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APOSTOLISCHE REISE VON
PAPST BENEDIKT XVI.
NACH ÖSTERREICH
ANLÄSSLICH DER 850-JAHRFEIER
DES WALLFAHRTSORTES MARIAZELL

VESPER MIT PRIESTERN, ORDENSLEUTEN,
DIAKONEN UND SEMINARISTEN

ANSPRACHE VON BENEDIKT XVI.

Basilika in Mariazell
Samstag, 8. September 2007

 

Verehrte und liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst!
Liebe Männer und Frauen des gottgeweihten Lebens!
Liebe Freunde!

Wir haben uns in der ehrwürdigen Basilika unserer „Magna Mater Austriae“, in Mariazell, versammelt. Seit vielen Generationen bitten hier die Menschen um den Beistand der Gottesmutter. Wir tun das heute auch. Wir wollen mit ihr den Lobpreis auf die erhabene Güte Gottes anstimmen und unseren Dank an den Herrn für alle empfangenen Wohltaten, besonders für das große Geschenk des Glaubens, aussprechen. Wir wollen ihr auch unsere Herzensanliegen sagen: ihren Schutz für die Kirche erbitten, ihre Fürsprache um das Geschenk guter Berufungen für unsere Diözesen und Ordensgemeinschaften anrufen, um ihren Beistand für die Familien und um ihr erbarmendes Gebet für alle Menschen bitten, die einen Ausweg aus Sünden und nach Umkehr suchen, und schließlich ihrer mütterlichen Sorge alle kranken und alten Menschen anvertrauen. Möge die große Mutter Österreichs und Europas uns allen zu einer tiefgreifenden Erneuerung des Glaubens und Lebens verhelfen.

Liebe Freunde, ihr seid als Priester und Ordensleute Diener und Dienerinnen der Sendung Jesu Christi. Wie vor zweitausend Jahren Jesus Menschen in seine Nachfolge gerufen hat, so brechen auch heute junge Männer und Frauen auf seinen Ruf hin auf, fasziniert von Jesus und bewegt von der Sehnsucht, ihr Leben in den Dienst der Kirche zu stellen und es für die Hilfe an Menschen hinzugeben. Sie wagen die Nachfolge Jesu Christi und wollen seine Zeugen sein. Das Leben in der Nachfolge ist tatsächlich ein Wagnis, weil wir immer bedroht sind von Sünde, von Unfreiheit und Abfall. Daher bedürfen wir alle seiner Gnade, so wie Maria sie in Fülle bekam. Wir lernen, wie Maria immer auf Christus zu schauen und an ihm Maß zu nehmen. Wir dürfen an der universalen Heilssendung der Kirche, deren Haupt er ist, teilnehmen. Der Herr beruft die Priester, Ordensleute und die Laien, hineinzugehen in die Welt und ihre vielschichtige Wirklichkeit, und dort am Aufbau des Reiches Gottes mitzuwirken. Sie tun das in einer großen und bunten Vielfalt: in der Verkündigung, im Aufbau von Gemeinden, in den verschiedenen pastoralen Diensten, in der tätigen Liebe und gelebten Caritas, in der aus apostolischem Geist geleisteten Forschung und Wissenschaft, im Dialog mit der uns umgebenden Kultur, in der Förderung der von Gott gewollten Gerechtigkeit und nicht weniger in der zurückgezogenen Kontemplation des dreifaltigen Gottes und im gemeinsamen Gotteslob ihrer Gemeinschaft.

Der Herr lädt euch ein zur Pilgerschaft der Kirche „auf ihrem Weg durch die Zeit“. Er lädt euch ein, seinen Pilgerweg mitzugehen und teilzuhaben an seinem Leben, das auch heute noch ein Kreuzweg und der Weg des Auferstandenen durch das Galiläa unseres Lebens ist. Immer aber ist es der eine Herr, der uns zum einen Glauben durch die eine Taufe beruft. Die Teilhabe an seinem Weg bedeutet also beides: die Dimension des Kreuzes – mit Mißerfolgen, Leiden Unverstandensein, ja sogar Verachtung und Verfolgung – aber auch die Erfahrung einer tiefen Freude in seinem Dienst und die Erfahrung des großen Trostes aus der Begegnung mit Ihm. Wie die Kirche haben die einzelnen Gemeinden, die Gemeinschaften und jeder getaufte Christ den Ursprung ihrer Sendung in der Erfahrung des gekreuzigten und auferstandenen Christus.

Die Mitte der Sendung Jesu Christi und aller Christen ist die Verkündigung von Gottes Reich. Diese Verkündigung in Christi Namen bedeutet für die Kirche, die Priester, die Ordenschristen und für alle Getauften, als seine Zeugen in der Welt anwesend zu sein. Denn Reich Gottes ist Gott selbst, der gegenwärtig wird und in unserer Mitte und durch uns herrscht. Deswegen ist Aufbau des Reiches Gottes, wenn Gott in uns lebt und wenn wir Gott in die Welt tragen. Ihr tut es, indem Ihr Zeugnis gebt für einen Sinn, der in der schöpferischen Liebe Gottes wurzelt und sich gegen allen Unsinn und alle Verzweiflung stellt. Ihr steht an der Seite jener, die um diesen Sinn ringen, an der Seite all derer, die dem Leben eine positive Gestalt geben möchten. Betend und bittend seid ihr die Anwälte derer, die nach Gott suchen, die zu Gott hin unterwegs sind. Ihr gebt Zeugnis von einer Hoffnung, die gegen alle stille und laute Verzweiflung hinweist auf die Treue und Zuwendung Gottes. Damit steht ihr auf der Seite aller, deren Rücken gekrümmt ist durch drückende Schicksale und die von ihren Lastkörben nicht loskommen. Ihr gebt Zeugnis von der Liebe, die sich für die Menschen dahingibt und so den Tod besiegt hat. Ihr steht auf der Seite jener, die nie Liebe erfahren haben, die an das Leben nicht mehr zu glauben vermögen. Ihr steht so gegen die vielfältigen Weisen von versteckter und offener Ungerechtigkeit wie gegen die sich ausbreitende Menschenverachtung. So soll eure ganze Existenz, liebe Brüder und Schwestern, wie die Existenz Johannes’ des Täufers ein großer, lebendiger Hinweis auf Jesus Christus sein, den Mensch gewordenen Sohn Gottes. Jesus hat Johannes eine brennende und leuchtende Lampe genannt (vgl. Joh 5, 35). Seid auch ihr solche Lampen! Laßt euer Licht hineinleuchten in unsere Gesellschaft, in die Politik, in die Welt der Wirtschaft, in die Welt der Kultur und der Forschung. Wenn es auch nur ein kleines Licht sein mag inmitten vieler Irrlichter, so bekommt es seine Kraft und seinen Glanz doch von dem großen Morgenstern, dem auferstandenen Christus, dessen Licht leuchtet – durch uns leuchten will – und das nicht untergehen wird.

Nachfolgen – wir wollen nachfolgen – nachfolgen heißt in die Gesinnung Christi, in den Lebensstil Jesu hineinwachsen, so sagt es uns der Philipperbrief: „Habt die Gesinnung Jesu Christi!“ (vgl. 2, 5). „Auf Christus schauen“ heißt das Motto dieser Tage. Im Hinschauen auf Ihn, den großen Lehrer des Lebens, hat die Kirche drei herausragende Merkmale der Gesinnung Jesu Christi entdeckt. Diese drei Merkmale – wir nennen sie mit der Tradition die evangelischen Räte – sind zu den prägenden Elementen für ein Leben in der radikalen Nachfolge Christi geworden: Armut, Keuschheit und Gehorsam. Denken wir in dieser Stunde ein wenig über diese Merkmale nach.

Jesus Christus, der reich war mit dem ganzen Reichtum Gottes, ist unsertwegen arm geworden, so sagt uns der heilige Paulus im Zweiten Korintherbrief (8, 9); es ist ein unergründliches Wort, über das wir immer wieder nachdenken sollten. Und im Philipperbrief heißt es: Er hat sich entäußert, sich erniedrigt und war gehorsam bis zum Tod am Kreuz (2, 6ff). Er, der arm geworden ist, hat die Armen selig gepriesen. Der heilige Lukas zeigt uns in seiner Version der Seligpreisungen, daß dieser Zuruf – die Seligpreisung der Armen – sich durchaus auf die armen, wirklich armen Menschen im Israel seiner Zeit bezieht, wo es einen bedrückenden Gegensatz zwischen Reichen und Armen gab. Der heilige Matthäus aber erklärt uns in seiner Version der Seligpreisungen, daß freilich die bloße materielle Armut als solche für sich allein noch nicht die Nähe zu Gott verbürgt, denn das Herz kann hart und von der Begierde nach Reichtum erfüllt sein. Freilich läßt er uns – wie die ganze Heilige Schrift – erkennen, daß Gott in jedem Fall in besonderer Weise den Armen nahe ist. So wird klar: Der Christ sieht in ihnen Christus, der auf ihn wartet, auf seinen Einsatz. Wer Christus radikal nachfolgen will, muß auf materielle Habe verzichten. Aber er muß diese Armut von Christus her leben, als inwendiges Freiwerden für den Nächsten. Die Frage der Armut und der Armen muß für alle Christen, aber besonders für uns Priester und Ordensleute, die einzelnen wie die Ordensgemeinschaften, immer wieder Inhalt einer ernsten Gewissenserforschung sein. Gerade in unserer Situation, denke ich, wo es uns nicht schlecht geht, wo wir nicht arm sind, müssen wir darüber besonders nachdenken, wie wir diesen Ruf ehrlich leben können. Und ich möchte ihn Eurer – unserer – Gewissenserforschung anempfehlen.

Um recht zu verstehen, was Keuschheit bedeutet, müssen wir von ihrem positiven Inhalt ausgehen. Und den wieder finden wir nur im Hinschauen auf Jesus Christus. Jesus hat in einer doppelten Zuwendung gelebt: zum Vater und zu den Menschen. In der Heiligen Schrift lernen wir Jesus als Betenden kennen, der Nächte in der Zwiesprache mit dem Vater verbringt. Im Beten nimmt er sein Menschsein und unser aller Menschsein hinein in die Sohnesbeziehung zum Vater. Dieser Dialog mit dem Vater wird dann immer neu Sendung zur Welt, zu uns hin. Seine Sendung führte ihn in eine reine und ungeteilte Hinwendung zu den Menschen. In den Zeugnissen der Heiligen Schrift ist in keinem Augenblick seines Daseins in seinem Umgang mit den Menschen eine Beimischung von Eigeninteresse oder Eigennutz zu erkennen. Jesus hat die Menschen im Vater, vom Vater her – und so wahrhaft sie selber in ihrem Eigentlichen, in ihrer Realität – geliebt. Das Eintreten in diese Gesinnung Jesu Christi – in dieses ganz Mitsein mit dem lebendigen Gott und in dieses reine Mitsein mit den Menschen, ganz ihnen zur Verfügung – dieses Eintreten in die Gesinnung Jesu Christi hat Paulus zu seiner Theologie und Lebenspraxis inspiriert, die auf Jesu Wort von der Ehelosigkeit um des Himmelreiches willen antwortet (vgl. Mt 19, 12). Priester und Ordensleute leben nicht beziehungslos. Keuschheit heißt im Gegenteil – davon wollte ich ausgehen – intensive Beziehung, ist positiv Beziehung zum lebendigen Christus und von da her zum Vater. Deswegen geloben wir durch das Gelübde der ehelosen Keuschheit nicht Individualismus oder Beziehungslosigkeit, sondern wir geloben, die intensiven Beziehungen, deren wir fähig sind und mit denen wir beschenkt werden, ganz und vorbehaltlos in den Dienst des Reiches Gottes und so der Menschen zu stellen. So werden Priester und Ordensleute selbst zu Menschen der Hoffnung: Indem sie ganz auf Gott setzen und damit zeigen, daß Gott für sie Realität ist, schaffen sie seiner Gegenwart – dem Reich Gottes – Raum in der Welt. Ihr, liebe Priester und Ordensleute, leistet einen großen Beitrag: Inmitten von aller Gier, allem Egoismus des Nicht-Warten-Könnens, des Konsumhungers, inmitten des Kultes der Individualität versuchen wir, eine uneigennützige Liebe zu den Menschen zu leben. Wir leben eine Hoffnung, die Gott die Erfüllung überläßt, weil wir glauben, daß er erfüllt. Was wäre geworden, hätte es diese Verweisgestalten in der Geschichte der Christenheit nicht gegeben? Was würde aus unserer Welt werden, wenn es die Priester, die Frauen und Männer in den Orden und Gemeinschaften des gottgeweihten Lebens nicht gäbe, die die Hoffnung auf eine größere Erfüllung der menschlichen Wünsche und die Erfahrung der Liebe Gottes, die alle menschliche Liebe übersteigt, nicht vorleben? Die Welt braucht unser Zeugnis gerade heute.

Kommen wir zum Gehorsam. Jesus hat sein ganzes Leben, von den stillen Jahren in Nazareth bis in den Augenblick des Todes am Kreuz, im Hören auf den Vater, im Gehorsam zum Vater gelebt. Sehen wir exemplarisch auf die Nacht am Ölberg hin. „Nicht mein Wille geschehe, sondern der Deinige.“ Jesus nimmt in diesem Beten unser aller widerstrebenden Eigenwillen in seinen Sohneswillen hinein, wandelt unsere Rebellion in seinen Gehorsam um. Jesus war ein Betender. Darin war er aber zugleich ein Hörender und Gehorchender: „Gehorsam geworden bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz“ (Phil 2, 8). Die Christen haben immer erfahren, daß sie sich nicht verlieren durch die Hingabe an den Willen des Herrn, sondern daß sie so durchfinden zu einer tiefen Identität und inneren Freiheit. An Jesus haben sie entdeckt, daß sich findet, wer sich verschenkt, daß frei wird, wer sich in einem in Gott gründenden und ihn suchenden Gehorsam bindet. Auf Gott zu hören und ihm zu gehorchen hat nichts mit Fremdbestimmung und Selbstverlust zu tun. Im Eintreten in den Willen Gottes kommen wir erst zu unserer wahren Identität. Das Zeugnis dieser Erfahrung braucht die Welt heute gerade mitten in ihrem Verlangen nach „Selbstverwirklichung“ und „Selbstbestimmung“.

Romano Guardini berichtet in seiner Autobiographie, wie ihm in einem kritischen Augenblick seines Weges, in dem ihm der Glaube seiner Kindheit fraglich geworden war, der tragende Entscheid seines ganzen Lebens – die Bekehrung – geschenkt wurde in der Begegnung mit dem Wort Jesu, daß sich nur findet, wer sich verliert (vgl. Mk 8, 34f; Joh 12, 25); daß es keine Selbstfindung, keine Selbstverwirklichung geben kann ohne das Sich-Loslassen, das Sich-Verlieren. Aber dann kommt ihm die Frage: Wohin darf ich mich verlieren? Wem mich verschenken? Ihm wurde klar, daß wir uns nur dann ganz weggeben können, wenn wir dabei in Gottes Hände fallen: Nur an ihn dürfen wir uns letztlich verlieren, und nur in ihm können wir uns finden. Aber dann kam die Frage: Wer ist Gott? Wo ist Gott? Und nun begriff er, daß der Gott, an den wir uns verlieren dürfen, nur der in Jesus Christus konkret und nahe gewordene Gott ist. Aber da bricht noch einmal eine Frage auf: Wo finde ich Jesus Christus? Wie kann ich mich ihm wirklich geben? Die von Guardini in seinem Ringen gefundene Antwort lautet: Konkret gegenwärtig ist uns Jesus Christus nur in seinem Leib, der Kirche. Darum muß Gehorsam gegen Gottes Willen, Gehorsam zu Jesus Christus ganz konkret und praktisch demütig-kirchlicher Gehorsam sein. Ich denke, auch darüber sollten wir immer wieder gründlich unser Gewissen erforschen. All dies findet sich zusammengefaßt in dem Gebet des heiligen Ignatius von Loyola, das mir immer wieder so zu groß ist, daß ich es fast nicht zu beten wage, und das wir uns doch immer neu abringen sollten: »Nimm hin, Herr, und empfange meine ganze Freiheit, mein Gedächtnis, meinen Verstand und meinen ganzen Willen, all mein Haben und mein Besitzen. Du hast es mir gegeben; Dir, Herr, gebe ich es zurück. Alles ist Dein, verfüge nach Deinem ganzen Willen. Gib mir nur Deine Liebe und Deine Gnade, dann bin ich reich genug und verlange weiter nichts« (Eb 234).

Liebe Brüder und Schwestern! Ihr geht nun wieder zurück in Eure Lebenswelt, an Eure kirchlichen, pastoralen, geistlichen und menschlichen Lebensorte. Unsere große Fürsprecherin und Mutter Maria breite schützend ihre Hand über Euch und Euer Wirken aus. Sie trete fürbittend bei ihrem Sohn, unserem Herrn Jesus Christus, ein. Mit meinem Dank für Euer Gebet und Euer Wirken im Weinberg des Herrn verbinde ich meine innige Bitte an Gott um Schutz und Wohlfahrt für Euch alle, für die Menschen, besonders die jungen Menschen, hier in Österreich und in den verschiedenen Ländern, aus denen manche von Euch stammen. Von Herzen begleite ich Euch alle mit meinem Segen.

 

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