Einweihung des neuen Sitzes der Apostolischen Nuntiatur in Berlin durch Kardinal Angelo Sodano
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ANSPRACHE VON KARDINAL ANGELO SODANO 
BEI DER EINWEIHUNG DES NEUEN SITZES 
DER APOSTOLISCHEN NUNTIATUR IN BERLIN

Freitag, 29. Juni 2001

 

Eminenzen,
Exzellenzen,
Herr Bundesminister,
Meine Damen und Herren!

1. Die Apostolische Nuntiatur kehrt nach Berlin zurück, in die Hauptstadt von Deutschland, das endlich wiedervereinigt ist. Der Apostolische Nuntius hat den Ort und das Gebäude, in dem wir uns befinden, schon vorgestellt und erläutert. Ich danke ihm für seine Worte sowie für alles, was er getan hat, um dieses Projekt zu verwirklichen. Ich bin auch sehr bewegt von den Worten, die Herr Kardinal Lehmann und Herr Bundesaußenminister Fischer an uns gerichtet haben. Dafür sage ich ihnen herzlich Dank.

2. Die Tatsache, daß der Regierungssitz von Bonn nach Berlin verlegt wurde, stellt keinen Bruch dar. Vielmehr fügt sie sich gleichsam ein in die Logik der geschichtlichen Entwicklung in Deutschland. Keinem Beobachter ist entgangen, daß die Verlegung des Regierungssitzes eine neue Phase in der deutschen Geschichte eingeläutet hat. Im Rahmen des Einigungsprozesses wurde den tragenden Strukturen das Siegel der Endgültigkeit aufgedrückt, auch wenn im gesellschaftlichen und geistigen Bereich noch viel zu tun bleibt.

Ich persönlich freue mich, daß der Bau des neuen Sitzes der Apostolischen Nuntiatur in Berlin nunmehr vollendet ist. Auf diese Weise wird sie ihre Sendung noch besser erfüllen können (vgl. CIC, can. 362 – 367). Für den Hl. Stuhl ist die Nuntiatur ein geeignetes Instrument, um Kontakt zu pflegen sowohl mit den staatlichen Autoritäten als auch mit den Bischöfen.

3. Die Historiker berichten, daß die Apostolischen Nuntiaturen auf eine jahrhundertelange Geschichte zurückblicken können. Als sich die modernen Staaten herausbildeten, kam es zur Einrichtung ständiger diplomatischer Missionen zwischen einzelnen Staaten. Auch der Hl. Stuhl wollte sich dieses neuen Instrumentes bedienen, um mit den Staaten in Kontakt zu treten. Vorher hatten die Päpste häufig ihre Legaten für besondere Anlässe gesandt. Doch mit der Zeit wurde daraus eine stabile Vertretung. Schon für das Jahr 1500 sind die ersten Nuntiaturen überliefert: beim Königreich Spanien und bei der Republik Venedig. Unter diesem Blickwinkel ist ein Werk bis heute ein Klassiker geblieben, das vor mehr als hundert Jahren in Freiburg im Breisgau veröffentlicht wurde und aus der Feder des Historikers Anton Pieper stammt. Es trägt den Titel: Zur Entstehungsgeschichte der ständigen Nuntiaturen (1894).

Heute spannt sich um den Erdball ein Netz von mehr als hundert Nuntiaturen, wobei einige von ihnen mehreren Staaten zugeordnet sind. Insgesamt sind es 174 Staaten, zu denen der Hl. Stuhl diplomatische Beziehungen unterhält. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus konnten auch zu zahlreichen Ländern des mittelosteuropäischen Raums diplomatische Beziehungen aufgenommen werden.

4. Wie sieht die Qualität der Beziehungen des Hl. Stuhls zu Deutschland aus? Ich denke, daß sie sehr gut ablesbar werden an den Gestalten der beiden Päpste, deren Büsten diese lichte Halle schmücken und den Blick der Besucher auf sich ziehen: Papst Pius XII. und Papst Johannes Paul II.

Papst Pius XII., jener große Papst, der von 1917 bis 1929 als Apostolischer Nuntius in Deutschland wirkte und seit 1925 der erste Nuntius in Berlin war, ist bekannt für seine Verbundenheit mit der Kirche in Deutschland und dem ganzen deutschen Volk.

Mit großem Engagement verwandte er sich nach der ungeheuren Katastrophe des Zweiten Weltkrieges dafür, daß das deutsche Volk unter den Völkern der freien Welt wieder den Platz einnehmen konnte, der ihm zukam. Mit der Kreierung von drei deutschen Kardinälen im Jahre 1946 setzte er ein Zeichen, das von der ganzen Welt verstanden wurde: Man sollte klar unterscheiden zwischen denen, die in Deutschland als Unterdrücker aufgetreten waren, und jenen, die selbst unterdrückt wurden. Man sollte klar unterscheiden zwischen denen, die direkt schuldig geworden waren, und jenen, die nur die Verantwortung trugen, die sich aus der Zugehörigkeit zum deutschen Volk ergab.

Dabei galt es auch der Tatsache Rechnung zu tragen, daß viele – sei es mangels differenzierter Informationen, sei es aufgrund des Terrors, dem sie ausgesetzt waren – weder über sichere Kenntnis verfügten noch eine unvoreingenommene Wertung der Ereignisse vornehmen konnten.

Deshalb engagierte sich Pius XII. persönlich, um das deutsche Volk aus der beklagenswerten Situation herauszuholen, in die es mit hineingerissen worden war. So ernannte er einen residierenden amerikanischen Bischof deutscher Herkunft, Aloysius Muench, den Bischof von Fargo, zu seinem Sonder-Beauftragten, um die ersten Hilfsmaßnahmen anlaufen und nach den Vermißten suchen zu lassen. Nachdem es wieder eine selbständige deutsche Regierung gab, wurde Aloysius Muench 1951 zum ersten Nuntius mit Sitz in Bonn eingesetzt.

5. Die andere Gestalt, an der man die Haltung des Hl. Stuhls zu Deutschland ablesen kann, ist Papst Johannes Paul II.: Wie oft hat der Heilige Vater seine besondere Verbundenheit mit Deutschland unter Beweis gestellt! Wie viele Gelegenheiten hat er dazu genützt!

Lassen Sie mich nur an seine Rede erinnern, die er hielt, als er im Herbst 1980 die erste seiner bisher drei Apostolischen Reisen begann, die ihn während seines Pontifikats nach Deutschland führen sollten. Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Köln-Bonn sprach er von der »großen deutschen Nation«, »deren Geschichte auf so enge Weise mit der Geschichte des Christentums und der Kirche verbunden ist und zutiefst von der christlichen Tradition geprägt wurde. Im Laufe der Jahrhunderte haben viele deutsche Männer und Frauen durch das Beispiel der Heiligkeit, durch Genialität im Bereich der Kunst und Wissenschaft, insbesondere auch durch tiefgründige philosophische Reflexion und theologische Forschung, einen wertvollen Beitrag zum geistigen und kulturellen Erbe der Kirche und der ganzen Menschheit geleistet« (Rede bei der Ankunft, 15. November 1980). Soweit die Worte, mit denen Papst Johannes Paul II. damals deutschen Boden betrat. Erst kürzlich hat derselbe Papst Johannes Paul II. ein Zeichen der Verbundenheit mit Deutschland gesetzt, das niemandem entgangen ist: Er hat vier deutsche Kardinäle ernannt. Dies ist ein Ausdruck der Weite seines Geistes und seiner Fähigkeit, mit unbestechlichem Blick die Wirklichkeit der Kirche in Deutschland mit ihren verschiedenen tragenden Elementen wahrzunehmen und sie trotz der Spannungen, die nicht zu leugnen sind, mit Hoffnung und Zuversicht zu beurteilen. Zugleich liegt darin auch eine Einladung, die verschiedenen Strömungen in der Einheit der Liebe zusammenzuhalten: Zur Einheit der Liebe gehört die Bereitschaft, einander in rechter Weise anzunehmen und den herzlichen Einklang zu wahren mit dem Nachfolger Petri, dem Grundstein und Garanten der Einheit der Kirche.

Eminenzen, Exzellenzen, meine Damen und Herren!

6. Es schien mir angebracht, solche Gedanken gerade in diesem Augenblick darzulegen, da in Berlin der neue Sitz der Apostolischen Nuntiatur in Deutschland offiziell eröffnet wird. Die Aufgabe der Nuntiatur besteht ja darin, ein Zentrum der Zusammenarbeit zu sein zwischen dem Hl. Stuhl und der deutschen Bundesregierung sowie den Landesregierungen, denen das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland die Zuständigkeit im Bereich der religiösen Angelegenheiten zuweist.

Zudem soll die Nuntiatur als Zentrum der Einheit dienen zwischen dem Hl. Stuhl und der Kirche in Deutschland. Diese soll auf den verschiedenen Feldern des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens, für die dieses große Volk bekannt ist, präsent bleiben und es immer mehr werden.

Der Heilige Vater, der mich beauftragt hat, dieser seiner Vertretung seine besondere geistige Nähe zum Ausdruck zu bringen, freut sich, daß das Werk nun vollendet ist. In besonderer Weise läßt er dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Herrn Kardinal Lehmann, und allen deutschen Bischöfen für die Hochherzigkeit danken, mit der sie den Neubau der Apostolischen Nuntiatur unterstützt haben. Allen hier Anwesenden erteilt er gern den Apostolischen Segen.

7. »Wenn nicht der Herr das Haus baut, müht sich jeder umsonst, der daran baut« (Ps 127,1). Diese Worte des Psalmisten gelten im Hinblick auf jede menschliche Familie: Sie treffen auf die große Familie der Nation ebenso zu wie für die kleine Lebens- und Arbeitsgemeinschaft, die die Apostolische Nuntiatur bildet.

So wollen wir diesen neuen Sitz offiziell eröffnen, indem wir Gottes Segen auf ihn herabflehen.

 

 

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