÄUM DER SYNODE VON GNESEN

Gnesen, 12. März 2000

 

Sehr geehrter Herr Präsident der Republik Polen!
Verehrte Staatsoberhäupter verschiedener europäischer Länder!
Hochwürdigste Herren Kardinäle und liebe Brüder im Bischofsamt!
Hochwürdigster Herr Erzbischof und Metropolit von Gniezno (Gnesen)
und alle Gläubigen dieser geschichtsträchtigen Erzdiözese!
Hochverehrte Gäste!

1. Mit echter Freude habe ich die Einladung zu dieser feierlichen Begegnung heute angenommen. Ich komme zu Ihnen als Päpstlicher Legat und überbringe Ihnen die Grüße Seiner Heiligkeit Papst Johannes Paul II., der in dieser Stunde geistig mit uns verbunden ist.

Tausend Jahre sind seit dem denkwürdigen Ereignis der Synode von Gniezno (Gnesen) vergangen, die unter dem Namen »Begegnung von Gniezno« in die Geschichte eingegangen ist. In Gniezno vollzog sich damals ein großartiger kirchlicher und politischer Akt. Es wurde nämlich der erste erzbischöfliche Stuhl und die erste Kirchenprovinz auf polnischem Boden errichtet, die sich aus den nunmehr zu einem einzigen kirchlichen Organisationsgefüge verbundenen Bischofssitzen von Kraków (Krakau), Wroclaw (Breslau) und Kolobrzeg (Kolberg) zusammensetzte. Jenes tatsächlich von der Vorsehung bestimmte Ereignis war das Werk vieler Männer. Am Grab des hl. Adalbert trafen in Anwesenheit der Abgesandten von Papst Silvester II. der römische Kaiser Otto III. und Herzog Boleslaw Chrobry (»der Tapfere«) zusammen; die Delegation aus Rom wurde von dem Päpstlichen Legaten Robertus angeführt.

Dank der während der Synode getroffenen Entscheidung, nämlich durch die Errichtung einer der Jurisdiktion eines Erzbischofs unterstellten kirchlichen Organisation, wurde die Festigung des Piastenstaates erreicht. Die Synode von Gniezno legte im Rahmen des im Frühmittelalter geltenden internationalen Rechtes die Fundamente für die politische Souveränität des polnischen Staates. Polen wurde in die christliche Gemeinschaft der europäischen Staaten aufgenommen. Zugleich erwies die genannte Synode die starke Kraft des christlichen Glaubens, der zu einem der wichtigsten Elemente bei der Einigung von Gesellschaften und Nationen wurde.

Man muß unterstreichen, daß die auf Wunsch Papst Silvesters II. einberufene Synode von Gniezno auch für den Apostolischen Stuhl und für die gesamte Kirche ein sehr bedeutsames Ereignis war. Deshalb gebe ich meiner Freude darüber Ausdruck, daß ich an den Zeremonien, die jene historische Begegnung feiern, als Päpstlicher Legat teilnehmen kann. Da wir uns heute in Gniezno vor den Reliquien des hl. Adalbert, dem großen Schatz der polnischen Nation, versammelt haben, danken wir Gott für alles, was sich vor tausend Jahren hier ereignet hat. 

2. Herzlich begrüße ich alle Teilnehmer an dieser bedeutsamen Zeremonie. Ich spreche allen meine Achtung und Dankbarkeit für ihre Anwesenheit aus. Ich begrüße den Präsidenten der Republik Polen, Herrn Aleksander Kwasniewski, den Präsidenten der Tschechischen Republik, Herrn Vaclav Havel, den Präsidenten von Litauen, Herrn Waldas Adamkus, den Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland, Herrn Johannes Rau, den Präsidenten der Slowakischen Republik, Herrn Rudolf Schuster, den Präsidenten der Ukraine, Herrn Leonid Kuczma, den Präsidenten Ungarns, Herrn Arpad Göncz. Meine sehr verehrten Herren Staatspräsidenten! Ihrer Anwesenheit an diesem Ort, wo wir das Gedächtnis des hl. Adalbert, eines großen Missionars Europas, verehren, kommt eine besondere Bedeutung zu. Sie ist Zeichen Ihrer Anstrengungen für den Aufbau eines geeinten Europa, das geistig stark und zutiefst der christlichen Tradition verbunden ist.

Einen herzlichen Gruß richte ich an den Metropoliten von Gniezno, Erzbischof Henryk Józef Muszynski, der gleichzeitig Hausherr für diese Begegnung ist, und danke ihm für seine Worte, mit denen er mich willkommen hieß. Ich begrüße Herrn Kardinal Miloslav Vlk, den Nachfolger des hl. Adalbert auf dem erzbischöflichen Stuhl von Prag, und Herrn Kardinal Józef Glemp, den Primas von Polen. Ich begrüße die Herren Kardinäle Franciszek Macharski, Metropolit von Kraków (Krakau), und Henryk Gulbinowicz, Metropolit von Wroclaw (Breslau). Sie haben Bischofssitze inne, die von Anfang an, also seit dem Jahr 1000, zur Kirchenprovinz Gniezno gehörten. Zu ihnen gehörte auch Kolobrzeg (Kolberg), das heute von Bischof Marian Golebiewski vertreten wird. Außerdem begrüße ich den Apostolischen Nuntius in Polen, Erzbischof Józef Kowalczyk, und den Metropoliten von Poznán (Posen), Erzbischof Juliusz Paetz, sowie auch die anderen hier anwesenden Bischöfe und geladenen Gäste. Ich danke Erzbischof Sawa, dem Orthodoxen Metropoliten von Warschau und ganz Polen, sowie Bischof Jan Szarek, dem Oberhaupt der evangelischen Kirche augsburgischen Bekenntnisses und Vorsitzenden des Polnischen Ökumenischen Rates, für ihr ökumenisches Zeugnis der Einheit. Ganz besonders herzlich möchte ich die jungen Menschen grüßen, die sich als Zeugen dieses historischen Augenblicks innerhalb und außerhalb dieser uralten Kathedrale eingefunden haben.

3. Von diesem Ort aus, dem Grab des hl. Adalbert, richtete der Heilige Vater Johannes Paul II. zweimal seine Botschaft an ganz Europa: zunächst im Jahre 1979 während seiner ersten Pilgerreise nach Polen und dann, 18 Jahre danach, als er 1997 an dieser Stelle für das kostbare Geschenk der Freiheit dankte, das vielen Nationen Europas nach dem Impuls zuteil geworden war, den die polnische »Solidarnosc« und der Fall der Berliner Mauer ausgelöst hatten. Der Papst unterstrich, daß die Wiedergewinnung des Selbstbestimmungsrechtes und die Ausweitung der politischen und wirtschaftlichen Freiheiten für die Wiederherstellung und Festigung der europäischen Einheit nicht ausreichen. Dann fügte er hinzu: »Der Weg zur wahren Einheit des europäischen Kontinents ist noch weit. Es wird keine Einheit Europas geben, solange sich diese nicht auf die Einheit des Geistes gründet« (Gniezno, 3. Juni 1997). Beim Gebet am Grab des hl. Adalbert forderte er die Europäer auf, »sich entschlossen um eine konstruktive Zusammenarbeit zu bemühen mit dem Ziel, den Frieden untereinander und in ihrer Nachbarschaft zu festigen! Sie mögen keine Nation, auch eine schwächere nicht, aus dem im Entstehen begriffenen Ganzen ausschließen!« (Gniezno, 3. Juni 1997). Diese Botschaft bleibt immer aktuell. Unser aller Einsatz ist gefordert, damit sie Wirklichkeit wird.

Wie läßt sich diese geistige Gemeinschaft erreichen? Wo ist das feste Fundament für die Einheit unter den Nationen zu finden? »Dieses tiefste Fundament der Einheit wurde vom Christentum nach Europa gebracht und im Laufe der Jahrhunderte durch sein Evangelium, sein Menschenbild und seinen Beitrag zur Entwicklung der Geschichte der Völker und der Nationen gefestigt. […] Die Fundamente der europäischen Identität liegen im Christentum. Daß es Europa gegenwärtig an geistiger Einheit mangelt, ist hauptsächlich auf die Krise dieses christlichen Selbstverständnisses zurückzuführen« (Gniezno, 3. Juni 1997).

4. Die Kirche will sich aktiv an dem großen Werk beteiligen, das dem Aufbau einer europäischen Gemeinschaft des Geistes gilt. Die Kirche will mit allen Menschen guten Willens, mit jedem Menschen, dem die Zukunft dieses Kontinents, die Zukunft der ganzen Menschheit am Herzen liegt, zusammenarbeiten. In der Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes sagt das Zweite Vatikanische Konzil: »So geht denn diese Kirche […] den Weg mit der ganzen Menschheit gemeinsam und erfährt das gleiche irdische Geschick mit der Welt und ist gewissermaßen der Sauerteig und die Seele der in Christus zu erneuernden und in die Familie Gottes umzugestaltenden menschlichen Gesellschaft« (GS, 40). Ja, von Anbeginn ihres Daseins an geht die Kirche gemeinsam den Weg mit der Menschheit. Als Europa Gestalt annahm, war sie dabei, und sie ist heute präsent, wenn wir ins dritte Jahrtausend eintreten. Sie will Mutter und Lehrmeisterin – mater et magistra – für die Völker und Nationen sein, »indem sie die Wahrheit des Evangeliums verkündet und alle Bereiche menschlichen Handelns durch ihre Lehre und das Zeugnis der Christen erhellt« (GS, 76). Dieses Band der Kirche mit der Gesellschaft ist besonders in Polen kennzeichnend. Die Kirche hat ohne Unterlaß die Geschicke dieser Nation geteilt; jedes Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit hat sie mitgetragen; dem Menschen galt ihre Sorge, indem sie seine Würde verteidigte. Sie teilte mit der polnischen Nation Trauer und Freude, Niederlagen und Siege, die harten Zeiten und die Augenblicke, die voller Hoffnung waren. Die Geschicke der Kirche sind mit jenen des Menschen verbunden. In der Enzyklika Redemptor hominis schrieb Papst Johannes Paul II.: »Die Kirche […] lebt aus dieser Wahrheit über den Menschen, die ihr erlaubt, die Grenzen der Zeitlichkeit zu überschreiten und gleichzeitig mit besonderer Liebe und Sorge an all das zu denken, was in den Dimensionen dieser Zeitlichkeit das Leben des Menschen und des menschlichen Geistes entscheidend prägt« (RH, 18).

In diesem Zusammenhang weisen wir auf die große Hilfe hin, welche die Kirche den einzelnen Menschen und den Gesellschaften als ganzen anbietet.

Man muß jedoch deutlich unterstreichen, daß die Sendung, die der Kirche von Christus übertragen wurde, keinen politischen, wirtschaftlichen oder ausschließlich sozialen Charakter hat. Es ist ein typisch religiöser Sendungsauftrag. Kraft ihrer Sendung und ihrem Wesen gemäß bindet sich die Kirche an keine besondere Form der Kultur, an kein politisches System. »Gegründet, um schon auf dieser Erde das Himmelreich aufzurichten, nicht um irdische Macht zu erringen, bezeugt sie ohne Zweideutigkeit, daß die beiden Bereiche voneinander verschieden sind, so wie beide Gewalten, die kirchliche und die staatliche, jeder in ihrer Ordnung souverän sind«, sagte Papst Paul VI. in der Enzyklika Populorum progressio (Nr. 13). Die Kirche will dem Wohl aller dienen, indem sie sich in ihrem Tun vom Geist des Evangeliums leiten läßt. Sie lehnt daher jede Form von Zwang ab, achtet die Würde des Gewissens und die freie Entscheidung, trägt zur Entwicklung und Festigung der Gerechtigkeit, der Liebe und der Solidarität in den einzelnen Nationen und zwischen den Nationen bei. Das sind die Werte, welche die menschliche Gemeinschaft und den Fortschritt der Gesellschaft stärken helfen. Die katholische Kirche will diese großen Aufgaben mit der gemeinsamen Anstrengung anderer Kirchen und kirchlicher Gemeinschaften verwirklichen. »Die Zusammenarbeit für die Entwicklung des ganzen Menschen und jedes Menschen ist ja eine Pflicht aller gegenüber allen und muß der ganzen Welt gemeinsam sein« (vgl. Johannes Paul II., Sollicitudo rei socialis, 32).

5. Diese Überlegungen legen sich bei der Zeremonie nahe, an der wir teilnehmen. Während unser Kontinent an seine Wurzeln zurückkehrt und nach den Gestalten, Orten und Ereignissen sucht, die eine wesentliche Rolle in seiner Geschichte gespielt haben, stellt sich uns heute die Synode von Gniezno als eines dieser historischen Ereignisse dar, als ein großartiger Akt in dem Werk des Friedensaufbaus in Europa. Der hl. Adalbert brachte im Namen des Glaubens diesen Ländern den Friedenskuß Christi. Neben dem hl. Benedikt und den hll. Cyrill und Methodius wußte dieser große Missionar und Märtyrer sehr wohl um die Bedürfnisse Europas und gab sich große Mühe, ihm den Weg zur Vereinigung des Kontinents auf der Grundlage des Glaubens an Christus zu öffnen.

Heute steht Europa vor großen Herausforderungen und will durch gemeinsame Anstrengung seiner Bewohner eine bessere Zukunft aufbauen. Vor allem die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Kultur stehen vor großen Aufgaben. Freude und Stolz erfüllen uns über die sichtbaren Erfolge und über die Ergebnisse, die in vielen Lebensbereichen erreicht wurden. Gleichzeitig tauchen aber auch zahlreiche Unsicherheiten und damit verbundene ernste Fragen auf. Die totalitären Ideologien, die auf Gewalt und Unterdrückung gründeten und das Fundament für den Aufbau der Zukunft bilden sollten, sind zerbrochen. Wenn ein neues, gemeinsames europäisches Haus dauerhaft sein soll, braucht es ein festes Fundament anderer Art. Dieses Fundament, das im Laufe der vergangenen zweitausend Jahre Europa und der Welt Halt gegeben hat, ist Jesus Christus und sein Evangelium.

Zu diesem Thema ist während der Zweiten Sonderversammlung der Bischofssynode für Europa, die im Oktober des vergangenen Jahres unter dem Leitthema »Jesus Christus in seiner Kirche, Quelle der Hoffnung für Europa« im Vatikan stattgefunden hat, viel gesprochen worden. Das Dokument, das in einigen Monaten erscheint, wird die Sorge der Kirche um die geistliche Erneuerung des alten Kontinents zum Ausdruck bringen. Gestatten Sie mir, daß ich zum Abschluß die Worte aufgreife, die der Heilige Vater Johannes Paul II. bei der Eröffnung der eben erwähnten Synode in der Petersbasilika in den Mund genommen hat: »Mit der Vollmacht, die sie von ihrem Herrn erhalten hat, wiederholt die Kirche vor dem heutigen Europa: Europa des dritten Jahrtausends, ›laß die Hände nicht sinken!‹ (Zef 3,16); verliere nicht den Mut, passe dich nicht Denk- und Lebensweisen an, die keine Zukunft haben, da sie sich nicht auf die bleibende Sicherheit des Wortes Gottes stützen! Europa des dritten Jahrtausends, die Kirche stellt dir und allen deinen Kindern als einzigen Mittler des Heils Christus vor: gestern, heute und in Ewigkeit (vgl. Hebr 13,8). Sie stellt dir Christus vor, die wahre Hoffnung des Menschen und der Geschichte« (L’Osservatore Romano, 2.10.1999).

Möge uns alle dieses Bekenntnis der Hoffnung, aus dem Freude und Zuversicht sprechen, dazu anregen, uns in rechter Weise für den Aufbau der Zukunft eines Kontinents einzusetzen, damit er tatsächlich das gemeinsame Haus aller Europäer werde.



 

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