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PREDIGT VON SUBSTITUT ERZBISCHOF GIOVANNI BATTISTA RE
BEI DER FEIER DES 450. GEBURTSTAGES
DES HL. CAMILLO DE LELLIS

Freitag, 14. Juli 2000

 

1. Der Festtag des hl. Camillo de Lellis nimmt dieses Jahr aus zwei Gründen eine ganz besondere Feierlichkeit an: Erstens weil der 450. Geburtstag dieses bedeutenden Heiligen aus den Abruzzen, der so viel für die Kranken getan hat und dessen Geburtsort nur wenige Kilometer von hier entfernt ist, in dieses Jahr fällt; und zweitens weil die entsprechenden Feierlichkeiten im Rahmen des Heiligen Jahres stattfinden. Dieses Zusammentreffen – so hob der Papst in seinem Schreiben an den Generaloberen der Kamillianer hervor – ist von großer Bedeutung, weil der menschliche und spirituelle Lebensweg des hl. Camillo eng mit den Jubiläumsjahren seiner Zeit verbunden ist.

Er wurde nämlich im Jahr 1550 geboren; er bekehrte sich 1575, ebenfalls ein Heiliges Jahr; im Jubiläumsjahr 1600 schließlich vollendete er die Richtlinien für die Ordensgemeinschaft, die er zur Pflege der Kranken gegründet hatte. Drei Heilige Jahre seiner Zeit zeigen also drei wichtige Stationen in seinem Leben an.

Seine Jugend war – wie man weiß – vom Verlust der Mutter und von gedankenlosen und verschwenderischen Jahren überschattet.

Er hatte ein rebellisches und sanguinisches Temperament und verbrachte seine späte Jugend entweder mit Karten- und Würfelspielen oder unter Waffen zusammen mit seinem Vater. Diesem Vagabundenleben bereitete er aber nach seiner Begegnung mit den Kapuzinerpatres ein Ende. Sie gaben ihm ein großes Beispiel des Gebets, der Gottes- und Nächstenliebe. Zu seiner Entscheidung, sich vom Soldatenleben abzuwenden, trug auch eine Fußverletzung bei, die nicht heilen wollte. Gott, der einen so wichtigen Plan für ihn hatte, erwartete ihn im Heiligen Jahr 1575. Das Treffen mit den franziskanischen Kapuzinern und die schreckliche Verletzung am Fuß veränderten sein Leben: Aus einem Soldat wurde ein Mann des Friedens, großherzig und fähig, den Schmerz anderer zu verstehen und auf die Bedürfnisse seiner Brüder einzugehen.

2. Der 2. Februar 1575 war ein Tag wie viele andere: Damals kam zum Kapuzinerkloster ein Pater namens Angelo, der mit dem stürmischen Leben des jungen Camillo gut vertraut war und schon dessen Unrast und kraftvolle Fähigkeit zum Guten wahrnahm. In einem herzlichen Gespräch sagte er zu ihm: »Mein Bruder, alles geht vorüber, alles ist vergänglich. Nur Jesus Christus, der uns mit seinem Blut erlöst hat, ist es wert, das eigene Leben aufzuopfern.« Diese Worte beeindruckten Camillo, der ein neues Leben begann. Im Alter von 25 Jahren stellte er sich mit ganzem Herzen und für immer in den Dienst Christi, des Erlösers der Welt.

Der Wille, sich Gott und den Brüdern zu widmen, war offenkundig, aber Camillo konnte noch nicht erkennen, welchen Weg er gehen sollte, auf welchen Weg Gott ihn berufen wollte. Monatelang dachte er, sich in ein Kloster zurückzuziehen, aber die Fußverletzung peinigte ihn erneut und zwang ihn, sich in ein Krankenhaus zu begeben, um sich dort pflegen zu lassen. In der Zwischenzeit hatte er mit dem hl. Philipp Neri Freundschaft geschlossen und ihn zu seinem Beichtvater gewählt. Es war denn auch Philipp Neri, der ihm nahelegte, sein Weg sei vielleicht der des Krankenhauses, wohin er wegen seiner Fußverletzung immer wieder zurückkehren mußte.

3. In den überfüllten Stationen der unheilbar Kranken im Hospital »San Giacomo« in Rom wurde ihm die leidvolle und demütigende Situation der Patienten bewußt. Er wollte bei ihnen und für sie dableiben, den Kranken dienen und entschloß sich dazu aus Liebe zu Gott.

Zuerst im Hospital der unheilbar Kranken und dann im Heilig-Geist-Krankenhaus arbeitet Camillo unermüdlich, Tag und Nacht. Er empfängt die Kranken an der Tür mit einer Umarmung; er versucht, sie zu heilen und zu trösten; er trägt sie auf seinen Schultern und kümmert sich um sie mit mütterlicher Fürsorge. Sein Biograph Cicatelli erzählt: »Es schien, als lebte er nicht mehr für sich selbst. Nur Jesus und die Armen lebten in ihm.«

Im Kranken erkannte der hl. Camillo den leidenden Jesus, und er wurde zu einem Zeugen der Liebe Christi gegenüber jedem Menschen. So wie Jesus sich während seines Erdenlebens gerne den Kranken, Lahmen, Stummen und Blinden näherte, sie berührte und segnete, so versuchte (auch) Camillo, die damals möglichen medizinischen Heilmethoden anzuwenden und immer Trost und Hoffnung zu spenden.

Camillo umgab die Kranken mit großer Aufmerksamkeit und Zuneigung. Heute ist viel von Humanisierung der ärztlichen Versorgung die Rede. Man fordert nicht nur eine wissenschaftlich und technologisch fortgeschrittene, sondern eine humane Medizin, die auch wirklich den Kranken diene. Die »barmherzigen Samariter«, die sich auf den Wegen des Lebens den Kranken nähern und ihre Wunden heilen, werden zu Zeugen der Liebe Christi. In diesem Zeugnis (der Liebe Christi) erreichte Camillo de Lellis einen Höhepunkt, der der Zeit standgehalten hat und für uns ein Beispiel, eine Einladung und einen Aufruf darstellt, der seine Aktualität nie verliert.

4. Gegen 1582 begann eine kleine Gruppe von Menschen, die vom Lebensstil des hl. Camillo beeindruckt waren, sich um ihn zu versammeln. So entstand der Plan zur Bildung einer Gruppe von Männern, die bereit waren, sein Ideal zu teilen. Er gründete die Kongregation der »Ministri degli Infermi« [Diener der Kranken]; sie trugen als Abzeichen ein rotes Kreuz auf der Brust – wie die Kreuzfahrer. Bei seinem Tod am 14. Juli 1614 zählte die Gemeinschaft schon 322 Brüder, die in acht Krankenhäusern arbeiteten; vier davon wurden von ihnen direkt verwaltet. Von der Liebe des hl. Camillo zu Gott und zu den Kranken inspiriert, entstanden in der Folgezeit die »Ministre degli Infermi« [Dienerinnen der Kranken], gegründet von der sel. Maria Domenica Brun Barbantini, und die Töchter des hl. Camillo, gegründet von der sel. Giuseppina Vannini und von Pater Luigi Tezza. Auch das Säkularinstitut der »Missionarie degli Infermi«, von Germana Sommaruga gegründet, folgt der vom hl. Camillo vorgezeichneten Spur.

Das Programm, das der hl. Camillo uns hinterlassen hat, ist »durch Liebe heilen«, mit Sensibilität und Hingabe heilen und Christus im Kranken erkennen; mit besonderer Zuneigung die Menschen heilen, die einsam, alt und verlassen sind; heilen mit allen Mitteln, die die medizinische Wissenschaft zur Verfügung stellt.

Die Aufopferung für die Kranken in dem Wunsch, ihnen bei der Genesung zu helfen und die Ressourcen der Forschung und das menschliche, von Liebe und wissenschaftlicher Professionalität angeregte Engagement einzusetzen, ist die Botschaft, die der hl. Camillo an uns richtet. Die Liebe, und besonders die Liebe zu den Kranken, ist also die Lehre, die uns als Zusammenfassung der menschlichen und christlichen Erfahrung des hl. Camillo und als Strahl der Liebe Gottes erreicht.

Euer vor 450 Jahren geborener Landsmann weist unsere, von soviel Egoismus geprägte Gesellschaft darauf hin, daß nur die Liebe die aufbauende Kraft der Geschichte ist; nur die Liebe kann Perspektiven der Hoffnung eröffnen. Die Liebe erkennt alle Bedürfnisse, alle Armut, alle Wünsche des Herzens. Sie begnügt sich nie mit Worten. Die Liebe – und nicht die Kraft, nicht die Gewalt – siegt immer.

5. Seit der Zeit, in der der hl. Camillo lebte und wirkte, sind Jahrhunderte vergangen, und viele Dinge haben sich geändert. Ohne Zweifel haben Medizin und medizinische Technik wunderbare Fortschritte gemacht, beeindruckende Ziele wurden erreicht; es bleibt aber die Notwendigkeit, auch diese Arbeit mit Herz zu füllen. Für eine echte Humanisierung der Pflege im Krankenhaus ist auch heute noch der Geist des hl. Camillo nötig, der im kranken Menschen den Herrn sah.

Sein Ideal »cum caritas et scientia« [mit Nächstenliebe und Wissenschaft], das Liebe mit wissenschaftlichen Erkenntnissen verbindet, bleibt auch in unserer Zeit ungemein wichtig. Die Botschaft des hl. Camillo ist also immer noch aktuell, weil sie die Verwirklichung der Botschaft des Evangeliums ist. Sicherlich ist unser Zeitalter nicht das seine, obwohl die Leiden der Einzelpersonen und der Gesellschaft im wesentlichen die gleichen sind. Freude und Schmerz haben seit jeher das Leben von Mann und Frau gezeichnet. In der Epoche der bewundernswerten Fortschritte der Medizin und der einzigartigen Möglichkeiten von Diagnostik und Therapeutik bleiben das Beispiel und die Lehre von Camillo de Lellis auch zu Beginn des dritten Jahrtausends Licht und Leitung.

An alle Kranken, die hier sind, richte ich einen besonderen Gruß, und ich wünsche jedem, die Fülle der Gesundheit und Lebenskraft bald wiederzuerlangen. Denen, die die Kranken pflegen, gilt die Ermutigung, ihren Einsatz zur Bekämpfung der Krankheiten fortzusetzen. Gerade dieser Kampf gegen Krankheit, damit das Leben vielen kranken Personen wieder lebenswert sei, ist Teil des Plans Gottes, der dem Menschen Intelligenz und Fähigkeiten gegeben hat, um Fortschritte in der Erforschung des menschlichen Organismus zu machen und um deren Früchte in den Dienst des Wohls von Mann und Frau und ihrer Würde als Kinder Gottes zu stellen.

                                

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