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PAPST FRANZISKUS

FRÜHMESSE IM VATIKANISCHEN GÄSTEHAUS "DOMUS SANCTAE MARTHAE"

  

Zwischen Erinnerung und Hoffnung

 Donnerstag, 15. Mai 2014

 

aus: L'Osservatore Romano, Wochenausgabe in deutscher Sprache, Nr. 22, 30. Mai  2014

 

Jesus ist kein einfacher Held, der vom Himmel gekommen ist, um uns zu retten, sondern er ist Mittelpunkt und höchstes Ziel der Geschichte, die Gott mit seinem Volk begonnen hat. Daher muss ein Christ immer ein eucharistischer Mensch sein, der einen Weg zwischen Erinnerung und Hoffnung geht, niemals aber eine einsame Monade. Wenn man nämlich nicht mit dem Volk geht, wenn man nicht der Kirche angehört, dann ist der Glaube nur etwas »Künstliches« aus dem Labor. Das sagte Papst Franziskus im Verlauf der Frühmesse, die er am Donnerstag, 15. Mai, in der Kapelle des Hauses Santa Marta feierte.

»Es ist seltsam«, bemerkte der Papst, »dass die Apostel, wenn sie Jesus Christus verkündigen, niemals bei Ihm beginnen«, bei seiner Person, »indem sie etwa sagen: Jesus Christus ist der Heiland!« Nein, die Apostel beginnen vielmehr ihr Zeugnis stets ausgehend von »der Geschichte des Volkes«. Und das sähen wir heute, so merkte er an, in der Lesung aus der Apostelgeschichte (13,13-25), wo vom Zeugnis des heiligen Paulus in Antiochia in Pisidien berichtet wird. Aber »Petrus tut in seinen ersten Ansprachen dasselbe, und auch Stephanus hat dasselbe getan«.

Wenn die Apostel gefragt würden: »Weshalb glaubt ihr an diesen Menschen?«, so begännen sie, von »Abraham und der ganzen Geschichte des Volkes« zu sprechen. Der Grund für dieses Verhalten sei eindeutig: »Man kann Jesus nicht ohne diese Geschichte verstehen, Jesus ist gerade das Ziel dieser Geschichte, auf das diese Geschichte zugeht.« So sei in der Apostelgeschichte« zu lesen, dass Paulus in der Synagoge aufgestanden sei und gesagt habe: »Ihr Israeliten, … der Gott dieses Volkes Israel hat unsere Väter erwählt.« Paulus habe wörtlich gesagt: »Er hat unsere Väter erwählt«, er habe also seine Ansprache begonnen mit »der Wahl, die Gott in Bezug auf einen Mann, Abraham, getroffen hat«, dem er befohlen habe, das Land, das Haus seiner Väter zu verlassen. Gott habe eine Wahl getroffen, so erläuterte der Papst, und auf diese Weise habe er »einen Weg der Erwählung in Gang gesetzt: Das Volk Gottes ist ein auserwähltes Volk, erwählt, aber stets auf dem Weg.«

Das sei der Grund dafür, so bekräftigte der Papst, dass man »Jesus Christus nicht ohne diese Geschichte der Vorbereitung auf Ihn verstehen kann«. Und folglich »kann man einen Christen nicht abgesondert vom Volk Gottes verstehen«. Denn »der Christ ist keine Monade, die isoliert für sich steht. Nein, er gehört zum Volk, zur Kirche.« Das bedeute, dass »ein Christ ohne Kirche eine reine Idee ist, er ist keine Wirklichkeit!« Es handle sich hier um die »Verheißung Gottes«: »Ich werde dich zu einem großen Volk machen!« So »ist dieses Volk mit einer Verheißung unterwegs«. Und hier komme die Dimension der Erinnerung ins Spiel: »Es ist wichtig, dass wir uns in unserem Leben die Dimension der Erinnerung präsent halten«, so betonte der Papst. In der Tat, so betonte er, »ist der Christ ein Mensch, der der Geschichte seines Volkes eingedenk ist; der des Weges eingedenk ist, den das Volk gegangen ist, der seiner Kirche eingedenk ist.« Der Christ sei also ein Mensch, der über die »Erinnerung« an die Vergangenheit verfüge. »Das Volk geht« in dieser Dimension der Erinnerung »der endgültigen Verheißung, der Fülle entgegen; es ist ein auserwähltes Volk, dessen Verheißung in der Zukunft liegt, und es ist unterwegs zu dieser Verheißung, es geht auf die Erfüllung dieser Verheißung zu«. Daher, so erläuterte er weiter, »ist der Christ innerhalb der Kirche ein Mann, eine Frau voller Hoffnung. Er hofft auf die Verheißung, die keine bloße Erwartung ist: sie ist etwas völlig anderes! Es ist Hoffnung: Vorwärts! Die Hoffnung enttäuscht nicht!« Und so »ist der Christ, wenn er zurückschaut, ein Mensch, der ›eingedenk‹ ist: er bittet um die Gnade der Erinnerung, immer!« Wenn er hingegen »nach vorne schaut, ist der Christ ein Mann und eine Frau der Hoffnung«. Zwischen Erinnerung und Hoffnung »folgt der Christ in der Gegenwart dem Weg Gottes und erneuert den Bund mit Gott«. Praktisch »sagt er unentwegt zum Herrn: Ja, ich will die Gebote; ich will deinen Willen; ich will dir nachfolgen!« Indem er das tue, sei er »ein Mensch des Bundes«. »Wir feiern jeden Tag hier« am Altar gerade »diesen Bund«, so sagte der Papst. Folglich sei der Christ immer »eine eucharistische Frau, ein eucharistischer Mann«.

In diesem Kontext, so präzisierte der Bischof von Rom, »kann man einen Christen, der allein für sich ist, nicht verstehen«. Gerade so, wie man im Übrigen »Jesus Christus nicht aus sich allein verstehen kann«. In der Tat »ist Jesus Christus nicht vom Himmel gefallen wie ein Held, der kommt, um uns zu retten. Nein, Jesus Christus hat eine Geschichte!« Und »wir können sagen – und das ist wahr! –, dass Gott eine Geschichte hat, weil er mit uns gehen wollte«. Das sei der Grund dafür, weshalb »man Jesus Christus nicht ohne die Geschichte verstehen kann« und auch weshalb »man einen Christen ohne Geschichte, einen Christen ohne Volk, einen Christen ohne Kirche nicht verstehen kann: Er wäre wie etwas aus dem Labor, etwas Künstliches, etwas, das kein Leben haben kann.«

Die Meditation des Papstes ging dann über in eine Gewissensprüfung: Wie sieht unsere christliche Identität aus? Stellen wir uns die Frage, so regte er an, »ob unsere christliche Identität in der Zugehörigkeit zu einem Volk, zur Kirche, besteht «. Denn, wenn dem nicht so sei, »dann sind wir keine Christen«. Im Gegenteil »sind wir durch die Taufe Teil der Kirche geworden«.

Im Hinblick hierauf sei es wichtig, so sagte der Papst weiter, »die Angewohnheit zu haben, um die Gnade der Erinnerung an den Weg zu bitten, den das Volk Gottes gegangen ist«. Auch um die Gnade »der persönlichen Erinnerung: Was hat Gott in meinem Leben mit mir getan, wie hat er mich vorankommen lassen?« Und, so fuhr er fort, man müsse auch bereit sein, »um die Gnade der Hoffnung zu bitten, die kein Optimismus ist: sie ist etwas anderes«. Und schließlich »um die Gnade zu bitten, Tag für Tag den Bund mit dem Herrn zu erneuern, der uns berufen hat«. Der Herr, so schloss der Papst, »möge uns diese drei Gnaden gewähren, die für die christliche Identität notwendig sind«.

 


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