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BOTSCHAFT VON PAPST BENEDIKT XVI.
AN DEN BISCHOF VON ASSISI-NOCERA UMBRA-GUALDO TADINO
AUS ANLASS DES "KLARAJAHRS"

 

 

An den verehrten Mitbruder Domenico Sorrentino
Bischof von Assisi – Nocera Umbra – Gualdo Tadino

Mit Freude habe ich erfahren, daß auch in dieser Diözese – wie bei den Franziskanern und Klarissen in der ganzen Welt – der hl. Klara mit einem Klarajahr aus Anlaß des 800. Jubiläums ihrer »Bekehrung« und Weihe gedacht wird. Dieses Ereignis, das zwischen 1211 und 1212 datiert wird, vervollständigte sozusagen auf der Seite der Frauen die Gnade, die wenige Jahre zuvor die Gemeinde von Assisi mit der Bekehrung des Sohnes von Pietro di Bernardone empfangen hatte. Und wie es bei Franziskus gewesen war, so war auch in der Entscheidung von Klara der Keim einer neuen Gemeinschaft verborgen: der Klarissenorden, der ein großer Baum geworden ist und in der fruchtbaren Stille der Kreuzgänge weiterhin den guten Samen des Evangeliums ausstreut und der Sache des Reiches Gottes dient.

Diese freudige Gelegenheit veranlaßt mich, im Geiste nach Assisi zurückzukehren, um mit Ihnen, verehrter Bruder, und mit der Ihnen anvertrauten Gemeinschaft sowie mit den Söhnen des hl. Franziskus und mit den Töchtern der hl. Klara über die Bedeutung dieses Ereignisses nachzudenken. Denn es spricht auch zu unserer Generation und übt vor allem auf die Jugendlichen eine besondere Faszination aus. Ihnen gilt mein liebevoller Gedanke aus Anlaß des Weltjugendtages, der in diesem Jahr wie üblich am Palmsonntag in den Ortskirchen gefeiert wird.

Die Heilige selbst spricht in ihrem Testament von ihrer radikalen Entscheidung für Christus mit dem Begriff der »conversio«, der Bekehrung und der Hinwendung zu Christus (Thomas von Celano, Leben der hl. Klara von Assisi, in: Leben und Schriften der hl. Klara von Assisi, hg. Engelbert Grau, Marianne Schlosser, Kevelaer 2001, S. 299). Von diesem Aspekt möchte ich ausgehen und damit gleichsam den Faden der Ansprache wieder aufnehmen, die ich in bezug auf die Bekehrung des hl. Franziskus am 17. Juni 2007 gehalten habe, als ich die Freude hatte, diese Diözese zu besuchen. Die Geschichte von Klaras Bekehrung ist eng verbunden mit dem liturgischen Fest des Palmsonntags. So schreibt ihr Biograph: »Es stand der Palmsonntag bevor. Da begab sich das Mädchen mit glühendem Herzen zum Manne Gottes, um sich über ihre Bekehrung zu erkundigen, was zu tun sei und wie sie vor sich gehe. Vater Franziskus ließ sie am Festtag fein gekleidet und geschmückt mit dem übrigen Volk gehen, um die Palme zu empfangen. In der folgenden Nacht sollte sie das Lager verlassen und die weltliche Freude in Trauer über das Leiden des Herrn verwandeln. Als der Sonntag kam, betrat Klara mit den anderen die Kirche, strahlend in festlichem Glanz in der Schar der Frauen. Dort geschah ein bedeutsames Vorzeichen. Während die anderen Leute sich zu den Palmzweigen hindrängten, blieb Klara aus Scheu unbeweglich auf ihrem Platz. Da stieg der Bischof die Stufen herab, ging zu ihr hin und legte ihr die Palme in die Hand« (Thomas von Celano, Leben der hl. Klara, 7; ebd., S. 124f.).

Es waren etwa sechs Jahre vergangen, seitdem der junge Franziskus den Weg der Heiligkeit eingeschlagen hatte. In den Worten des Gekreuzigten von San Damiano – »Geh, Franziskus, und stelle mein Haus wieder her« – und in der Umarmung der Leprakranken, dem leidenden Antlitz Christi, hatte er seine Berufung gefunden. Daraus war die befreiende Geste hervorgegangen, mit der er seine gesamten Kleider vor Bischof Guido ablegte. Er zögerte nicht zu wählen zwischen dem Götzen des Geldes, das ihm sein irdischer Vater versprach, und der Liebe Gottes, die verheißungsvoll sein Herz erfüllen sollte, und mit Begeisterung hatte er ausgerufen: »Von nun an will ich frei sagen: Vater unser, der du bist im Himmel, nicht mehr: Vater Pietro Bernardone« (Celano, Zweite Lebensbeschreibung, 12; in: Leben und Wunder des h. Franziskus von Assisi, Kevelaer 2001, S. 233). Der Entschluß des hl. Franziskus hatte die Stadt in Unruhe versetzt. Die ersten Jahre seines neuen Lebens waren von Schwierigkeiten, Verbitterung und Unverständnis geprägt. Aber viele begannen nachzudenken.

Auch die junge Klara, damals eine Heranwachsende, beeindruckte dieses Zeugnis. Mit einem ausgeprägten Sinn für das Religiöse begabt, wurde sie ergriffen von der »Lebenswende« desjenigen, der der »König der Feste« gewesen war. Sie fand einen Weg, ihn zu treffen, und ließ sich von seinem Eifer für Christus anstecken. Der Biograph beschreibt den jungen Konvertiten, während er die neue Schülerin unterweist: »Vater Franziskus ermunterte sie zur Weltverachtung; legte ihr lebhaft dar, wie töricht irdische Hoffnung, wie trügerisch irdischer Schein sei; er vertraute ihr an, wie beseligend die Vermählung mit Christus sei« (Thomas von Celano, Leben der hl. Klara, a.a.O., S. 123f.).

Dem Testament der hl. Klara zufolge hatte Franziskus, noch bevor er andere Gefährten empfing, schon den Weg seiner ersten geistlichen Tochter und ihrer Mitschwestern prophezeit. Denn während er am Wiederaufbau der Kirche von San Damiano arbeitete, wo der Gekreuzigte zu ihm gesprochen hatte, hatte er geweissagt, daß an diesem Ort Frauen wohnen würden, die mit der Heiligkeit ihres Lebens Gott verherrlichen sollten (Vgl. Celano, Zweite Lebensbeschreibung, 13; a.a.O., S. 234). Das Originalkreuz befindet sich heute in der Basilika der hl. Klara. Jener Christus mit den großen Augen, die Franziskus fasziniert hatten, wurde der »Spiegel« Klaras. Nicht zufällig wird ihr das Thema des Spiegels sehr lieb, und im vierten Brief an Agnes von Prag schreibt sie: »In diesen Spiegel schaue täglich, o Königin, Braut Jesu Christi, und spiegle stets in ihm dein Angesicht« (in: Leben und Schriften der hl. Klara von Assisi, a.a.O., S. 217). In jenen Jahren, als Klara Franziskus traf, um von ihm im Weg Gottes unterwiesen zu werden, war sie ein anmutiges junges Mädchen. Der »Poverello« von Assisi zeigte ihr eine höhere Schönheit, die man nicht mit dem Spiegel der Eitelkeit mißt, sondern die sich in einem Leben echter Liebe auf den Spuren des gekreuzigten Christus entfaltet.

Gott ist die wahre Schönheit! Das Herz Klaras wurde von diesem Glanz erhellt, und das gab ihr den Mut, sich die Haare abschneiden zu lassen und ein Leben der Buße zu beginnen. Für sie wie für Franziskus war diese Entscheidung mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Während einige Familienangehörige sie schnell verstanden und ihre Mutter Ortolana ebenso wie zwei ihrer Schwestern ihr in ihrer Lebenswahl folgten, löste sie bei anderen heftige Reaktionen aus. Ihre Flucht von Zuhause, in der Nacht von Palmsonntag auf den Montag der Karwoche, hatte etwas Abenteuerliches. In den Tagen danach folgte man ihr an die Orte, an denen ihr Franziskus eine Zuflucht vorbereitet hatte, und versuchte vergeblich, sie auch mit Gewalt von ihrem Vorhaben abzubringen.

Auf dieses Ringen war Klara vorbereitet. Und während Franziskus ihr geistlicher Führer war, erhielt sie auch von Bischof Guido väterliche Unterstützung, wofür es mehr als einen Hinweis gibt. So erklärt sich die Geste des Bischofs, der sich ihr nähert, um ihr die Palme zu übergeben, gleichsam als wollte er ihrem mutigen Entschluß seinen Segen erteilen. Ohne die Unterstützung des Bischofs hätte der von Franziskus entworfene und von Klara umgesetzte Plan schwerlich durchgeführt werden können, sowohl was die Weihe betrifft, mit der sich Klara in der Portiunkula-Kirche in Anwesenheit von Franziskus und seinen Mitbrüdern weihte, als auch, was die anschließende Aufnahme im Kloster San Paolo delle Abbadesse und in der Gemeinschaft von Sant’Angelo in Panzo vor ihrer endgültigen Niederlassung in San Damiano angeht. Die Geschehnisse im Leben von Klara wie auch von Franziskus tragen so einen besonderen kirchlichen Zug. In ihnen finden wir einen erleuchteten Hirten sowie einen Sohn und eine Tochter der Kirche, die sich seiner Unterscheidungsgabe anvertrauen. Institution und Charisma wirken auf wunderbare Weise zusammen. Die Liebe und der Gehorsam zur Kirche, die in der Spiritualität der Franziskaner und Klarissen stark hervortreten, haben ihre Wurzeln in dieser schönen Erfahrung der christlichen Gemeinschaft von Assisi, in der Franziskus und seine »pianticella«, seine kleine Pflanze, nicht nur zum Glauben geboren wurden, sondern die sie auch auf dem Weg der Heiligkeit an der Hand genommen und begleitet hat.

Franziskus hatte einen guten Grund, Klara die Flucht von Zuhause am Anfang der Karwoche vorzuschlagen. Das gesamte christliche Leben, und damit auch das Leben der besonderen Weihe, ist eine Frucht des Ostergeheimnisses und der Teilhabe an Tod und Auferstehung Christi. In der Palmsonntagsliturgie durchdringen sich Schmerz und Herrlichkeit, wie ein Thema, das sich dann an den folgenden Tagen weiterentwickeln wird durch das Dunkel der Passion hin zum Licht des Osterfestes. Mit ihrem Entschluß durchlebt Klara dieses Geheimnis. Am Palmsonntag erhält sie sozusagen das Programm. Dann tritt sie in das Drama der Passion ein, indem sie ihre Haare abschneidet und mit ihnen ganz auf sich selbst verzichtet, um in Demut und Armut Braut Christi zu sein. Franziskus und seine Gefährten sind nunmehr ihre Familie. Bald werden Mitschwestern auch von weither kommen, aber die ersten Samen werden wie bei Franziskus gerade in Assisi keimen. Und die Heilige wird immer mit ihrer Stadt verbunden bleiben, was sie vor allem in einigen schwierigen Umständen zeigt, wenn durch ihr Gebet Assisi Gewalt und Verwüstung erspart bleiben. Sie sagte damals zu ihren Mitschwestern: »Von dieser Stadt, liebste Schwestern, haben wir täglich viel Gutes empfangen. Sehr unrecht wäre es, ihr nicht zur rechten Zeit, soviel wir können, zu Hilfe zu eilen« (Thomas von Celano, Leben der hl. Klara, a.a.O., S. 140).

In ihrer tiefsten Bedeutung ist die Konversion Klaras eine Bekehrung zur Liebe. Sie wird nicht mehr die auserlesenen Kleider des Adels von Assisi tragen, sondern mit der Eleganz einer Seele geschmückt sein, die sich im Lob Gottes und der Hingabe ihrer selbst verzehrt. Im engen Raum des Klosters von San Damiano werden sich – in der Schule des eucharistischen, mit bräutlicher Liebe angebeteten Jesus – die Züge einer Gemeinschaft entwickeln, in der die Liebe zu Gott und das Gebet, die Zuvorkommenheit und Dienstbereitschaft die Regeln bestimmen. Und in diesem Kontext tiefen Glaubens und großer Menschlichkeit wird Klara zur verläßlichen Interpretin des franziskanischen Ideals und erbittet das »Privileg« der Armut – das heißt den Verzicht auch auf den bloß gemeinschaftlichen Besitz von Gütern –, das selbst den Papst ratlos machte, der sich aber schließlich dem Heroismus ihrer Heiligkeit ergab.

Wie sollte man nicht die Aufmerksamkeit der heutigen Jugendlichen ebenso wie auf Franziskus auch auf Klara lenken! Die Zeit, die uns von ihrem Leben trennt, hat ihre Faszination nicht vermindert. Im Gegenteil, ihre Aktualität ist unübersehbar angesichts der Illusionen und Enttäuschungen, von denen die Situation der Jugendlichen heute oft gekennzeichnet ist. Keine Epoche hat wie die heutige die Jugendlichen mit so vielen Träumen erfüllt, mit den tausend Reizen eines Lebens, in dem alles möglich und erlaubt zu sein scheint. Wieviel Unzufriedenheit gibt es jedoch, wie oft endet die Suche nach Glück, nach Selbstverwirklichung auf Wegen, die in künstliche Paradiese führen, wie jene der Drogen und einer zügellosen Sensualität. Auch die aktuelle Situation mit den Schwierigkeiten, eine würdige Arbeit zu finden und eine einträchtige und glückliche Familie zu gründen, vermehrt die Wolken am Horizont.

Es fehlt aber auch in unseren Tagen nicht an Jugendlichen, die die Einladung, sich Christus anzuvertrauen, annehmen und mutig, verantwortungsbewußt und hoffnungsvoll ihren Lebensweg  in Angriff nehmen und sich auch entschließen, alles zu verlassen, um ihm nachzufolgen im vollkommenen Dienst für ihn und die Brüder und Schwestern. Die Lebensgeschichte Klaras ist zusammen mit der des hl. Franziskus eine Einladung, über den Sinn des Lebens nachzudenken und in Gott das Geheimnis der wahren Freude zu suchen. Sie ist ein konkreter Beweis dafür, daß der, der den Willen des Herrn tut und auf ihn vertraut, nicht nur nichts verliert, sondern den wahren Schatz findet, der allem Sinn geben kann.

Ihnen, verehrter Mitbruder, und dieser Teilkirche, die die Ehre hat, Franziskus und Klara das Leben geschenkt zu haben, den Klarissen, die täglich die Schönheit und Fruchtbarkeit des kontemplativen Lebens zeigen und damit den Weg des ganzen Gottesvolkes unterstützen, und den Franziskanern in aller Welt, den vielen Jugendlichen auf der Suche, die Licht brauchen, übergebe ich diese kurzen Gedanken. Ich wünsche, daß sie dazu beitragen mögen, immer mehr diese beiden leuchtenden Gestalten am Firmament der Kirche zu entdecken. Mit einem besonderen Gedanken an die Töchter der hl. Klara im Protomonasterium, in den anderen Klöstern von Assisi und in der ganzen Welt erteile ich von Herzen allen meinen Apostolischen Segen.

Aus dem Vatikan, am 1. April 2012, Palmsonntag

BENEDICTUS PP. XVI

 

 

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